Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 5/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind in der Sozialgerichtsbarkeit sowohl in erster wie auch in zweiter Instanz die Kammer- bzw. Senatsvorsitzenden zuständig.
2. Die Beschwerde wegen Versagung einer einstweiligen Anordnung durch den Kammervorsitzenden an das Landessozialgericht ist auch dann zulässig, wenn in der Hauptsache ein Rechtsmittel nicht stattfindet.
2. Die Beschwerde wegen Versagung einer einstweiligen Anordnung durch den Kammervorsitzenden an das Landessozialgericht ist auch dann zulässig, wenn in der Hauptsache ein Rechtsmittel nicht stattfindet.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Kassel vom 27. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit ihrer im Dezember 1977 beim Sozialgericht Kassel eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 14. November 1977, mit dem als Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. eine "neurotische Fehlentwicklung” festgestellt worden war. Als weitere Vergünstigung wurden die Merkzeichen "G” und die Freifahrt für den Nahverkehr wegen Gehbehinderung (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 BSHG a.F.) festgestellt. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung weiterer Behinderungen wie multiple Sklerose, doppelseitige Hüftluxation, Leber- und Herzleiden sowie die Eintragung der Merkzeichen H. BN. und a.G. auf dem Schwerbehindertenausweis.
Im November 1978 beantragte die Antragstellerin, den Beklagten durch einstweilige Verfügung zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde zur Erlangung von Parkerleichterungen auszustellen. Sie führte hierzu aus, sie sei außergewöhnlich gehbehindert, so daß es ihr nicht zumutbar sei, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Gerichtsverfahrens auf die Parkerleichterungen zu verzichten. Dem widersprach der Antragsgegner, weil eine die Existenz der Antragstellerin berührende Frage nicht Gegenstand des Verfahrens sei.
Das Sozialgericht Kassel lehnte mit Beschluss vom 27. Dezember 1978 den Antrag ab. Es führte unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 – 2 BvR 72/76 (BVerfGE 46 S. 166 ff., 184 und SGB 1978 S. 340 ff.) aus, in verfassungskonformer Auslegung des § 198 Abs. 2 SGG müsse auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dies zur Vermeidung von schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen geboten sei, wobei § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend anzuwenden sei. Es sei für die Klägerin jedoch nicht unzumutbar, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreites auf die Ausstellung der gewünschten Bescheinigung zur Erlangung von Parkerleichterungen im Straßenverkehr zu warten. Außerdem stehe noch nicht fest, ob die Klägerin wirklich "außergewöhnlich gehbehindert” sei und ob ihre Klage insoweit Aussicht auf Erfolg habe. Die vielen in den Akten vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ließen weder eindeutig erkennen, welche und wie schwere Behinderungen bei der Klägerin vorlägen, zumal sie am 18. Januar 1977 ohne Begleitung mit ihren Krücken in die im 3. Stock gelegene Praxis von Dr. B. gekommen sei. Das Gericht habe sich deshalb auch zu einer eingehenden Begutachtung entschlossen. Mit Beweisanordnung vom gleichen Tage ordnete das Sozialgericht die Einholung eines neurologischen Hauptgutachtens mit einem orthopädischen und internistischen Nebengutachten bei den entsprechenden Universitätskliniken in G. an.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den eine einstweilige Anordnung ablehnenden Beschluss ging am 3. Januar 1979 beim Sozialgericht Kassel ein, während ihr der Beschluss am 29. Dezember 1978 zugestellt war. Mit ihr behauptet die Klägerin, sie müsse durch Verweigerung der Parkerleichterung schwere und unzumutbare Nachteile hinnehmen, die sich aus der Behinderung selbst ergäben und deshalb nicht im einzelnen bezeichnet worden seien. Das Sozialgericht vernachlässige zumindest "das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin seit dem 8. Dezember 1977”. Es stehe kein Termin zur mündlichen Verhandlung an und bis zur Urteilsverkündung könnten noch Monate vergehen, so daß die Nachteile nur durch eine einstweilige Anordnung beseitigt werden könnten. Zur Glaubhaftmachung der Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung schilderte die Klägerin ihren Besuch bei Dr. B. vom 18. Januar 1977. Bei strömendem Regen habe sich kein Parkplatz gefunden. Schließlich habe ihr Ehemann in der 2. Reihe gehalten, den Krankenfahrstuhl aus dem Kofferraum geholt und der Klägerin hineingeholfen. Der Aufzug habe sich für den Fahrstuhl als zu klein erwiesen, der Ehemann habe sie im Hausflur stehenlassen und die Unterarmgehstützen aus dem Auto geholt, während sie den Zugang zum Fahrstuhl versperrt habe. Der Ehemann habe sie dann bis zum Wartezimmer begleitet. Er habe irgendwo 30 Minuten im Auto warten, beim Abholen der Klägerin wieder in der 2. Reihe halten und die Klägerin mit ihren Krücken aus der im 3. Stock gelegenen Praxis wieder abholen müssen. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, wenn die Klägerin in ihrer eigenen Wohnung einen Krankenfahrstuhl benutze, daß sie durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine 20 km entfernte Arztpraxis erreichen könne.
