Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 8/73
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1114/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Unternehmerbegriff in der Unfallversicherung (Unterschied zum Arbeitgeberbegriff)
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 5. November 1974, der Bescheid vom 20. Oktober 1972 sowie der Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1972 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wird von der Beklagten als Mitunternehmer der ehemaligen Firma G. B. – Glas – und Gebäudereinigung – M. auf Zahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen im Betrag von 1.827,20 DM in Anspruch genommen.
Durch notarielles Testament des Notars K. H. B. in M. – Nr. der Urkundenrolle Jahrgang – widerrief der Vater des Klägers, welcher Inhaber des o.g. Unternehmens war, sein Testament vom 20. September 1962 – UR – und setzte als Alleinerbin seine Frau A. E. B. gesch. L., geb. D. – die Stiefmutter des Klägers ein. Nach seinem Tode am 1. August 1971 wurde der Betrieb auf seine Witwe durch Bescheid vom 18. November 1971 – rückwirkend zum 1. August 1971 – im Unternehmerverzeichnis der Beklagten umgeschrieben. Mit Änderungsanzeige, eingegangen bei der Beklagten am 16. November 1971 hatte die Stiefmutter des Klägers dies mitgeteilte Ferner teilte sie der Beklagten am 5. August 1972 mit, daß die Firma ab 1. September 1972 aufgegeben sei. Daraufhin forderte die Beklagte sie auf, für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum Tag der Einstellung des Unternehmens die "Beitragsabfindung” in Höhe von 1.406,– DM zu entrichten. Die Beklagte versuchte vergeblich, diesen Beitrag von ihr beizutreiben.
Mit eigenhändig unterzeichnetem Schreiben vom 24. September 1972 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er das Geschäft zum 31. August 1972 aufgegeben habe, mit weiterem, ebenfalls von ihm unterzeichneten Schreiben vom 14. Oktober 1972 übersandte er der Beklagten den Lohnnachweis für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zur Betriebseinstellung. Gleichzeitig wies er darauf hin, daß der Betrieb schon zwei Monate vor der Einstellung geruht habe und über keinerlei Vermögen verfüge. Die Inhaberin A. E. B. habe bereits am 27. September 1972 einen Offenbarungseid geleistet.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 1972 nahm die Beklagte nunmehr den Kläger als Mitunternehmer auf Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.827,20 DM in Anspruch. Hiergegen wandte sich dieser, da er nicht, sondern – laut Testament seines verstorbenen Vaters – seine Stiefmutter Inhaberin des Geschäfts gewesen sei. Dem Widerspruch half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1972 nicht ab.
Gegen den als Einschreiben am 28. Dezember 1972 zur Post aufgelieferten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 11. Januar 1973 bei dem Sozialgericht Marburg/L. (SG) Klage erhoben. Seit dem Jahre 1947 sei er bei den Stadtwerken Marburg/L. als kaufmännischer Angestellter beschäftigt und habe in dem Geschäft des Vaters bzw. der Stiefmutter nur nebenberuflich im Lohnverhältnis gearbeitet. Er sei weder vom Gewerbeamt als Inhaber des Betriebes erfaßt noch in der Handwerksrolle eingetragen gewesen; auch beim Finanzamt sei der Betrieb auf den Namen A. E. B. geführt worden.
Durch Urteil vom 5. November 1974 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hafte als Mitunternehmer, da er die eigentliche unternehmerische Funktion ausgeübt und den Betrieb im eigenen Namen geführt habe. Das bewiesen u.a. der von ihm unterzeichnete Scheck sowie die ebenfalls eigenhändig unterschriebene Mitteilung über die Betriebseinstellung zum 31. August 1972. Als geschäftsunkundige Person habe seine Stiefmutter keinen Einblick in die Geschäftsführung gehabt. Sie sei noch nicht einmal in der Lage gewesen, der Beklagten auf Antrage Angaben über die Zahl der Arbeitnehmer und die Höhe der Bruttolöhne zu machen. Den Betrieb habe der Kläger allein geleitete, Unerheblich sei, daß er zur Stiefmutter im Angestelltenverhältnis gestanden und einen anderen Hauptberuf ausgeübt habe.
