Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AS 128/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 B 110/06 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Untätigkeitsklage-Kostenerstattung-Gebot der Rücksichtnahme
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 21. Juni 2006 wird abgeändert.
Die Beschwerdegegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin für das Verfahren S 8 AS 128/06 in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beschwerdegegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin begehrt die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur vollständigen Übernahme ihrer außergerichtlichen Kosten für eine erledigte Untätigkeitsklage.
Die Beschwerdeführerin beantragte am 11. Februar 2005 die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bei der Antragsgegnerin. Sie gab im "Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" an, ihr gehöre ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 98 qm, von der sie 64 qm selbst bewohne. Ausweislich ihrer Erklärung im "Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" räume sie ihrer Mutter aufgrund mündlicher Vereinbarung ein freies Wohnrecht ein. Mit Bescheid vom 7. Juni 2005 bewilligte die Beschwerdegegnerin Leistungen nach dem SGB II vom 1. März bis 10. August 2005.
In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch vom 1. Juli 2005 machte die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin weitere Kosten der Unterkunft entsprechend einem auf sie entfallenden Wohnanteil von 74,38 qm sowie Einwände gegen die Berechnung des Zuschlags gemäß § 24 SGB II geltend. Die Beschwerdegegnerin führte hinsichtlich dieser Einwände zunächst keine Ermittlungen durch.
Zwischenzeitlich hatte die Beschwerdeführerin am 5. Juli 2005 eine Arbeitsaufnahme mitgeteilt und auf Anforderung am 1. September 2005 entsprechende Unterlagen vorgelegt. Am 7. Dezember 2005 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Leistungsantrag, im Rahmen dessen sie auf Anforderung weitere Unterlagen vorlegte. Am 26. Januar 2006 forderte die Beschwerdegegnerin Nachweise über Kapitalerträge an. Dieser Schriftverkehr erfolgte jeweils nicht über den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin drohte unter dem 13. Januar 2006 die Erhebung einer Untätigkeitsklage wegen einer Entscheidung über ihren Widerspruch an, falls die Beschwerdegegnerin nicht innerhalb einer Woche entgegenstehende Gründe mitteile. Am 23. Januar 2006 forderte die Beschwerdegegnerin den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin auf, Eigentumsnachweise (Grundbuchauszug oder notarieller Vertrag) vorzulegen. Dieser legte unter dem 31. Januar 2006 einen Grundbuchauszug vor und kündigte abermals die Erhebung einer Untätigkeitsklage an.
Mit Schreiben vom 7. Februar 2006 teilte die Beschwerdegegnerin dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin mit, der Widerspruch könne noch nicht abschließend bearbeitet werden. Nach Lage der Akten sei der Sachverhalt nicht vollends aufgeklärt; daher seien noch weitere Ermittlungen nötig. Zu gegebener Zeit werde man auf die Angelegenheit unaufgefordert zurückkommen. Dieses Schreiben wurde vorab per Fax übersandt. Am gleichen Tag veranlasste die Beschwerdegegnerin einen Hausbesuch, der am 21. Februar 2006 durchgeführt wurde.
