Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 73/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1426/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist die letzte mündliche Verhandlung, sofern mit der Klage die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen erstrebt wird.
Das gilt auch für die Frage der Absehbarkeit einer unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit zur Begründung eines Anspruchs gemäß § 587 RVO.
Das gilt auch für die Frage der Absehbarkeit einer unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit zur Begründung eines Anspruchs gemäß § 587 RVO.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente (§ 587 Reichsversicherungsordnung – RVO –) für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978.
Der im Jahre 1949 geborene Kläger ist spanischer Staatsangehöriger und seit 1968 als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Zuletzt arbeitete er als Hilfsarbeiter zusammen mit einem deutschen und drei spanischen Arbeitskollegen bei der Firma Betonwerk K. GmbH in D. Dort erlitt er bei einem Arbeitsunfall am 3. September 1975 eine Unterarmquetschung mit offenem Radiusbruch an der körpernahen Drittelgrenze. Die Beklagte stellte aufgrund der chirurgischen und nervenfachärztlichen Gutachten der Dres. S. und G. S. und S. sowie K. zunächst mit Bescheid vom 27. Oktober 1976 ab 31. Mai 1976 die vorläufige Verletztenrente und mit dem gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zum Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – (S-4/U-353/76) gewordenen Bescheid vom 26. August 1977 die Dauerrente jeweils nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 30 v.H. fest. Die Unfallfolgen am rechten Arm bezeichnete sie als knöchern fest verheilten Speichenbruch, geringe Kalksalzminderung im körpernahen Unterarmbereich, Teillähmung des Speichennerven, wobei die Beugung der Hand nach dem Handrücken zu bei gestreckten Langfingern nicht ausgeführt werden könne, endgradig eingeschränkte Unterarmdrehbeweglichkeit, geringe Bewegungseinschränkung der Langfinger und des Daumens, Minderung der groben Kraft und mäßige Herabsetzung der Hohlhandbeschwielung.
Inzwischen hatte das Arbeitsamt O. den Kläger vom 7. bis zum 18. Februar 1977 in dem Berufsförderungszentrum J.-P. in W. – BFZ P. – einer Berufsfindungsmaßnahme unterziehen lassen. Dazu berichtete es am 2. Mai 1977, daß eine Umschulung zum Facharbeiter mangels ausreichender Befähigung und Deutschkenntnisse nicht in Betracht komme. Es werde eine Vermittlung in eine dauerhafte, behinderungsgerechte Arbeitsstelle angestrebt. Der Kläger sei bereit, sich betriebsintern einzuarbeiten bzw. zu qualifizieren. Auf die Berichte des BFZ P. vom 8. Februar sowie 22. und 31. März 1977 wird verwiesen. Nachdem das Arbeitsamt O. am 20. September und 29. Dezember 1977 berichtet hatte, daß es seine Vermittlungsbemühungen fortsetze, aber mit einer dauerhaften Eingliederung kaum zu rechnen sei, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 1978 die Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente ab. Es sei zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt arbeitswillig sei. Nach dem Bericht des Dr. S. vom psychologischen Dienst des BFZ P. vom 22. März 1977 sei er nicht ernsthaft daran interessiert, eine Arbeitsstelle zu finden. Unabhängig hiervon sei infolge seiner schlechten Sprachkenntnisse nicht abzusehen, daß er einen Arbeitsplatz wieder erhalten könne. Die lange Arbeitslosigkeit seit dem 31. Mai 1976 spreche ebenfalls hierfür.
Gegen diesen am gleichen Tage abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem SG am 9. März 1978 (S-4/U-73/78) Klage erhoben.
Das SG hat zunächst die beiden Rechtsstreitigkeiten der Beteiligten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und ferner, die Auskünfte des Arbeitsamtes O. vom 5. Mai und 12. Juli 1978 sowie der Firma E.-Service-Center G. G. (D.) vom 13. Mai 1978 eingeholt. Danach ist der Kläger seit dem 14. April 1978 bei diesem Unternehmen als Wagenpfleger im Tankstellendienst tätig. Das Arbeitsamt O. teilte u.a. außerdem mit, daß sowohl die persönlichen Voraussetzungen als auch die Unfallfolgen einer früheren Vermittlung entgegengestanden hätten. Anhaltspunkte für eine mangelnde Arbeitswilligkeit seien dagegen nicht zu ersehen gewesen.