Der Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat am 8. Januar 1979 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Nach dem bereits vom Sozialgericht zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 ist nach Art. 19 Abs. 4 GG ein vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz bei Vornahmeklagen dann erforderlich, wenn ohne solchen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Nach der gleichen Entscheidung läßt es § 198 Abs. 2 SGG zu, über die ausdrücklich im Sozialgerichtsgesetz geregelten Fallarten hinaus zur Vermeidung von schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen in entsprechender Anwendung des § 123 VwGO einstweilige Anordnungen zu erlassen. Wie dieses Verfahren im einzelnen abläuft, hat das Bundesverfassungsgericht offen gelassen und dazu ausgeführt, daß die Sozialgerichte unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden haben, wer zum Erlaß der einstweiligen Anordnungen funktionell zuständig ist und es als naheliegend angesehen, daß die Entscheidung in Anlehnung an die den vorläufigen Rechtsschutz betreffenden Sonderregelungen des Sozialgerichtsgesetzes insoweit dem Vorsitzenden überlassen wird, als über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
In dem damals entschiedenen Fall hatte das LSG Hamburg den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt; das Bundesverfassungsgericht hatte das Verfahren an dieses Gericht zurückverwiesen. Es lag deshalb nahe, in dem damaligen Rechtsstreit die Entscheidung über die einstweilige Anordnung in entsprechender Anwendung des § 199 Abs. 2 und 3 SGG den Senatsvorsitzenden des LSG zu überlassen. Im vorliegenden Fall ist jedoch keine Erstentscheidung des LSG zu treffen, sondern auf eine Beschwerde gegen die Versagung einer einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht zu entscheiden, so daß das weitere Verfahren den § 172 ff. SGG nachgebildet ist. Hiernach findet gemäß § 172 Abs. 1 SGG die Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden einer Kammer des Sozialgerichts statt, wobei gemäß § 174 SGG ein Abhilferecht des Kammervorsitzenden besteht, das er im vorliegenden Fall ausdrücklich abgelehnt hat, so daß nach § 176 SGG der zuständige Senat des Landessozialgerichts ohne Anhörung der Beteiligten, und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden hat (vgl. auch BSGE 1 S. 1 ff.).
Die Beschwerde ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß in der Hauptsache ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Sozialgerichts nicht stattfindet. Der Ausschluß von Berufung und Revision bei einem Streit über die Inanspruchnahme einer Vergünstigung im Sinne des § 3 Abs. 4 SchwbG ergibt sich aus § 3 Abs. 6 letzter Satz SchwbG, wie der Senat bereits in ständiger Rechtsprechung entschieden hat und durch das Urteil des BSG vom 6. Dezember 1978 – 9 RVs 9/78 – bestätigt wird. Mögen noch im Zeitpunkt der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. April 1959 – L 2/S-6/58 – (Breithaupt 1959 S. 1137 ff.) Rechtsprechung und Rechtslehre überwiegend der Auffassung gewesen sein, daß bei einem gesetzlichen Ausschluß der Berufung auch eine Beschwerde nicht statthaft ist, so hat sich jetzt ein Wandel vollzogen, wofür auf die von Meyer-Ladewig, SGG, 1977, Anm. 4 zu § 172 SGG zitierte Literatur und Rechtsprechung zu verweisen ist, während für die nunmehr von der herrschenden Meinung abweichende Ansicht nur noch Brackmann und das Bay. Landessozialgericht zitiert werden. Der erkennende Senat ist mit dem LSG Nordrhein-Westfalen in dem erwähnten Beschluss vom 10. April 1959 der Auffassung, daß sich aus dem SGG eine Einschränkung der Statthaftigkeit der Beschwerde nicht ergibt und sie deshalb nach § 172 Abs. 1 SGG auch dann zulässig ist, wenn in der Hauptsache ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden kann.
Die Beschwerde ist auch fristgemäß eingelegt und damit statthaft, sie ist jedoch nicht begründet.