Am 8. Februar 2006 hat die Beschwerdeführerin Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Dessau erhoben. Im Schreiben vom 7. Februar 2006 habe die Beschwerdegegnerin zum Ausdruck gebracht, nicht innerhalb eines berechenbaren Zeitraums über den Widerspruch zu entscheiden wollen.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Widerspruch mit Bescheid vom 22. März 2006 in vollem Umfang abgeholfen. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und eine Kostengrundentscheidung beantragt. Die Beschwerdegegnerin hat unter dem 22. März 2006 ausgeführt, die Antragstellerin habe in ihrem Widerspruch von den Anträgen abweichende Angaben zur Wohnfläche gemacht. Für die Bearbeitung des Widerspruchs sei eine Überprüfung durch den Außendienst erforderlich gewesen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21. Juni 2006 der Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Aufwendungen der Beschwerdeführerin zur Hälfte auferlegt. Eine Aufklärung der Wohnfläche sei wegen der differierenden Angaben geboten und ein Hausbesuch vertretbar gewesen. Allerdings sei der Prüfauftrag erst weit nach der Frist zur Widerspruchsbearbeitung erteilt worden. Auch unter Berücksichtigung eines zeitlichen Mehraufwandes von zwei Wochen sei die Frist zur Bearbeitung des Widerspruchs versäumt worden. Gleichwohl sei zu Ungunsten der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, dass sie die Untätigkeitsklage an dem Tag eingelegt habe, an dem sie Kenntnis von der Ankündigung weiterer Ermittlungen erhalten habe. Zwar habe die Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 7. Februar 2006 die Gründe und Ziele der Ermittlungen nicht offen gelegt. Eine Untätigkeitsklage sei aber nur veranlasst, wenn eine Behörde die Entscheidung offenbar ohne hinreichenden Grund verzögere. Dies liege nicht vor, wenn die Ankündigung weiterer Ermittlungen erfolge, die Ermittlungsziele aber nicht bekannt gegeben würden. Dafür könnten gute Gründe vorliegen. Die Beschwerdeführerin hätte nach Erhalt des Schreibens vom 7. Februar 2006 nachfragen oder eine neue Frist setzen müssen. Dies folge aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zur Vermeidung kostenrechtlicher Nachteile. Nach Abwägung der der Beschwerdegegnerin vorzuwerfenden Säumnis und der der Beschwerdeführerin zuzurechnenden Klageerhebung ohne erneute Rückfrage seien die Kosten nur hälftig zu erstatten.
Dagegen hat - nur - die Beschwerdeführerin am 3. Juli 2007 beim Sozialgericht Dessau Beschwerde eingelegt. Die Unbestimmtheit im Schreiben vom 7. Februar 2006 habe vermuten lassen, dass die Beschwerdegegnerin auf unbestimmte Zeit untätig bleiben wolle. Ein weiteres Abwarten wäre ihr unzumutbar gewesen. Es sei ihr nicht möglich gewesen, die Gründe der Beschwerdegegnerin zu würdigen. Die auf ihre Anfrage vom 13. Januar 2006 angeforderten Unterlagen habe sie bereits bei der Antragstellung vorgelegt; diese hätten auch schon vor Ablauf von sechs Monaten angefordert werden können. Auf den erforderlichen Hausbesuch könne die Beschwerdegegnerin sich nicht berufen, da sie keine Mitteilung über die Klärungsbedürftigkeit eines bestimmten Punktes gemacht habe. Erstmals unter dem 22. März 2006 sei ihr ein Widerspruch in den Angaben zur Wohnungsgröße bekannt worden. Das Argument des Sozialgerichts, unter Umständen verbiete sich die Bekanntgabe von Ermittlungszielen, treffe nicht zu. Die Größe der Wohnung sei nämlich nicht beeinflussbar.
Die Beschwerdeführerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 21. Juni 2006 abzuändern und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihre außergerichtlichen Aufwendungen für das Verfahren S 8 AS 128/06 in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beschwerdegegnerin hat keine Ausführungen gemacht.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. Juli 2006 nicht abgeholfen und diese dem erkennenden Senat vorgelegt. Die Beschwerdeführerin müsse sich entgegenhalten lassen, dass sie das Schreiben vom 7. Februar 2006 zum Anlass der Klage genommen habe und nicht die Untätigkeit der Beschwerdegegnerin, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr vorgelegen hätte.
II.
Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31. März 2008 gültigen Fassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 173 SGG) ist begründet.
Nach § 193 Abs. 1 zweiter Halbsatz SGG entscheidet das Gericht durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Im SGG ist nicht ausdrücklich bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Kosten zu erstatten sind. Die §§ 91 ff. ZPO sind nicht unmittelbar anwendbar; die dort aufgestellten Grundsätze sind aber im Allgemeinen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Kostenentscheidung heranzuziehen. Nach Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. § 91a ZPO). Maßgeblich sind dabei zunächst der wahrscheinliche Verfahrensausgang, aber auch, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat, bzw. ob sich die Sachlage nach Erlass des streitigen Verwaltungsakts geändert und der Unterlegene dem durch sofortiges Anerkenntnis entsprochen hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 193, Rn. 12b). Darüber hinaus kann im Rahmen der Ermessenserwägungen auch der konkrete Anlass für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes oder die Verursachung unnötiger Kosten durch einen Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden. Bei der Überprüfung der Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren hat das Beschwerdegericht sein Ermessen vollumfänglich auszuüben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193, Rn. 17).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Entscheidung des Sozialgerichts Dessau im Beschluss vom 21. Juni 2006 abzuändern, da die Beschwerdeführerin Anspruch auf Erstattung ihrer gesamten außergerichtlichen Kosten für die erledigte Untätigkeitsklage vom 8. Februar 2006 hat.
