Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3b U 110/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 577/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zu den Anforderungen für den Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse.
2. Der glatte Verlust eines Langfingers der Gebrauchshand ist nach eingetretener Gewöhnung bei reizlosem Stumpf für sich allein mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten.
2. Der glatte Verlust eines Langfingers der Gebrauchshand ist nach eingetretener Gewöhnung bei reizlosem Stumpf für sich allein mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 16. März 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Dauerrente.
Die im Jahre 1933 geborene Klägerin erlitt bei einem Arbeitsunfall am 6. Mai 1972 eine Amputationsverletzung des rechten Ringfingers im Grundgelenk, einen körperfernen Unterarmbruch rechts sowie eine Quetschung der rechten Hand. In einem Rentengutachten vom 20. Februar 1973 schätzte der Facharzt für Chirurgie Medizinaldirektor Dr. M. (D.) die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung vom 2. Oktober bis zum 31. Dezember 1972 auf 30 v.H. und ab 1. Januar 1973 auf 20 v.H. Die wesentlichen Unfallfolgen beschrieb er als Verlust des rechten Ringfingers, Bewegungsstörung im Mittel- und Kleinfinger, endgradige Einschränkung im Handgelenk sowie glaubhafte Gebrauchsschwäche des rechten Armes. Die Klägerin hatte über einen erheblich gestörten Greifschluß der rechten Hand, Taubheitsgefühl auf der Kleinfingerseite des Mittelfingers, fehlende Kraft in der Hand und Kältegefühl geklagt. Aufgrund dieses Gutachtens stellte die Beklagte entsprechend dem Vorschlag des Dr. M. mit Bescheid vom 22. Februar 1973 die vorläufige Verletztenrente fest und ließ sie ohne Erlaß eines weiteren Bescheides automatisch zur Dauerrente werden.
Am 15. März 1977 erstattete Dr. M. ein weiteres Rentengutachten, in dem er die MdE nunmehr auf nur noch 10 v.H. schätzte. Aufgrund der von ihm erhobenen Befunde vertrat er die Auffassung, daß gegenüber der Untersuchung vom 20. Februar 1973 die Greiffähigkeit der verbliebenen Langfinger rechts besser geworden sei und die Beweglichkeit im Handgelenk zugenommen habe. Auch die Muskulatur des Armes habe sich gekräftigt, so daß nunmehr eine Gewöhnung und Anpassung an die veränderten Verhältnisse anzunehmen sei. Unter dem 17. März 1977 teilte die Beklagte der Klägerin das wesentliche Ergebnis dieses Rentengutachtens mit dem Hinweis mit, daß beabsichtigt seit die Verletztenrente zu entziehen. Sodann holte sie das handchirurgische Gutachten der Dres. H. und S. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F. vom 24. Juni 1974 ein. In diesem ist ausgeführt, daß etwa 4 1/2 Jahre; nach dem Unterarmbruch rechts in Handgelenksnähe und der Amputationsverletzung des rechten Ringfingers im Grundgelenk jetzt ein völliger Verlust des rechten Ringfingers mit reizlosen Narbenverhältnissen, eine gute Weichteildeckung, geringgradige Bewegungseinschränkung des Fingers 3 und 5 der rechten Hand, minimale Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks und der Unterarmdrehbewegungen rechts bestünden. Unfallunabhängige Veränderungen lägen nicht vor. Gegenüber dem als maßgeblich bezeichneten Gutachten des Dr. M. vom 15. März 1977 zeige sich weiterhin eine geringe Zunahme der Muskulatur beider Unterarme. Die MdE sei mit 10 v.H. einzuschätzen. Hierauf entzog die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 1977 die bisher gewährte Dauerrente zum Ablauf des Monats November 1977. Es liege nunmehr eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung vor, da sich die Greiffähigkeit der verbliebenen Langfinger rechts verbessert sowie die Beweglichkeit am Handgelenk zugenommen und sich die Muskulatur des rechten Armes gekräftigt habe. Die unfallbedingte MdE betrage nur noch 10 v.H.
