Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 SB 82/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 B 1052/08 SB PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 24.11.2008 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 27.10.2008 - S 17 SB 82/08 - wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der 1978 geborene Kläger begehrt die Feststellung des Merkzeichens "G" im Sinne von § 146 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Der Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Schwaben vom 11.06.2007 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides vom 21.12.2007 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 16.01.2008 den Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit ab 12.03.2007 mit 100 festgestellt. Berücksichtigt worden sind hierbei das Vorliegen einer seelischen Krankheit mit einem Einzel-GdB von 70, der Verlust des Armes im Unterarm rechts samt Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts mit einem Einzel-GdB von 50 sowie der Teilverlust des Fußes rechts samt Abrollstörung, orthopädische Schuhversorgung und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20. Merkzeichen sind nicht festgestellt worden, auch nicht das streitgegenständliche Merkzeichen "G" im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX.
Hiergegen hat der Betreuer und Rechtsanwalt B. mit Schriftsatz vom 18.02.2008 form- und fristgerecht Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Vorgelegt worden ist eine beglaubigte Kopie des Betreuerausweises vom 05.06.2007 und eine gesonderte Vollmacht. Die Klageerhebung ist mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. verbunden worden.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und hiesigen Beschwerdegegners beigezogen und ärztliche Befundberichte bzw. Krankenunterlagen eingeholt.
Nachdem das Sozialgericht Augsburg mit Beweisanordnung vom 25.07.2008 Dr. G. gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt hatte, wiederholte der Betreuer und bevollmächtigte Rechtsanwalt B. mit Schriftsatz vom 30.07.2008 seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von ihm als Unterfertigenden.
Dr. G. ist mit fachorthopädischem Gutachten vom 16.09.2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht erfüllt seien.
Im Folgenden hat das Sozialgericht Augsburg den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. mit Beschluss vom 27.10.2008 abgelehnt. Der PKH-Antrag sei nicht wegen fehlender Erfolgsaussichten abzulehnen gewesen, auch nicht wegen fehlender Bedürftigkeit des Klägers. Der Antrag sei jedoch abzulehnen gewesen, da die Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich erscheine (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.2007 - 1 BvR 681/07 - und den dort hervorgehobenen Grundsatz der "Waffengleichheit" zwischen den Parteien, der hier nicht verletzt sei). Anders als im vom Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) mit Beschluss vom 20.06.2006 - L 15 B 320/06 SB PKH - entschiedenen Fall habe es sich vorliegend auch nicht um eine rechtlich zumindest seltene Frage (Merkzeichen "RF" wegen seelischer Behinderung) gehandelt, sondern um die rechtlich einfache Frage, ob beim Kläger eine erhebliche Gehbehinderung vorliege. Vorliegend hätte ein Betreuer vernünftigerweise eine Übertragung der Angelegenheit auf einen Rechtsanwalt nicht für erforderlich gehalten. Etwas anderes könne nicht deshalb gelten, weil der Betreuer des Klägers hier zugleich Rechtsanwalt sei. Zwar könne die Beiordnung eines Rechtsanwaltes bei hinreichender Komplexität der Streitsache nicht mit der Argumentation abgelehnt werden, der Betreuer sei ja bereits Rechtsanwalt (vgl. BayLSG a.a.O.). Ein solcher rechtlich hinreichend komplexer Fall sei aber vorliegend gerade nicht gegeben. Außerdem sei die Vergütung für die Betreuungstätigkeit abschließend im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) geregelt, wonach im Übrigen eine Hochschulausbildung in der Regel bereits zu einer höheren Vergütung führe. Da eine PKH-Gewährung bereits aus den genannten Gründen ausscheide, könne dahingestellt bleiben, ob Rechtsanwalt B. im Hinblick auf das grundsätzliche Verbot des Selbstkontrahierens überhaupt wirksam in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt für den Kläger tätig werden könne.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 24.11.2008 ging am 25.112008 beim Sozialgericht Augsburg ein, welches den Gesamtvorgang dem Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vorlegte.
Der Beklagte und Beschwerdegegner wurde mit Nachricht des BayLSG vom 08.12.2008 entsprechend informiert.
II.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig (§§ 73a, 172 ff SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 ZPO), jedoch nicht begründet.
