Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 653/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beschluss des Beklagten vom 10. April 2007 (schriftlicher Bescheid vom 11. Juli 2007) bezüglich der Feststellung eines sonstigen Schadens auf Antrag des BKK-LV Ost wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Regress wegen verschiedener einzelner Arzneimittelverordnungen, der anlässlich der Richtgrößenprüfung für das Jahr 2000 festgesetzt wurde.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis, die von den beiden Gesellschafterinnen Dr. E E und Dr. D B geführt wird und an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin teilnimmt. Beide Ge-sellschafterinnen sind Fachärztinnen für Innere Medizin, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Bereich der Dialyse, der Behandlung und Betreuung transplantierter Patienten und der Be-handlung von Bluthochdruckerkrankungen.
Mit Schreiben vom 5. November 2002 teilte die Geschäftsstelle der Prüfgremien bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin der Klägerin mit, dass ihre Verordnungsweise für das Jahr 2000 nach Richtgrößen von Amts wegen überprüft werde. Mit Stellungnahme vom 12. Januar 2003 teilte die Klägerin ihre Praxisbesonderheiten mit. Mit Schreiben vom 21. Februar 2005, eingegangen beim Prüfungsausschuss am 25. Februar 2005, beantragte der Beigeladene zu 2) für die Betriebskrankenkassen die Feststellung eines sonstigen Schadens wegen der Verord-nungen verschiedener Präparate in den Quartalen I bis IV/2000 in Höhe von insgesamt 10.470,14 DM (= 5.353,30 EUR) netto. Mit Schreiben vom 28. Juni 2005 teilte der Prüfungsausschuss der Klägerin mit, dass die Richtgrößenprüfung wegen Anträgen auf Feststellung sonsti-ger Schäden ausgesetzt worden sei. Zugleich übersandte der Prüfungsausschuss der Klägerin unter anderem den Antrag des Beigeladenen zu 2). Mit Schreiben vom 7. August 2005 gab die Klägerin eine medizinische Stellungnahme zu den beanstandeten Verordnungen ab. Nach einer Teilrücknahme des Antrags durch den Beigeladenen zu 2) mit Schreiben vom 22. September 2005 setzte der Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 14. Dezember 2005 (schriftliche Ausfertigung vom 22. Dezember 2005) eine Ersatzverpflichtung in Höhe von insgesamt 8.972,03 DM (= 4.587,33 EUR) fest. Am 5. Januar 2006 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein.
Mit Beschluss vom 10. April 2007 (schriftliche Fassung vom 11. Juli 2007) reduzierte der Beklagte den Regress auf 3.981,29 EUR, weil einige der vom Prüfungsausschuss beanstandeten Präparate doch zu Lasten der vom Beigeladenen zu 2) vertretenen Krankenkassen verordnungsfä-hig gewesen seien. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die beanstandeten Arzneimittelverordnungen hätten nicht zu Lasten der Krankenkassen vorgenommen werden dürfen.