Sodann hat das SG am 25. Oktober 1978 die Klage gegen die Bescheide vom 27. Oktober 1976 und 26. August 1977 auf eine höhere Teilrente nach einer MdE um 50 v.H. abgewiesen und der Klage gegen den Bescheid vom 24. Februar 1978 auf Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente unter Zulassung der Berufung insoweit stattgegeben. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, daß es sich den von der Beklagten eingeholten überzeugenden ärztlichen Gutachten anschließe. Dagegen sei die vorübergehende und damit absehbare unfallbedingte Arbeitseinkommenslosigkeit des Klägers für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978 erwiesen, da er seit dem 14. April 1978 aufgrund eigener Arbeitsplatzsuche wieder in Arbeit stehe.
Gegen dieses ihr am 17. November 1978 zugestellte Urteil hat allein die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 13. Dezember 1978 Berufung eingelegt. Sie bringt zu ihrer Begründung vor: Das SG habe verkannt, daß der angefochtene Bescheid vom 24. Februar 1978 zum Zeitpunkt seines Erlasses zutreffend gewesen sei. Nach sorgfältigen Ermittlungen sei eine Wiedereingliederung des Klägers in den Arbeitsprozeß nicht absehbar gewesen. Daß er einen Arbeitsplatz dennoch im Verlaufe des Verfahrens im ersten Rechtszuge erhalten habe, sei sowohl für sie, als auch für das Arbeitsamt O. völlig überraschend gekommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei jedenfalls derjenige ihrer Bescheiderteilung, da sie bei den Ermittlungen keinen Fehler gemacht habe und es sich nicht um einen Bescheid mit Dauerwirkung handele.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 1978 abzuändern und auch die Klage gegen den Bescheid vom 24. Februar 1978 abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die allein von der Beklagten eingelegte Berufung ist frist- und formgerecht (§ 151 SGG).
Sie betrifft lediglich ihre Verurteilung zur Gewährung der Vollrente nach § 587 RVO anstelle der Teilrente für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978, so daß die Berufungsausschließungsgründe nach § 145 Nr. 2, 3 und 4 SGG vorliegen. Sie ist indessen kraft ausdrücklicher Zulassung durch das SG in dem Urteilsspruch zulässig (§ 150 Nr. 1 SGG).
Die hiernach uneingeschränkt zulässige Berufung ist aber unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht, wie von der Beklagten begehrt, abgeändert werden. Das SG hat ihren Bescheid vom 24. Februar 1978 zu Recht aufgehoben; er ist rechtswidrig. Der Kläger hat für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978 Anspruch auf die Vollrente nach § 587 RVO, da er in diesem Zeitraum unfallbedingt ohne Arbeitseinkommen gewesen ist.
Hierzu stellt der Senat zunächst fest, daß der Kläger infolge des Arbeitsunfalles vom 3. September 1975 seinen Arbeitsplatz in dem Unfallbetrieb der Firma K. verloren hatte. Nach den im Berufungsverfahren nicht mehr angefochtenen und damit verbindlich gewordenen Bescheiden vom 27. Oktober 1976 und vom 26. August 1977 (§§ 77, 141 SGG) bestehen bei ihm als Unfallfolgen am rechten Arm ein knöchern fest verheilter Speichenbruch, geringe Kalksalzminderung im körpernahen Unterarmbereich, Teillähmung des Speichennerven, wobei die Beugung der Hand nach dem Handrücken zu bei gestreckten Langfingers nicht ausgeführt werden kann, endgradig eingeschränkte Unterarmdrehbeweglichkeit, geringe Bewegungseinschränkung der Langfinger und des Daumens, Minderung der groben Kraft sowie mäßige Herabsetzung der Hohlhandbeschwielung. Hierdurch wird eine MdE um 30 v.H. hervorgerufen. Die Ermittlungen der Beklagten haben ferner ergeben, daß der Kläger dadurch nicht mehr in der Lage ist, schwere körperliche Arbeiten zu leisten. Dies folgt aus den von ihr eingeholten ärztlichen Gutachten, aber auch aus den Feststellungen des BFZ Peters mit praktischer Arbeitserprobung. Der Berufshelfer der Beklagten hat bei der Firma K. weiterhin ermittelt, daß von dem Kläger dort in der Regel nur schwere körperliche Arbeiten mit dem notwendigen uneingeschränkten Gebrauch beider Arme und Hände zu leisten waren. Dazu ist er aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr in der Lage. Eine innerbetriebliche Umsetzung kam nicht in Betracht. Das folgt aus den Berichten des Berufshelfers vom 14. November 1975 und 13. Mai 1976. Hierüber besteht unter den Beteiligten kein Streit.
