Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
123
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 123 AS 14752/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bewilligungsbescheid vom 30. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 wird abgeändert. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen ihrer Mutter zu gewähren. 2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), sog. Arbeitslosengeld II (Alg II).
Die 1984 geborene Klägerin beantragte Ende Mai 2005 beim Beklagten die Bewilligung von Alg II. Sie war zu diesem Zeitpunkt schwanger und lebte gemeinsam mit ihrer Mutter in deren Wohnung. Ihr wurden mit Bewilligungsbescheid vom 30.06.2005 Alg II in folgender Höhe gewährt: 26.05.2005 bis 31.05.2005: 58,64 EUR 01.06.2005 bis 31.10.2005: 160,74 EUR 01.11.2005 bis 30.11.2005: 156,81 EUR. Dabei setzte der Beklagte als Gesamtbedarf den Betrag von 607,73 EUR für die Zeit Mai bis einschließlich Oktober 2005 und 603,80 EUR im Monat November 2005 an und rechnete der Klägerin als Einkommen aus Unterhalt 446,99 EUR monatlich an. Zur Unterhaltsanrechnung gab er an, die Unterhaltsprüfung gegenüber der Mutter habe für den Monat Mai 2005 eine Unterhaltsanrechnung von 62,90 EUR und im Juni 2005 von 446,99 EUR ergeben.
Ende Juli 2005 legte die Klägerin gegen den Bewilligungsbescheid Widerspruch ein. Zur Begründung berief sie sich auf die Vorschrift des § 9 Abs. 3 SGB II.
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2005 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Er führte zur Begründung aus: Die Klägerin lebe mit ihrer Mutter in einer Haushaltsgemeinschaft, so dass nach der gesetzlichen Vermutung ihr Leistungen der Mutter angerechnet werden dürften, soweit das nach der Einkommens- und Vermögenslage der Mutter erwartet werden könne (§ 9 Abs. 5 SGB II). Diese gesetzliche Vermutung sei von der Klägerin nicht widerlegt worden. Die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens der Mutter führe unter Berücksichtigung der Absetzungs- und Freibeträge zu den angerechneten Unterhaltsbeträgen. Die Regelung des § 9 Abs. 3 SGB II a. F. sei auf die Klägerin nicht anwendbar, da davon nur minderjährige Kinder umfasst seien.
Die Klägerin zog zum 01. September 2005, als sie noch schwanger war, aus der Wohnung ihrer Mutter aus. Daraufhin erließ der Beklagte den Änderungsbescheid vom 19.09.2005, in dem der Klägerin ab dem 01. September 2005 kein Unterhaltseinkommen mehr angerechnet wurde.
Am 27. Oktober 2005 hat die Klägerin Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie verweist zur Klagebegründung insbesondere darauf, dass ihre Mutter aufgrund eigener Zahlungsverpflichtungen nicht in der Lage gewesen sei, sie finanziell zu unterstützen. Die gesetzliche Unterhaltsvermutung sei widerlegt. Es sei zu berücksichtigen, dass sie volljährig sei und eine eigene Familie habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen der Mutter zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich im Wesentlichen auf seine Begründung im Verwaltungsverfahren. Ferner wendet er ein, dass die geltend gemachten Aufwendungen der Mutter für die Altersvorsorge nicht in voller Höhe anzuerkennen seien. Es greife hier die bürgerlich-rechtliche Unterhaltsverpflichtung, auf der die grundsicherungsrechtliche Unterhaltsvermutung beruhe.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Gerichtsakten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bewilligungsbescheid vom 30. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2005 ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben, als der Klägerin für den Zeitraum 26. Mai 2005 bis 31. August 2005 Unterhaltsleistungen ihrer Mutter als Einkommen angerechnet wurden. Denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Alg II ohne Anrechnung von Unterhaltseinkommen.
Nach § 7 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, wenn sie: 1. das 15., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung (a. F.), die für den streitgegenständlichen Zeitraum zur Anwendung kommt, sind bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen. § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II a. F. ist allerdings nicht anwendbar, wenn das Kind schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut (§ 9 Abs. 3 SGB II a. F.). Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.
Der Beklagte hat hier zutreffend erkannt, dass eine Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 SGB II in der bis zum 31.03.2006 geltenden Fassung (a. F.) zwischen der bereits damals volljährigen Klägerin und ihrer Mutter nicht bestand, so dass eine Einkommensanrechnung nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II a. F. ausgeschlossen war. Fehlerhaft geht er allerdings davon aus, dass eine Einkommensanrechnung nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. zulässig ist.
Ungeachtet der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob und inwieweit die Leistungsfähigkeit der Mutter der Klägerin gegeben war bzw. die gesetzliche Unterhaltsvermutung widerlegt worden ist, kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass § 9 Abs. 5 SGB II a. F. vorliegend nicht anwendbar ist.