Keine der Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, die im § 123 VwGO oder in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 aufgeführt sind, liegt vor. Nach Lage der Sache könnte die begehrte einstweilige Anordnung nur dann infrage kommen, wenn sie notwendig wäre, um wesentliche Nachteile von der Klägerin abzuwenden "oder aus anderen Gründen” (§ 123 VwGO), die in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts sich als schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwendende Nachteile darstellen müßten. Zur Vermeidung solcher Nachteile ist jedoch die Gewährung einer über die Straßenverkehrsordnung hinausgehenden Parkerlaubnis nicht erforderlich.
Dies gilt insbesondere auch für den von der Klägerin als besonders typisch beschriebenen Vorfall beim Aufsuchen eines Arztes am 18. Januar 1977. Aus dieser Schilderung ergibt sich zwar, daß die Klägerin nach ihrer Auffassung auf die dauernde Benutzung eines Zimmerfahrstuhls in ihrer Wohnung angewiesen ist, sie aber durchaus in der Lage ist, auch kürzere Strecken an Stockstützen, mindestens in Begleitung einer weiteren Person, zurückzulegen. Selbst wenn sich bei überfüllten oder nicht vorhandenen Parkplätzen überhaupt keine mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Möglichkeit ergeben sollte, mit dem Kraftfahrzeug des Ehemannes eine unbedingt notwendige Fahrt auszuführen, so könnte die Klägerin hierfür eine Taxe oder notfalls einen Krankenwagen benutzen, der hinsichtlich seiner Ausnahmebefugnisse im Straßenverkehr sogar einem Polizeifahrzeug gleichsteht. Ein so weitgehendes Recht konnte die Klägerin auch im Besitze der von ihr mit der Klage angestrebten Vergünstigung nie erreichen. Daß sich aus der Benutzung einer Taxe oder eines Krankenwagens für die Klägerin ein unzumutbarer Nachteil etwa in Form finanzieller Aufwendungen ergeben würde, ist nicht zu erkennen, zumal ggfs. das Sozialamt mit entsprechenden finanziellen Leistungen helfen müßten Dabei ist auch zu beachten, daß es sich bei der einstweiligen Anordnung um eine besondere Ausnahmeregelung handelt, mit der das Ergebnis eines Klageverfahrens in der Regel nicht vorweggenommen werden kann, da die Klägerin dann z.B. am Abschluß des Klageverfahrens, indem sie den vom Gericht bereits angeordneten ärztlichen Untersuchungen nachkommt, unter Umständen kein Interesse mehr haben könnte.
Nach alledem mußte die Beschwerde zurückgewiesen werden, ohne daß es einer besonderen Nachprüfung oder Glaubhaftmachung bedurfte, in welchem Umfang die Klägerin tatsächlich gehbehindert ist.
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
Gründe:
Mit ihrer im Dezember 1977 beim Sozialgericht Kassel eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 14. November 1977, mit dem als Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. eine "neurotische Fehlentwicklung” festgestellt worden war. Als weitere Vergünstigung wurden die Merkzeichen "G” und die Freifahrt für den Nahverkehr wegen Gehbehinderung (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 BSHG a.F.) festgestellt. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung weiterer Behinderungen wie multiple Sklerose, doppelseitige Hüftluxation, Leber- und Herzleiden sowie die Eintragung der Merkzeichen H. BN. und a.G. auf dem Schwerbehindertenausweis.
Im November 1978 beantragte die Antragstellerin, den Beklagten durch einstweilige Verfügung zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde zur Erlangung von Parkerleichterungen auszustellen. Sie führte hierzu aus, sie sei außergewöhnlich gehbehindert, so daß es ihr nicht zumutbar sei, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Gerichtsverfahrens auf die Parkerleichterungen zu verzichten. Dem widersprach der Antragsgegner, weil eine die Existenz der Antragstellerin berührende Frage nicht Gegenstand des Verfahrens sei.