Hiergegen richtet sich die am 13. August 2007 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klä-gerin im Wesentlichen vorträgt: Die Entscheidung des Prüfungsausschusses sei verspätet. Es werde die Einrede der Verjährung erhoben. Im Übrigen werde insbesondere auf die Stellungnahme aus dem Verwaltungsverfahren vom 7. August 2005 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom 10. April 2007 (schriftlicher Bescheid vom 11. Juli 2007) bezüglich der Feststellung eines sonstigen Schadens auf Antrag des Beigeladenen zu 2) aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die Klage hat sich zunächst gegen weitere Regressbeschlüsse des Beklagten vom 10. April 2007 gerichtet. Mit Beschluss vom 5. November 2007 hat die Kammer das vorliegende Ver-fahren zur gesonderten Entscheidung von den anderen Verfahren abgetrennt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten, der nach stän-diger Rechtsprechung des BSG (vgl. z. B. BSG, SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22; Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 95, Rn. 2b) alleiniger Gegenstand der Klage wird, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die Regressforderung ist § 14 Abs. 1 der "Vereinbarung zwischen der KV Berlin und den Verbänden der Krankenkassen über das Verfahren zur Überwachung und Prü-fung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse bei der Kassenärzt-lichen Vereinigung Berlin (§ 106 SGB V)" vom 10. Januar 1994 (im Folgenden: PrüfV 1994). § 24 der Prüfvereinbarung vom 20. Juni 2003 (PrüfV 2003) ist auf den vorliegenden Sachver-halt des Jahres 2000 nicht anwendbar. Die rückwirkende Anwendung der erst im August 2003 im KV-Blatt veröffentlichten Prüfvereinbarung 2003 verstößt gegen das Rückwirkungsverbot. Rechtsgrundlage für die Vereinbarung des Prüfverfahrens zur Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 24 PrüfV 2003 ist § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V in der Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000. Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereini-gungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Die Vereinbarung liegt folglich im Ermessen der Vertragspartner. Somit treffen sie nicht nur Verfahrensregelungen zur Ausgestaltung über den Ablauf einer gesetzlich gefor-derten Prüfung, sondern schaffen erst eine Rechtsgrundlage für die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall und die Festsetzung entsprechender Regresse. Die damit verbundenen materiell-rechtlichen Wirkungen können nur in Ausnahmefällen auf abgeschlossene, in der Vergangen-heit liegende Sachverhalte erstreckt werden. Hierfür besteht vorliegend jedoch kein Bedarf, weil zum Verordnungszeitpunkt im Jahr 2000 mit § 14 PrüfV 1994 eine Rechtsgrundlage zur Durchführung der streitgegenständlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung bestand.
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 PrüfV 1994 entscheidet der Prüfungsausschuss auf Antrag einer Kran-kenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei der Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat.
Die dem Bescheid des Beklagten zugrunde liegende Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 14. Dezember 2005 hätte jedoch nicht mehr ergehen dürfen. Zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzung der Regresse wegen der Unzulässigkeit der Verordnungen einzelner Präparate zu Lasten der Beigeladenen zu 2) verfristet und wegen Zeitablaufs unzulässig.
Dabei kann offen bleiben, ob für die Feststellung eines sonstigen Schadens auf Grundlage der Wirtschaftlichkeitsprüfung gem. § 106 SGB V ebenso wie für die anderen Prüfverfahren eine Ausschlussfrist von vier Jahren, innerhalb derer das Prüfverfahren abzuschließen ist, läuft (BSG, Urteil v. 16. Juni 1993, -14a/6 RKa 37/91-, BSGE 72, 271, 277), oder ob die zugrunde liegende Regressforderung der Beigeladenen zu 2) der Verjährung innerhalb von vier Jahren unterliegt (BSG, Urteil vom 28. August 1996, -6 RKa 88/95-). Beide Ansätze führen zum glei-chen Ergebnis.
Für die Annahme einer Ausschlussfrist für die Ausübung des Prüfungsrechts nach dem Urteil des BSG vom 16. Juni 1993, a.a.O., spricht insbesondere, dass der vorliegende Regress der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V unterfällt (BSG, Urteil vom 14. März 2001, -B 6 KA 19/00 R-, zit. n. juris). Die Ausschlussfrist für die Festsetzung eines Regresses wegen ein-zelner Verordnungen beginnt entweder mit dem Datum der jeweiligen Verordnung oder mit Ablauf des Quartals, in dem die Verordnung ausgestellt wurde (Hartmannsgruber, "Die Aus-schlussfrist im Vertragsarztrecht – Eine Bestandsaufnahme", ZMGR 2008, 124, 128), oder a-ber mit Beginn des auf die Verordnung folgenden Jahres. Für die Annahme des Beginns der Ausschlussfrist am Beginn des auf das Jahr der Verordnung folgenden Jahres spricht insbeson-dere die einfache Bestimmung des Zeitpunkts und der damit einhergehende Gewinn an Rechts-sicherheit. Ebenso läuft in diesen Fällen die Ausschlussfrist parallel zur Ausschlussfrist der Prüfung der Verordnungsweise nach Richtgrößen (vgl. Urteile der Kammer vom heutigen Ta-ge, u.a. -S 83 KA 74/07-, -S 83 KA 314/07-, -S 83 KA 384/07- und -S 83 KA 433/07-). Auch die gesetzgeberische Wertung, wie sie in § 106 Abs. 2 S. 6 SGB V i.d.F. des GKV-WSG zum Ausdruck kommt, wonach die Regressfestsetzung innerhalb einer (nunmehr zweijährigen) Frist nach Ende des geprüften Zeitraums (regelmäßig ein volles Jahr) erfolgen muss, stützt diese Lö-sung. Schließlich wird eine Parallele zu § 45 Abs. 1 SGB I hergestellt, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, zu verjähren be-ginnen.
