Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 379/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage gegen den Bescheid vom 26. April 1978 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Rentenherabsetzung.
Der im Jahr 1902 geborene Kläger war als Arbeiter in Schamottefabriken und bei den B.’schen Eisenwerken, Werk S., quarzhaltigem Staub ausgesetzt. Am 16. März 1972 wurde bei ihm im Auswurf ein positiver Tuberkulose (TB)-Befund festgestellt, der von einer aktiven Siliko-TB herrührte. Vom 2. Mai bis zum 8. August 1972 wurde er in Lungenheilstätten stationär behandelt, danach schloß sich eine ambulante tuberkulo-statische Behandlung bei einem Lungenfacharzt an. In den Heilstätten und später wurde kein weiterer positiver TB-Befund im Auswurf mehr erhoben.
Nach Einholung lungenfachärztlicher Gutachten durch Dr. S., K., vom 19. Mai 1973 und durch Dr. Z., B., vom 18. Dezember 1973 erkannte die Beklagte aufgrund des Gutachtens der Dres. S. und T. Untersuchungs- und Begutachtungsstelle S. der Bundesknappschaft, vom 25. Oktober 1974 mit Bescheid vom 14. Februar 1975 eine Quarz Staublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 35 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) an und gewährte die Vollrente vom 16. März bis zum 8. August 1972 sowie vom 9. August 1972 ab eine Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. als Dauerrente. Dieser Bescheid wurde bindend.
Nachdem Dr. S. in einem zweiten Gutachten vom 12. Januar 1976 zu der Schlußfolgerung gelangt war, die Siliko-TB sei nicht mehr aktiv und die dadurch bedingte MdE betrage nur noch 60 v.H., setzte die Beklagte, ohne den Kläger dazu vorher anzuhören, mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. Februar 1976 die Rente mit Wirkung vom 1. April 1976 auf eine Teilrente von 60 v.H. herab.
Gegen diesen am 25. Februar 1976 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger mit der am 5. März 1976 bei der Beklagten eingegangenen Klageschrift vom 3. März 1976 Klage beim Sozialgericht Kassel (SG) erhoben.
Ohne weitere Ermittlungen hat das SG mit Urteil vom 10. Februar 1977 den angefochtenen Herabsetzungsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es fehle der Nachweis einer wesentlichen Änderung der maßgebenden Verhältnisse.
Gegen dieses ihr am 11. März 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. April 1977, dem ersten Werktag nach Ostermontag (gesetzlicher Feiertag), Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Nach vorheriger Anhörung des Klägers gemäß § 34 Sozialgesetzbuch 1 (SGB 1) hat sie mit Bescheid vom 26. April 1978 den ursprünglich angefochtenen Bescheid dahin ersetzt, daß die Rente erst ab 1. Juni 1978 auf eine Teilrente von 60 v.H. herabgesetzt wird, weil dieser Bescheid ohne die ab 1. Januar 1976 gemäß § 34 SGB 1 vorgeschriebene Anhörung des Klägers ergangen sei.