Gegen das dem Kläger am 12. November 1974 durch Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat dieser am 5. Dezember 1974 Berufung eingelegt. Er sei zu keinem Zeitpunkt Inhaber des von seinem verstorbenen Vater geführten Reinigungsbetriebes gewesen. Er habe schon zu Lebzeiten in diesem Betrieb mitgearbeitet und seine in Geschäftsdingen unkundige Stiefmutter später bei allen anfallenden Arbeiten unterstützt, jedoch zu ihr in einem abhängigen Arbeitsverhältnis gestanden. Auch hieraus ergebe sich, daß er nicht Inhaber des Betriebes gewesen sein könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichte Marburg/L. vom 5. November 1974 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 1972 und den Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1972 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger sei Mitunternehmer gewesen und hafte daher für die Beitragsschulden. Es komme auf die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse an. Durch seine mehrfachen Unterschriften unter dem mit der Beklagten geführten Schriftwechsel habe er sich als Unternehmer zu erkennen gegeben.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Beitrags- und Gerichtsakten, insbesondere auf die Niederschrift über die Anhörung des Klägers vor dem Senat Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Sie ist auch begründet, da der Kläger in der Zeit vom 1. August 1971 bis 31. August 1972 weder Unternehmer noch Mitunternehmer war. Dies steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers sowie der von ihm im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Urkunden fest.
Nach § 658 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist Mitglied der sachlich zuständigen Berufsgenossenschaft (§ 646) jeder Unternehmer, dessen Unternehmen seinen Sitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Berufsgenossenschaft hat. Nach Absatz 2 a.a.O. ist Unternehmer derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht und damit derjenige, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens, dar Wert oder Unwert der in dem unternehmen verrichteten Arbeiten, unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereicht, der also das wirtschaftliche Wagnis trägt und eine weitgehende Einwirkung auf die Führung des Unternehmens oder wenigstens einen maßgeblichen Einfluß auf die kaufmännische Leitung des Unternehmens hat. Wer die als Unternehmer in Betracht kommende Person ist, läßt sich nur nach Lage des Einzelfalles entscheiden, wobei die ganze Art der Betreffenden Tätigkeit und die gesamten tatsächlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen sind, während die privatrechtliche Gestaltung der Arbeitsbeziehungen zurückzutreten hat. Für die Frage, ob eine Person "Mitunternehmer” ist, galten die für den Begriff des Unternehmers anzuwendenden Grundsätze entsprechend. Auch hier kommt es nicht auf die rechtlichen Formulierungen, sondern entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse an (vgl. Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, § 658 RVO Anm. 7 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Zunächst ist festzustellen, daß der Kläger zu Lebzeiten seines Vaters Angestellter in dessen Glas- und Gebäudereinigungsbetrieb in M. war. Hieran änderte sich durch den Tod des Vaters am 1. August 1971 in Bezug auf die Person des Klägers grundsätzlich nichts. In dem notariellen Testament wurde die Stiefmutter des Klägers zur Alleinerbin eingesetzt. Heben etwa 20 – zumeist weiblichen Arbeitskräften – arbeiteten zu Lebzeiten des Vaters des Klägers außer letzterem noch dessen Schwiegermutter als Buchhalterin sowie dessen Ehefrau mit. Vor dem 1. August 1971 kümmerte er sich vor und nach seiner eigenen (bereits seit 1947 hauptberuflich ausgeübten) Tätigkeit bei den Stadtwerken in Marburg/L. um den Einsatz der