Spätester Zeitpunkt für den Beginn der Ausschlussfrist ist für die vorliegend beanstandeten Verordnungen des Jahres 2000 also der 1. Januar 2001, das Ende der Ausschlussfrist ist der 31. Dezember 2004. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 14. Dezember 2005 ist da-nach verfristet.
Kein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn man davon ausgeht, dass die dem Regress zu Grunde liegenden Ersatzansprüche der durch den Beigeladenen zu 2) vertretenen BKKen der Verjäh-rung unterliegen (so für einen sonstigen Schaden wegen einer fehlgeschlagenen kieferorthopä-dischen Behandlung BSG, Urteil vom 28. August 1996, a.a.O.). Zwar hat das BSG in dem Ur-teil ausdrücklich offen gelassen, ob bei Schadenersatzansprüchen, die aus einer Verletzung kassen(zahn)ärztlicher Pflichten resultieren, die Verjährung wie bei anderen Ansprüchen aus dem Bereich des Sozialrechts (§ 45 Abs. 1 S. 1 SGB I; § 25 Abs. 1, § 27 Abs. 2 SGB IV, § 50 Abs. 4, § 113 SGB X) mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, oder wie heute im Allgemeinen bei Ansprüchen des Zivilrechts (§ 199 Abs. 1 BGB i.d.F. des SchuMoG) erst mit der Kenntnis des Ersatzberechtigten von dem eingetretenen Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen beginnt. Allerdings ist nach Auffassung der Kammer die Fra-ge nur im Sinne der ersten aufgezeigten Lösung zu beantworten. Zu berücksichtigen ist, dass den Regressansprüchen der Krankenkassen keine privatrechtlichen, sondern öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen des Sozialrechts zugrunde liegen, so dass der Rückgriff auf die spezielleren Regelungen des Sozialgesetzbuchs geboten ist. Zum anderen ist das Bedürfnis des Vertragsarztes an Rechtssicherheit im Fall von Regressen wegen einzelner Verordnungen gleich groß wie im Fall von sonstigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Verordnungsweise. Ein Auseinanderfallen von Ausschluss- und Verjährungsfrist ist nicht zu rechtfertigen. Auch sollte der Lauf der Verjährungs- und der Ausschlussfrist nicht von unterschiedlichen Voraussetzun-gen, insbesondere der Kenntnis der Anspruchsinhaber von Anspruch und Person des Schuld-ners, abhängig gemacht werden. Hierfür besteht auch kein Bedürfnis, weil Anspruchsinhaber die Krankenkassen, also Körperschaften des öffentlichen Rechts, sind. Diesen ist es mittels entsprechender Verwaltungsstrukturen möglich und zumutbar, etwaig bestehende Regressan-sprüche wegen unzulässiger Verordnungen innerhalb einer bereits laufenden vierjährigen Ver-jährungsfrist zu ermitteln und geltend zu machen. Dies gilt auch für den Fall einer parallel lau-fenden Richtgrößenprüfung.