Das Sozialgericht Kassel lehnte mit Beschluss vom 27. Dezember 1978 den Antrag ab. Es führte unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 – 2 BvR 72/76 (BVerfGE 46 S. 166 ff., 184 und SGB 1978 S. 340 ff.) aus, in verfassungskonformer Auslegung des § 198 Abs. 2 SGG müsse auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dies zur Vermeidung von schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen geboten sei, wobei § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend anzuwenden sei. Es sei für die Klägerin jedoch nicht unzumutbar, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreites auf die Ausstellung der gewünschten Bescheinigung zur Erlangung von Parkerleichterungen im Straßenverkehr zu warten. Außerdem stehe noch nicht fest, ob die Klägerin wirklich "außergewöhnlich gehbehindert” sei und ob ihre Klage insoweit Aussicht auf Erfolg habe. Die vielen in den Akten vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ließen weder eindeutig erkennen, welche und wie schwere Behinderungen bei der Klägerin vorlägen, zumal sie am 18. Januar 1977 ohne Begleitung mit ihren Krücken in die im 3. Stock gelegene Praxis von Dr. B. gekommen sei. Das Gericht habe sich deshalb auch zu einer eingehenden Begutachtung entschlossen. Mit Beweisanordnung vom gleichen Tage ordnete das Sozialgericht die Einholung eines neurologischen Hauptgutachtens mit einem orthopädischen und internistischen Nebengutachten bei den entsprechenden Universitätskliniken in G. an.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den eine einstweilige Anordnung ablehnenden Beschluss ging am 3. Januar 1979 beim Sozialgericht Kassel ein, während ihr der Beschluss am 29. Dezember 1978 zugestellt war. Mit ihr behauptet die Klägerin, sie müsse durch Verweigerung der Parkerleichterung schwere und unzumutbare Nachteile hinnehmen, die sich aus der Behinderung selbst ergäben und deshalb nicht im einzelnen bezeichnet worden seien. Das Sozialgericht vernachlässige zumindest "das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin seit dem 8. Dezember 1977”. Es stehe kein Termin zur mündlichen Verhandlung an und bis zur Urteilsverkündung könnten noch Monate vergehen, so daß die Nachteile nur durch eine einstweilige Anordnung beseitigt werden könnten. Zur Glaubhaftmachung der Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung schilderte die Klägerin ihren Besuch bei Dr. B. vom 18. Januar 1977. Bei strömendem Regen habe sich kein Parkplatz gefunden. Schließlich habe ihr Ehemann in der 2. Reihe gehalten, den Krankenfahrstuhl aus dem Kofferraum geholt und der Klägerin hineingeholfen. Der Aufzug habe sich für den Fahrstuhl als zu klein erwiesen, der Ehemann habe sie im Hausflur stehenlassen und die Unterarmgehstützen aus dem Auto geholt, während sie den Zugang zum Fahrstuhl versperrt habe. Der Ehemann habe sie dann bis zum Wartezimmer begleitet. Er habe irgendwo 30 Minuten im Auto warten, beim Abholen der Klägerin wieder in der 2. Reihe halten und die Klägerin mit ihren Krücken aus der im 3. Stock gelegenen Praxis wieder abholen müssen. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, wenn die Klägerin in ihrer eigenen Wohnung einen Krankenfahrstuhl benutze, daß sie durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine 20 km entfernte Arztpraxis erreichen könne.
Der Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat am 8. Januar 1979 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Nach dem bereits vom Sozialgericht zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 ist nach Art. 19 Abs. 4 GG ein vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz bei Vornahmeklagen dann erforderlich, wenn ohne solchen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Nach der gleichen Entscheidung läßt es § 198 Abs. 2 SGG zu, über die ausdrücklich im Sozialgerichtsgesetz geregelten Fallarten hinaus zur Vermeidung von schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen in entsprechender Anwendung des § 123 VwGO einstweilige Anordnungen zu erlassen. Wie dieses Verfahren im einzelnen abläuft, hat das Bundesverfassungsgericht offen gelassen und dazu ausgeführt, daß die Sozialgerichte unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden haben, wer zum Erlaß der einstweiligen Anordnungen funktionell zuständig ist und es als naheliegend angesehen, daß die Entscheidung in Anlehnung an die den vorläufigen Rechtsschutz betreffenden Sonderregelungen des Sozialgerichtsgesetzes insoweit dem Vorsitzenden überlassen wird, als über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
In dem damals entschiedenen Fall hatte das LSG Hamburg den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt; das Bundesverfassungsgericht hatte das Verfahren an dieses Gericht zurückverwiesen. Es lag deshalb nahe, in dem damaligen Rechtsstreit die Entscheidung über die einstweilige Anordnung in entsprechender Anwendung des § 199 Abs. 2 und 3 SGG den Senatsvorsitzenden des LSG zu überlassen. Im vorliegenden Fall ist jedoch keine Erstentscheidung des LSG zu treffen, sondern auf eine Beschwerde gegen die Versagung einer einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht zu entscheiden, so daß das weitere Verfahren den § 172 ff. SGG nachgebildet ist. Hiernach findet gemäß § 172 Abs. 1 SGG die Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden einer Kammer des Sozialgerichts statt, wobei gemäß § 174 SGG ein Abhilferecht des Kammervorsitzenden besteht, das er im vorliegenden Fall ausdrücklich abgelehnt hat, so daß nach § 176 SGG der zuständige Senat des Landessozialgerichts ohne Anhörung der Beteiligten, und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden hat (vgl. auch BSGE 1 S. 1 ff.).