Nach der Rechtsprechung des Senats und des Bundessozialgerichts – BSG – braucht der Arbeitsunfall nicht die alleinige oder die allein wesentliche Ursache dafür sein, daß der Verletzte ohne Arbeitseinkommen ist. Der Kausalzusammenhang ist auch dann gegeben, wenn der Arbeitsunfall eine von mehreren wesentlichen Ursachen dafür bildet, daß der Verletzte ohne Arbeitseinkommen ist (vgl. BSG, Urt. v. 31.10.1978 – 2 RU 55/78 – unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 23.6.1977 – 8 RU 88/76 – in SozR 2200 § 587 RVO Nr. 2; Hess. LSG, Urt. v. 27.10.1965 – L-3/U-668/74 – in Breith. 1966, 837 und vom 4.12.1968 – L-3/U-801/66 – in Breith. 1970, 121; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl., S. 578 i; Schimanski in SozSich 1967, 269). Entgegen dem angefochtenen Bescheid ist es hier nicht zweifelhaft, daß die Dauer der Arbeitseinkommenslosigkeit rechtlich wesentlich durch die Unfallfolgen wenigstens mit verursacht ist. Zwar hat das Arbeitsamt O. sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im ersten Rechtszuge wiederholt die Auskunft erteilt, daß eine dauerhafte Wiedereingliederung des Klägers in den Arbeitsprozeß nach seinen persönlichen Fähigkeiten und den Arbeitsmarktverhältnissen schwierig sei. Er sei nur bedingt wettbewerbsfähig. Damit ist aber nicht dargetan, daß die eingeschränkte Vermittlungsfähigkeit allein auf unfallunabhängige Umstände zurückzuführen ist, und darin allein deren rechtlich wesentliche Ursache besteht. Es handelt sich nach der Überzeugung des Senats allenfalls um gleichwertige mitwirkende Bedingungen. Ist es – wie hier – bei einem Arbeitsplatzmangel nicht möglich, als Verletzter einen Arbeitsplatz zu erhalten, so ist nicht nur die Lage des Arbeitsmarktes, sondern auch der Arbeitsunfall eine wesentliche Ursache dafür, daß der Verletzte ohne Arbeitseinkommen ist (vgl. BSG, a.a.O.). Zutreffend weist der Kläger darauf hin, daß der für ihn erreichbare Arbeitsmarkt infolge der mangelnden Kenntnis der deutschen Sprache kein anderer geworden ist. Die Unfallfolgen und die durch sie eingeschränkte Erwerbsfähigkeit sind es vielmehr, die seine Vermittelbarkeit erheblich einschränken. Die Beklagte verkennt, daß sie das Versicherungsrisiko in Bezug auf den Kläger als ganzes zu tragen hat, wozu mangelnde Sprachkenntnis und eine etwaige nur minderdurchschnittliche Begabung bzw. Intelligenz, wie sie nach den Berichten des BFZ P. vorliegen, gehören.
Es ist auch unzutreffend, daß der Kläger arbeitsunwillig war und darauf seine Arbeitseinkommenslosigkeit beruht. Zwar heißt es in dem Gutachten des Dr. S. vom psychologischen Dienst des BFZ P. daß er eine fast einfältige materialistische Lebensvorstellung habe und wegen einer zu erwartenden ausreichenden Verletztenrente es sich leisten könne, in der heimatlich südlichen Sonne spazieren zu gehen. Zunächst ist nicht ersichtlich, worauf Dr. S. diese Erkenntnis stützt. Eine von dem Kläger durch seine Unterschrift als richtig versicherte Anamnese liegt nicht vor. Dr. S. weist zudem in seinem Kurzbericht vom 22. März 1977 darauf hin, daß eklatante Sprachschwierigkeiten bestanden. Deshalb wurden auch wesentliche Tests nicht ausgeführt. Auf eine mit solchen Mängeln behaftete Beurteilung durfte die Beklagte sich nicht stützen. Der Senat mißt demgegenüber den Stellungnahmen des Arbeitsamts O. die größere Bedeutung zu. Es hat sich, wie seine Auskünfte beweisen, fortlaufend um die Arbeitsvermittlung des Klägers bemüht. Dazu wäre es nicht verpflichtet gewesen, wenn es eine mangelnde Arbeitswilligkeit und damit eine fehlende Verfügbarkeit im Rechtssinne (§ 103 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes) festgestellt hätte. Im Gegenteil – es ist diese von ihm angenommen und auch Arbeitslosengeld gezahlt worden. Zuletzt hat es erklärt, über keine Anhaltspunkte zu verfügen, aus denen auf eine mangelnde Arbeitswilligkeit geschlossen werden könne. Gegen eine solche Annahme spricht auch, daß der Kläger sich seinen derzeitigen Arbeitsplatz selbst beschaffte. Er hatte sich auch bereit erklärt, sich innerbetrieblich zu qualifizieren. Die Beklagte erkennt das nunmehr, wenn auch nicht ausdrücklich, so aber der Sache nach an, wie ihre Schriftsätze vom 27. Juni 1978 und 9. Januar 1979 zeigen. Sie stellt es wesentlich darauf ab, daß sie bis zur Bescheiderteilung ihren Erkenntnisstand fehlerfrei ermittelt habe und nach diesem auch so habe entscheiden dürfen. Für die Beurteilung der Gerichte komme es rechtlich auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidung an. Damit kann sie aber keinen Erfolg haben. Aus den obigen Ausführungen folgt bereits, daß eine fehlerfreie Ermittlung des Sachverhalts nicht feststellbar ist. Bis auf zwei Gespräche ihres Berufshelfers mit dem früheren Arbeitgeber des Klägers und diesem selbst ist sie in keine eigenen ernsthaften Berufsfindungsmaßnahmen eingetreten. Sie hat das vielmehr dem Arbeitsamt O. überlassen.