Die Verjährungsfrist für die streitgegenständlichen Regressforderungen, die im Jahr 2000 ent-standen sind, begann also am 1. Januar 2001 zu laufen und endete am 31. Dezember 2004. Der Beschluss des Prüfungsausschusses vom 14. Dezember 2005 hat diese Frist nicht gewahrt. Die Klägerin hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist sind auch nicht unterbrochen worden. Eine rechtserhebliche Unterbrechung bzw. Hemmung kann lediglich durch Tatbestände der entsprechend anzuwen-denden §§ 203-206 BGB, insbesondere durch die Erhebung einer Untätigkeitsklage gem. § 88 SGG durch die Krankenkassen und der Zustellung des Beiladungsbeschlusses an den Vertrags-arzt, eintreten (vgl. BSG, Urteil vom 20. September 1995, -6 RKa 40/94-, BSGE 76, 285; hier zit. n. juris, Rn. 21 u. 24). Eine Untätigkeitsklage hat der Beigeladene zu 2) oder eine von ihm vertretene BKK nicht erhoben. Soweit die Antragstellung des Beigeladenen zu 2) auf Regress-festsetzung die Verjährung gem. § 204 Abs. Nr. 12 BGB überhaupt unterbrechen kann (offen gelassen in BSG, Urteil v. 28. August 1996, a.a.O., Rn. 18 f.), ist sie hier jedenfalls erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt, ebenso wie die Information der Klägerin über die Antrag-stellung. Für das Vorliegen sonstiger Hemmungstatbestände gem. §§ 203-206 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Vor allem zieht das vor den Prüfgremien parallel laufende Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise nach Richtgrößen keine Hemmung oder Unterbrechung nach sich. Denn dieses hinderte den Beigeladenen zu 2) nicht, Regresse wegen einzelner Verordnungen geltend zu machen und ihre Feststellung durch die Prüfgremien durchzusetzen. Schließlich spricht gegen eine Unterbrechung oder Hemmung, dass auch für die Richtgrößenprüfung eine eigenständige vierjährige Ausschlussfrist läuft. Die Richtgrößenprü-fung und die Prüfung eines sonstigen Schadens können sich nicht in der Weise gegenseitig be-einflussen, dass die eine Einfluss auf den Lauf der Ausschlussfrist der anderen hat. Dies würde dazu führen, dass die Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist insgesamt bis zu acht Jahre betragen könnte, was dem Sinn und Zweck der Frist – Rechtssicherheit, zügiges Prüfverfahren, zeitnahe Tatsachenermittlung, Vermeidung von Beweisproblemen – entgegenstünde und für den Ver-tragsarzt zu unzumutbar langen Prüfverfahren führen könnte.
Soweit zwischen den Beteiligten weitere Fragen im Streit stehen, insbesondere ob der Regress auch der Sache nach festgesetzt werden durfte, brauchte hierüber wegen der Verfristung nicht mehr entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO.
Tatbestand:
Streitig ist ein Regress wegen verschiedener einzelner Arzneimittelverordnungen, der anlässlich der Richtgrößenprüfung für das Jahr 2000 festgesetzt wurde.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis, die von den beiden Gesellschafterinnen Dr. E E und Dr. D B geführt wird und an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin teilnimmt. Beide Ge-sellschafterinnen sind Fachärztinnen für Innere Medizin, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Bereich der Dialyse, der Behandlung und Betreuung transplantierter Patienten und der Be-handlung von Bluthochdruckerkrankungen.
Mit Schreiben vom 5. November 2002 teilte die Geschäftsstelle der Prüfgremien bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin der Klägerin mit, dass ihre Verordnungsweise für das Jahr 2000 nach Richtgrößen von Amts wegen überprüft werde. Mit Stellungnahme vom 12. Januar 2003 teilte die Klägerin ihre Praxisbesonderheiten mit. Mit Schreiben vom 21. Februar 2005, eingegangen beim Prüfungsausschuss am 25. Februar 2005, beantragte der Beigeladene zu 2) für die Betriebskrankenkassen die Feststellung eines sonstigen Schadens wegen der Verord-nungen verschiedener Präparate in den Quartalen I bis IV/2000 in Höhe von insgesamt 10.470,14 DM (= 5.353,30 EUR) netto. Mit Schreiben vom 28. Juni 2005 teilte der Prüfungsausschuss der Klägerin mit, dass die Richtgrößenprüfung wegen Anträgen auf Feststellung sonsti-ger Schäden ausgesetzt worden sei. Zugleich übersandte der Prüfungsausschuss der Klägerin unter anderem den Antrag des Beigeladenen zu 2). Mit Schreiben vom 7. August 2005 gab die Klägerin eine medizinische Stellungnahme zu den beanstandeten Verordnungen ab. Nach einer Teilrücknahme des Antrags durch den Beigeladenen zu 2) mit Schreiben vom 22. September 2005 setzte der Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 14. Dezember 2005 (schriftliche Ausfertigung vom 22. Dezember 2005) eine Ersatzverpflichtung in Höhe von insgesamt 8.972,03 DM (= 4.587,33 EUR) fest. Am 5. Januar 2006 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein.