Gegen diesen am 26. Oktober 1977 mit Einschreiben an sie abgesandten Bescheid hat die Kläger in bei dem Sozialgericht Fulda – SG – am 21. November 1977 Klage erhoben und geltend gemacht, daß keineswegs eine Besserung im Unfallfolgezustand vorliege.
Mit Urteil vom 16. März 1978 hat das SG den Entziehungsbescheid aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, daß zwar eine gewisse Besserung in der Beweglichkeit der Finger 3 und 5 sowie des Handgelenks, jedoch nicht um die Hälfte, eingetreten sei.
Gegen dieses ihr am 2. Mai 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 31. Mai 1978 Berufung eingelegt.
Es ist im Berufungsverfahren nach § 109 Sozialgerichtsgesetz – SGG – das chirurgische Gutachten des Oberstarztes Dr. H. (Bundeswehrkrankenhaus G.) vom 1. November 1978 mit dem röntgenologischen Zusatzbefund des Prof. Dr. K. (G.) vom 26. Oktober 1979 eingeholt worden. Dr. H. hat ausgeführt, daß gegenüber den von Dr. M. am 20. Februar 1973 erhobenen Befunden objektiv kein meßbarer Unterschied bestehe. Die von Dr. M. vorgenommen MdE-Bewertung in diesem Gutachten sei im Sinne einer Übergangsrente als angemessen anzusehen. Nach den allgemein gültigen Bewertungsmaßstäben müßten die Unfallfolgen jetzt mit einer MdE um 15 v.H. bewertet werden. Es sei zu beachten, daß in dem Vorgutachten der teilweise Sensibilitätsverlust des rechten Mittelfingers sowie sein leichtes Abkippen im Grundgelenk nicht vermerkt und daher auch nicht berücksichtigt worden sei.
Die Beklagte legt zur Begründung der Berufung die gutachtlichen Stellungnahmen des Dr. M. vom 27. Juni und 20. November 1978 vor und führt aus: Die Begründung des SG, die gegenüber 1973 festgestellte Besserung sei nicht wesentlich, sei nicht verständlich. Das Bewegungsdefizit des rechten Handgelenkes gegenüber links sei ebenso wie die Innendreheinschränkung des Unterarmes um 10 Grad zurückgegangen. Die Muskulatur des rechten Unterarmes habe sich deutlich gekräftigt und sei nunmehr seitengleich. Der vorher bestehende Abstand der Mittelfingerkuppe beim Faustschluß von 1 cm habe sich inzwischen egalisiert und betrage bezüglich der Kleinfingerkuppe nur noch 2 cm. Hierbei handele es sich um, deutliche Besserungsmerkmale, die als wesentlich zu bezeichnen seien. Die von dem Sachverständigen Dr. H. erhobenen Befunde, müßten angezweifelt werden. Sensibilitätsstörungen lägen entweder nicht vor oder seien für die Funktion irrelevant. Die Mittelfingerabweichung im Grundgelenk stelle einen natürlichen Tatbestand bei allen Verlusten einzelner Langfinger dar, führe aber nicht zu einer Einschränkung der Greiffähigkeit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 16. März 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. H.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 151 Abs. 1, 143 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da das SG dieser im Ergebnis zu Recht stattgegeben hat. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, da es an dem Nachweis der wesentlichen Besserung fehlt.
Nach § 662 Reichsversicherungsordnung – RVO – ist eine neue Feststellung zu treffen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung (hier: Besserung) eingetreten ist. Das ist dann der Fall, wenn der Grad der MdE sich um mehr als 5 v.H. ändert (vgl. BSG, Urt. v. 2.3.1971 – 2 RU 39/70 – in E 32, 245), nicht dagegen um 10 v.H., wie das SG unter Hinweis auf dieses Urteil meint.