Hiervon abgesehen, kommt es darauf nicht entscheidend an. Für die Auffassung der Beklagten findet sich im Gesetz keine Stütze. § 587 RVO enthält keine Bestimmung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Absehbarkeit einer unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit festzustellen ist. Auch ihr Hinweis auf ein Zitat in dem Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit von Peters-Sautter-Wolff (vgl. Anm. 1 c zu § 123 SGG II/109) vermag sie nicht zu stützen. Die dort gemachten Ausführungen beziehen sich auf in der Rechtslehre und Rechtsprechung vertretene Meinungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung bei Anfechtungsklagen gegenüber Verwaltungsakten mit der ohne Dauerwirkung, die auf Haueisen zurückgehen (vgl. Peters-Sautter-Wolff a.a.O.). Der Kläger hat aber keine isolierte Anfechtungsklage erhoben. Er verfolgt unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides eine wiederkehrende Leistung bis zum 13. April 1978. Nach der allgemein herrschenden Meinung kommt es in Fällen dieser Art für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (vgl. statt vieler: Meyer-Ladewig, SGG, Anm. 34 zu § 54 SGG unter Hinweis auf BSGE 3, 103; 5, 242; 10, 205; 15, 243; 16, 260; Brackmann a.a.O. S. 240 g). Diese ergibt aber, daß einerseits das Arbeitsamt O. den Kläger bis zuletzt zu vermitteln versuchte und andererseits er auch eigene Bemühungen um einen Arbeitsplatz anstellte, die schließlich erfolgreich waren. Allein hieraus folgt, daß die Auffassung der Beklagten, der Kläger sei auf unabsehbare Zeit unvermittelbar, nicht haltbar ist. Auch die Dauer der unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit von knapp zwei Jahren rechtfertigt die Ansicht der Beklagten nicht. Wie bereits oben ausgeführt, ist vom Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aus die Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Diese ergibt, daß eine knapp zweijährige Arbeitseinkommenslosigkeit vorliegt, diese aber nach den dargelegten Grundsätzen nicht als "nicht absehbar” zu bewerten ist. Das BSG hat den Tatbestand der Nichtabsehbarkeit nur dann als erfüllt angesehen, wenn der Verletzte endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist (BSG, Urt. v. 27.8.1969 – 2 RU 171/65 – unveröffentlicht) oder er bis zu fünf Jahren oder länger ohne Arbeitseinkommen war (vgl. BSG, Urt. v. 27.8.1969 – 2 RU 195/66 – in E 30, 64 und – 2 RU 164/66 in BG 1970, 276). Ein so langer Zeitraum liegt hier nicht vor. Andererseits hat das BSG einen Zeitraum von 13 Monaten als nicht unabsehbar im Sinne von § 587 RVO bezeichnet (BSG, 31.10.1978 – 2 RU 75/78 – und 23.6.1977 – 8 RU 88/76 –). Angesichts der Rechtssystematik und der Zielsetzung der gesetzlichen Unfallversicherung, daß es zuförderst Aufgabe der Unfallversicherungsträger ist, den Verletzten vor der Rentenleistung vorrangig in das Erwerbsleben wieder einzugliedern (§ 547 RVO, § 7 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes vom 7.8.1974 – BGBl. I S. 1881 –), hält es der Senat noch für gerechtfertigt, in einem so gelagerten Fall – wie hier – die Absehbarkeit der unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit annehmen zu können.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente (§ 587 Reichsversicherungsordnung – RVO –) für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978.