Die Beschwerde ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß in der Hauptsache ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Sozialgerichts nicht stattfindet. Der Ausschluß von Berufung und Revision bei einem Streit über die Inanspruchnahme einer Vergünstigung im Sinne des § 3 Abs. 4 SchwbG ergibt sich aus § 3 Abs. 6 letzter Satz SchwbG, wie der Senat bereits in ständiger Rechtsprechung entschieden hat und durch das Urteil des BSG vom 6. Dezember 1978 – 9 RVs 9/78 – bestätigt wird. Mögen noch im Zeitpunkt der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. April 1959 – L 2/S-6/58 – (Breithaupt 1959 S. 1137 ff.) Rechtsprechung und Rechtslehre überwiegend der Auffassung gewesen sein, daß bei einem gesetzlichen Ausschluß der Berufung auch eine Beschwerde nicht statthaft ist, so hat sich jetzt ein Wandel vollzogen, wofür auf die von Meyer-Ladewig, SGG, 1977, Anm. 4 zu § 172 SGG zitierte Literatur und Rechtsprechung zu verweisen ist, während für die nunmehr von der herrschenden Meinung abweichende Ansicht nur noch Brackmann und das Bay. Landessozialgericht zitiert werden. Der erkennende Senat ist mit dem LSG Nordrhein-Westfalen in dem erwähnten Beschluss vom 10. April 1959 der Auffassung, daß sich aus dem SGG eine Einschränkung der Statthaftigkeit der Beschwerde nicht ergibt und sie deshalb nach § 172 Abs. 1 SGG auch dann zulässig ist, wenn in der Hauptsache ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden kann.
Die Beschwerde ist auch fristgemäß eingelegt und damit statthaft, sie ist jedoch nicht begründet.
Keine der Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, die im § 123 VwGO oder in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1977 aufgeführt sind, liegt vor. Nach Lage der Sache könnte die begehrte einstweilige Anordnung nur dann infrage kommen, wenn sie notwendig wäre, um wesentliche Nachteile von der Klägerin abzuwenden "oder aus anderen Gründen” (§ 123 VwGO), die in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts sich als schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwendende Nachteile darstellen müßten. Zur Vermeidung solcher Nachteile ist jedoch die Gewährung einer über die Straßenverkehrsordnung hinausgehenden Parkerlaubnis nicht erforderlich.
Dies gilt insbesondere auch für den von der Klägerin als besonders typisch beschriebenen Vorfall beim Aufsuchen eines Arztes am 18. Januar 1977. Aus dieser Schilderung ergibt sich zwar, daß die Klägerin nach ihrer Auffassung auf die dauernde Benutzung eines Zimmerfahrstuhls in ihrer Wohnung angewiesen ist, sie aber durchaus in der Lage ist, auch kürzere Strecken an Stockstützen, mindestens in Begleitung einer weiteren Person, zurückzulegen. Selbst wenn sich bei überfüllten oder nicht vorhandenen Parkplätzen überhaupt keine mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Möglichkeit ergeben sollte, mit dem Kraftfahrzeug des Ehemannes eine unbedingt notwendige Fahrt auszuführen, so könnte die Klägerin hierfür eine Taxe oder notfalls einen Krankenwagen benutzen, der hinsichtlich seiner Ausnahmebefugnisse im Straßenverkehr sogar einem Polizeifahrzeug gleichsteht. Ein so weitgehendes Recht konnte die Klägerin auch im Besitze der von ihr mit der Klage angestrebten Vergünstigung nie erreichen. Daß sich aus der Benutzung einer Taxe oder eines Krankenwagens für die Klägerin ein unzumutbarer Nachteil etwa in Form finanzieller Aufwendungen ergeben würde, ist nicht zu erkennen, zumal ggfs. das Sozialamt mit entsprechenden finanziellen Leistungen helfen müßten Dabei ist auch zu beachten, daß es sich bei der einstweiligen Anordnung um eine besondere Ausnahmeregelung handelt, mit der das Ergebnis eines Klageverfahrens in der Regel nicht vorweggenommen werden kann, da die Klägerin dann z.B. am Abschluß des Klageverfahrens, indem sie den vom Gericht bereits angeordneten ärztlichen Untersuchungen nachkommt, unter Umständen kein Interesse mehr haben könnte.
Nach alledem mußte die Beschwerde zurückgewiesen werden, ohne daß es einer besonderen Nachprüfung oder Glaubhaftmachung bedurfte, in welchem Umfang die Klägerin tatsächlich gehbehindert ist.
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
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