L 2 KN 165/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 43/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 165/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.07.2008 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung von Erwerbsminderungsrente.

Der am 00.00.1965 in der Türkei geborene Kläger war ab 1982 in Deutschland im Bergbau tätig, zuletzt als Aufsichtshauer. Zum 31.12.2002 kehrte er ab und ist seitdem arbeitslos. In der Zeit vom 01.03.2004 bis zum 30.04.2005 bezog der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit.

Mit Bescheid vom 21.04.2006 lehnte die Beklagte eine darüber hinaus gehende Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab. Zur Begründung stützte sie sich auf ein psychiatrisches Gutachten des Oberarztes Z. Darin hieß es u.a., die Anamnese und Befunderhebung erinnere bei oberflächlicher Betrachtungsweise an eine mögliche Erkrankung aus dem Formenkreis der Psychosen. Jedoch sei sowohl die qualitative als auch die quantitative Symptomdarbietung keineswegs mit einer Psychose, welche er aus dem klinischen Alltag kenne, vereinbar. Insbesondere hätten sich in der psychopathologischen Befunderhebung keine wesentlichen pathologischen Besonderheiten, bis auf gewisse Stimmungsschwankungen, eine Klagsamkeit und Minderung der Schwingungsfähigkeit gefunden. Die formalen und inhaltlichen Denkabläufe seien bei objektiver Befrachtung komplett regelrecht. Daher sei die Diagnose einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Psychosen im Sinne einer paranoid-halluzinatorischen Psychose oder einer sonstigen wahnhaften Psychose nicht zu begründen. Es bestehe für körperlich bis zu mittelschwere Arbeiten ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Falls eine Arbeitsaufnahme innerhalb der nächsten Wochen bis Monate nicht erfolge, wäre eine tagesklinische oder vollstationäre psychiatrische Behandlung sinnvoll.

Die Beklagte stützte sich zudem auf ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Q von ihrem Sozialmedizinischen Dienst (SMD), der leichte und mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig für möglich erachtete.

Seinen Widerspruch stützte der Kläger auf ein Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Dr. N. Dieser führte aus, dass unabhängig von der diagnostischen Einordnung die Ausprägung der Störung als schwer einzuschätzen sei. Der Kläger sei im Affekt deutlich abgeflacht und in der Konzentration gemindert. Auch einer leichten Tätigkeit ohne geistige Beanspruchung sei der Kläger nicht ausreichend gewachsen. Vorgesehen sei jetzt eine tagesklinische Behandlung. Die Ergebnisse der tagesklinischen Behandlung sollten mitberücksichtigt werden.

Nachdem die tagesklinische Behandlung vom Kläger nicht durchgeführt wurde, wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2007 zurückgewiesen.

Mit seiner am 21.02.2007 erhobenen Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgt.

Er hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2007 zu verurteilen, ihm über den 30.04.2005 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer Entscheidung festgehalten.