Der im Jahre 1949 geborene Kläger ist spanischer Staatsangehöriger und seit 1968 als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Zuletzt arbeitete er als Hilfsarbeiter zusammen mit einem deutschen und drei spanischen Arbeitskollegen bei der Firma Betonwerk K. GmbH in D. Dort erlitt er bei einem Arbeitsunfall am 3. September 1975 eine Unterarmquetschung mit offenem Radiusbruch an der körpernahen Drittelgrenze. Die Beklagte stellte aufgrund der chirurgischen und nervenfachärztlichen Gutachten der Dres. S. und G. S. und S. sowie K. zunächst mit Bescheid vom 27. Oktober 1976 ab 31. Mai 1976 die vorläufige Verletztenrente und mit dem gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zum Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – (S-4/U-353/76) gewordenen Bescheid vom 26. August 1977 die Dauerrente jeweils nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 30 v.H. fest. Die Unfallfolgen am rechten Arm bezeichnete sie als knöchern fest verheilten Speichenbruch, geringe Kalksalzminderung im körpernahen Unterarmbereich, Teillähmung des Speichennerven, wobei die Beugung der Hand nach dem Handrücken zu bei gestreckten Langfingern nicht ausgeführt werden könne, endgradig eingeschränkte Unterarmdrehbeweglichkeit, geringe Bewegungseinschränkung der Langfinger und des Daumens, Minderung der groben Kraft und mäßige Herabsetzung der Hohlhandbeschwielung.
Inzwischen hatte das Arbeitsamt O. den Kläger vom 7. bis zum 18. Februar 1977 in dem Berufsförderungszentrum J.-P. in W. – BFZ P. – einer Berufsfindungsmaßnahme unterziehen lassen. Dazu berichtete es am 2. Mai 1977, daß eine Umschulung zum Facharbeiter mangels ausreichender Befähigung und Deutschkenntnisse nicht in Betracht komme. Es werde eine Vermittlung in eine dauerhafte, behinderungsgerechte Arbeitsstelle angestrebt. Der Kläger sei bereit, sich betriebsintern einzuarbeiten bzw. zu qualifizieren. Auf die Berichte des BFZ P. vom 8. Februar sowie 22. und 31. März 1977 wird verwiesen. Nachdem das Arbeitsamt O. am 20. September und 29. Dezember 1977 berichtet hatte, daß es seine Vermittlungsbemühungen fortsetze, aber mit einer dauerhaften Eingliederung kaum zu rechnen sei, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 1978 die Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente ab. Es sei zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt arbeitswillig sei. Nach dem Bericht des Dr. S. vom psychologischen Dienst des BFZ P. vom 22. März 1977 sei er nicht ernsthaft daran interessiert, eine Arbeitsstelle zu finden. Unabhängig hiervon sei infolge seiner schlechten Sprachkenntnisse nicht abzusehen, daß er einen Arbeitsplatz wieder erhalten könne. Die lange Arbeitslosigkeit seit dem 31. Mai 1976 spreche ebenfalls hierfür.
Gegen diesen am gleichen Tage abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem SG am 9. März 1978 (S-4/U-73/78) Klage erhoben.
Das SG hat zunächst die beiden Rechtsstreitigkeiten der Beteiligten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und ferner, die Auskünfte des Arbeitsamtes O. vom 5. Mai und 12. Juli 1978 sowie der Firma E.-Service-Center G. G. (D.) vom 13. Mai 1978 eingeholt. Danach ist der Kläger seit dem 14. April 1978 bei diesem Unternehmen als Wagenpfleger im Tankstellendienst tätig. Das Arbeitsamt O. teilte u.a. außerdem mit, daß sowohl die persönlichen Voraussetzungen als auch die Unfallfolgen einer früheren Vermittlung entgegengestanden hätten. Anhaltspunkte für eine mangelnde Arbeitswilligkeit seien dagegen nicht zu ersehen gewesen.
Sodann hat das SG am 25. Oktober 1978 die Klage gegen die Bescheide vom 27. Oktober 1976 und 26. August 1977 auf eine höhere Teilrente nach einer MdE um 50 v.H. abgewiesen und der Klage gegen den Bescheid vom 24. Februar 1978 auf Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente unter Zulassung der Berufung insoweit stattgegeben. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, daß es sich den von der Beklagten eingeholten überzeugenden ärztlichen Gutachten anschließe. Dagegen sei die vorübergehende und damit absehbare unfallbedingte Arbeitseinkommenslosigkeit des Klägers für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978 erwiesen, da er seit dem 14. April 1978 aufgrund eigener Arbeitsplatzsuche wieder in Arbeit stehe.