Unter Vorlage einer Stellungnahme des Dr. S. vom 1. April 1977 rügt die Beklagte eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das SG als wesentlichen Verfahrensmangel. Obwohl Dr. S. schlüssig eine wesentliche Besserung der BK durch sicheren Nachweis der Inaktivität festgestellt habe, habe das SG ohne weitere Sachaufklärung seine Meinung an die Stelle dieses Sachverständigen gesetzt und den Eintritt der Inaktivität der TB nicht für eine wesentliche Besserung gehalten. Tatsächlich habe Dr. S. eine wesentliche Besserung im Sinne von § 622 der Reichsversicherungsordnung – RVO – nachgewiesen. Das gehe auch aus dem Gutachten des Dr. S. vom 22. Juni 1978 mit Ergänzung vom 10. November 1978 hervor, das sie dem Senat im Berufungsverfahren vorgelegt habe. Bei der Nachuntersuchung am 25. Oktober 1974 habe sich im rechten Lungenobergeschoß eine knapp hühnereigroße tuberkulo-silikotische Mischschwielenbildung gefunden, deren spezifische Komponente wegen des über diesem Bezirk feststellbaren feinblasigen Lungenkatarrhs, der leicht erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit und einem Gewichtsrückgang von 5 kg seit Mai 1973 weiterhin als aktiv habe angesehen werden müssen. Dagegen seien bei der Staublungenbegutachtung am 12. Januar 1976 keine Zeichen eines aktiven tuberkulösen Geschehens in den Lungen nachgewiesen worden. Auskultatorisch sei über dem rechten Lungenobergeschoß ein Katarrh nicht mehr gehört worden, die Blutsenkungsgeschwindigkeit habe sich normalisiert und das Körpergewicht des Klägers sei um 4,7 kg angestiegen. Röntgenologisch könne sich eine einmal entstandene Mischschwielenbildung, bei der es sich ja um einen fibrotischen Prozeß handele, nicht mehr zurückbilden. Aber die früher hier noch tätige TB sei jetzt nach dem klinischen und röntgenologischen Befund narbig ausgeheilt. Somit habe eine aktive Siliko-TB im Sinne der Nr. 34 der 7. BKVO nicht mehr vorgelegen. Die Quarzstaublunge mit der verbliebenen knapp hühnereigroßen Mischschwiele im rechten Lungenoberlappen bei im übrigen nur leichtgradigen Steinstaubveränderungen sei jetzt nur nach ihren funktionellen Auswirkungen zu beurteilen. Nur der isolierten Schwielenbildung im rechten Lungenobergeschoß könne eine gewisse zusätzliche funktionsmindernde Rückwirkung auf das cardio-pulmonale System anerkannt werden. Die dadurch bedingte MdE liege unter Mitberücksichtigung des Zustandes nach aktiver Siliko-TB keinesfalls über 60 v.H.
Die Beklagte beantragt,
die Klage gegen den Bescheid vom 26. April 1978 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise
als unbegründet zurückzuweisen, und den Bescheid vom 26. April 1978 aufzuheben.
Er vertritt die Meinung, die Berufung sei gem. § 145 Nr. 4 SGG unzulässig. Der gerügte Verfahrensmangel gem. § 150 Nr. 2 SGG liege nicht vor, weil das SG zu Recht eine wesentliche Besserung der BK verneint habe. Die als Grund angeführte Inaktivität der TB habe bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung für das maßgebliche Vergleichsgutachten vom 25. Oktober 1974 vorgelegen. Der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegte Sputumbefund habe sich am 26. Oktober 1974 als negativ erwiesen und dem Befund "feinblasiger Katarrh rechts oben hinten” vom 25. Oktober 1974 entspreche in gleichem Maße der Befund vom 26. Januar 1976 "raues Bläschenatmen, Giemen und Pfeifen über der rechten Spitze und rechts infraklavikular verschärft”. Weder die Normalisierung einer leicht erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit noch gar die Gewichtszunahme eines schon zuvor Übergewichtigen könnten für sich allein als wesentliche Besserung im Sinne von § 622 RVO gelten. Der Ersetzungsbescheid vom 26. April 1978 könne wegen der Unzulässigkeit der Berufung im vorliegenden Fall nicht Gegenstand des Verfahrens gem. § 96 SGG geworden sein. Die Rechtskraft des angefochtenen Urteils stehe ihm entgegen. Im übrigen sei die darin ausgesprochene Rentenherabsetzung ebenso rechtswidrig wie die in dem Bescheid vom 25. Februar 1976.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der BK-Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10. Februar 1977 ist nicht mehr Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits, seitdem die Beklagte den ursprünglich angefochtenen und vom SG aufgehobenen Herabsetzungsbescheid im Berufungsverfahren wegen Nichtanhörung des Klägers gem. 34 SGB 1 von sich aus mit dem Bescheid vom 26. April 1978 aufgehoben und die Rentenherabsetzung auf den 1. Juni 1978 hinausgeschoben hat. Im Rahmen des § 96 SGG entstehen bei diesem Verfahren für die Zeit vor dem 1. Juni 1978 die gleichen Rechtswirkungen wie bei einer Berufungsrücknahme (vgl. auch BSG, Urteil vom 10. Oktober 1978, 7 RAr 65/77).