In sozialgerichtlichen Verfahren gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entsprechend. Grundsätzlich erhält eine Partei gemäß § 114 ZPO, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist wie in sozialgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei gemäß § 121 Abs. 2 ZPO auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Bevollmächtigten des Beklagten und Beschwerdegegners können einem solchen auch nicht gleichgestellt werden. Denn sie haben nicht einseitig dessen Interesse zu vertreten. Vielmehr sind sie gemäß
§ 2 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I) - auch verpflichtet sicherzustellen, dass die sozialen Rechte des Beschwerdeführers möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Vorliegend hat das Sozialgericht Augsburg den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt B. mit Beschluss vom 27.10.2008 erst zu einem Zeitpunkt abgelehnt, als das fachorthopädische Gutachten von Dr. G. vom 16.09.2008 bereits vorlag. Ausweislich dieses Gutachtens besteht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO mehr. Das Sozialgericht Augsburg hätte jedoch zeitnah über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 18.02.2008 entscheiden müssen und nicht erst nach Abschluss der Ermittlungen im Sinne von §§ 103, 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG.
Aus der Sicht ex ante, das heißt allein anhand der beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Beklagten, ergibt sich für den erkennenden Senat, dass der Kläger trotz des festgestellten Gesamt-GdB von 100 nicht erheblich gehbehindert im Sinne von § 146
Abs. 1 SGB IX ist. Denn nach Rz. 30 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004, 2005 und 2008" sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus
können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den untern Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einen GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an (vor allem bei gravierenderen Herzschäden oder Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion). Auch bei gravierenden Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 oder in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, geistige Behinderung) ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit anzunehmen. Darüber hinaus sind bei geistig behinderten Menschen entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zu Recht finden können.
Die Auswertung des in den Schwerbehinderten-Akten des Beklagten befindlichen psychiatrischen Gutachtens der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus K. vom 26.03.2007 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. D. H. vom 19.12.2007 ergibt auch aus Sicht ex ante zweifelsfrei, dass der Kläger nicht erheblich gehbehindert im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX ist. Denn der Kläger leidet vor allem an einer seelischen Krankheit (nicht einer geistigen Behinderung) aufgrund seines Cannabis abusus bei Verdacht auf eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. So hat er z.B. darüber berichtet, dass er sicher sei, dass bei dem Gabelstaplerunfall 2000, der zu seiner Verletzung geführt habe, Absicht im Spiel gewesen sei. Er glaube, dass seine damalige Freundin in dem Moment, als der Stapler umgekippt sei, seine Gedanken gesteuert habe, um ihn damit umzubringen. Bei stationären Aufenthalten vom 10.08. bis 05.10.2006 sowie 08.10. bis 10.10.2006 im Bezirkskrankenhaus A-Stadt ist u.a. eine drogeninduzierte Psychose bei Cannabis abusus und Opiad abusus beschrieben worden. Aus den gesamten Unterlagen betreffend der seelischen Störung des Klägers ergibt sich jedoch kein Hinweis, dass er vergleichbar wie bei erheblich geistig behinderten Menschen in seiner (örtlichen) Orientierungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist.
Es finden sich auch keine Hinweise auf Seh- oder Hörstörungen bzw. gravierende Funktionsbeeinträchtigungen der inneren Organe (z.B. Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 oder Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades).
Soweit der Beschwerdeführer den Verlust eines Armes im Unterarm rechts samt Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts unfallbedingt erlitten hat, resultiert hieraus keine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfähigkeit. Letztere ergibt sich nur aus dem Teilverlust des Fußes rechts bei Abrollstörung und orthopädischer Schuhversorgung samt Funktionsbehinderung der LWS. Nachdem der Beklagte bereits aufgrund seiner versorgungsärztlichen Untersuchung durch Dr. D. H. vom 02.05.2003 den Verlust der Zehen II bis V rechts mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt hat und nunmehr in Berücksichtigung der Vorfußamputation rechts samt den Folgen der Kompressionsfraktur bei LWK 2 ein Einzel-GdB von 20 angenommen wird, besteht auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhebliche Gehbehinderung im Sinne von Rz. 30 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004, 2005 und 2008" bzw. § 146 Abs. 1 SGB IX.
Soweit das Sozialgericht Augsburg im Übrigen zutreffend auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.2007 - 1 BVR 681/07 - und den dort hervorgehobenen Grundsatz der "Waffengleichheit" zwischen den Parteien abgestellt hat, werden die diesbezüglichen Ausführungen von dem erkennenden Senat vollinhaltlich geteilt.