Mit Beschluss vom 10. April 2007 (schriftliche Fassung vom 11. Juli 2007) reduzierte der Beklagte den Regress auf 3.981,29 EUR, weil einige der vom Prüfungsausschuss beanstandeten Präparate doch zu Lasten der vom Beigeladenen zu 2) vertretenen Krankenkassen verordnungsfä-hig gewesen seien. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die beanstandeten Arzneimittelverordnungen hätten nicht zu Lasten der Krankenkassen vorgenommen werden dürfen.
Hiergegen richtet sich die am 13. August 2007 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klä-gerin im Wesentlichen vorträgt: Die Entscheidung des Prüfungsausschusses sei verspätet. Es werde die Einrede der Verjährung erhoben. Im Übrigen werde insbesondere auf die Stellungnahme aus dem Verwaltungsverfahren vom 7. August 2005 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom 10. April 2007 (schriftlicher Bescheid vom 11. Juli 2007) bezüglich der Feststellung eines sonstigen Schadens auf Antrag des Beigeladenen zu 2) aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die Klage hat sich zunächst gegen weitere Regressbeschlüsse des Beklagten vom 10. April 2007 gerichtet. Mit Beschluss vom 5. November 2007 hat die Kammer das vorliegende Ver-fahren zur gesonderten Entscheidung von den anderen Verfahren abgetrennt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten, der nach stän-diger Rechtsprechung des BSG (vgl. z. B. BSG, SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22; Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 95, Rn. 2b) alleiniger Gegenstand der Klage wird, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die Regressforderung ist § 14 Abs. 1 der "Vereinbarung zwischen der KV Berlin und den Verbänden der Krankenkassen über das Verfahren zur Überwachung und Prü-fung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse bei der Kassenärzt-lichen Vereinigung Berlin (§ 106 SGB V)" vom 10. Januar 1994 (im Folgenden: PrüfV 1994). § 24 der Prüfvereinbarung vom 20. Juni 2003 (PrüfV 2003) ist auf den vorliegenden Sachver-halt des Jahres 2000 nicht anwendbar. Die rückwirkende Anwendung der erst im August 2003 im KV-Blatt veröffentlichten Prüfvereinbarung 2003 verstößt gegen das Rückwirkungsverbot. Rechtsgrundlage für die Vereinbarung des Prüfverfahrens zur Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 24 PrüfV 2003 ist § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V in der Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000. Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereini-gungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Die Vereinbarung liegt folglich im Ermessen der Vertragspartner. Somit treffen sie nicht nur Verfahrensregelungen zur Ausgestaltung über den Ablauf einer gesetzlich gefor-derten Prüfung, sondern schaffen erst eine Rechtsgrundlage für die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall und die Festsetzung entsprechender Regresse. Die damit verbundenen materiell-rechtlichen Wirkungen können nur in Ausnahmefällen auf abgeschlossene, in der Vergangen-heit liegende Sachverhalte erstreckt werden. Hierfür besteht vorliegend jedoch kein Bedarf, weil zum Verordnungszeitpunkt im Jahr 2000 mit § 14 PrüfV 1994 eine Rechtsgrundlage zur Durchführung der streitgegenständlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung bestand.
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 PrüfV 1994 entscheidet der Prüfungsausschuss auf Antrag einer Kran-kenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei der Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat.
Die dem Bescheid des Beklagten zugrunde liegende Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 14. Dezember 2005 hätte jedoch nicht mehr ergehen dürfen. Zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzung der Regresse wegen der Unzulässigkeit der Verordnungen einzelner Präparate zu Lasten der Beigeladenen zu 2) verfristet und wegen Zeitablaufs unzulässig.