Der Bescheid vom 26. April 1978 ist entgegen der Ansicht des Klägers gem. § 96 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem Senat geworden und gilt als mit der Klage angefochten. Der Senat hat über ihn in erster Instanz zu entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob die Berufung zulässig oder unzulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1964 – 10 RV 735/61 – in ZfS 1965, 104; BSGE 4, 24; 5, 158; Peters-Sautter-Wolff, 4. Aufl., Stand 28. Nachtrag 1978, Anm. 2 a zu § 96 SGG mit weiteren Nachweisen).
Diese Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 26. April 1978 ist rechtmäßig, weil in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, jedenfalls ab 1. Juni 1978 eine wesentliche Besserung eingetreten ist (§ 622 Abs. 1 RVO).
Maßgebliches Vergleichsgutachten ist dasjenige der Dres. S. und T. vom 25./28. Oktober 1974, aufgrund dessen erstmalig die Dauerrente festgestellt worden ist (Bescheid vom 14. Februar 1975). Danach fand sich bei der Untersuchung des Klägers am 25. Oktober 1974 im rechten Lungenobergeschoß eine knapp hühnereigroße tuberkulo-silikotische Mischschwielenbildung, deren spezifische Komponente die Sachverständigen wegen des über diesem Bezirk feststellbaren feinblasigen Lungenkatarrhs, der leicht erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit und einem Gewichtsrückgang von 5 kg seit Mai 1973 weiterhin als aktiv ansahen. Die Inaktivität einer TB kann bei der relativen Bedeutungslosigkeit eines Befundes ohne Aktivitätsanzeichen im Sputum und im Röntgenbild nur aufgrund des vollständigen Fehlens klinischer Aktivitätszeichen über einen ausreichenden Zeitraum hinweg festgestellt werden. Dabei sind neben dem Befund auch der bisherige Verlauf, die funktionellen Einbußen und die Auswirkungen auf andere Organsysteme zu berücksichtigen. Dabei kommt der Frage der Aktivität eine wesentliche Bedeutung zu. Der Übergang von aktiver Tuberkulose zur Inaktivität des Krankheitsprozesses bedeutet nicht nur den Ausschluß einer Verschlechterung, sondern rechtfertigt vielmehr die Annahme einer geringeren, medizinisch begründeten Schonungsbedürftigkeit, also einer Besserung der Erwerbsfähigkeit. Es kommt hinzu, daß längere Heilungsbewährung nach Eintritt der Inaktivität sogar für sich allein, ohne den Nachweis einer – im vorliegenden Rechtsstreit zusätzlich gegebenen – Änderung der objektiven Befunde eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit bedeutet (vgl. BSG, Urteil vom 22. Mai 1962, 9 RV 590/59, in BSGE 17, 63 ff. und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 1967, L-1/6/V – 264/65, in RSp-Dienst 7000 § 62 Abs. 1 BVG S. 59/60; vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, herausgegeben vom BMA, Neuausgabe 1973, S. 84).