Das Gericht hat Beweis erhoben und zunächst Befundberichte beigezogen von dem Praktischen Arzt Dr. U sowie Dr. N. Anschließend hat das Gericht ein chirurgisch-sozialmedizinisches Gutachten der Fachärztin für Chirurgie Dr. E vom 23.10.2007 sowie ein nervenärztliches Zusatzgutachten des Chefarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Q-stiftes F Prof. Dr. X vom 07.12.2007 und eine abschließende Stellungnahme von Dr. E vom 12.12.2007 eingeholt. Prof. Dr. X hat auf neurologischem Fachgebiet kein fokal-neurologisches Defizit und damit auch keine Gesundheitsstörung diagnostizieren können. Der Kläger leide an einer Somatisierungsstörung. Die vom Kläger angegebenen quasi-psychotischen Symptome seien als sogenannte pseudo-neurologische Symptome anzusehen und hätten eindeutigen Verdeutlichungscharakter. Sicher ausgeschlossen werden könne eine schizophrene oder schizoaffektive Störung. In der geschilderten Form seien die geklagten Beschwerden nicht vereinbar mit der traditionellen Psychopathologie. Die Untersuchung des Querschnittsbefundes und des Längsschnittbefundes habe ergeben, dass die Somatisierungsstörung beim Kläger nur leicht ausgeprägt sei; selten vorübergehend mittelschwer. Es könnten noch körperlich leichte Arbeiten ausgeführt werden. Lasten bis zu einem Gewicht von 15 kg könnten zumindest kurzfristig gehoben und getragen werden. Es bestehe ein Leistungsvermögen von täglich 6 Stunden und mehr unter betriebsüblichen Bedingungen. Die Gehfähigkeit des Klägers sei nicht eingeschränkt, und er sei in der Benutzung eines Kraftfahrzeuges nicht eingeschränkt. Die Sachverständige Dr. E hat beim Kläger zeitweilige Beschwerden und eine Minderbelastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates auf dem Boden wiederkehrender Wirbelsäulensyndrome und Gelenkveränderungen sowie ein metabolisches Syndrom mit Übergewichtigkeit, Stoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Störungen sowie Lungenveränderungen diagnostiziert. Unter Berücksichtigung dieser Leiden hat sie ausgeführt, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers auf ihrem Fachgebiet sicherlich dahingehend eingeschränkt sei, dass ständig und ausschließlich schwere Tätigkeiten nicht mehr durchgeführt werden könnten. Insbesondere sollten Tätigkeiten gemieden werden, die mit einer überwiegend einseitigen Körperhaltung, körperlichen Zwangshaltungen, Rumpfvorbeugehaltungen oder mit ständigen Überkopfarbeiten verbunden seien. Zusammengefasst bestehe jedoch durchaus Leistungsfähigkeit für eine vollschichtige leichte bis mittelschwere Tätigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen.

Mit Schriftsatz vom 15.01.2008 hat der Kläger beantragt, Dr. G und Dr. L1 als Ärzte seines Vertrauens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat das Gericht dem Kläger eine Frist für die Einzahlung eines Kostenvorschusses für beide Ärzte bis zum 15.02.2008 gesetzt und gleichzeitig mitgeteilt, dass Dr. G als Gutachter nicht in Betracht komme, da gerichtsbekannt sei, dass seine Gutachten nicht den zu stellenden Anforderungen entsprächen. Unter dem 25.02.2008 ist dem Kläger mitgeteilt worden, dass die Sache zu Sitzung geschrieben sei, nachdem der angeforderte Kostenvorschuss nicht eingegangen sei.

Am 26.02.2008 ist die Ladung der Streitsache für den 04.07.2008 erfolgt. Mit Schreiben vom 10.03.2008 hat der Kläger mitgeteilt, dass aufgrund eines Versehens der Sachbearbeiterin der Rechtsschutzversicherung der Vorschuss nicht rechtzeitig überwiesen worden sei. Es werde gebeten zu überprüfen, ob die beantragte Begutachtung doch noch durchgeführt werden könne, denn von einer Verzögerung des Rechtsstreits könne nicht die Rede sein. Der Klägerbevollmächtigte hat beantragt, seinem Antrag nach § 109 SGG stattzugeben und den Termin aufzuheben, hilfsweise den Termin vorzuverlegen und den Vorschuss wieder auszukehren.