Dabei kann offen bleiben, ob für die Feststellung eines sonstigen Schadens auf Grundlage der Wirtschaftlichkeitsprüfung gem. § 106 SGB V ebenso wie für die anderen Prüfverfahren eine Ausschlussfrist von vier Jahren, innerhalb derer das Prüfverfahren abzuschließen ist, läuft (BSG, Urteil v. 16. Juni 1993, -14a/6 RKa 37/91-, BSGE 72, 271, 277), oder ob die zugrunde liegende Regressforderung der Beigeladenen zu 2) der Verjährung innerhalb von vier Jahren unterliegt (BSG, Urteil vom 28. August 1996, -6 RKa 88/95-). Beide Ansätze führen zum glei-chen Ergebnis.
Für die Annahme einer Ausschlussfrist für die Ausübung des Prüfungsrechts nach dem Urteil des BSG vom 16. Juni 1993, a.a.O., spricht insbesondere, dass der vorliegende Regress der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V unterfällt (BSG, Urteil vom 14. März 2001, -B 6 KA 19/00 R-, zit. n. juris). Die Ausschlussfrist für die Festsetzung eines Regresses wegen ein-zelner Verordnungen beginnt entweder mit dem Datum der jeweiligen Verordnung oder mit Ablauf des Quartals, in dem die Verordnung ausgestellt wurde (Hartmannsgruber, "Die Aus-schlussfrist im Vertragsarztrecht – Eine Bestandsaufnahme", ZMGR 2008, 124, 128), oder a-ber mit Beginn des auf die Verordnung folgenden Jahres. Für die Annahme des Beginns der Ausschlussfrist am Beginn des auf das Jahr der Verordnung folgenden Jahres spricht insbeson-dere die einfache Bestimmung des Zeitpunkts und der damit einhergehende Gewinn an Rechts-sicherheit. Ebenso läuft in diesen Fällen die Ausschlussfrist parallel zur Ausschlussfrist der Prüfung der Verordnungsweise nach Richtgrößen (vgl. Urteile der Kammer vom heutigen Ta-ge, u.a. -S 83 KA 74/07-, -S 83 KA 314/07-, -S 83 KA 384/07- und -S 83 KA 433/07-). Auch die gesetzgeberische Wertung, wie sie in § 106 Abs. 2 S. 6 SGB V i.d.F. des GKV-WSG zum Ausdruck kommt, wonach die Regressfestsetzung innerhalb einer (nunmehr zweijährigen) Frist nach Ende des geprüften Zeitraums (regelmäßig ein volles Jahr) erfolgen muss, stützt diese Lö-sung. Schließlich wird eine Parallele zu § 45 Abs. 1 SGB I hergestellt, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, zu verjähren be-ginnen.
Spätester Zeitpunkt für den Beginn der Ausschlussfrist ist für die vorliegend beanstandeten Verordnungen des Jahres 2000 also der 1. Januar 2001, das Ende der Ausschlussfrist ist der 31. Dezember 2004. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 14. Dezember 2005 ist da-nach verfristet.
Kein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn man davon ausgeht, dass die dem Regress zu Grunde liegenden Ersatzansprüche der durch den Beigeladenen zu 2) vertretenen BKKen der Verjäh-rung unterliegen (so für einen sonstigen Schaden wegen einer fehlgeschlagenen kieferorthopä-dischen Behandlung BSG, Urteil vom 28. August 1996, a.a.O.). Zwar hat das BSG in dem Ur-teil ausdrücklich offen gelassen, ob bei Schadenersatzansprüchen, die aus einer Verletzung kassen(zahn)ärztlicher Pflichten resultieren, die Verjährung wie bei anderen Ansprüchen aus dem Bereich des Sozialrechts (§ 45 Abs. 1 S. 1 SGB I; § 25 Abs. 1, § 27 Abs. 2 SGB IV, § 50 Abs. 4, § 113 SGB X) mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, oder wie heute im Allgemeinen bei Ansprüchen des Zivilrechts (§ 199 Abs. 1 BGB i.d.F. des SchuMoG) erst mit der Kenntnis des Ersatzberechtigten von dem eingetretenen Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen beginnt. Allerdings ist nach Auffassung der Kammer die Fra-ge nur im Sinne der ersten aufgezeigten Lösung zu beantworten. Zu berücksichtigen ist, dass den Regressansprüchen der Krankenkassen keine privatrechtlichen, sondern öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen des Sozialrechts zugrunde liegen, so dass der Rückgriff auf die spezielleren Regelungen des Sozialgesetzbuchs geboten ist. Zum anderen ist das Bedürfnis des Vertragsarztes an Rechtssicherheit im Fall von Regressen wegen einzelner Verordnungen gleich groß wie im Fall von sonstigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Verordnungsweise. Ein Auseinanderfallen von Ausschluss- und Verjährungsfrist ist nicht zu rechtfertigen. Auch sollte der Lauf der Verjährungs- und der Ausschlussfrist nicht von unterschiedlichen Voraussetzun-gen, insbesondere der Kenntnis der Anspruchsinhaber von Anspruch und Person des Schuld-ners, abhängig gemacht werden. Hierfür besteht auch kein Bedürfnis, weil Anspruchsinhaber die Krankenkassen, also Körperschaften des öffentlichen Rechts, sind. Diesen ist es mittels entsprechender Verwaltungsstrukturen möglich und zumutbar, etwaig bestehende Regressan-sprüche wegen unzulässiger Verordnungen innerhalb einer bereits laufenden vierjährigen Ver-jährungsfrist zu ermitteln und geltend zu machen. Dies gilt auch für den Fall einer parallel lau-fenden Richtgrößenprüfung.
