L 7 Ka 1444/78

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 1444/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten heben einander keine Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist als prakt. Arzt in D. niedergelassen und zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Bescheid vom 16. September 1976 setzte die Beklagte für seine Honorarabrechnung für das Quartal I/76 u.a. eine Laborbegrenzung gemäß Leitzahl 706 der Grundzüge der Honorarverteilung der Beklagten (HVM) in Höhe von 8.333,45 DM fest.

Dem hiergegen eingelegten Widerspruch wurde mit Bescheid vom 26. November 1976 nicht abgeholfen. Der Honoraranspruch des Klägers für Laborleistungen aus dem Quartal 1/76 sei entsprechend dem Beschluss der Abgeordnetenversammlung der Beklagten vom 22. Mai 1976 aufgrund der Leitzahl 706 HVM ordnungsgemäß errechnet worden.

Mit seiner hierauf erhobenen, auf Aufhebung der streitigen Laborbegrenzung gerichteten Klage machte der Kläger insbesondere geltend, die beiden angefochtenen Bescheide sowie die ihnen zugrunde liegende Leitzahl 706 HVM seien rechtswidrig, da die genannte Leitzahl erst im Mai 1976 beschlossen und im Juli 1976 im Hessischen Ärzteblatt veröffentlicht worden sei. Hierbei handele es sich um eine unzulässige Rückwirkung dieser Vorschrift auf schon vorher erbrachte Leistungen. Außerdem verstoße die Leitzahl 706 HVM gegen das Grundgesetz. Während eine Hälfte der aufgrund der Vereinbarung der Verbände erforderlichen Einsparungen auf dem Gebiet der Laborleistungen auf alle Kassenärzte verteilt worden sei, sei die andere Hälfte lediglich auf die Kassenärzte verteilt worden, die überdurchschnittliche Laborleistungen erbracht hätten. Dabei sei für jede Fachgruppe ein Fachgruppendurchschnitt als Grenzwert festgesetzt worden. Da es sich bei der Gruppe der Allgemein-Ärzte um eine sehr inhomogene Gruppe handele, sei der Grenzwert für sie recht niedrig. Dies werde den Besonderheiten einer internistisch ausgerichteten Allgemeinpraxis mit großem Labor, wie er sie betreibe, nicht gerecht. Er erbringe dieselben Laborleistungen wie ein Internist und dürfe deshalb nicht stärker in seinem Honoraranspruch beeinträchtigt werden als dieser. Während ein Internist einen Laborfallwert von 34,80 DM ohne Kürzung erbringen dürfe, stehe ihm nur ein solcher von 9,30 DM zu. Der internistisch ausgerichtete Praktiker werde deshalb ungleich behandelt und stärker als ein Internist in seiner Berufsausübung beeinträchtigt.

Demgegenüber wandte die Beklagte ein, die Kassenärzte hätten bereits aufgrund der Empfehlungsvereinbarung der Bundesverbände im Hinblick auf die Vergütung von Laborleistungen vom 23. Juli 1975 damit rechnen müssen, daß im HVM Bestimmungen geändert werden müßten. Durch die Empfehlungsvereinbarung vom April 1976, wodurch die Kosten für Laborleistungen für das Jahr 1976 unter Zugrundelegung der Laborleistungen des Jahres 1975 auf einen Zuwachs von 4 % begrenzt worden seien, seien die entsprechenden Maßnahmen unumgänglich geworden.

Im übrigen sei der Honoraranspruch des Klägers für seine im Quartal I/76 erbrachten Laborleistungen erst mit dem im September 1976 erlassenen Honorarfestsetzungsbescheid entstanden. Es bestehe kein Rechtsgrundsatz, wonach dem einzelnen Kassenarzt beim Erbringen seiner Leistungen bekannt sein muß, welchen DM-Betrag er hierfür erhält. Die Praktiker seien gegenüber den Internisten durch die Laborbegrenzung nicht übermäßig betroffen. Von 2257 Praktikern seien 289, also etwa 13 %, von 593 Internisten seien 91, also etwa 15 %, bei den Laborleistungen begrenzt worden.