Nach § 88 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGG ist eine Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Einlegung des Widerspruchs zulässig, soweit ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht über den Widerspruch entschieden worden ist. Die Untätigkeitsklage vom 8. Februar 2006 ist zulässig im Sinne des Gesetzes gewesen.
1. Der Widerspruch vom 14. Juli 2005 ist ausweislich der in den Verwaltungsakten der Beschwerdegegnerin dokumentierten Vorgänge ohne zureichenden Grund nicht innerhalb von drei Monaten bearbeitet worden. Zwar hat diese nach der Mitteilung über die Arbeitsaufnahme ab dem 8. Juli 2005 weitere Ermittlungen durchgeführt, und sie hat auch im Rahmen eines weiteren Leistungsantrages unter dem 26. Januar 2006 Nachweise über Kapitalerträge angefordert.
Erkennbar hat die Beschwerdegegnerin erstmals am 7. Februar 2006 konkrete Ermittlungen bezüglich der widersprüchlichen Wohnflächenangaben eingeleitet. In der Zeit zwischen Eingang des Widerspruchs vom 4. Juli 2005 und dem 23. Januar 2006 hat sie den Widerspruch gar nicht bearbeitet. Die Beschwerdegegnerin hat zu diesem Zeitpunkt erstmals - und damit weit nach Ablauf von drei Monaten - überhaupt Ermittlungen eingeleitet, indem sie Grundbuchunterlagen angefordert hat. Der Senat kann dabei offen lassen, ob diese Grundbuchunterlagen, wie die Beschwerdeführerin darlegt, bereits bei der Antragstellung am 11. Februar 2005 vorgelegt worden sind. Denn unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin im Rahmen der Untätigkeitsklage, nämlich einer notwendigen weiteren Ermittlung der von der Beschwerdeführerin bewohnten Wohnfläche, war die Vorlage von Eigentumsnachweisen (wie Grundbuchauszug oder notarieller Vertrag) gar nicht geeignet, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin schon unter dem 13. Januar und dem 31. Januar 2006 die Einlegung einer Untätigkeitsklage angedroht. Es hätte der Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang - weit nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 2 SGG - oblegen, ihre Gründe für die Nichtbearbeitung des Widerspruchs bzw. den für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungsbedarf darzulegen.
Einen zureichenden Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 SGG begründet auch nicht das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 7. Februar 2006, in dem diese weitere Ermittlungen sowie ein unaufgefordertes Zurückkommen auf die Angelegenheit zu gegebener Zeit angekündigt hat.
Ob ein zureichender Grund für eine bislang nicht erfolgte Bescheiderteilung vorliegt, ist allein nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der seit der Antragstellung oder Widerspruchseinlegung verstrichenen Zeit sowie des Ermittlungsaufwandes zu beurteilen. Unbeachtlich ist, ob bislang unterlassene Verfahrenshandlungen oder Ermittlungen vor einer Bescheiderteilung zunächst noch nachgeholt werden müssen, selbst wenn dies auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung beruhte. Denn wenn dann die für die Beurteilung eines Sachverhaltes erforderlichen Tatsachen fehlen, so beruht das auf der vom Gesetz missbilligten Untätigkeit (BSG, Urt. v. 26.8.1994, 13 RJ 17/94, SozR 3-1500 § 88 Nr. 2). Dies muss erst recht gelten, wenn die Beschwerdegegnerin - wie hier - die Fristverstreichung nicht einmal mit einer sachlichen Rechtfertigung wie etwa einer anderen Rechtsauffassung begründen kann.