Vorliegend ist für die Frage, ob eine solche wesentliche Änderung eingetreten ist, von dem Rentengutachten des Dr. M. vom 20. Februar 1973 auszugehen, da dieses Gutachten der einzigen förmlichen Feststellung der Verletztenrente vor deren Entziehung zugrunde gelegt worden ist. Zwar handelte es sich bei dieser mit Bescheid vom 22. Februar 1973 erfolgten Feststellung um die einer vorläufigen Verletztenrente. Auch hat die Beklagte die Klägerin später, nämlich am 13. März 1974, zum Zwecke der Feststellung der Dauerrente nachunterlassen lassen. Indessen ist nicht auf diese dabei erhobenen Befunde abzustellen, weil die Beklagte weder eine weitere förmliche Feststellung getroffen noch auch nur einen formlosen Bescheid erteilt hat, sondern die vorläufige Verletztenrente automatisch zur Dauerrente werden ließ (§§ 622 Abs. 2 S. 1, 1585 Abs. 2 RVO).
Diesem Gutachten zufolge lagen bei der Klägerin, die Rechtshänderin ist, als wesentliche Unfallfolgen der Verlust des rechten Ringfingers mit Bewegungsstörungen im Mittel- und Kleinfinger, eine "endgradige Einschränkung im Handgelenk” sowie eine Gebrauchsschwächung des rechten Armes vor. Die Innendrehung des rechten Unterarmes war um weniger als ein Viertel – ohne Versteifung – eingeschränkt und es bestand ein unvollständiger Faustschluß: Die Mittelfingerkuppe blieb vom Daumenballen um 1 cm und die Kleinfingerkuppe um 3 cm entfernt. Außerdem bestand bei sonst ordentlichen Griffunktionen eine Beugekontraktur in den Mittelgelenken des Mittel- und Kleinfingers. Die Klägerin klagte damals noch über ein Taubheitsgefühl auf der Kleinfingerseite des Mittelfingers sowie ein Kältegefühl der Hand, der auch die Kraft fehle. Das Gutachten enthält jedoch keine Feststellungen dazu, ob diese Klagen aufgrund von Befunden als glaubhaft anzusehen waren. Auch sind die Befundangaben unvollständig.
Aufgrund dieser am 20. Februar 1975 erhobenen Befunde kann der Nachweis einer wesentlichen Besserung beim Vergleich mit denen im Rentengutachten des Dr. med. M. vom 15. März 1977 und im Gutachten der Dres. H. und S. vom 24. Juni 1977 nicht geführt werden, worauf auch der Sachverständige Dr. H. hingewiesen hat. Das Beschwerdebild ist im wesentlichen gleichgeblieben. Bei den Umfangmaßen ergab sich am 20. Februar 1973 gegenüber links ein Defizit im Unterarm um 1 cm während sie an den Handgelenken und der Hand selbst seitengleich waren. Am 15. März 1977 maß Dr. M. am Unterarm und am Handgelenk Seitengleichheit, während an der Hand selbst eine Differenz zuungunsten rechts um 0,5 cm bestand. Der Zunahme um 1 cm am Unterarm steht somit eine Verminderung um 1/2 cm an der Hand gegenüber. Die Dres. H. und S. maßen Seitengleichheit. Der Sachverständige Dr. H. stellte eine Umfangminderung zu Lasten rechts zwischen 1,5 und 0,5 cm fest. Berücksichtigt man, daß die Klägerin Rechtshänderin ist und deswegen die Muskulatur rechts in der Regel stärker ausgeprägt ist als links, so bedeutet die Seitengleichheit immer noch ein Muskeldefizit zu Lasten rechts. Ferner ergibt sich bezüglich der Beweglichkeit des Mittel- und Kleinfingers, daß die Klägerin gegenüber 1973 den Mittelfinger jetzt zwar an den Daumenballen bringen kann und der Kleinfinger gegenüber früher 3 cm zum Daumenballen jetzt um 2 cm zur Hohlhand zurückbleibt. Hierzu hat der Sachverständige Dr. H. bezüglich des Mittelfingers aber immer noch einen Abstand von 1,5 cm zur Hohlhand gemessen. Außerdem beschrieb er eine leichte Beugestellung des rechten Mittel- und Kleinfingers. Hiernach ist die 1973 bestandene Beugekontraktur noch erhalten geblieben. Auch die Beweglichkeit des rechten Handgelenks ist nicht wesentlich besser geworden. Die Dorsalflexion war 1973 um 15 Grad gegenüber links und die Volarflexion um 10 Grad geringer, im März 1977 zwar mit 10 bzw. 5 Grad etwas geringer, aber im November 1976 mit 25 bzw. 20 Grad größer. Die Dres. H. und S. haben am 24. Juni 1977 eine Zunahme der Handmuskulatur auch gegenüber dem Gutachten des Dr. M. vom 15. März 1977 angenommen und dieses als das maßgebliche bezeichnet. Das ist aber unzutreffend. Maßgebliche Vergleichsgrundlage ist, wie oben dargelegt, das Gutachten vom 20. Februar 1973. Da dort die Handmuskulatur nicht beschrieben ist und ebenso einige andere Befunde für Vergleichszwecke, z.B. die Handbeschwielung, fehlen, sind solche Befunde in den nachfolgenden Gutachten nicht geeignet, den Nachweis einer wesentlichen Besserung zu erbringen. Dies gilt auch für die von den Dres. H. und S. beschriebene Griffähigkeit, da diese bereits im Februar 1973 kaum wesentlich eingeschränkt war.