Die Verjährungsfrist für die streitgegenständlichen Regressforderungen, die im Jahr 2000 ent-standen sind, begann also am 1. Januar 2001 zu laufen und endete am 31. Dezember 2004. Der Beschluss des Prüfungsausschusses vom 14. Dezember 2005 hat diese Frist nicht gewahrt. Die Klägerin hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist sind auch nicht unterbrochen worden. Eine rechtserhebliche Unterbrechung bzw. Hemmung kann lediglich durch Tatbestände der entsprechend anzuwen-denden §§ 203-206 BGB, insbesondere durch die Erhebung einer Untätigkeitsklage gem. § 88 SGG durch die Krankenkassen und der Zustellung des Beiladungsbeschlusses an den Vertrags-arzt, eintreten (vgl. BSG, Urteil vom 20. September 1995, -6 RKa 40/94-, BSGE 76, 285; hier zit. n. juris, Rn. 21 u. 24). Eine Untätigkeitsklage hat der Beigeladene zu 2) oder eine von ihm vertretene BKK nicht erhoben. Soweit die Antragstellung des Beigeladenen zu 2) auf Regress-festsetzung die Verjährung gem. § 204 Abs. Nr. 12 BGB überhaupt unterbrechen kann (offen gelassen in BSG, Urteil v. 28. August 1996, a.a.O., Rn. 18 f.), ist sie hier jedenfalls erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt, ebenso wie die Information der Klägerin über die Antrag-stellung. Für das Vorliegen sonstiger Hemmungstatbestände gem. §§ 203-206 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Vor allem zieht das vor den Prüfgremien parallel laufende Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise nach Richtgrößen keine Hemmung oder Unterbrechung nach sich. Denn dieses hinderte den Beigeladenen zu 2) nicht, Regresse wegen einzelner Verordnungen geltend zu machen und ihre Feststellung durch die Prüfgremien durchzusetzen. Schließlich spricht gegen eine Unterbrechung oder Hemmung, dass auch für die Richtgrößenprüfung eine eigenständige vierjährige Ausschlussfrist läuft. Die Richtgrößenprü-fung und die Prüfung eines sonstigen Schadens können sich nicht in der Weise gegenseitig be-einflussen, dass die eine Einfluss auf den Lauf der Ausschlussfrist der anderen hat. Dies würde dazu führen, dass die Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist insgesamt bis zu acht Jahre betragen könnte, was dem Sinn und Zweck der Frist – Rechtssicherheit, zügiges Prüfverfahren, zeitnahe Tatsachenermittlung, Vermeidung von Beweisproblemen – entgegenstünde und für den Ver-tragsarzt zu unzumutbar langen Prüfverfahren führen könnte.
Soweit zwischen den Beteiligten weitere Fragen im Streit stehen, insbesondere ob der Regress auch der Sache nach festgesetzt werden durfte, brauchte hierüber wegen der Verfristung nicht mehr entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO.
Rechtskraft
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