L 5 V 169/74

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 169/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Auch die Volksdeutsche Witwe, die in einem Staat wohnt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, kann nur Anspruch auf Teilversorgung geltend machen.
2) § 64 c Abs. 1 BVG enthält unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „besondere Gründe” Tatbestände, die mit der geltenden Rechtsordnung im Einklang stehen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 29. Januar 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1915 geborene im s. Landesteil J. wohnhafte Klägerin deutscher Volkszugehörigkeit ist die Witwe des am 9. Mai 1945 von jugoslawischen Partisanen verschleppten und für einen vor dem 2. Juli 1945 liegenden Zeitpunkt amtlich für tot erklärten ehemaligen deutschen Volkszugehörigen J. L. Ihm war als Mitglied des Steirischen Heimatbundes in der durch Annektierung dem damaligen Deutschen Reich eingegliederten Untersteiermark die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen worden.

In ihrem im Mai/Oktober 1970 beim Versorgungsamt Fulda gestellten Antrag auf Hinterbliebenenrente gab die Klägerin an, nicht erwerbsunfähig zu sein und als Angestellte monatlich 70.000,– bis 80.000,– alte Dinar zu verdienen.

Nach Beiziehung der erforderlichen Unterlagen gewährte das Versorgungsamt durch Bescheid vom 13. März 1972 ab 1. März 1971 Leistungen im Ermessenswege nach § 64 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) von 50,– DM monatlich.

Im Widerspruchsverfahren begehrte die Klägerin Versorgung als deutsche Staatsbürgerin und Volksdeutsche nach Abs. 1 dieser Vorschrift, worauf der den angefochtenen Bescheid bestätigende Widerspruchsbescheid vom 28. September 1972 auf § 64 Abs. 1, letzter Halbsatz BVG und die daraus resultierenden in den sogenannten Richtlinien (Ost) verankerten Beschränkungen hinwies.

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Frankfurt/Main mit Urteil vom 29. Januar 1974 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen und auf die ab 1. Januar 1972 geltende Neufassung des § 64 e Abs. 1 BVG Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 21. Februar 1974 zugestellt worden ist, richtet sich ihre am 28. Februar 1974 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung stellt sie dem Nominalwert ihres Einkommens den Realwert gegenüber und ist der Auflassung, daß ihr auch gemäß § 64 e Abs. 1 BVG volle Versorgung zustehe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 29. Januar 1974 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 30. März 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1972 abzuändern.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die vom Bundessozialgericht (BSG) als rechtsgültig bestätigten Richtlinien (Ost).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Witwenakten des Versorgungsamts Fulda mit der Archiv-Nr. xxxxx haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). In der Sache hatte sie keinen Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 30. März 1972 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig.

Rechtsgrundlage ist vorliegend § 64 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 BVG, da die Klägerin in einem Staat wohnt, mit dem diplomatische Beziehungen bestehen und weil sie als deutsche Volkszugehörige Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung geltend gemacht hat. Wenn der angefochtene Bescheid vom 30. März 1971 sich formularmäßig nur auf § 64 Abs. 2 BVG gestützt hat, muß das zumindest als unvollständig und im vorliegenden Fall sogar als irreführend bezeichnet werden. Tatsächlich hat sich die Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung denn auch sofort darauf berufen, daß in ihrer Person die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 BVG erfüllt seien. Dabei hat sie nun aber nicht bedacht, daß diese Vorschrift im letzten Halbsatz eine Einschränkung dahin enthält, deutsche Volkszugehörige erhielten Versorgung wie Berechtigte im Geltungsbereich des BVG, soweit die §§ 64 a bis 64 f nichts Abweichendes bestimmten.

Im vorliegenden Falle sind Abweichungen vorhanden und rechtlich zulässig, so daß letzten Endes doch nur eine Leistung im Ermessenswege und keine solche als Rechtsanspruch zusteht. Denn § 64 e Abs. 1 BVG in der Fassung des 3. Neuordnungsgesetzes (NOG) stellt Leistungen an in ausländischen Staaten wohnhafte Kriegsopfer unter die weitere Voraussetzung, daß keine besonderen Gründe entgegenstehen dürfen. Deren Begriff hat § 64 e Abs. 1 unter den Buchstaben a bis c in der ab 1. Januar 1972 geltenden Fassung im einzelnen erläutert. Danach sind besondere Gründe zur Zahlung von Teilversorgung im allgemeinen gegeben, wenn die Leistungen des fremden Staates für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene oder entsprechende Sozialleistungen die Leistungen nach dem BVG oder wenn das Durchschnittseinkommen der gewerblichen Arbeitnehmer des Aufenthaltsstaates das Durchschnittseinkommen gewerblicher Arbeitnehmer im Geltungsbereich dieses Gesetzes nicht unerheblich unterschreiten, der fremde Staat die Rente nach dem BVG ganz oder teilweise auf eigene Renten anrechnet oder wenn zu besorgen ist, daß Kriegsopfern in einem Staat aus Gründen, welche sie nicht zu vertreten haben, auf Dauer keine Versorgung in dem in § 64 Abs. 1 bezeichneten Umfang gewährt werden kann.