Dementsprechend bieten der Zeitablauf und die am 12. Januar 1976 von Dr. S. fachärztlich erhobenen Befunde ohne klinische Aktivitätszeichen die Rechtfertigung für die Beurteilung, daß bei dem Kläger eine wesentliche Besserung der Verhältnisse im Sinne von § 622 Abs. 1 RVO eingetreten ist. Das hat auch der Lungenfacharzt Dr. S. überzeugend bestätigt. Die wesentliche Besserung besteht darin, daß Dr. S. über dem rechten Lungenobergeschoß keinen Katarrh mehr gehört, die Blutsenkungsgeschwindigkeit sich normalisiert hat und auch kein Verlust an Körpergewicht, sondern stattdessen eine Gewichtszunahme zu verzeichnen gewesen ist. Demgegenüber haben die qualitativ und quantitativ gleichgebliebenen Röntgenbefunde keine Aussagekraft. Dr. S. hat überzeugend ausgeführt, daß sich eine einmal entstandene Mischschwielenbildung, bei der es sich um einen fibrotischen Prozeß handele, nicht mehr röntgenologisch feststellbar zurückbilden könne. Trotzdem sei die Feststellung gerechtfertigt, daß die früher an der Stelle der Mischschwielenbildung noch tätige Tuberkulose jetzt nach den klinischen und röntgenologischen Befunden als narbig ausgeheilt angesehen werden könne. Die gegenteilige Ansicht des Klägers, eines medizinischen Laien, überzeugt schon deshalb nicht, weil bei der Feststellung des Fehlens früherer Aktivitätszeichen einer Befunderhebung durch den Facharzt der Vorzug gebührt, was auch vom SG verkannt wurde.
Nach den überzeugenden Gutachten der Dres. S. (12. Januar 1976) und S. (22. Juni 1978) ist die inaktive TB des Klägers als klinisch geheilt anzusehen. Die MdE ist nur noch nach dem Ausmaß der bleibenden Funktionsstörungen zu bemessen (Anhaltspunkte a.a.O.). Der zugebilligte Satz von 60 v.H. ist danach sachlich gerechtfertigt. Dabei ist die Frage der vom Kläger bereits für den Beginn der Krankheit behaupteten Auswirkung von Vorschäden nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Beklagte will darüber einen gesonderten Bescheid nach § 627 RVO erteilen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Rentenherabsetzung.
Der im Jahr 1902 geborene Kläger war als Arbeiter in Schamottefabriken und bei den B.’schen Eisenwerken, Werk S., quarzhaltigem Staub ausgesetzt. Am 16. März 1972 wurde bei ihm im Auswurf ein positiver Tuberkulose (TB)-Befund festgestellt, der von einer aktiven Siliko-TB herrührte. Vom 2. Mai bis zum 8. August 1972 wurde er in Lungenheilstätten stationär behandelt, danach schloß sich eine ambulante tuberkulo-statische Behandlung bei einem Lungenfacharzt an. In den Heilstätten und später wurde kein weiterer positiver TB-Befund im Auswurf mehr erhoben.
Nach Einholung lungenfachärztlicher Gutachten durch Dr. S., K., vom 19. Mai 1973 und durch Dr. Z., B., vom 18. Dezember 1973 erkannte die Beklagte aufgrund des Gutachtens der Dres. S. und T. Untersuchungs- und Begutachtungsstelle S. der Bundesknappschaft, vom 25. Oktober 1974 mit Bescheid vom 14. Februar 1975 eine Quarz Staublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 35 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) an und gewährte die Vollrente vom 16. März bis zum 8. August 1972 sowie vom 9. August 1972 ab eine Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. als Dauerrente. Dieser Bescheid wurde bindend.
Nachdem Dr. S. in einem zweiten Gutachten vom 12. Januar 1976 zu der Schlußfolgerung gelangt war, die Siliko-TB sei nicht mehr aktiv und die dadurch bedingte MdE betrage nur noch 60 v.H., setzte die Beklagte, ohne den Kläger dazu vorher anzuhören, mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. Februar 1976 die Rente mit Wirkung vom 1. April 1976 auf eine Teilrente von 60 v.H. herab.