Mit Urteil vom 4. Oktober 1978 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage ab und ließ gegen das Urteil Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu. Die Beklagte habe die Leitzahl 706 HVM unstreitig richtig angewandt. Diese Vorschrift verstoße auch nicht gegen allgemeine Rechtsgrundsätze oder gegen das Grundgesetz. Der Kläger habe im vorliegenden Fall mit einer entsprechenden Änderung bei der Honorierung von Laborleistungen rechnen müssen. Die genannte Leitzahl stütze sich auf § 368 f Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der als formelles Gesetz nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG die Berufsausübung habe regeln können.

Hierbei seien die Kassenärzte auch nicht willkürlich ungleich behandelt worden. Ein prakt. Arzt mit internistisch ausgerichteter Praxis sei dabei nicht einem Internisten gleichzustellen, weil letzterer zahlreiche Überweisungsfälle zu behandeln habe. Im übrigen sei die durchgeführte Begrenzung ausgewogen, betreffe besonders die Internisten und sei nur für ein Jahr gültig gewesen. Falls es sich dabei um eine grundgesetzwidrige Regelung handeln sollte, so sei diese als nicht zu schwerwiegend von dem Kläger zu akzeptieren.

Gegen dieses ihm etwa am 20. November 1978 zugestellte Urteil (vgl. Bl. 79, 81 GA) hat der Kläger am 18. Dezember 1978 Berufung eingelegt. Mit ihr macht er insbesondere geltend, einem Internisten seien keine wesentlich höheren durchschnittlichen Laborfallwerte zuzubilligen als prakt. Ärzten, weil die Praxisstrukturen in der Primärversorgung bei beiden Arztgruppen fast gleich seien. Die rückwirkende Regelung durch die Leitzahl 706 HVM sei unvorhersehbar schwerwiegend und der durch sie verursachte Eingriff angesichts Art. 12 Abs. 1 GG unnötig stark. Das Sozialgericht habe einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG eingeräumt, wobei die Frage des entsprechenden Schweregrades unerheblich sei. Schließlich hat der Kläger einen Auszug aus "Arbeits- und Sozialpolitik” 1/1978 (S. 10–12) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Oktober 1978 und den Bescheid der Beklagten vom 16. September 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1976 aufzuheben, soweit eine Laborbegrenzung gemäß Leitzahl 706 HVM vorgenommen wurde,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, welcher zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird im einzelnen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt und nach § 150 Nr. 1 SGG statthaft.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der Entscheidung des Sozialgerichts ist beizupflichten. Die streitigen, das Quartal I/76 betreffenden Bescheide sind bezüglich der Laborbegrenzung rechtmäßig und deshalb nicht aufzuheben.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die Beklagte die Leitzahl 706 HVM zutreffend angewandt hat. Diese Vorschrift verstößt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz. Sie stützt sich als autonome Rechtsnorm zunächst auf § 368 f Abs. 1 RVO und hält sich in dessen Rahmen; zusätzlich wird sie mittelbar noch durch § 368 f Abs. 4 RVO gestützt.