2. Der Senat folgt in diesem konkreten Fall auch nicht der Auffassung des Sozialgerichts, wonach das Gebot der Rücksichtnahme wenigstens ein Nachfragen bei der Beschwerdegegnerin nach den Gründen für den weiteren Ermittlungsbedarf sowie der mutmaßlichen Zeitdauer geboten hätte. Zwar ist grundsätzlich die Berücksichtigung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme im Rahmen der Kostenverteilung nach beendeter Untätigkeitsklage ermessensfehlerfrei, um rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes begegnen zu können.
Anders liegt jedoch vorliegender Fall. Hier hatte die Beschwerdegegnerin auf zweimalige Androhung einer Untätigkeitsklage - weit nach dem Ablauf der gesetzlichen Bearbeitungsfrist - überhaupt nicht reagiert. Das Schreiben vom 7. Februar 2006 musste die Beschwerdeführerin im Rahmen der gebotenen Rücksichtnahme nicht veranlassen, zunächst nochmals eine weitere Frist zu setzen. Da sich ihr aus diesem Schreiben schon nicht erschließen konnte, welche Ermittlungen noch durchgeführt werden sollten, wäre sie zur Setzung einer angemessen Frist vor der Einlegung einer Untätigkeitsklage gar nicht in der Lage gewesen. Auch konnte sie, nachdem sie auf Aufforderung der Beschwerdegegnerin vom 23. Januar 2006 unverzüglich einen Grundbuchauszug vorgelegt hat, davon ausgehen, dass nunmehr eine abschließende Bearbeitung ihres Widerspruchs möglich war. Erstmals unter dem 23. März 2006 - und damit weit nach Klageerhebung - hat die Beschwerdegegnerin auf den von ihr für notwendig erachteten Hausbesuch verwiesen. Wäre die Beschwerdeführerin bereits unter dem 7. Februar 2006 auf die beabsichtigte Durchführung eines Hausbesuchs sowie den Grund dafür hingewiesen worden, hätte dies im Rahmen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme bei der Kostengrundentscheidung sicherlich einfließen müssen.
3.
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 17, § 176, Rn. 5a).
Die Beschwerdegegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin für das Verfahren S 8 AS 128/06 in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beschwerdegegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin begehrt die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur vollständigen Übernahme ihrer außergerichtlichen Kosten für eine erledigte Untätigkeitsklage.
Die Beschwerdeführerin beantragte am 11. Februar 2005 die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bei der Antragsgegnerin. Sie gab im "Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" an, ihr gehöre ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 98 qm, von der sie 64 qm selbst bewohne. Ausweislich ihrer Erklärung im "Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" räume sie ihrer Mutter aufgrund mündlicher Vereinbarung ein freies Wohnrecht ein. Mit Bescheid vom 7. Juni 2005 bewilligte die Beschwerdegegnerin Leistungen nach dem SGB II vom 1. März bis 10. August 2005.
In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch vom 1. Juli 2005 machte die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin weitere Kosten der Unterkunft entsprechend einem auf sie entfallenden Wohnanteil von 74,38 qm sowie Einwände gegen die Berechnung des Zuschlags gemäß § 24 SGB II geltend. Die Beschwerdegegnerin führte hinsichtlich dieser Einwände zunächst keine Ermittlungen durch.
Zwischenzeitlich hatte die Beschwerdeführerin am 5. Juli 2005 eine Arbeitsaufnahme mitgeteilt und auf Anforderung am 1. September 2005 entsprechende Unterlagen vorgelegt. Am 7. Dezember 2005 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Leistungsantrag, im Rahmen dessen sie auf Anforderung weitere Unterlagen vorlegte. Am 26. Januar 2006 forderte die Beschwerdegegnerin Nachweise über Kapitalerträge an. Dieser Schriftverkehr erfolgte jeweils nicht über den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin drohte unter dem 13. Januar 2006 die Erhebung einer Untätigkeitsklage wegen einer Entscheidung über ihren Widerspruch an, falls die Beschwerdegegnerin nicht innerhalb einer Woche entgegenstehende Gründe mitteile. Am 23. Januar 2006 forderte die Beschwerdegegnerin den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin auf, Eigentumsnachweise (Grundbuchauszug oder notarieller Vertrag) vorzulegen. Dieser legte unter dem 31. Januar 2006 einen Grundbuchauszug vor und kündigte abermals die Erhebung einer Untätigkeitsklage an.