Der Anwendbarkeit des § 9 Abs. 5 SGB II a. F. steht die Vorschrift des § 9 Abs. 3 SGB II a. F. entgegen, die hier analog anzuwenden ist (vgl. Brühl in: Münder, SGB II, Kommentar, 1. Aufl., § 9 Rn. 54; Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 1. Aufl., § 9 Rn. 43). Es besteht hier offensichtlich eine planwidrige Regelungslücke, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber volljährige Schwangere und Mütter mit Kleinkindern im Rahmen der Haushaltsgemeinschaft des § 9 Abs. 5 SGB II a. F. schlechter stellen wollte als minderjährige Schwangere oder Mütter, die eine Bedarfsgemeinschaft mit Eltern oder Elternteilen gebildet haben. Nur in letzterem Fall würde nach dem Gesetzeswortlaut die Privilegierung des § 9 Abs. 3 SGB II a. F. gelten.
Auch eine vergleichbare Interessenlage zwischen den jeweiligen Situationen ist nach Überzeugung der Kammer ohne weiteres festzustellen. Der Sinn und Zweck der Regelung des § 9 Abs. 3 a. F. SGB II besteht darin, die Hilfedürftige bei ihrer Entscheidung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch vor finanziellem Druck zu schützen, der dadurch entsteht, dass die Schwangere oder Erziehende den Unterhalt für ihr Kind nicht selbst aufbringen kann. Dieser Gesetzeszweck gilt gleichermaßen, wenn eine volljährige Schwangere betroffen ist und die Zurechnung von Einkommen und Vermögen zwar nicht nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II a. F., aber nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. erfolgt (Mecke in: Eicher/Spellbrink, a. a. O.). Dass es dem Willen des Gesetzesgebers und damit dem Sinn der Privilegierung in § 9 Abs. 3 SGB II a. F. entspricht, Schwangere unabhängig von ihrem Alter auch im Rahmen der Einkommensanrechnung in einer Haushaltsgemeinschaft zu schützen, spiegelt sich auch in § 36 Satz 3 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wider (Brühl, in: Münder, a. a. O.). Dort hat der Gesetzgeber unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass damit eine Gesetzeslücke geschlossen wird (BT-Dr. 15/1514,61), die Vermutung der Bedarfsdeckung in einer Haushaltsgemeinschaft in der Sozialhilfe ausgeschlossen, wenn die Hilfebedürftige schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zum sechsten Lebensjahr betreut und mit ihren Eltern oder einem Elternteil zusammenlebt. Es sind keine sachlichen Gründe dafür gegeben, Hilfebedürftige nach dem SGB II gegenüber Leistungsempfängern nach dem SGB XII insoweit schlechter zu stellen.
Ein Wertungswiderspruch ergibt sich bei Anwendung des § 9 Abs. 5 SGB II a. F. in diesen Fällen auch im Hinblick auf die Regelung des § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F ... Danach darf der Übergang eines Unterhaltsanspruchs nach bürgerlichem Recht nicht bewirkt werden, wenn die unterhaltsberechtigte Person in einem Kindschaftsverhältnis zum Verpflichteten steht und schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres betreut. Der Beklagte hätte also über das Mittel des Anspruchsübergangs nach § 33 SGB II nicht die Mutter der Klägerin als Unterhaltsverpflichtete in Anspruch nehmen können, weil die Vorschrift des § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F. dies nicht zulässt. Diese Wertung des Gesetzgebers darf vom Beklagten nicht dadurch umgangen werden, dass er über § 9 Abs. 5 SGB II a. F. quasi durch die Hintertür eine Unterhaltsanrechnung vornimmt.
Schließlich lässt sich im Wege eines Erst-Recht-Schlusses dahingehend argumentieren, dass die Privilegierung für den Personenkreis nach § 9 Abs. 3 a. F. auch in einer Haushaltsgemeinschaft gelten muss, wenn sie schon innerhalb einer Bedarfgemeinschaft greift. Denn der Zusammenhalt und die Solidarität der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind regelmäßig wesentlich höher als innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II, bei der lediglich eine widerlegliche Unterhaltsvermutung besteht. Wieso in diesem Punkt die Mittelzurechnung zwischen den Mitgliedern einer Haushaltsgemeinschaft weiter reichen soll als bei einer Bedarfsgemeinschaft, ist daher nicht verständlich.
Somit kommt eine Einkommensanrechnung bei der Klägerin nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. mangels Anwendbarkeit dieser Norm nicht in Betracht. Selbst wenn man aber die Regelung vorliegend für anwendbar hält, dürfte die Unterhaltsvermutung zur Überzeugung der Kammer widerlegt sein. Denn die Klägerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihre Mutter mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht in der Lage war, ihr Unterhaltsleistungen zu gewähren.