Arbeitskräfte, indem er diese morgens für die Arbeit einteilte und nach Dienstschluß wieder nach Hause fuhr. Dafür erhielt er monatlich 750, DM, während seiner Ehefrau für ihre Tätigkeit 550,– DM monatlich gezahlt wurden. Bei dieser Tätigkeit und Entlohnung des Klägers und seiner Ehefrau blieb es auch nach dem Tod seines Vaters, jedoch war nunmehr seine Stiefmutter Betriebsinhaberin. Als solche unterschrieb sie auch die Steuererklärung und entnahm dem Geschäftskonto monatlich etwa 600,– – 700,– DM zum eigenen Verbrauch. Dagegen wurde der Kläger lediglich wegen seines Doppelverdienstes als Arbeitnehmer zur Einkommenssteuer veranlagt, ohne am Gewinn und Verlust des Betriebs beteiligt zu sein. Es bestand zwischen ihm und seiner Stiefmutter weder ein schriftlicher noch mündlicher Gesellschaftsvertrag. Dagegen hatten sowohl er als auch seine Ehefrau schon zu Lebzeiten seines Vaters Bankvollmacht, die über dessen Tod hinaus Gültigkeit besaß. Von diesem Zeitpunkt ab erfolgte keine Veranlagung des Betriebs zur Einkommenssteuer mehr, da nach dessen Überprüfung durch einen Beamten des Finanzamtes in der Wohnung der Stiefmutter ein steuerpflichtiges Einkommen nicht mehr festgestellt werden konnte. Infolgedessen wurden 1971 auch keine Steuerklärung mehr abgegeben und kein Steuerbescheid mehr erteilt und der Betrieb am 31. August 1972 abgemeldet. Nach den vorgelegten Steuerbescheiden für die Jahre 1971 und 1972 verfügte der Kläger über keine Einnahme aus selbständiger Gewerbetätigkeit. Der noch zu Lebzeiten seines Vaters angeschaffte Personenkraftwagen wurde nach dessen Tod verkauft, und der dadurch erzielte Erlös auf das Geschäftskonto überwiesen. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den Angaben des Klägers vor dem erkennenden Senat nach Belehrung über seine Wahrheitspflicht, an denen zu zweifeln im Hinblick auf die überzeugende Art der Sachdarstellung keine Veranlassung bestand. Auch die Beklagte vermochte hiergegen nichts vorzubringen. Das SG hatte den Kläger nicht ausreichend gehört.
Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist der Kläger daher im Betrieb seiner Stiefmutter nur unselbständig tätig gewesen, wie das schon zu Lebzeiten seines Vaters der Fall war. Aus den vorgelegten Lohnkonten für die Jahre 1971 und 1972 mit dem Prüfstempel der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) vom 27. September 1972 geht hervor, daß der Kläger monatlich 750,– DM als nicht selbständig Tätiger erhielt. Unter diesen Umständen war er aber kein Mitunternehmer in dem ehemals väterlichen und von der Stiefmutter fortgeführten Gebäudereinigungsbetrieb. Zu Unrecht beruft sieh das SG auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. Urt. v. 16.3.1972 – 3 RK 73/68 = Breith. 1972, 800), die hier nicht einschlägig ist, da sie sich ausdrücklich auf den Arbeitgeber – und nicht auf den Unternehmerbegriff bezieht. Zwischen beiden Begriffen kann nämlich ein Unterschied bestehen, wenn dies in der Regel auch nicht der Fall ist.
Wenn der Kläger die Mitteilung über die Geschäftsaufgabe sowie den Lohnnachweis für das Jahr 1972 und einen Verrechnungsscheck im Betrag von 1.468,10 DM unterschrieben hat, so vermag dies ebensowenig seine Unternehmer- bzw. Mitunternehmereigenschaft zu begründen, wie die Angabe der Stiefmutter, nicht sie, sondern ihr Stiefsohn habe sich um geschäftliche Angelegenheiten des Betriebes gekümmert. Die Unternehmereigenschaft wird durch solche Tätigkeiten nicht begründet; diese können vielmehr z.B. auch von jedem Angestellten in höherer Position ausgeübt werden. Ob der Kläger als Arbeitgeber anzusehen war, kann hier dahingestellt bleiben. Wie oben näher ausgeführt, wurden diese zudem nicht nur vom Kläger, sondern auch von dessen Ehefrau und Schwiegermutter gegen entsprechende Entlohnung in nicht selbständiger Tätigkeit verrichtet.