Gegen dieses ihr am 17. November 1978 zugestellte Urteil hat allein die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 13. Dezember 1978 Berufung eingelegt. Sie bringt zu ihrer Begründung vor: Das SG habe verkannt, daß der angefochtene Bescheid vom 24. Februar 1978 zum Zeitpunkt seines Erlasses zutreffend gewesen sei. Nach sorgfältigen Ermittlungen sei eine Wiedereingliederung des Klägers in den Arbeitsprozeß nicht absehbar gewesen. Daß er einen Arbeitsplatz dennoch im Verlaufe des Verfahrens im ersten Rechtszuge erhalten habe, sei sowohl für sie, als auch für das Arbeitsamt O. völlig überraschend gekommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei jedenfalls derjenige ihrer Bescheiderteilung, da sie bei den Ermittlungen keinen Fehler gemacht habe und es sich nicht um einen Bescheid mit Dauerwirkung handele.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 1978 abzuändern und auch die Klage gegen den Bescheid vom 24. Februar 1978 abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die allein von der Beklagten eingelegte Berufung ist frist- und formgerecht (§ 151 SGG).
Sie betrifft lediglich ihre Verurteilung zur Gewährung der Vollrente nach § 587 RVO anstelle der Teilrente für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978, so daß die Berufungsausschließungsgründe nach § 145 Nr. 2, 3 und 4 SGG vorliegen. Sie ist indessen kraft ausdrücklicher Zulassung durch das SG in dem Urteilsspruch zulässig (§ 150 Nr. 1 SGG).
Die hiernach uneingeschränkt zulässige Berufung ist aber unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht, wie von der Beklagten begehrt, abgeändert werden. Das SG hat ihren Bescheid vom 24. Februar 1978 zu Recht aufgehoben; er ist rechtswidrig. Der Kläger hat für die Zeit vom 31. Mai 1976 bis zum 13. April 1978 Anspruch auf die Vollrente nach § 587 RVO, da er in diesem Zeitraum unfallbedingt ohne Arbeitseinkommen gewesen ist.
Hierzu stellt der Senat zunächst fest, daß der Kläger infolge des Arbeitsunfalles vom 3. September 1975 seinen Arbeitsplatz in dem Unfallbetrieb der Firma K. verloren hatte. Nach den im Berufungsverfahren nicht mehr angefochtenen und damit verbindlich gewordenen Bescheiden vom 27. Oktober 1976 und vom 26. August 1977 (§§ 77, 141 SGG) bestehen bei ihm als Unfallfolgen am rechten Arm ein knöchern fest verheilter Speichenbruch, geringe Kalksalzminderung im körpernahen Unterarmbereich, Teillähmung des Speichennerven, wobei die Beugung der Hand nach dem Handrücken zu bei gestreckten Langfingers nicht ausgeführt werden kann, endgradig eingeschränkte Unterarmdrehbeweglichkeit, geringe Bewegungseinschränkung der Langfinger und des Daumens, Minderung der groben Kraft sowie mäßige Herabsetzung der Hohlhandbeschwielung. Hierdurch wird eine MdE um 30 v.H. hervorgerufen. Die Ermittlungen der Beklagten haben ferner ergeben, daß der Kläger dadurch nicht mehr in der Lage ist, schwere körperliche Arbeiten zu leisten. Dies folgt aus den von ihr eingeholten ärztlichen Gutachten, aber auch aus den Feststellungen des BFZ Peters mit praktischer Arbeitserprobung. Der Berufshelfer der Beklagten hat bei der Firma K. weiterhin ermittelt, daß von dem Kläger dort in der Regel nur schwere körperliche Arbeiten mit dem notwendigen uneingeschränkten Gebrauch beider Arme und Hände zu leisten waren. Dazu ist er aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr in der Lage. Eine innerbetriebliche Umsetzung kam nicht in Betracht. Das folgt aus den Berichten des Berufshelfers vom 14. November 1975 und 13. Mai 1976. Hierüber besteht unter den Beteiligten kein Streit.