Mit Schreiben vom 7. Februar 2006 teilte die Beschwerdegegnerin dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin mit, der Widerspruch könne noch nicht abschließend bearbeitet werden. Nach Lage der Akten sei der Sachverhalt nicht vollends aufgeklärt; daher seien noch weitere Ermittlungen nötig. Zu gegebener Zeit werde man auf die Angelegenheit unaufgefordert zurückkommen. Dieses Schreiben wurde vorab per Fax übersandt. Am gleichen Tag veranlasste die Beschwerdegegnerin einen Hausbesuch, der am 21. Februar 2006 durchgeführt wurde.
Am 8. Februar 2006 hat die Beschwerdeführerin Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Dessau erhoben. Im Schreiben vom 7. Februar 2006 habe die Beschwerdegegnerin zum Ausdruck gebracht, nicht innerhalb eines berechenbaren Zeitraums über den Widerspruch zu entscheiden wollen.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Widerspruch mit Bescheid vom 22. März 2006 in vollem Umfang abgeholfen. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und eine Kostengrundentscheidung beantragt. Die Beschwerdegegnerin hat unter dem 22. März 2006 ausgeführt, die Antragstellerin habe in ihrem Widerspruch von den Anträgen abweichende Angaben zur Wohnfläche gemacht. Für die Bearbeitung des Widerspruchs sei eine Überprüfung durch den Außendienst erforderlich gewesen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21. Juni 2006 der Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Aufwendungen der Beschwerdeführerin zur Hälfte auferlegt. Eine Aufklärung der Wohnfläche sei wegen der differierenden Angaben geboten und ein Hausbesuch vertretbar gewesen. Allerdings sei der Prüfauftrag erst weit nach der Frist zur Widerspruchsbearbeitung erteilt worden. Auch unter Berücksichtigung eines zeitlichen Mehraufwandes von zwei Wochen sei die Frist zur Bearbeitung des Widerspruchs versäumt worden. Gleichwohl sei zu Ungunsten der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, dass sie die Untätigkeitsklage an dem Tag eingelegt habe, an dem sie Kenntnis von der Ankündigung weiterer Ermittlungen erhalten habe. Zwar habe die Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 7. Februar 2006 die Gründe und Ziele der Ermittlungen nicht offen gelegt. Eine Untätigkeitsklage sei aber nur veranlasst, wenn eine Behörde die Entscheidung offenbar ohne hinreichenden Grund verzögere. Dies liege nicht vor, wenn die Ankündigung weiterer Ermittlungen erfolge, die Ermittlungsziele aber nicht bekannt gegeben würden. Dafür könnten gute Gründe vorliegen. Die Beschwerdeführerin hätte nach Erhalt des Schreibens vom 7. Februar 2006 nachfragen oder eine neue Frist setzen müssen. Dies folge aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zur Vermeidung kostenrechtlicher Nachteile. Nach Abwägung der der Beschwerdegegnerin vorzuwerfenden Säumnis und der der Beschwerdeführerin zuzurechnenden Klageerhebung ohne erneute Rückfrage seien die Kosten nur hälftig zu erstatten.
Dagegen hat - nur - die Beschwerdeführerin am 3. Juli 2007 beim Sozialgericht Dessau Beschwerde eingelegt. Die Unbestimmtheit im Schreiben vom 7. Februar 2006 habe vermuten lassen, dass die Beschwerdegegnerin auf unbestimmte Zeit untätig bleiben wolle. Ein weiteres Abwarten wäre ihr unzumutbar gewesen. Es sei ihr nicht möglich gewesen, die Gründe der Beschwerdegegnerin zu würdigen. Die auf ihre Anfrage vom 13. Januar 2006 angeforderten Unterlagen habe sie bereits bei der Antragstellung vorgelegt; diese hätten auch schon vor Ablauf von sechs Monaten angefordert werden können. Auf den erforderlichen Hausbesuch könne die Beschwerdegegnerin sich nicht berufen, da sie keine Mitteilung über die Klärungsbedürftigkeit eines bestimmten Punktes gemacht habe. Erstmals unter dem 22. März 2006 sei ihr ein Widerspruch in den Angaben zur Wohnungsgröße bekannt worden. Das Argument des Sozialgerichts, unter Umständen verbiete sich die Bekanntgabe von Ermittlungszielen, treffe nicht zu. Die Größe der Wohnung sei nämlich nicht beeinflussbar.