Die Beklagte kann den Kläger daher nicht als Mitunternehmer wegen der rückständigen Beiträge in Anspruch nehmen, so daß das angefochtene Urteil sowie der Beitragsbescheid aufzuheben waren.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 SGG.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wird von der Beklagten als Mitunternehmer der ehemaligen Firma G. B. – Glas – und Gebäudereinigung – M. auf Zahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen im Betrag von 1.827,20 DM in Anspruch genommen.
Durch notarielles Testament des Notars K. H. B. in M. – Nr. der Urkundenrolle Jahrgang – widerrief der Vater des Klägers, welcher Inhaber des o.g. Unternehmens war, sein Testament vom 20. September 1962 – UR – und setzte als Alleinerbin seine Frau A. E. B. gesch. L., geb. D. – die Stiefmutter des Klägers ein. Nach seinem Tode am 1. August 1971 wurde der Betrieb auf seine Witwe durch Bescheid vom 18. November 1971 – rückwirkend zum 1. August 1971 – im Unternehmerverzeichnis der Beklagten umgeschrieben. Mit Änderungsanzeige, eingegangen bei der Beklagten am 16. November 1971 hatte die Stiefmutter des Klägers dies mitgeteilte Ferner teilte sie der Beklagten am 5. August 1972 mit, daß die Firma ab 1. September 1972 aufgegeben sei. Daraufhin forderte die Beklagte sie auf, für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum Tag der Einstellung des Unternehmens die "Beitragsabfindung” in Höhe von 1.406,– DM zu entrichten. Die Beklagte versuchte vergeblich, diesen Beitrag von ihr beizutreiben.
Mit eigenhändig unterzeichnetem Schreiben vom 24. September 1972 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er das Geschäft zum 31. August 1972 aufgegeben habe, mit weiterem, ebenfalls von ihm unterzeichneten Schreiben vom 14. Oktober 1972 übersandte er der Beklagten den Lohnnachweis für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zur Betriebseinstellung. Gleichzeitig wies er darauf hin, daß der Betrieb schon zwei Monate vor der Einstellung geruht habe und über keinerlei Vermögen verfüge. Die Inhaberin A. E. B. habe bereits am 27. September 1972 einen Offenbarungseid geleistet.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 1972 nahm die Beklagte nunmehr den Kläger als Mitunternehmer auf Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.827,20 DM in Anspruch. Hiergegen wandte sich dieser, da er nicht, sondern – laut Testament seines verstorbenen Vaters – seine Stiefmutter Inhaberin des Geschäfts gewesen sei. Dem Widerspruch half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1972 nicht ab.
Gegen den als Einschreiben am 28. Dezember 1972 zur Post aufgelieferten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 11. Januar 1973 bei dem Sozialgericht Marburg/L. (SG) Klage erhoben. Seit dem Jahre 1947 sei er bei den Stadtwerken Marburg/L. als kaufmännischer Angestellter beschäftigt und habe in dem Geschäft des Vaters bzw. der Stiefmutter nur nebenberuflich im Lohnverhältnis gearbeitet. Er sei weder vom Gewerbeamt als Inhaber des Betriebes erfaßt noch in der Handwerksrolle eingetragen gewesen; auch beim Finanzamt sei der Betrieb auf den Namen A. E. B. geführt worden.
Durch Urteil vom 5. November 1974 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hafte als Mitunternehmer, da er die eigentliche unternehmerische Funktion ausgeübt und den Betrieb im eigenen Namen geführt habe. Das bewiesen u.a. der von ihm unterzeichnete Scheck sowie die ebenfalls eigenhändig unterschriebene Mitteilung über die Betriebseinstellung zum 31. August 1972. Als geschäftsunkundige Person habe seine Stiefmutter keinen Einblick in die Geschäftsführung gehabt. Sie sei noch nicht einmal in der Lage gewesen, der Beklagten auf Antrage Angaben über die Zahl der Arbeitnehmer und die Höhe der Bruttolöhne zu machen. Den Betrieb habe der Kläger allein geleitete, Unerheblich sei, daß er zur Stiefmutter im Angestelltenverhältnis gestanden und einen anderen Hauptberuf ausgeübt habe.