In bezug auf diese Vorschriften ist der Senat ebenso wie das Sozialgericht der Auffassung, daß sie eine klare Definition geben, die auch schon für die Zeit vor dem 1. Januar 1972 Geltung hatte. Denn sie hält sich im Rahmen der sogenannten Richtlinien (Ost), welche das BSG u.a. in seinen Urteilen vom 10. Februar 1972 (BVBl. S. 68 Nr. 12) und vom 3. Mai 1972 (KOV 1973 Nr. 2099) als mit der geltenden Rechtsordnung in Einklang stehend bezeichnet hat. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Desgleichen verweist er auf seine Entscheidung in der Streitsache der Witwe K. (Urteil vom 15. August 1973, Az.: L-5/V-459/71 und 461/71). Den darin gemachten Ausführungen zu § 64 e Abs. 1 BVG ist nichts hinzufügen. Sie haben auch im vorliegenden Falle volle Gültigkeit. Dem Senat ist sowohl aus, der Sache K. als auch aus einer Anzahl anderer Streitsachen von Klägern jugoslawischer Staatsangehörigkeit bekannt, daß das allgemeine Durchschnittseinkommen der gewerblichem Arbeitnehmer in Jugoslawien dasjenige vergleichbarer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland erheblich unterschreitet. Hierüber waren Ermittlungen im einzelnen nicht anzustellen. Dieses generelle Einkommensmißverhältnis führt dazu, daß mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung lediglich eine Teilversorgung nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 Satz 2 bis einschließlich Satz 4 BVG in Verbindung mit § 64 e Abs. 1 BVG gewährt werden kann. Deshalb liegt doch wieder eine Ermessensleistung des Beklagten vor, die den erkennenden Senat nur berechtigt zu prüfen, ob ersterer die Grenzen seines Ermessens im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG verletzt hat. Hierfür ergeben sich indessen keine Anhaltspunkte. Der Beklagte ist nach dem Gesetz und dem einschlägigen Richtlinien (Ost) dem Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung verfahren und hat seine Leistungen unter Berücksichtigung der besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse Jugoslawiens sowie des Umstandes bewilligt, daß die Klägerin in konkreten Falle ein ausreichendes eigenes Arbeitseinkommen hat. Der Umfang der Teilversorgung ist hiernach erforderlich, aber auch genügend.

Dem Berufungsvorbringen der Klägerin in bezug auf eine Gegenüberstellung des einkommensmäßigen Nominalwertes und Realwertes konnte keine entscheidende rechtliche Bedeutung zukommen. Denn bei der Bemessung der Leistungen sind auch noch die Unterschiede in den staatspolitischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Sach- und Lebensverhältnissen der betreffenden Länder im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Dieser Komplex der besonderen Gründe wahrt gerade die berechtigten und wohlverstandenen Belange der Klägerin selbst. Es läßt sich einmal nicht ausschließen, daß der jugoslawische Staat ihre Rente nach dem BVG ganz oder teilweise auf eigene Renten anrechnen würde und es ist zum anderen Mal auch zu besorgen, daß ihr aus Gründen welche sie nicht zu vertreten hat, auf Dauer keine Versorgung in dem in § 64 Abs. 1 BVG bezeichneten Umfang gewährt werden könnte. Selbst wenn der Realwert des Einkommens gewerblicher Arbeitnehmer in Jugoslawien in der Tat nicht erheblich unter dem Realwert des entsprechenden Einkommens gewerblicher Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland liegen würde, was der Senat allerdings nur hypothetisch zu unterstellen vermag, würde sich deshalb am gefundenen Ergebnis nichts ändern. Das schließlich nicht, weil finanzielle und devisenwirtschaftliche Gesichtspunkte in Richtung auf die Haushaltslage des Bundes und die Anzahl der in Jugoslawien lebenden Versorgungsberechtigten von beträchtlicher Bedeutung sind. Sie dürfen auch aus Gründen der Gleichbehandlung durch Vollversorgung nicht unverhältnismäßig besser gestellt werden als jene in anderen Staaten des ost- und südosteuropäischen Raumes, zumal in z.Z. unter fremder Verwaltung stehenden ehemals deutschen Gebieten.

Hiernach war mit der aus § 193 SGG entnommenen Kostenfolge wie geschehen, zu entscheiden. Für die Zulassung der Revision gemäß § 160 SGG neuer Fassung bot die Streitsache keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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