Mit Urteil vom 04.07.2008 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe nach den überzeugenden Gutachten über den 30.04.2005 hinaus keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellten Antrag auf Einholung von Gutachten gemäß § 109 SGG von Dr. G und Dr. L1 sei die Kammer gemäß § 109 Abs. 2 SGG nicht gefolgt. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG könne die Anhörung eines bestimmten Arztes davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschieße und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trage. Gemäß § 109 Abs. 2 SGG könne das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden sei. § 109 Abs. 2 SGG finde auch Anwendung, wenn der Kostenvorschuss nicht rechtzeitig geleistet worden sei. Im vorliegenden Fall habe die Kammer den Antrag des Klägers auf Einholung der Gutachten nach § 109 SGG abgelehnt, denn die Zulassung des Antrages hätte den Rechtsstreit nicht unerheblich verzögert, da die Gutachten hätten eingeholt werden müssen. Zwar sei dem Kläger und seinen Bevollmächtigen nicht vorzuwerfen, dass sie den Antrag in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht haben. Der Kläger müsse sich jedoch das Verhalten der von ihm eingeschalteten Rechtschutzversicherung bei der Einzahlung des Kostenvorschusses zurechnen lassen. Der am 15.01.2008 festgesetzte Kostenvorschuss in Höhe von 3.000,- EUR (1.500,- EUR je Arzt) sei nicht innerhalb der eingeräumten Frist bis zum 15.02.2008 eingezahlt worden, sondern erst am 04.03.2008. Der Kläger habe als Grund für die Fristüberschreitung ein Versehen der Sachbearbeiterin der hinter ihm stehenden Rechtschutzversicherung angeführt. Ein Kläger, der sich einer Rechtschutzversicherung bediene, könne jedoch nicht anders behandelt werden als ein Kläger, der die Kosten für ein Gutachten nach § 109 SGG aus eigenen Mitteln bewirke.

Gegen das am 16.07.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.07.2008 Berufung eingelegt. Er macht weiterhin geltend, dass sich der Umfang seines verbliebenen quantitativen Leistungsvermögens über den Wegfallzeitpunkt hinaus, nicht signifikant verändert habe. Die Erkrankungen, die seinerzeit zur Rentengewährung geführt hätten, bestünden von Ihrer Intensität her über den 30.04.2005 hinaus fort. Er hat auf die Bescheinigung des behandelnden Facharztes Dr. N vom 16.06.2006 verwiesen. Dr. N, der dem Senat auch als Gerichtsgutachter bekannt sei, habe seinerzeit bestätigt, dass ihm selbst leichte (körperliche sowie geistige) Tätigkeiten nicht möglich seien. Das Gutachten von Prof. Dr. X sei geprägt von einem sehr deutlichen Misstrauen ihm gegenüber. Die im Gutachten aufgeführten "speziellen psychischen Befunde" könnten ihn nur wundern. Aus diesen Gründen habe er einen Antrag gem. § 109 SGG stellen lassen. Es sei aktenkundig, dass durch ein Versäumnis der zuständigen Sachbearbeiterin bei seiner Rechtsschutzversicherung der Kostenvorschuss für die beiden benannten Gutachter verspätet eingegangen sei. Das Sozialgericht Gelsenkirchen habe seinen unter Hinweis auf § 109 Abs. 2 SGG abgelehnt. Offensichtlich habe sich das Sozialgericht damit über die Entscheidung des erkennenden Senates vom 08.02.2007 (L 2 KN 236/06) hinweg gesetzt, obwohl dort ein vergleichbarer Sachverhalt zur Aufhebung eines Urteils und zur Zurückverweisung geführt habe. Es könne dahinstehen, ob von einem aus grober Nachlässigkeit verspätet gestellten Antrag auszugehen sei. Denn der Antrag hätte aus folgendem Grund nicht abgelehnt werden dürfen: Der Kostenvorschuss für die Gutachter des Vertrauens sei Ende Februar 2008 an die Oberjustizkasse überwiesen worden. Das Sozialgericht Gelsenkirchen habe Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf den 04.07.2008. Es sei wahrscheinlich, dass die Gutachter noch vor dem Termin am 04.07.2008 ihre Gutachten vorgelegt hätten. Eine Anfrage des Sozialgerichts Gelsenkirchen an die benannten Gutachter, wie lange sie für die Erstellung des Gutachtens benötigten, fehle. Möglicherweise hätten die Gutachter noch vor dem oder spätestens im Termin sachgerecht Stellung nehmen können. Erst wenn eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre, hätte dies über § 192 SGG (die dort genannten Voraussetzungen unterstellt) sanktioniert werden können. Insoweit handele es sich um einen wesentlichen Mangel gem. § 159 Abs. 1 Nummer 2 SGG. Unabhängig davon lägen die Voraussetzungen des § 192 Abs. 2 SGG dann nicht vor, wenn die hinter einem Kläger stehende Rechtsschutzversicherung den Kostenvorschuss für den bzw. die Gutachter verspätet überweise. Es liege weder eine Absicht vor, dass Verfahren zu verschleppen, nach eine grobe Nachlässigkeit.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils nach dem Schlussantrag erster Instanz zu erkennen,

hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gerichts zu verweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist im Sinne des Hilfsantrages des Klägers begründet. Da die bisherigen Tatsachenfeststellungen für eine Sachentscheidung nicht ausreichen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Streitsache an das Sozialgericht (SG) zurück zu verweisen. Denn das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurück verweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, wenn das SG auf dem Weg zu seiner abschließenden Entscheidung eine das Klageverfahren regelnde Verfahrensvorschrift verletzt hat. Wesentlich ist dieser Mangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts auf der Verletzung der Verfahrensvorschrift beruhen kann (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar 9. Auflage 2008, § 159 Rdnr 3a, mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das erstinstanzliche Gericht hat gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens -fair trial- (vgl. dazu Keller in: Meyer-Ladewig aa0.; vor § 60 Rdnr 1b mwN.) durch Verletzung der Ausübung des klägerischen Rechtes nach § 109 SGG sowie durch eine vorweggenommene Beweiswürdigung verstoßen.

Im sozialgerichtlichen Verfahren ist gem. § 109 Abs. 1 SGG auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder des Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung wird in aller Regel von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht (§ 109 Abs. 1 S. 2 SGG) und kann ansonsten nur unter den Voraussetzungen des 109 Abs. 2 SGG abgelehnt werden. Damit ist eine Ablehnung dieses Beweisantrags nur dann möglich, wenn der Antrag entweder (lediglich) in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. In beiden Fallkonstellationen müsste es bei einer Zulassung des Beweisantrags zudem zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits kommen.

Das SG hätte dem wirksam gestellten Beweisantrag des Klägers stattgeben müssen, da keine Ablehnungsgründe nach § 109 Abs. 2 SGG vorliegen.

Zunächst ergeben sich aus dem Ablauf des erstinstanzlichen Klageverfahrens keine Hinweise für eine Verschleppungsabsicht. Denn eine Verzögerung des Rechtsstreit ist nur anzunehmen, wenn der Rechtsstreit im Zeitpunkt der Ablehnung einer Beweisaufnahme nach § 109 SGG bereits terminiert war. Dies war vorliegend nicht der Fall, da erst ca. 4 Monate später der Rechtsstreit zur Entscheidung vorgesehen war. Innerhalb dieses Zeitraumes wären Ermittlungen durchaus möglich gewesen. Es bleibt offen, ob im Zeitpunkt des Eingangs des Antrages nach § 109 SGG die Erledigung des Rechtsstreites durch die Einholung eines Gutachtens verzögert worden wäre. Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen, finden sich nicht. Eine Anfrage des SG an die benannten Sachverständigen, wie lange sie für die Erstellung des Gutachtens benötigen, fehlt. Es ist gut denkbar, dass die Gutachten den Beteiligten so rechtzeitig vorgelegen hätten, dass noch vor einem Termin sachgerecht Stellung bezogen werden konnte. Hätte die mündliche Verhandlung gleichwohl vertagt werden müssen, hätte dies über § 192 SGG (die dortigen Voraussetzungen unterstellt) sanktioniert werden können. Überdies ist nicht ersichtlich, warum der Kläger, der die Gewährung einer Rente begehrt. Die Absicht haben sollte die Erledigung des Rechtsstreits zu verzögern.