Gegen diesen am 25. Februar 1976 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger mit der am 5. März 1976 bei der Beklagten eingegangenen Klageschrift vom 3. März 1976 Klage beim Sozialgericht Kassel (SG) erhoben.
Ohne weitere Ermittlungen hat das SG mit Urteil vom 10. Februar 1977 den angefochtenen Herabsetzungsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es fehle der Nachweis einer wesentlichen Änderung der maßgebenden Verhältnisse.
Gegen dieses ihr am 11. März 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. April 1977, dem ersten Werktag nach Ostermontag (gesetzlicher Feiertag), Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Nach vorheriger Anhörung des Klägers gemäß § 34 Sozialgesetzbuch 1 (SGB 1) hat sie mit Bescheid vom 26. April 1978 den ursprünglich angefochtenen Bescheid dahin ersetzt, daß die Rente erst ab 1. Juni 1978 auf eine Teilrente von 60 v.H. herabgesetzt wird, weil dieser Bescheid ohne die ab 1. Januar 1976 gemäß § 34 SGB 1 vorgeschriebene Anhörung des Klägers ergangen sei.
Unter Vorlage einer Stellungnahme des Dr. S. vom 1. April 1977 rügt die Beklagte eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das SG als wesentlichen Verfahrensmangel. Obwohl Dr. S. schlüssig eine wesentliche Besserung der BK durch sicheren Nachweis der Inaktivität festgestellt habe, habe das SG ohne weitere Sachaufklärung seine Meinung an die Stelle dieses Sachverständigen gesetzt und den Eintritt der Inaktivität der TB nicht für eine wesentliche Besserung gehalten. Tatsächlich habe Dr. S. eine wesentliche Besserung im Sinne von § 622 der Reichsversicherungsordnung – RVO – nachgewiesen. Das gehe auch aus dem Gutachten des Dr. S. vom 22. Juni 1978 mit Ergänzung vom 10. November 1978 hervor, das sie dem Senat im Berufungsverfahren vorgelegt habe. Bei der Nachuntersuchung am 25. Oktober 1974 habe sich im rechten Lungenobergeschoß eine knapp hühnereigroße tuberkulo-silikotische Mischschwielenbildung gefunden, deren spezifische Komponente wegen des über diesem Bezirk feststellbaren feinblasigen Lungenkatarrhs, der leicht erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit und einem Gewichtsrückgang von 5 kg seit Mai 1973 weiterhin als aktiv habe angesehen werden müssen. Dagegen seien bei der Staublungenbegutachtung am 12. Januar 1976 keine Zeichen eines aktiven tuberkulösen Geschehens in den Lungen nachgewiesen worden. Auskultatorisch sei über dem rechten Lungenobergeschoß ein Katarrh nicht mehr gehört worden, die Blutsenkungsgeschwindigkeit habe sich normalisiert und das Körpergewicht des Klägers sei um 4,7 kg angestiegen. Röntgenologisch könne sich eine einmal entstandene Mischschwielenbildung, bei der es sich ja um einen fibrotischen Prozeß handele, nicht mehr zurückbilden. Aber die früher hier noch tätige TB sei jetzt nach dem klinischen und röntgenologischen Befund narbig ausgeheilt. Somit habe eine aktive Siliko-TB im Sinne der Nr. 34 der 7. BKVO nicht mehr vorgelegen. Die Quarzstaublunge mit der verbliebenen knapp hühnereigroßen Mischschwiele im rechten Lungenoberlappen bei im übrigen nur leichtgradigen Steinstaubveränderungen sei jetzt nur nach ihren funktionellen Auswirkungen zu beurteilen. Nur der isolierten Schwielenbildung im rechten Lungenobergeschoß könne eine gewisse zusätzliche funktionsmindernde Rückwirkung auf das cardio-pulmonale System anerkannt werden. Die dadurch bedingte MdE liege unter Mitberücksichtigung des Zustandes nach aktiver Siliko-TB keinesfalls über 60 v.H.