Die Leitzahl 706 HVM verstößt insbesondere nicht insoweit gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, als sie eine rückwirkende Vergütungsregelung für das Quartal I/76 getroffen hat. Das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Rückwirkung eines Strafgesetzes kann nicht analog auf andere Normen angewandt werden (vgl. BVerfGE 7, 95). Andererseits soll bei abgeschlossenen, bereits abgewickelten Sachverhalten sind erworbene Rechtsposition nicht geschmälert werden. Dies gilt aber – ganz abgesehen von dem Umstand, daß es sich vorliegend auch um keinen schon rechtlich (durch Honorarbescheid) abgewickelten Sachverhalt handelt – jedenfalls dann nicht, wenn mit einer Änderung der Vergütungsregelung ernstlich zu rechnen war (vgl. auch BVerfGE 13, 272). Eben dies war hier eher der Fall, weil der Kläger aufgrund der Empfehlungsvereinbarung der Bundesverbände vom 23.7.1975 ebenso wie alle anderen Kassenärzte mit einer Änderung der Honorarverteilung rechnen mußte. Wie schon das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, war es auch wesentlich sinnvoller, die für das Jahr 1976 vorzunehmende Einsparung von Laborleistungen statt auf nur zwei bis drei Quartale auf vier Quartale zu verteilen. Der Kläger hat auch keine ausreichenden konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß die rückwirkende Vergütungsänderung unvorhersehbar schwerwiegend gewesen wäre; solche Anhaltspunkte sind auch nicht ersichtlich.

Auch gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verstößt die auf § 368 f RVO gestützte autonome Norm der Leitzahl 706 HVM nicht. Hierbei ist davon auszugehen, daß die dem Normgeber grundsätzlich zustehende weitgehende Gestaltungsfreiheit bei Fehlen weiterer Einschränkungen durch höherrangige Recht ihre Grenze erst in dem Willkürverbot findet (vgl. auch BVerfGE 4, 155). Der Spielraum des Normgebers endet erst dort, wo es sich um eine Regelung handelt, die unter keinem sachlich vertretbaren Gerichtspunkt gerechtfertigt erscheint (BVerfGE 7, 315). Hierum handelt es sich aber bei der Leitzahl 706 HVM nicht. Durch sie werden die Kassenärzte nicht willkürlich ungleich behandelt. Der Kläger ist als praktischer Arzt niedergelassen und zugelassen. Wie gerichtsbekannt ist, unterscheiden sich die Praxisstrukturen der prakt. Ärzte und die der Internisten nicht unerheblich (vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.2.1978 – 1 BvR 935/77), zumal letztere wenigstens in der Regel über eine bessere personelle und apparative Ausstattung verfügen und eine größere Anzahl von Überweisungsfällen zu behandeln haben.

Daher ist es auch sachgerecht und keinesfalls willkürlich, den Internisten nicht unwesentlich höhere durchschnittliche Laborfallwerte als prakt. Ärzten zuzubilligen.

Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Recht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG vor. Die Berufsausübung kann nämlich nach Satz 2 dieser Vorschrift durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Die formellen Voraussetzungen für eine solche Regelung sind vorliegend durch die auf § 368 f Abs. 1 RVO gestützte Leitzahl 706 HVM erfüllt. Außerdem war und ist eine Begrenzung der Laborleistungen erforderlich, was sich nicht zuletzt auch aus den entsprechenden gemeinsamen Empfehlungsvereinbarungen der Bundesverbände der Vertragspartner des Kassenarztrechts deutlich ergibt. Die vorliegend streitige Regelung der Begrenzung ist auch nicht übermäßig belastend und unzumutbar. Diese Regelung war nur für ein Jahr gültig. Sie hat in erster Linie die Internisten und nicht die prakt. Ärzte betroffen und sie war, wie das Sozialgericht im wesentlichen zutreffend ausgeführt hat, auch im allgemeinen ausgewogen. Wenn sie den Kläger relativ stark betroffen hat, so liegt dies in der von ihm erbrachten relativ hohen Zahl von Laborleistungen begründet, der jedoch durch die streitige Regelung – nicht zuletzt nach übereinstimmender Auffassung der sachkundigen Vertragspartner des Kassenarztrechts – gerade entgegengewirkt werden sollte und mußte.

Nach alledem war die unbegründete Berufung, wie geschehen, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung (§ 160 Abs. 2 SGG), zumal die streitige Regelung nur für ein Jahr galt.
Rechtskraft
Aus
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