Ferner haben die Beklagte und die von ihr gehörten Ärzte nicht beachtet, daß nach den maßgeblichen Bewertungsmaßstäben im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der glatte Verlust eines Langfingers der Gebrauchshand – hier des rechten Ringfingers – nach eingetretener Gewöhnung bei reizlosem Stumpf für sich allein mit einer MdE um 10 v.H. bewertet wird (so: Günther-Hymmen, Unfallbegutachtung, 6. Auflage, S. 76; vgl. auch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, S. 201). Das ist berechtigt, weil Verletzungsfolgen an den Händen einen erheblichen Einfluß auf die Erwerbsfähigkeit haben, z.B. im Vergleich zu solchen an den unteren Extremitäten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegen nämlich die mit den Händen zu verrichtenden Arbeiten.
Da die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand der Klägerin aber neben dem Fingerverlust durch die weiteren Unfallfolgen zusätzlich nicht unwesentlich beeinträchtigt wird, bewertet der Senat die MdE mit über 15 v.H., und zwar in der Nähe zu 20 v.H. liegend, so daß der Nachweis einer wesentlichen Besserung nicht geführt ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Dauerrente.
Die im Jahre 1933 geborene Klägerin erlitt bei einem Arbeitsunfall am 6. Mai 1972 eine Amputationsverletzung des rechten Ringfingers im Grundgelenk, einen körperfernen Unterarmbruch rechts sowie eine Quetschung der rechten Hand. In einem Rentengutachten vom 20. Februar 1973 schätzte der Facharzt für Chirurgie Medizinaldirektor Dr. M. (D.) die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung vom 2. Oktober bis zum 31. Dezember 1972 auf 30 v.H. und ab 1. Januar 1973 auf 20 v.H. Die wesentlichen Unfallfolgen beschrieb er als Verlust des rechten Ringfingers, Bewegungsstörung im Mittel- und Kleinfinger, endgradige Einschränkung im Handgelenk sowie glaubhafte Gebrauchsschwäche des rechten Armes. Die Klägerin hatte über einen erheblich gestörten Greifschluß der rechten Hand, Taubheitsgefühl auf der Kleinfingerseite des Mittelfingers, fehlende Kraft in der Hand und Kältegefühl geklagt. Aufgrund dieses Gutachtens stellte die Beklagte entsprechend dem Vorschlag des Dr. M. mit Bescheid vom 22. Februar 1973 die vorläufige Verletztenrente fest und ließ sie ohne Erlaß eines weiteren Bescheides automatisch zur Dauerrente werden.