In Berücksichtigung des ebenfalls zutreffend zitierten Beschlusses des BayLSG vom 20.06.2006 - L 15 B 320/06 SB PKH - hat das Sozialgericht Augsburg weiterhin zutreffend differenziert, ob es sich um eine rechtlich zumindest seltene Frage (Merkzeichen "RF" wegen seelischer Behinderung) oder um eine rechtlich einfache Frage wie vorliegend handelt.
Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass ausweislich des Betreuerausweises des Amtsgerichtes A-Stadt vom 05.06.2007 Rechtsanwalt B. mit folgendem Aufgabenkreis zum Betreuer bestellt worden ist: Aufenthaltsbestimmung, Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Besorgung von Behörden-, Versicherungs-, Renten- und Sozialangelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten. Der Betreuer vertritt den Betroffenen im Rahmen seines Aufgabenkreises gerichtlich und außergerichtlich. Ausweislich des Betreuerausweises ist daher davon auszugehen, dass Rechtsanwalt B. hier nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig geworden ist, sondern als gerichtlich bestellter Betreuer im Rahmen seines Aufgabenkreises. Auch insoweit zutreffend hat das Sozialgericht Augsburg auf die Vergütungsregelungen im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) hingewiesen.
Soweit in Hinblick auf die vorgelegte Vollmacht vom 18.02.2008 erstinstanzlich Fragen eines grundsätzlichen Verbotes des Selbstkontrahierens diskutiert worden sind, können diese dahingestellt bleiben. Denn der Gesetzgeber hat § 73 SGG mit Wirkung ab 01.04.2008 neu gefasst und in § 73 Abs. 6 Satz 4 SGG bestimmt: Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Eine diesbezügliche Rüge ist seitens des Beklagten hier auch nicht zu erwarten. Denn das BayLSG hat mit Beschluss vom 20.06.2006 - L 15 B 320/06 SB PKH - stillschweigend vorausgesetzt, dass es bei Vorlage eines Betreuerausweises wie hier keiner weiteren Vollmacht bedarf, wenn der Betreuer zugleich Rechtsanwalt ist.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§ 177, 183 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Gründe:
I.
Der 1978 geborene Kläger begehrt die Feststellung des Merkzeichens "G" im Sinne von § 146 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Der Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Schwaben vom 11.06.2007 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides vom 21.12.2007 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 16.01.2008 den Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit ab 12.03.2007 mit 100 festgestellt. Berücksichtigt worden sind hierbei das Vorliegen einer seelischen Krankheit mit einem Einzel-GdB von 70, der Verlust des Armes im Unterarm rechts samt Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts mit einem Einzel-GdB von 50 sowie der Teilverlust des Fußes rechts samt Abrollstörung, orthopädische Schuhversorgung und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20. Merkzeichen sind nicht festgestellt worden, auch nicht das streitgegenständliche Merkzeichen "G" im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX.
Hiergegen hat der Betreuer und Rechtsanwalt B. mit Schriftsatz vom 18.02.2008 form- und fristgerecht Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Vorgelegt worden ist eine beglaubigte Kopie des Betreuerausweises vom 05.06.2007 und eine gesonderte Vollmacht. Die Klageerhebung ist mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. verbunden worden.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und hiesigen Beschwerdegegners beigezogen und ärztliche Befundberichte bzw. Krankenunterlagen eingeholt.
Nachdem das Sozialgericht Augsburg mit Beweisanordnung vom 25.07.2008 Dr. G. gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt hatte, wiederholte der Betreuer und bevollmächtigte Rechtsanwalt B. mit Schriftsatz vom 30.07.2008 seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von ihm als Unterfertigenden.
Dr. G. ist mit fachorthopädischem Gutachten vom 16.09.2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht erfüllt seien.