Die Beklagte beantragt,
die Klage gegen den Bescheid vom 26. April 1978 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise
als unbegründet zurückzuweisen, und den Bescheid vom 26. April 1978 aufzuheben.
Er vertritt die Meinung, die Berufung sei gem. § 145 Nr. 4 SGG unzulässig. Der gerügte Verfahrensmangel gem. § 150 Nr. 2 SGG liege nicht vor, weil das SG zu Recht eine wesentliche Besserung der BK verneint habe. Die als Grund angeführte Inaktivität der TB habe bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung für das maßgebliche Vergleichsgutachten vom 25. Oktober 1974 vorgelegen. Der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegte Sputumbefund habe sich am 26. Oktober 1974 als negativ erwiesen und dem Befund "feinblasiger Katarrh rechts oben hinten” vom 25. Oktober 1974 entspreche in gleichem Maße der Befund vom 26. Januar 1976 "raues Bläschenatmen, Giemen und Pfeifen über der rechten Spitze und rechts infraklavikular verschärft”. Weder die Normalisierung einer leicht erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit noch gar die Gewichtszunahme eines schon zuvor Übergewichtigen könnten für sich allein als wesentliche Besserung im Sinne von § 622 RVO gelten. Der Ersetzungsbescheid vom 26. April 1978 könne wegen der Unzulässigkeit der Berufung im vorliegenden Fall nicht Gegenstand des Verfahrens gem. § 96 SGG geworden sein. Die Rechtskraft des angefochtenen Urteils stehe ihm entgegen. Im übrigen sei die darin ausgesprochene Rentenherabsetzung ebenso rechtswidrig wie die in dem Bescheid vom 25. Februar 1976.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der BK-Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10. Februar 1977 ist nicht mehr Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits, seitdem die Beklagte den ursprünglich angefochtenen und vom SG aufgehobenen Herabsetzungsbescheid im Berufungsverfahren wegen Nichtanhörung des Klägers gem. 34 SGB 1 von sich aus mit dem Bescheid vom 26. April 1978 aufgehoben und die Rentenherabsetzung auf den 1. Juni 1978 hinausgeschoben hat. Im Rahmen des § 96 SGG entstehen bei diesem Verfahren für die Zeit vor dem 1. Juni 1978 die gleichen Rechtswirkungen wie bei einer Berufungsrücknahme (vgl. auch BSG, Urteil vom 10. Oktober 1978, 7 RAr 65/77).
Der Bescheid vom 26. April 1978 ist entgegen der Ansicht des Klägers gem. § 96 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem Senat geworden und gilt als mit der Klage angefochten. Der Senat hat über ihn in erster Instanz zu entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob die Berufung zulässig oder unzulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1964 – 10 RV 735/61 – in ZfS 1965, 104; BSGE 4, 24; 5, 158; Peters-Sautter-Wolff, 4. Aufl., Stand 28. Nachtrag 1978, Anm. 2 a zu § 96 SGG mit weiteren Nachweisen).
Diese Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 26. April 1978 ist rechtmäßig, weil in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, jedenfalls ab 1. Juni 1978 eine wesentliche Besserung eingetreten ist (§ 622 Abs. 1 RVO).