Am 15. März 1977 erstattete Dr. M. ein weiteres Rentengutachten, in dem er die MdE nunmehr auf nur noch 10 v.H. schätzte. Aufgrund der von ihm erhobenen Befunde vertrat er die Auffassung, daß gegenüber der Untersuchung vom 20. Februar 1973 die Greiffähigkeit der verbliebenen Langfinger rechts besser geworden sei und die Beweglichkeit im Handgelenk zugenommen habe. Auch die Muskulatur des Armes habe sich gekräftigt, so daß nunmehr eine Gewöhnung und Anpassung an die veränderten Verhältnisse anzunehmen sei. Unter dem 17. März 1977 teilte die Beklagte der Klägerin das wesentliche Ergebnis dieses Rentengutachtens mit dem Hinweis mit, daß beabsichtigt seit die Verletztenrente zu entziehen. Sodann holte sie das handchirurgische Gutachten der Dres. H. und S. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F. vom 24. Juni 1974 ein. In diesem ist ausgeführt, daß etwa 4 1/2 Jahre; nach dem Unterarmbruch rechts in Handgelenksnähe und der Amputationsverletzung des rechten Ringfingers im Grundgelenk jetzt ein völliger Verlust des rechten Ringfingers mit reizlosen Narbenverhältnissen, eine gute Weichteildeckung, geringgradige Bewegungseinschränkung des Fingers 3 und 5 der rechten Hand, minimale Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks und der Unterarmdrehbewegungen rechts bestünden. Unfallunabhängige Veränderungen lägen nicht vor. Gegenüber dem als maßgeblich bezeichneten Gutachten des Dr. M. vom 15. März 1977 zeige sich weiterhin eine geringe Zunahme der Muskulatur beider Unterarme. Die MdE sei mit 10 v.H. einzuschätzen. Hierauf entzog die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 1977 die bisher gewährte Dauerrente zum Ablauf des Monats November 1977. Es liege nunmehr eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung vor, da sich die Greiffähigkeit der verbliebenen Langfinger rechts verbessert sowie die Beweglichkeit am Handgelenk zugenommen und sich die Muskulatur des rechten Armes gekräftigt habe. Die unfallbedingte MdE betrage nur noch 10 v.H.
Gegen diesen am 26. Oktober 1977 mit Einschreiben an sie abgesandten Bescheid hat die Kläger in bei dem Sozialgericht Fulda – SG – am 21. November 1977 Klage erhoben und geltend gemacht, daß keineswegs eine Besserung im Unfallfolgezustand vorliege.
Mit Urteil vom 16. März 1978 hat das SG den Entziehungsbescheid aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, daß zwar eine gewisse Besserung in der Beweglichkeit der Finger 3 und 5 sowie des Handgelenks, jedoch nicht um die Hälfte, eingetreten sei.
Gegen dieses ihr am 2. Mai 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 31. Mai 1978 Berufung eingelegt.
Es ist im Berufungsverfahren nach § 109 Sozialgerichtsgesetz – SGG – das chirurgische Gutachten des Oberstarztes Dr. H. (Bundeswehrkrankenhaus G.) vom 1. November 1978 mit dem röntgenologischen Zusatzbefund des Prof. Dr. K. (G.) vom 26. Oktober 1979 eingeholt worden. Dr. H. hat ausgeführt, daß gegenüber den von Dr. M. am 20. Februar 1973 erhobenen Befunden objektiv kein meßbarer Unterschied bestehe. Die von Dr. M. vorgenommen MdE-Bewertung in diesem Gutachten sei im Sinne einer Übergangsrente als angemessen anzusehen. Nach den allgemein gültigen Bewertungsmaßstäben müßten die Unfallfolgen jetzt mit einer MdE um 15 v.H. bewertet werden. Es sei zu beachten, daß in dem Vorgutachten der teilweise Sensibilitätsverlust des rechten Mittelfingers sowie sein leichtes Abkippen im Grundgelenk nicht vermerkt und daher auch nicht berücksichtigt worden sei.