Im Folgenden hat das Sozialgericht Augsburg den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. mit Beschluss vom 27.10.2008 abgelehnt. Der PKH-Antrag sei nicht wegen fehlender Erfolgsaussichten abzulehnen gewesen, auch nicht wegen fehlender Bedürftigkeit des Klägers. Der Antrag sei jedoch abzulehnen gewesen, da die Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich erscheine (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.2007 - 1 BvR 681/07 - und den dort hervorgehobenen Grundsatz der "Waffengleichheit" zwischen den Parteien, der hier nicht verletzt sei). Anders als im vom Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) mit Beschluss vom 20.06.2006 - L 15 B 320/06 SB PKH - entschiedenen Fall habe es sich vorliegend auch nicht um eine rechtlich zumindest seltene Frage (Merkzeichen "RF" wegen seelischer Behinderung) gehandelt, sondern um die rechtlich einfache Frage, ob beim Kläger eine erhebliche Gehbehinderung vorliege. Vorliegend hätte ein Betreuer vernünftigerweise eine Übertragung der Angelegenheit auf einen Rechtsanwalt nicht für erforderlich gehalten. Etwas anderes könne nicht deshalb gelten, weil der Betreuer des Klägers hier zugleich Rechtsanwalt sei. Zwar könne die Beiordnung eines Rechtsanwaltes bei hinreichender Komplexität der Streitsache nicht mit der Argumentation abgelehnt werden, der Betreuer sei ja bereits Rechtsanwalt (vgl. BayLSG a.a.O.). Ein solcher rechtlich hinreichend komplexer Fall sei aber vorliegend gerade nicht gegeben. Außerdem sei die Vergütung für die Betreuungstätigkeit abschließend im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) geregelt, wonach im Übrigen eine Hochschulausbildung in der Regel bereits zu einer höheren Vergütung führe. Da eine PKH-Gewährung bereits aus den genannten Gründen ausscheide, könne dahingestellt bleiben, ob Rechtsanwalt B. im Hinblick auf das grundsätzliche Verbot des Selbstkontrahierens überhaupt wirksam in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt für den Kläger tätig werden könne.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 24.11.2008 ging am 25.112008 beim Sozialgericht Augsburg ein, welches den Gesamtvorgang dem Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vorlegte.
Der Beklagte und Beschwerdegegner wurde mit Nachricht des BayLSG vom 08.12.2008 entsprechend informiert.
II.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig (§§ 73a, 172 ff SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 ZPO), jedoch nicht begründet.
In sozialgerichtlichen Verfahren gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entsprechend. Grundsätzlich erhält eine Partei gemäß § 114 ZPO, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist wie in sozialgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei gemäß § 121 Abs. 2 ZPO auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Bevollmächtigten des Beklagten und Beschwerdegegners können einem solchen auch nicht gleichgestellt werden. Denn sie haben nicht einseitig dessen Interesse zu vertreten. Vielmehr sind sie gemäß
§ 2 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I) - auch verpflichtet sicherzustellen, dass die sozialen Rechte des Beschwerdeführers möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Vorliegend hat das Sozialgericht Augsburg den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt B. mit Beschluss vom 27.10.2008 erst zu einem Zeitpunkt abgelehnt, als das fachorthopädische Gutachten von Dr. G. vom 16.09.2008 bereits vorlag. Ausweislich dieses Gutachtens besteht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO mehr. Das Sozialgericht Augsburg hätte jedoch zeitnah über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 18.02.2008 entscheiden müssen und nicht erst nach Abschluss der Ermittlungen im Sinne von §§ 103, 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG.
Aus der Sicht ex ante, das heißt allein anhand der beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Beklagten, ergibt sich für den erkennenden Senat, dass der Kläger trotz des festgestellten Gesamt-GdB von 100 nicht erheblich gehbehindert im Sinne von § 146
Abs. 1 SGB IX ist. Denn nach Rz. 30 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004, 2005 und 2008" sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus
können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den untern Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einen GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an (vor allem bei gravierenderen Herzschäden oder Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion). Auch bei gravierenden Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 oder in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, geistige Behinderung) ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit anzunehmen. Darüber hinaus sind bei geistig behinderten Menschen entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zu Recht finden können.