Nach der Rechtsprechung des Senats und des Bundessozialgerichts – BSG – braucht der Arbeitsunfall nicht die alleinige oder die allein wesentliche Ursache dafür sein, daß der Verletzte ohne Arbeitseinkommen ist. Der Kausalzusammenhang ist auch dann gegeben, wenn der Arbeitsunfall eine von mehreren wesentlichen Ursachen dafür bildet, daß der Verletzte ohne Arbeitseinkommen ist (vgl. BSG, Urt. v. 31.10.1978 – 2 RU 55/78 – unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 23.6.1977 – 8 RU 88/76 – in SozR 2200 § 587 RVO Nr. 2; Hess. LSG, Urt. v. 27.10.1965 – L-3/U-668/74 – in Breith. 1966, 837 und vom 4.12.1968 – L-3/U-801/66 – in Breith. 1970, 121; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl., S. 578 i; Schimanski in SozSich 1967, 269). Entgegen dem angefochtenen Bescheid ist es hier nicht zweifelhaft, daß die Dauer der Arbeitseinkommenslosigkeit rechtlich wesentlich durch die Unfallfolgen wenigstens mit verursacht ist. Zwar hat das Arbeitsamt O. sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im ersten Rechtszuge wiederholt die Auskunft erteilt, daß eine dauerhafte Wiedereingliederung des Klägers in den Arbeitsprozeß nach seinen persönlichen Fähigkeiten und den Arbeitsmarktverhältnissen schwierig sei. Er sei nur bedingt wettbewerbsfähig. Damit ist aber nicht dargetan, daß die eingeschränkte Vermittlungsfähigkeit allein auf unfallunabhängige Umstände zurückzuführen ist, und darin allein deren rechtlich wesentliche Ursache besteht. Es handelt sich nach der Überzeugung des Senats allenfalls um gleichwertige mitwirkende Bedingungen. Ist es – wie hier – bei einem Arbeitsplatzmangel nicht möglich, als Verletzter einen Arbeitsplatz zu erhalten, so ist nicht nur die Lage des Arbeitsmarktes, sondern auch der Arbeitsunfall eine wesentliche Ursache dafür, daß der Verletzte ohne Arbeitseinkommen ist (vgl. BSG, a.a.O.). Zutreffend weist der Kläger darauf hin, daß der für ihn erreichbare Arbeitsmarkt infolge der mangelnden Kenntnis der deutschen Sprache kein anderer geworden ist. Die Unfallfolgen und die durch sie eingeschränkte Erwerbsfähigkeit sind es vielmehr, die seine Vermittelbarkeit erheblich einschränken. Die Beklagte verkennt, daß sie das Versicherungsrisiko in Bezug auf den Kläger als ganzes zu tragen hat, wozu mangelnde Sprachkenntnis und eine etwaige nur minderdurchschnittliche Begabung bzw. Intelligenz, wie sie nach den Berichten des BFZ P. vorliegen, gehören.
Es ist auch unzutreffend, daß der Kläger arbeitsunwillig war und darauf seine Arbeitseinkommenslosigkeit beruht. Zwar heißt es in dem Gutachten des Dr. S. vom psychologischen Dienst des BFZ P. daß er eine fast einfältige materialistische Lebensvorstellung habe und wegen einer zu erwartenden ausreichenden Verletztenrente es sich leisten könne, in der heimatlich südlichen Sonne spazieren zu gehen. Zunächst ist nicht ersichtlich, worauf Dr. S. diese Erkenntnis stützt. Eine von dem Kläger durch seine Unterschrift als richtig versicherte Anamnese liegt nicht vor. Dr. S. weist zudem in seinem Kurzbericht vom 22. März 1977 darauf hin, daß eklatante Sprachschwierigkeiten bestanden. Deshalb wurden auch wesentliche Tests nicht ausgeführt. Auf eine mit solchen Mängeln behaftete Beurteilung durfte die Beklagte sich nicht stützen. Der Senat mißt demgegenüber den Stellungnahmen des Arbeitsamts O. die größere Bedeutung zu. Es hat sich, wie seine Auskünfte beweisen, fortlaufend um die Arbeitsvermittlung des Klägers bemüht. Dazu wäre es nicht verpflichtet gewesen, wenn es eine mangelnde Arbeitswilligkeit und damit eine fehlende Verfügbarkeit im Rechtssinne (§ 103 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes) festgestellt hätte. Im Gegenteil – es ist diese von ihm angenommen und auch Arbeitslosengeld gezahlt worden. Zuletzt hat es erklärt, über keine Anhaltspunkte zu verfügen, aus denen auf eine mangelnde Arbeitswilligkeit geschlossen werden könne. Gegen eine solche Annahme spricht auch, daß der Kläger sich seinen derzeitigen Arbeitsplatz selbst beschaffte. Er hatte sich auch bereit erklärt, sich innerbetrieblich zu qualifizieren. Die Beklagte erkennt das nunmehr, wenn auch nicht ausdrücklich, so aber der Sache nach an, wie ihre Schriftsätze vom 27. Juni 1978 und 9. Januar 1979 zeigen. Sie stellt es wesentlich darauf ab, daß sie bis zur Bescheiderteilung ihren Erkenntnisstand fehlerfrei ermittelt habe und nach diesem auch so habe entscheiden dürfen. Für die Beurteilung der Gerichte komme es rechtlich auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidung an. Damit kann sie aber keinen Erfolg haben. Aus den obigen Ausführungen folgt bereits, daß eine fehlerfreie Ermittlung des Sachverhalts nicht feststellbar ist. Bis auf zwei Gespräche ihres Berufshelfers mit dem früheren Arbeitgeber des Klägers und diesem selbst ist sie in keine eigenen ernsthaften Berufsfindungsmaßnahmen eingetreten. Sie hat das vielmehr dem Arbeitsamt O. überlassen.