Eine verspätete Antragstellung aus grober Nachlässigkeit kann ebenso nicht angenommen werden. Verspätung aus grober Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede zur sorgfältigen Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen worden ist, wenn also nicht getan wird, was jemanden in der betreffenden Situation einleuchten würde (BSG, Urteil vom 27.05.2008 - B 2 U 5/07 R, UV-Recht Aktuell 2008,1091). Das SG hatte eine sehr kurze Frist (mindestens 4 Wochen vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.09.2003 - L 7 SB 104/02; Keller in: Meyer-Ladewig, a.a.0. Rn 11; Kolmetz, SGb 2004 83, 88 jeweils m.w.N.) gesetzt, ohne die Verfügung zu zustellen (vgl. zum Zustellungserfordernis: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8.02.2007 - L 2 KN 236/06). Ungeachtet dessen, das der Kläger bzw. sein Bevollmächtiger die gesetzte Frist versäumt hat, vermag dies keine Verkürzung oder Einschränkung des Antragsrechts des Klägers nach § 109 SGG zu rechtfertigen. Maßstab ist diejenige Sorgfalt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Unabhängig von der Frage, ob ein Versäumnis einer Rechtschutzversicherung dem Beteiligten wie eigenes Verschulden zuzurechnen ist, ist nicht ersichtlich, dass die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass der Bevollmächtigte es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Ausgangskontrolle, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen. Dabei ist zu beachten, dass der Kostenvorschuss innerhalb von 6 Wochen nach Aufforderung durch das Gericht beim Gericht einging. Dieser Zeitraum ist, wenn sich für die Zahlung Dritter bedient wird (Rechtsschutzversicherung) nicht unangemessen lang. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger das Verfahren ansonsten zügig betrieben und auch die Anfragen des Gerichts zeitnah beantwortet hat. Gemessen an der Tatsache, dass der Rechtsstreit bis zur Entscheidung ca. 4 Monate ohne jede weitere Bearbeitung blieb, war eine Überschreitung der gesetzten Frist um zwei Wochen, keinesfalls grob fahrlässig.

Diese rechtsfehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags nach § 109 SGG stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30. Januar 2003 - L 7 SB 157/02 und vom 8. Februar 2007 und L 2 KN 236/06; LSG für das Saarland, Urteil vom 18. November 2005 - L 2 U 65/05; Udsching, NZS 1992, 50, 55 und Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 109 Rn 20).

Neben dem Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des § 109 SGG ist das Minimum eines fairen Verfahrens überdies dadurch verletzt worden, dass das Gericht eine Beweiserhebung nach § 109 SGG durch Dr. G pauschal mit der Begründung ablehnte, es sei gerichtsbekannt, dass seine Gutachten nicht den zu stellenden Anforderungen entsprächen. Dies stellte eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar, die unzulässig ist (vgl. BSG NZS 98, 302). Das sozialgerichtliche Recht, einen Arzt seines Vertrauens zu benennen, den das Gericht auch anhört, schließt nicht aus, dass es sich um einen schlechten Gutachter handelt. Schließlich muss es dann verwundern, dass ein Kostenvorschuss in einer Höhe, die den Kosten für die Beauftragung von zwei Ärzten entspricht, gerichtlicherseits angefordert worden ist.

Der Senat hält es im Rahmen seines Ermessen für sachgerecht und zweckmäßig, die Streitsache an das SG zurück zu verweisen. Unter Berücksichtigung des Gedankens der Prozessökonomie und des Interesses des Klägers an einer zeitnahen Sachentscheidung überwiegt sein Interesse, die erforderliche Sachaufklärung durch das Instanzgericht in einem fairen Klageverfahren (und erst danach ggf. in einer zweiten Instanz) vornehmen zu lassen. Der Kläger hat durch seinen Hilfsantrag dokumentiert, dass diese Verfahrensweise in seinem Interesse liegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden, § 160 Abs. 2 SGG:
Rechtskraft
Aus
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