Nach alledem war der Klage stattzugeben und die angefochtenen Bescheide abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), sog. Arbeitslosengeld II (Alg II).
Die 1984 geborene Klägerin beantragte Ende Mai 2005 beim Beklagten die Bewilligung von Alg II. Sie war zu diesem Zeitpunkt schwanger und lebte gemeinsam mit ihrer Mutter in deren Wohnung. Ihr wurden mit Bewilligungsbescheid vom 30.06.2005 Alg II in folgender Höhe gewährt: 26.05.2005 bis 31.05.2005: 58,64 EUR 01.06.2005 bis 31.10.2005: 160,74 EUR 01.11.2005 bis 30.11.2005: 156,81 EUR. Dabei setzte der Beklagte als Gesamtbedarf den Betrag von 607,73 EUR für die Zeit Mai bis einschließlich Oktober 2005 und 603,80 EUR im Monat November 2005 an und rechnete der Klägerin als Einkommen aus Unterhalt 446,99 EUR monatlich an. Zur Unterhaltsanrechnung gab er an, die Unterhaltsprüfung gegenüber der Mutter habe für den Monat Mai 2005 eine Unterhaltsanrechnung von 62,90 EUR und im Juni 2005 von 446,99 EUR ergeben.
Ende Juli 2005 legte die Klägerin gegen den Bewilligungsbescheid Widerspruch ein. Zur Begründung berief sie sich auf die Vorschrift des § 9 Abs. 3 SGB II.
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2005 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Er führte zur Begründung aus: Die Klägerin lebe mit ihrer Mutter in einer Haushaltsgemeinschaft, so dass nach der gesetzlichen Vermutung ihr Leistungen der Mutter angerechnet werden dürften, soweit das nach der Einkommens- und Vermögenslage der Mutter erwartet werden könne (§ 9 Abs. 5 SGB II). Diese gesetzliche Vermutung sei von der Klägerin nicht widerlegt worden. Die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens der Mutter führe unter Berücksichtigung der Absetzungs- und Freibeträge zu den angerechneten Unterhaltsbeträgen. Die Regelung des § 9 Abs. 3 SGB II a. F. sei auf die Klägerin nicht anwendbar, da davon nur minderjährige Kinder umfasst seien.
Die Klägerin zog zum 01. September 2005, als sie noch schwanger war, aus der Wohnung ihrer Mutter aus. Daraufhin erließ der Beklagte den Änderungsbescheid vom 19.09.2005, in dem der Klägerin ab dem 01. September 2005 kein Unterhaltseinkommen mehr angerechnet wurde.
Am 27. Oktober 2005 hat die Klägerin Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie verweist zur Klagebegründung insbesondere darauf, dass ihre Mutter aufgrund eigener Zahlungsverpflichtungen nicht in der Lage gewesen sei, sie finanziell zu unterstützen. Die gesetzliche Unterhaltsvermutung sei widerlegt. Es sei zu berücksichtigen, dass sie volljährig sei und eine eigene Familie habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen der Mutter zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich im Wesentlichen auf seine Begründung im Verwaltungsverfahren. Ferner wendet er ein, dass die geltend gemachten Aufwendungen der Mutter für die Altersvorsorge nicht in voller Höhe anzuerkennen seien. Es greife hier die bürgerlich-rechtliche Unterhaltsverpflichtung, auf der die grundsicherungsrechtliche Unterhaltsvermutung beruhe.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Gerichtsakten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bewilligungsbescheid vom 30. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2005 ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben, als der Klägerin für den Zeitraum 26. Mai 2005 bis 31. August 2005 Unterhaltsleistungen ihrer Mutter als Einkommen angerechnet wurden. Denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Alg II ohne Anrechnung von Unterhaltseinkommen.
Nach § 7 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, wenn sie: 1. das 15., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung (a. F.), die für den streitgegenständlichen Zeitraum zur Anwendung kommt, sind bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen. § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II a. F. ist allerdings nicht anwendbar, wenn das Kind schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut (§ 9 Abs. 3 SGB II a. F.). Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.
Der Beklagte hat hier zutreffend erkannt, dass eine Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 SGB II in der bis zum 31.03.2006 geltenden Fassung (a. F.) zwischen der bereits damals volljährigen Klägerin und ihrer Mutter nicht bestand, so dass eine Einkommensanrechnung nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II a. F. ausgeschlossen war. Fehlerhaft geht er allerdings davon aus, dass eine Einkommensanrechnung nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. zulässig ist.
Ungeachtet der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob und inwieweit die Leistungsfähigkeit der Mutter der Klägerin gegeben war bzw. die gesetzliche Unterhaltsvermutung widerlegt worden ist, kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass § 9 Abs. 5 SGB II a. F. vorliegend nicht anwendbar ist.