Die Beklagte legt zur Begründung der Berufung die gutachtlichen Stellungnahmen des Dr. M. vom 27. Juni und 20. November 1978 vor und führt aus: Die Begründung des SG, die gegenüber 1973 festgestellte Besserung sei nicht wesentlich, sei nicht verständlich. Das Bewegungsdefizit des rechten Handgelenkes gegenüber links sei ebenso wie die Innendreheinschränkung des Unterarmes um 10 Grad zurückgegangen. Die Muskulatur des rechten Unterarmes habe sich deutlich gekräftigt und sei nunmehr seitengleich. Der vorher bestehende Abstand der Mittelfingerkuppe beim Faustschluß von 1 cm habe sich inzwischen egalisiert und betrage bezüglich der Kleinfingerkuppe nur noch 2 cm. Hierbei handele es sich um, deutliche Besserungsmerkmale, die als wesentlich zu bezeichnen seien. Die von dem Sachverständigen Dr. H. erhobenen Befunde, müßten angezweifelt werden. Sensibilitätsstörungen lägen entweder nicht vor oder seien für die Funktion irrelevant. Die Mittelfingerabweichung im Grundgelenk stelle einen natürlichen Tatbestand bei allen Verlusten einzelner Langfinger dar, führe aber nicht zu einer Einschränkung der Greiffähigkeit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 16. März 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. H.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 151 Abs. 1, 143 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da das SG dieser im Ergebnis zu Recht stattgegeben hat. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, da es an dem Nachweis der wesentlichen Besserung fehlt.
Nach § 662 Reichsversicherungsordnung – RVO – ist eine neue Feststellung zu treffen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung (hier: Besserung) eingetreten ist. Das ist dann der Fall, wenn der Grad der MdE sich um mehr als 5 v.H. ändert (vgl. BSG, Urt. v. 2.3.1971 – 2 RU 39/70 – in E 32, 245), nicht dagegen um 10 v.H., wie das SG unter Hinweis auf dieses Urteil meint.
Vorliegend ist für die Frage, ob eine solche wesentliche Änderung eingetreten ist, von dem Rentengutachten des Dr. M. vom 20. Februar 1973 auszugehen, da dieses Gutachten der einzigen förmlichen Feststellung der Verletztenrente vor deren Entziehung zugrunde gelegt worden ist. Zwar handelte es sich bei dieser mit Bescheid vom 22. Februar 1973 erfolgten Feststellung um die einer vorläufigen Verletztenrente. Auch hat die Beklagte die Klägerin später, nämlich am 13. März 1974, zum Zwecke der Feststellung der Dauerrente nachunterlassen lassen. Indessen ist nicht auf diese dabei erhobenen Befunde abzustellen, weil die Beklagte weder eine weitere förmliche Feststellung getroffen noch auch nur einen formlosen Bescheid erteilt hat, sondern die vorläufige Verletztenrente automatisch zur Dauerrente werden ließ (§§ 622 Abs. 2 S. 1, 1585 Abs. 2 RVO).
Diesem Gutachten zufolge lagen bei der Klägerin, die Rechtshänderin ist, als wesentliche Unfallfolgen der Verlust des rechten Ringfingers mit Bewegungsstörungen im Mittel- und Kleinfinger, eine "endgradige Einschränkung im Handgelenk” sowie eine Gebrauchsschwächung des rechten Armes vor. Die Innendrehung des rechten Unterarmes war um weniger als ein Viertel – ohne Versteifung – eingeschränkt und es bestand ein unvollständiger Faustschluß: Die Mittelfingerkuppe blieb vom Daumenballen um 1 cm und die Kleinfingerkuppe um 3 cm entfernt. Außerdem bestand bei sonst ordentlichen Griffunktionen eine Beugekontraktur in den Mittelgelenken des Mittel- und Kleinfingers. Die Klägerin klagte damals noch über ein Taubheitsgefühl auf der Kleinfingerseite des Mittelfingers sowie ein Kältegefühl der Hand, der auch die Kraft fehle. Das Gutachten enthält jedoch keine Feststellungen dazu, ob diese Klagen aufgrund von Befunden als glaubhaft anzusehen waren. Auch sind die Befundangaben unvollständig.