Gegen das dem Kläger am 12. November 1974 durch Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat dieser am 5. Dezember 1974 Berufung eingelegt. Er sei zu keinem Zeitpunkt Inhaber des von seinem verstorbenen Vater geführten Reinigungsbetriebes gewesen. Er habe schon zu Lebzeiten in diesem Betrieb mitgearbeitet und seine in Geschäftsdingen unkundige Stiefmutter später bei allen anfallenden Arbeiten unterstützt, jedoch zu ihr in einem abhängigen Arbeitsverhältnis gestanden. Auch hieraus ergebe sich, daß er nicht Inhaber des Betriebes gewesen sein könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichte Marburg/L. vom 5. November 1974 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 1972 und den Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1972 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger sei Mitunternehmer gewesen und hafte daher für die Beitragsschulden. Es komme auf die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse an. Durch seine mehrfachen Unterschriften unter dem mit der Beklagten geführten Schriftwechsel habe er sich als Unternehmer zu erkennen gegeben.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Beitrags- und Gerichtsakten, insbesondere auf die Niederschrift über die Anhörung des Klägers vor dem Senat Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Sie ist auch begründet, da der Kläger in der Zeit vom 1. August 1971 bis 31. August 1972 weder Unternehmer noch Mitunternehmer war. Dies steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers sowie der von ihm im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Urkunden fest.
Nach § 658 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist Mitglied der sachlich zuständigen Berufsgenossenschaft (§ 646) jeder Unternehmer, dessen Unternehmen seinen Sitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Berufsgenossenschaft hat. Nach Absatz 2 a.a.O. ist Unternehmer derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht und damit derjenige, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens, dar Wert oder Unwert der in dem unternehmen verrichteten Arbeiten, unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereicht, der also das wirtschaftliche Wagnis trägt und eine weitgehende Einwirkung auf die Führung des Unternehmens oder wenigstens einen maßgeblichen Einfluß auf die kaufmännische Leitung des Unternehmens hat. Wer die als Unternehmer in Betracht kommende Person ist, läßt sich nur nach Lage des Einzelfalles entscheiden, wobei die ganze Art der Betreffenden Tätigkeit und die gesamten tatsächlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen sind, während die privatrechtliche Gestaltung der Arbeitsbeziehungen zurückzutreten hat. Für die Frage, ob eine Person "Mitunternehmer” ist, galten die für den Begriff des Unternehmers anzuwendenden Grundsätze entsprechend. Auch hier kommt es nicht auf die rechtlichen Formulierungen, sondern entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse an (vgl. Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, § 658 RVO Anm. 7 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Zunächst ist festzustellen, daß der Kläger zu Lebzeiten seines Vaters Angestellter in dessen Glas- und Gebäudereinigungsbetrieb in M. war. Hieran änderte sich durch den Tod des Vaters am 1. August 1971 in Bezug auf die Person des Klägers grundsätzlich nichts. In dem notariellen Testament wurde die Stiefmutter des Klägers zur Alleinerbin eingesetzt. Heben etwa 20 – zumeist weiblichen Arbeitskräften – arbeiteten zu Lebzeiten des Vaters des Klägers außer letzterem noch dessen Schwiegermutter als Buchhalterin sowie dessen Ehefrau mit. Vor dem 1. August 1971 kümmerte er sich vor und nach seiner eigenen (bereits seit 1947 hauptberuflich ausgeübten) Tätigkeit bei den Stadtwerken in Marburg/L. um den Einsatz der Arbeitskräfte, indem er diese morgens für die Arbeit einteilte und nach Dienstschluß wieder nach Hause fuhr. Dafür erhielt er monatlich 750, DM, während