Die Beschwerdeführerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 21. Juni 2006 abzuändern und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihre außergerichtlichen Aufwendungen für das Verfahren S 8 AS 128/06 in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beschwerdegegnerin hat keine Ausführungen gemacht.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. Juli 2006 nicht abgeholfen und diese dem erkennenden Senat vorgelegt. Die Beschwerdeführerin müsse sich entgegenhalten lassen, dass sie das Schreiben vom 7. Februar 2006 zum Anlass der Klage genommen habe und nicht die Untätigkeit der Beschwerdegegnerin, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr vorgelegen hätte.
II.
Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31. März 2008 gültigen Fassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 173 SGG) ist begründet.
Nach § 193 Abs. 1 zweiter Halbsatz SGG entscheidet das Gericht durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Im SGG ist nicht ausdrücklich bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Kosten zu erstatten sind. Die §§ 91 ff. ZPO sind nicht unmittelbar anwendbar; die dort aufgestellten Grundsätze sind aber im Allgemeinen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Kostenentscheidung heranzuziehen. Nach Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. § 91a ZPO). Maßgeblich sind dabei zunächst der wahrscheinliche Verfahrensausgang, aber auch, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat, bzw. ob sich die Sachlage nach Erlass des streitigen Verwaltungsakts geändert und der Unterlegene dem durch sofortiges Anerkenntnis entsprochen hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 193, Rn. 12b). Darüber hinaus kann im Rahmen der Ermessenserwägungen auch der konkrete Anlass für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes oder die Verursachung unnötiger Kosten durch einen Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden. Bei der Überprüfung der Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren hat das Beschwerdegericht sein Ermessen vollumfänglich auszuüben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193, Rn. 17).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Entscheidung des Sozialgerichts Dessau im Beschluss vom 21. Juni 2006 abzuändern, da die Beschwerdeführerin Anspruch auf Erstattung ihrer gesamten außergerichtlichen Kosten für die erledigte Untätigkeitsklage vom 8. Februar 2006 hat.
Nach § 88 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGG ist eine Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Einlegung des Widerspruchs zulässig, soweit ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht über den Widerspruch entschieden worden ist. Die Untätigkeitsklage vom 8. Februar 2006 ist zulässig im Sinne des Gesetzes gewesen.
1. Der Widerspruch vom 14. Juli 2005 ist ausweislich der in den Verwaltungsakten der Beschwerdegegnerin dokumentierten Vorgänge ohne zureichenden Grund nicht innerhalb von drei Monaten bearbeitet worden. Zwar hat diese nach der Mitteilung über die Arbeitsaufnahme ab dem 8. Juli 2005 weitere Ermittlungen durchgeführt, und sie hat auch im Rahmen eines weiteren Leistungsantrages unter dem 26. Januar 2006 Nachweise über Kapitalerträge angefordert.