Die Auswertung des in den Schwerbehinderten-Akten des Beklagten befindlichen psychiatrischen Gutachtens der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus K. vom 26.03.2007 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. D. H. vom 19.12.2007 ergibt auch aus Sicht ex ante zweifelsfrei, dass der Kläger nicht erheblich gehbehindert im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX ist. Denn der Kläger leidet vor allem an einer seelischen Krankheit (nicht einer geistigen Behinderung) aufgrund seines Cannabis abusus bei Verdacht auf eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. So hat er z.B. darüber berichtet, dass er sicher sei, dass bei dem Gabelstaplerunfall 2000, der zu seiner Verletzung geführt habe, Absicht im Spiel gewesen sei. Er glaube, dass seine damalige Freundin in dem Moment, als der Stapler umgekippt sei, seine Gedanken gesteuert habe, um ihn damit umzubringen. Bei stationären Aufenthalten vom 10.08. bis 05.10.2006 sowie 08.10. bis 10.10.2006 im Bezirkskrankenhaus A-Stadt ist u.a. eine drogeninduzierte Psychose bei Cannabis abusus und Opiad abusus beschrieben worden. Aus den gesamten Unterlagen betreffend der seelischen Störung des Klägers ergibt sich jedoch kein Hinweis, dass er vergleichbar wie bei erheblich geistig behinderten Menschen in seiner (örtlichen) Orientierungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist.
Es finden sich auch keine Hinweise auf Seh- oder Hörstörungen bzw. gravierende Funktionsbeeinträchtigungen der inneren Organe (z.B. Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 oder Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades).
Soweit der Beschwerdeführer den Verlust eines Armes im Unterarm rechts samt Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts unfallbedingt erlitten hat, resultiert hieraus keine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfähigkeit. Letztere ergibt sich nur aus dem Teilverlust des Fußes rechts bei Abrollstörung und orthopädischer Schuhversorgung samt Funktionsbehinderung der LWS. Nachdem der Beklagte bereits aufgrund seiner versorgungsärztlichen Untersuchung durch Dr. D. H. vom 02.05.2003 den Verlust der Zehen II bis V rechts mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt hat und nunmehr in Berücksichtigung der Vorfußamputation rechts samt den Folgen der Kompressionsfraktur bei LWK 2 ein Einzel-GdB von 20 angenommen wird, besteht auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhebliche Gehbehinderung im Sinne von Rz. 30 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004, 2005 und 2008" bzw. § 146 Abs. 1 SGB IX.
Soweit das Sozialgericht Augsburg im Übrigen zutreffend auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.2007 - 1 BVR 681/07 - und den dort hervorgehobenen Grundsatz der "Waffengleichheit" zwischen den Parteien abgestellt hat, werden die diesbezüglichen Ausführungen von dem erkennenden Senat vollinhaltlich geteilt.
In Berücksichtigung des ebenfalls zutreffend zitierten Beschlusses des BayLSG vom 20.06.2006 - L 15 B 320/06 SB PKH - hat das Sozialgericht Augsburg weiterhin zutreffend differenziert, ob es sich um eine rechtlich zumindest seltene Frage (Merkzeichen "RF" wegen seelischer Behinderung) oder um eine rechtlich einfache Frage wie vorliegend handelt.
Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass ausweislich des Betreuerausweises des Amtsgerichtes A-Stadt vom 05.06.2007 Rechtsanwalt B. mit folgendem Aufgabenkreis zum Betreuer bestellt worden ist: Aufenthaltsbestimmung, Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Besorgung von Behörden-, Versicherungs-, Renten- und Sozialangelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten. Der Betreuer vertritt den Betroffenen im Rahmen seines Aufgabenkreises gerichtlich und außergerichtlich. Ausweislich des Betreuerausweises ist daher davon auszugehen, dass Rechtsanwalt B. hier nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig geworden ist, sondern als gerichtlich bestellter Betreuer im Rahmen seines Aufgabenkreises. Auch insoweit zutreffend hat das Sozialgericht Augsburg auf die Vergütungsregelungen im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) hingewiesen.
Soweit in Hinblick auf die vorgelegte Vollmacht vom 18.02.2008 erstinstanzlich Fragen eines grundsätzlichen Verbotes des Selbstkontrahierens diskutiert worden sind, können diese dahingestellt bleiben. Denn der Gesetzgeber hat § 73 SGG mit Wirkung ab 01.04.2008 neu gefasst und in § 73 Abs. 6 Satz 4 SGG bestimmt: Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Eine diesbezügliche Rüge ist seitens des Beklagten hier auch nicht zu erwarten. Denn das BayLSG hat mit Beschluss vom 20.06.2006 - L 15 B 320/06 SB PKH - stillschweigend vorausgesetzt, dass es bei Vorlage eines Betreuerausweises wie hier keiner weiteren Vollmacht bedarf, wenn der Betreuer zugleich Rechtsanwalt ist.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§ 177, 183 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
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