Maßgebliches Vergleichsgutachten ist dasjenige der Dres. S. und T. vom 25./28. Oktober 1974, aufgrund dessen erstmalig die Dauerrente festgestellt worden ist (Bescheid vom 14. Februar 1975). Danach fand sich bei der Untersuchung des Klägers am 25. Oktober 1974 im rechten Lungenobergeschoß eine knapp hühnereigroße tuberkulo-silikotische Mischschwielenbildung, deren spezifische Komponente die Sachverständigen wegen des über diesem Bezirk feststellbaren feinblasigen Lungenkatarrhs, der leicht erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit und einem Gewichtsrückgang von 5 kg seit Mai 1973 weiterhin als aktiv ansahen. Die Inaktivität einer TB kann bei der relativen Bedeutungslosigkeit eines Befundes ohne Aktivitätsanzeichen im Sputum und im Röntgenbild nur aufgrund des vollständigen Fehlens klinischer Aktivitätszeichen über einen ausreichenden Zeitraum hinweg festgestellt werden. Dabei sind neben dem Befund auch der bisherige Verlauf, die funktionellen Einbußen und die Auswirkungen auf andere Organsysteme zu berücksichtigen. Dabei kommt der Frage der Aktivität eine wesentliche Bedeutung zu. Der Übergang von aktiver Tuberkulose zur Inaktivität des Krankheitsprozesses bedeutet nicht nur den Ausschluß einer Verschlechterung, sondern rechtfertigt vielmehr die Annahme einer geringeren, medizinisch begründeten Schonungsbedürftigkeit, also einer Besserung der Erwerbsfähigkeit. Es kommt hinzu, daß längere Heilungsbewährung nach Eintritt der Inaktivität sogar für sich allein, ohne den Nachweis einer – im vorliegenden Rechtsstreit zusätzlich gegebenen – Änderung der objektiven Befunde eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit bedeutet (vgl. BSG, Urteil vom 22. Mai 1962, 9 RV 590/59, in BSGE 17, 63 ff. und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 1967, L-1/6/V – 264/65, in RSp-Dienst 7000 § 62 Abs. 1 BVG S. 59/60; vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, herausgegeben vom BMA, Neuausgabe 1973, S. 84).
Dementsprechend bieten der Zeitablauf und die am 12. Januar 1976 von Dr. S. fachärztlich erhobenen Befunde ohne klinische Aktivitätszeichen die Rechtfertigung für die Beurteilung, daß bei dem Kläger eine wesentliche Besserung der Verhältnisse im Sinne von § 622 Abs. 1 RVO eingetreten ist. Das hat auch der Lungenfacharzt Dr. S. überzeugend bestätigt. Die wesentliche Besserung besteht darin, daß Dr. S. über dem rechten Lungenobergeschoß keinen Katarrh mehr gehört, die Blutsenkungsgeschwindigkeit sich normalisiert hat und auch kein Verlust an Körpergewicht, sondern stattdessen eine Gewichtszunahme zu verzeichnen gewesen ist. Demgegenüber haben die qualitativ und quantitativ gleichgebliebenen Röntgenbefunde keine Aussagekraft. Dr. S. hat überzeugend ausgeführt, daß sich eine einmal entstandene Mischschwielenbildung, bei der es sich um einen fibrotischen Prozeß handele, nicht mehr röntgenologisch feststellbar zurückbilden könne. Trotzdem sei die Feststellung gerechtfertigt, daß die früher an der Stelle der Mischschwielenbildung noch tätige Tuberkulose jetzt nach den klinischen und röntgenologischen Befunden als narbig ausgeheilt angesehen werden könne. Die gegenteilige Ansicht des Klägers, eines medizinischen Laien, überzeugt schon deshalb nicht, weil bei der Feststellung des Fehlens früherer Aktivitätszeichen einer Befunderhebung durch den Facharzt der Vorzug gebührt, was auch vom SG verkannt wurde.
Nach den überzeugenden Gutachten der Dres. S. (12. Januar 1976) und S. (22. Juni 1978) ist die inaktive TB des Klägers als klinisch geheilt anzusehen. Die MdE ist nur noch nach dem Ausmaß der bleibenden Funktionsstörungen zu bemessen (Anhaltspunkte a.a.O.). Der zugebilligte Satz von 60 v.H. ist danach sachlich gerechtfertigt. Dabei ist die Frage der vom Kläger bereits für den Beginn der Krankheit behaupteten Auswirkung von Vorschäden nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Beklagte will darüber einen gesonderten Bescheid nach § 627 RVO erteilen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
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