Erkennbar hat die Beschwerdegegnerin erstmals am 7. Februar 2006 konkrete Ermittlungen bezüglich der widersprüchlichen Wohnflächenangaben eingeleitet. In der Zeit zwischen Eingang des Widerspruchs vom 4. Juli 2005 und dem 23. Januar 2006 hat sie den Widerspruch gar nicht bearbeitet. Die Beschwerdegegnerin hat zu diesem Zeitpunkt erstmals - und damit weit nach Ablauf von drei Monaten - überhaupt Ermittlungen eingeleitet, indem sie Grundbuchunterlagen angefordert hat. Der Senat kann dabei offen lassen, ob diese Grundbuchunterlagen, wie die Beschwerdeführerin darlegt, bereits bei der Antragstellung am 11. Februar 2005 vorgelegt worden sind. Denn unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin im Rahmen der Untätigkeitsklage, nämlich einer notwendigen weiteren Ermittlung der von der Beschwerdeführerin bewohnten Wohnfläche, war die Vorlage von Eigentumsnachweisen (wie Grundbuchauszug oder notarieller Vertrag) gar nicht geeignet, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin schon unter dem 13. Januar und dem 31. Januar 2006 die Einlegung einer Untätigkeitsklage angedroht. Es hätte der Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang - weit nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 2 SGG - oblegen, ihre Gründe für die Nichtbearbeitung des Widerspruchs bzw. den für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungsbedarf darzulegen.
Einen zureichenden Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 SGG begründet auch nicht das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 7. Februar 2006, in dem diese weitere Ermittlungen sowie ein unaufgefordertes Zurückkommen auf die Angelegenheit zu gegebener Zeit angekündigt hat.
Ob ein zureichender Grund für eine bislang nicht erfolgte Bescheiderteilung vorliegt, ist allein nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der seit der Antragstellung oder Widerspruchseinlegung verstrichenen Zeit sowie des Ermittlungsaufwandes zu beurteilen. Unbeachtlich ist, ob bislang unterlassene Verfahrenshandlungen oder Ermittlungen vor einer Bescheiderteilung zunächst noch nachgeholt werden müssen, selbst wenn dies auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung beruhte. Denn wenn dann die für die Beurteilung eines Sachverhaltes erforderlichen Tatsachen fehlen, so beruht das auf der vom Gesetz missbilligten Untätigkeit (BSG, Urt. v. 26.8.1994, 13 RJ 17/94, SozR 3-1500 § 88 Nr. 2). Dies muss erst recht gelten, wenn die Beschwerdegegnerin - wie hier - die Fristverstreichung nicht einmal mit einer sachlichen Rechtfertigung wie etwa einer anderen Rechtsauffassung begründen kann.
2. Der Senat folgt in diesem konkreten Fall auch nicht der Auffassung des Sozialgerichts, wonach das Gebot der Rücksichtnahme wenigstens ein Nachfragen bei der Beschwerdegegnerin nach den Gründen für den weiteren Ermittlungsbedarf sowie der mutmaßlichen Zeitdauer geboten hätte. Zwar ist grundsätzlich die Berücksichtigung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme im Rahmen der Kostenverteilung nach beendeter Untätigkeitsklage ermessensfehlerfrei, um rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes begegnen zu können.
Anders liegt jedoch vorliegender Fall. Hier hatte die Beschwerdegegnerin auf zweimalige Androhung einer Untätigkeitsklage - weit nach dem Ablauf der gesetzlichen Bearbeitungsfrist - überhaupt nicht reagiert. Das Schreiben vom 7. Februar 2006 musste die Beschwerdeführerin im Rahmen der gebotenen Rücksichtnahme nicht veranlassen, zunächst nochmals eine weitere Frist zu setzen. Da sich ihr aus diesem Schreiben schon nicht erschließen konnte, welche Ermittlungen noch durchgeführt werden sollten, wäre sie zur Setzung einer angemessen Frist vor der Einlegung einer Untätigkeitsklage gar nicht in der Lage gewesen. Auch konnte sie, nachdem sie auf Aufforderung der Beschwerdegegnerin vom 23. Januar 2006 unverzüglich einen Grundbuchauszug vorgelegt hat, davon ausgehen, dass nunmehr eine abschließende Bearbeitung ihres Widerspruchs möglich war. Erstmals unter dem 23. März 2006 - und damit weit nach Klageerhebung - hat die Beschwerdegegnerin auf den von ihr für notwendig erachteten Hausbesuch verwiesen. Wäre die Beschwerdeführerin bereits unter dem 7. Februar 2006 auf die beabsichtigte Durchführung eines Hausbesuchs sowie den Grund dafür hingewiesen worden, hätte dies im Rahmen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme bei der Kostengrundentscheidung sicherlich einfließen müssen.
3.
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 17, § 176, Rn. 5a).
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