Aufgrund dieser am 20. Februar 1975 erhobenen Befunde kann der Nachweis einer wesentlichen Besserung beim Vergleich mit denen im Rentengutachten des Dr. med. M. vom 15. März 1977 und im Gutachten der Dres. H. und S. vom 24. Juni 1977 nicht geführt werden, worauf auch der Sachverständige Dr. H. hingewiesen hat. Das Beschwerdebild ist im wesentlichen gleichgeblieben. Bei den Umfangmaßen ergab sich am 20. Februar 1973 gegenüber links ein Defizit im Unterarm um 1 cm während sie an den Handgelenken und der Hand selbst seitengleich waren. Am 15. März 1977 maß Dr. M. am Unterarm und am Handgelenk Seitengleichheit, während an der Hand selbst eine Differenz zuungunsten rechts um 0,5 cm bestand. Der Zunahme um 1 cm am Unterarm steht somit eine Verminderung um 1/2 cm an der Hand gegenüber. Die Dres. H. und S. maßen Seitengleichheit. Der Sachverständige Dr. H. stellte eine Umfangminderung zu Lasten rechts zwischen 1,5 und 0,5 cm fest. Berücksichtigt man, daß die Klägerin Rechtshänderin ist und deswegen die Muskulatur rechts in der Regel stärker ausgeprägt ist als links, so bedeutet die Seitengleichheit immer noch ein Muskeldefizit zu Lasten rechts. Ferner ergibt sich bezüglich der Beweglichkeit des Mittel- und Kleinfingers, daß die Klägerin gegenüber 1973 den Mittelfinger jetzt zwar an den Daumenballen bringen kann und der Kleinfinger gegenüber früher 3 cm zum Daumenballen jetzt um 2 cm zur Hohlhand zurückbleibt. Hierzu hat der Sachverständige Dr. H. bezüglich des Mittelfingers aber immer noch einen Abstand von 1,5 cm zur Hohlhand gemessen. Außerdem beschrieb er eine leichte Beugestellung des rechten Mittel- und Kleinfingers. Hiernach ist die 1973 bestandene Beugekontraktur noch erhalten geblieben. Auch die Beweglichkeit des rechten Handgelenks ist nicht wesentlich besser geworden. Die Dorsalflexion war 1973 um 15 Grad gegenüber links und die Volarflexion um 10 Grad geringer, im März 1977 zwar mit 10 bzw. 5 Grad etwas geringer, aber im November 1976 mit 25 bzw. 20 Grad größer. Die Dres. H. und S. haben am 24. Juni 1977 eine Zunahme der Handmuskulatur auch gegenüber dem Gutachten des Dr. M. vom 15. März 1977 angenommen und dieses als das maßgebliche bezeichnet. Das ist aber unzutreffend. Maßgebliche Vergleichsgrundlage ist, wie oben dargelegt, das Gutachten vom 20. Februar 1973. Da dort die Handmuskulatur nicht beschrieben ist und ebenso einige andere Befunde für Vergleichszwecke, z.B. die Handbeschwielung, fehlen, sind solche Befunde in den nachfolgenden Gutachten nicht geeignet, den Nachweis einer wesentlichen Besserung zu erbringen. Dies gilt auch für die von den Dres. H. und S. beschriebene Griffähigkeit, da diese bereits im Februar 1973 kaum wesentlich eingeschränkt war.
Ferner haben die Beklagte und die von ihr gehörten Ärzte nicht beachtet, daß nach den maßgeblichen Bewertungsmaßstäben im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der glatte Verlust eines Langfingers der Gebrauchshand – hier des rechten Ringfingers – nach eingetretener Gewöhnung bei reizlosem Stumpf für sich allein mit einer MdE um 10 v.H. bewertet wird (so: Günther-Hymmen, Unfallbegutachtung, 6. Auflage, S. 76; vgl. auch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, S. 201). Das ist berechtigt, weil Verletzungsfolgen an den Händen einen erheblichen Einfluß auf die Erwerbsfähigkeit haben, z.B. im Vergleich zu solchen an den unteren Extremitäten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegen nämlich die mit den Händen zu verrichtenden Arbeiten.
Da die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand der Klägerin aber neben dem Fingerverlust durch die weiteren Unfallfolgen zusätzlich nicht unwesentlich beeinträchtigt wird, bewertet der Senat die MdE mit über 15 v.H., und zwar in der Nähe zu 20 v.H. liegend, so daß der Nachweis einer wesentlichen Besserung nicht geführt ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
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