Hiervon abgesehen, kommt es darauf nicht entscheidend an. Für die Auffassung der Beklagten findet sich im Gesetz keine Stütze. § 587 RVO enthält keine Bestimmung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Absehbarkeit einer unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit festzustellen ist. Auch ihr Hinweis auf ein Zitat in dem Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit von Peters-Sautter-Wolff (vgl. Anm. 1 c zu § 123 SGG II/109) vermag sie nicht zu stützen. Die dort gemachten Ausführungen beziehen sich auf in der Rechtslehre und Rechtsprechung vertretene Meinungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung bei Anfechtungsklagen gegenüber Verwaltungsakten mit der ohne Dauerwirkung, die auf Haueisen zurückgehen (vgl. Peters-Sautter-Wolff a.a.O.). Der Kläger hat aber keine isolierte Anfechtungsklage erhoben. Er verfolgt unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides eine wiederkehrende Leistung bis zum 13. April 1978. Nach der allgemein herrschenden Meinung kommt es in Fällen dieser Art für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (vgl. statt vieler: Meyer-Ladewig, SGG, Anm. 34 zu § 54 SGG unter Hinweis auf BSGE 3, 103; 5, 242; 10, 205; 15, 243; 16, 260; Brackmann a.a.O. S. 240 g). Diese ergibt aber, daß einerseits das Arbeitsamt O. den Kläger bis zuletzt zu vermitteln versuchte und andererseits er auch eigene Bemühungen um einen Arbeitsplatz anstellte, die schließlich erfolgreich waren. Allein hieraus folgt, daß die Auffassung der Beklagten, der Kläger sei auf unabsehbare Zeit unvermittelbar, nicht haltbar ist. Auch die Dauer der unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit von knapp zwei Jahren rechtfertigt die Ansicht der Beklagten nicht. Wie bereits oben ausgeführt, ist vom Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aus die Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Diese ergibt, daß eine knapp zweijährige Arbeitseinkommenslosigkeit vorliegt, diese aber nach den dargelegten Grundsätzen nicht als "nicht absehbar” zu bewerten ist. Das BSG hat den Tatbestand der Nichtabsehbarkeit nur dann als erfüllt angesehen, wenn der Verletzte endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist (BSG, Urt. v. 27.8.1969 – 2 RU 171/65 – unveröffentlicht) oder er bis zu fünf Jahren oder länger ohne Arbeitseinkommen war (vgl. BSG, Urt. v. 27.8.1969 – 2 RU 195/66 – in E 30, 64 und – 2 RU 164/66 in BG 1970, 276). Ein so langer Zeitraum liegt hier nicht vor. Andererseits hat das BSG einen Zeitraum von 13 Monaten als nicht unabsehbar im Sinne von § 587 RVO bezeichnet (BSG, 31.10.1978 – 2 RU 75/78 – und 23.6.1977 – 8 RU 88/76 –). Angesichts der Rechtssystematik und der Zielsetzung der gesetzlichen Unfallversicherung, daß es zuförderst Aufgabe der Unfallversicherungsträger ist, den Verletzten vor der Rentenleistung vorrangig in das Erwerbsleben wieder einzugliedern (§ 547 RVO, § 7 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes vom 7.8.1974 – BGBl. I S. 1881 –), hält es der Senat noch für gerechtfertigt, in einem so gelagerten Fall – wie hier – die Absehbarkeit der unfallbedingten Arbeitseinkommenslosigkeit annehmen zu können.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
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