seiner Ehefrau für ihre Tätigkeit 550,– DM monatlich gezahlt wurden. Bei dieser Tätigkeit und Entlohnung des Klägers und seiner Ehefrau blieb es auch nach dem Tod seines Vaters, jedoch war nunmehr seine Stiefmutter Betriebsinhaberin. Als solche unterschrieb sie auch die Steuererklärung und entnahm dem Geschäftskonto monatlich etwa 600,– – 700,– DM zum eigenen Verbrauch. Dagegen wurde der Kläger lediglich wegen seines Doppelverdienstes als Arbeitnehmer zur Einkommenssteuer veranlagt, ohne am Gewinn und Verlust des Betriebs beteiligt zu sein. Es bestand zwischen ihm und seiner Stiefmutter weder ein schriftlicher noch mündlicher Gesellschaftsvertrag. Dagegen hatten sowohl er als auch seine Ehefrau schon zu Lebzeiten seines Vaters Bankvollmacht, die über dessen Tod hinaus Gültigkeit besaß. Von diesem Zeitpunkt ab erfolgte keine Veranlagung des Betriebs zur Einkommenssteuer mehr, da nach dessen Überprüfung durch einen Beamten des Finanzamtes in der Wohnung der Stiefmutter ein steuerpflichtiges Einkommen nicht mehr festgestellt werden konnte. Infolgedessen wurden 1971 auch keine Steuerklärung mehr abgegeben und kein Steuerbescheid mehr erteilt und der Betrieb am 31. August 1972 abgemeldet. Nach den vorgelegten Steuerbescheiden für die Jahre 1971 und 1972 verfügte der Kläger über keine Einnahme aus selbständiger Gewerbetätigkeit. Der noch zu Lebzeiten seines Vaters angeschaffte Personenkraftwagen wurde nach dessen Tod verkauft, und der dadurch erzielte Erlös auf das Geschäftskonto überwiesen. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den Angaben des Klägers vor dem erkennenden Senat nach Belehrung über seine Wahrheitspflicht, an denen zu zweifeln im Hinblick auf die überzeugende Art der Sachdarstellung keine Veranlassung bestand. Auch die Beklagte vermochte hiergegen nichts vorzubringen. Das SG hatte den Kläger nicht ausreichend gehört.
Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist der Kläger daher im Betrieb seiner Stiefmutter nur unselbständig tätig gewesen, wie das schon zu Lebzeiten seines Vaters der Fall war. Aus den vorgelegten Lohnkonten für die Jahre 1971 und 1972 mit dem Prüfstempel der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) vom 27. September 1972 geht hervor, daß der Kläger monatlich 750,– DM als nicht selbständig Tätiger erhielt. Unter diesen Umständen war er aber kein Mitunternehmer in dem ehemals väterlichen und von der Stiefmutter fortgeführten Gebäudereinigungsbetrieb. Zu Unrecht beruft sieh das SG auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. Urt. v. 16.3.1972 – 3 RK 73/68 = Breith. 1972, 800), die hier nicht einschlägig ist, da sie sich ausdrücklich auf den Arbeitgeber – und nicht auf den Unternehmerbegriff bezieht. Zwischen beiden Begriffen kann nämlich ein Unterschied bestehen, wenn dies in der Regel auch nicht der Fall ist.
Wenn der Kläger die Mitteilung über die Geschäftsaufgabe sowie den Lohnnachweis für das Jahr 1972 und einen Verrechnungsscheck im Betrag von 1.468,10 DM unterschrieben hat, so vermag dies ebensowenig seine Unternehmer- bzw. Mitunternehmereigenschaft zu begründen, wie die Angabe der Stiefmutter, nicht sie, sondern ihr Stiefsohn habe sich um geschäftliche Angelegenheiten des Betriebes gekümmert. Die Unternehmereigenschaft wird durch solche Tätigkeiten nicht begründet; diese können vielmehr z.B. auch von jedem Angestellten in höherer Position ausgeübt werden. Ob der Kläger als Arbeitgeber anzusehen war, kann hier dahingestellt bleiben. Wie oben näher ausgeführt, wurden diese zudem nicht nur vom Kläger, sondern auch von dessen Ehefrau und Schwiegermutter gegen entsprechende Entlohnung in nicht selbständiger Tätigkeit verrichtet.
Die Beklagte kann den Kläger daher nicht als Mitunternehmer wegen der rückständigen Beiträge in Anspruch nehmen, so daß das angefochtene Urteil sowie der Beitragsbescheid aufzuheben waren.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 SGG.
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