Der Anwendbarkeit des § 9 Abs. 5 SGB II a. F. steht die Vorschrift des § 9 Abs. 3 SGB II a. F. entgegen, die hier analog anzuwenden ist (vgl. Brühl in: Münder, SGB II, Kommentar, 1. Aufl., § 9 Rn. 54; Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 1. Aufl., § 9 Rn. 43). Es besteht hier offensichtlich eine planwidrige Regelungslücke, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber volljährige Schwangere und Mütter mit Kleinkindern im Rahmen der Haushaltsgemeinschaft des § 9 Abs. 5 SGB II a. F. schlechter stellen wollte als minderjährige Schwangere oder Mütter, die eine Bedarfsgemeinschaft mit Eltern oder Elternteilen gebildet haben. Nur in letzterem Fall würde nach dem Gesetzeswortlaut die Privilegierung des § 9 Abs. 3 SGB II a. F. gelten.
Auch eine vergleichbare Interessenlage zwischen den jeweiligen Situationen ist nach Überzeugung der Kammer ohne weiteres festzustellen. Der Sinn und Zweck der Regelung des § 9 Abs. 3 a. F. SGB II besteht darin, die Hilfedürftige bei ihrer Entscheidung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch vor finanziellem Druck zu schützen, der dadurch entsteht, dass die Schwangere oder Erziehende den Unterhalt für ihr Kind nicht selbst aufbringen kann. Dieser Gesetzeszweck gilt gleichermaßen, wenn eine volljährige Schwangere betroffen ist und die Zurechnung von Einkommen und Vermögen zwar nicht nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II a. F., aber nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. erfolgt (Mecke in: Eicher/Spellbrink, a. a. O.). Dass es dem Willen des Gesetzesgebers und damit dem Sinn der Privilegierung in § 9 Abs. 3 SGB II a. F. entspricht, Schwangere unabhängig von ihrem Alter auch im Rahmen der Einkommensanrechnung in einer Haushaltsgemeinschaft zu schützen, spiegelt sich auch in § 36 Satz 3 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wider (Brühl, in: Münder, a. a. O.). Dort hat der Gesetzgeber unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass damit eine Gesetzeslücke geschlossen wird (BT-Dr. 15/1514,61), die Vermutung der Bedarfsdeckung in einer Haushaltsgemeinschaft in der Sozialhilfe ausgeschlossen, wenn die Hilfebedürftige schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zum sechsten Lebensjahr betreut und mit ihren Eltern oder einem Elternteil zusammenlebt. Es sind keine sachlichen Gründe dafür gegeben, Hilfebedürftige nach dem SGB II gegenüber Leistungsempfängern nach dem SGB XII insoweit schlechter zu stellen.
Ein Wertungswiderspruch ergibt sich bei Anwendung des § 9 Abs. 5 SGB II a. F. in diesen Fällen auch im Hinblick auf die Regelung des § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F ... Danach darf der Übergang eines Unterhaltsanspruchs nach bürgerlichem Recht nicht bewirkt werden, wenn die unterhaltsberechtigte Person in einem Kindschaftsverhältnis zum Verpflichteten steht und schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres betreut. Der Beklagte hätte also über das Mittel des Anspruchsübergangs nach § 33 SGB II nicht die Mutter der Klägerin als Unterhaltsverpflichtete in Anspruch nehmen können, weil die Vorschrift des § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F. dies nicht zulässt. Diese Wertung des Gesetzgebers darf vom Beklagten nicht dadurch umgangen werden, dass er über § 9 Abs. 5 SGB II a. F. quasi durch die Hintertür eine Unterhaltsanrechnung vornimmt.
Schließlich lässt sich im Wege eines Erst-Recht-Schlusses dahingehend argumentieren, dass die Privilegierung für den Personenkreis nach § 9 Abs. 3 a. F. auch in einer Haushaltsgemeinschaft gelten muss, wenn sie schon innerhalb einer Bedarfgemeinschaft greift. Denn der Zusammenhalt und die Solidarität der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind regelmäßig wesentlich höher als innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II, bei der lediglich eine widerlegliche Unterhaltsvermutung besteht. Wieso in diesem Punkt die Mittelzurechnung zwischen den Mitgliedern einer Haushaltsgemeinschaft weiter reichen soll als bei einer Bedarfsgemeinschaft, ist daher nicht verständlich.
Somit kommt eine Einkommensanrechnung bei der Klägerin nach § 9 Abs. 5 SGB II a. F. mangels Anwendbarkeit dieser Norm nicht in Betracht. Selbst wenn man aber die Regelung vorliegend für anwendbar hält, dürfte die Unterhaltsvermutung zur Überzeugung der Kammer widerlegt sein. Denn die Klägerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihre Mutter mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht in der Lage war, ihr Unterhaltsleistungen zu gewähren.
Nach alledem war der Klage stattzugeben und die angefochtenen Bescheide abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
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