L 22 R 1374/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 20 R 2897/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 1374/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2006 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. März 2005 hinaus.

Nachdem der im Oktober 1969 geborenen Klägerin, die nach ihren Angaben eine Ausbildung zur Kellnerin abgeschlossen hat, wegen einer Krebserkrankung vom 01. Mai 2004 bis 31. März 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden war (Bescheid vom 05. Oktober 2004), beantragte sie im Januar 2005 deren Weiterzahlung. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der V GmbH vom 17. Januar 2005 über eine vom 24. November bis 07. Dezember 2004 erfolgte teilstationäre Rehabilitationsmaßnahme bei, holte den Befundbericht der Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe R und Dr. W vom 02. April 2005 ein und veranlasste das Gutachten des Arztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. F vom 25. April 2005.

Mit Bescheid vom 28. April 2005 lehnte die Beklagte die Weiterzahlung der Rente ab: Trotz eines operierten Mammakarzinoms links im Zustand nach Chemo- und Strahlentherapie bei rezidiv- und metastasenfreiem Verlauf, rezidivierenden Halswirbelsäulenbeschwerden ohne relevante funktionelle Defizite und eines psychovegetativen Syndroms könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, wegen ständiger Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule könne sie in der Gastronomie nicht arbeiten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2005 zurück: Mit den festgestellten Gesundheitsstörungen könnten körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten bei Meidung bestimmter Arbeiten (Überkopfarbeit, Armvorhalt, unter Einfluss von Kälte, Nässe, Zugluft, starken Temperaturschwankungen, Nachtschicht und besonderem Zeitdruck) vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichtet werden.

Dagegen hat die Klägerin am 13. Juni 2005 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben.

Sie hat darauf hingewiesen, dass mit den im Gutachten vom 25. April 2005 genannten Leistungseinschränkungen keine Tätigkeiten mehr möglich seien. Sie leide infolge der Einnahme starker Medikamente unter Depressionen, starken Schweißausbrüchen, Hitzewallungen und Gelenkschmerzen. Wegen der Entfernung der Lymphdrüsen schwelle ihr Arm an. Sie erhalte zudem in den nächsten zwei Jahren alle drei Monate Chemospritzen.

Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 29. August 2006 die Klage auf der Grundlage des Gutachtens des Dr. F abgewiesen.

Gegen den ihr am 04. September 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. September 2006 eingelegte Berufung der Klägerin.

Sie trägt vor, ihr äußerst bedenklicher Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, da zwischenzeitlich ein Diabetes Typ I hinzugekommen sei.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2005 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren und die höhere Rente zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Befundberichte der Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe R/Dr. W vom 21. Januar 2007 und des Facharztes für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren Dr. S vom (Eingang) 03. April 2007 eingeholt, die Schwerbehindertenakte des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin (D 04 3207759) sowie Auszüge aus den Berufsinformationskarten (BIK) zum Pförtner (BO 793) und Versandfertigmacher (BO 522) und Kopien der berufskundlichen Stellungnahmen des M L vom 14. Februar 2000 zum Pförtner und vom 01./24. November 2002 und vom 14. Januar 2005 zum Versandfertigmacher beigezogen. Er hat außerdem Beweis erhoben durch die schriftlichen Sachverständigengutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin, Diplompsychologe, Psychoanalyse B vom 05. Oktober 2007 nebst ergänzender Stellungnahmen vom 10. Januar 2008, 14. Februar 2008, 14. April 2008 und 09. September 2008 sowie des M L vom 13. Oktober 2008.

Die Klägerin betont, in der Gastronomie nicht arbeiten zu können.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 90 bis 105, 117 bis 118, 121, 125, 131 und 142 bis 149 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten (Renten- und Rehabilitationsakte) der Beklagten (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 28. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2005 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, denn ihr Leistungsvermögen ist nicht in rentenrechtlich erheblicher Weise herabgesunken.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und weitere - beitragsbezogene - Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind und weitere beitragsbezogene - Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbtätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB VI).

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin ist hiernach weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert, denn sie kann auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere als Versandfertigmacherin, vollschichtig, also auch mindestens 3 bzw. 6 Stunden täglich, tätig sein.

Dies folgt aus den Gutachten der Sachverständigen B und L.

Nach dem Sachverständigen B bestehen ein Zustand nach Ablatio der linken Mamma bei Karzinom, eine insulinpflichtige Zuckererkrankung sowie Angst und depressive Reaktion gemischt. Dies ist unzweifelhaft, denn die vorliegenden Berichte anderer Ärzte stimmen hiermit im Wesentlichen überein. Es handelt sich um dieselben Gesundheitsstörungen, auch wenn diese dort teilweise anders bezeichnet werden.

Eine behandlungsbedürftige Schilddrüsenfehlfunktion oder rezidivierende Halswirbelsäulenbeschwerden in behandlungsbedürftiger Form hat der Sachverständige B nachvollziehbar ausgeschlossen. Der Befundbericht der Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe R/Dr. W vom 02. April 2005 und das Gutachten des Arztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. F vom 25. April 2005 benennen zwar eine (latente) Hyperthyreose. Daraus resultierende Funktionsstörungen sind jedoch nicht mitgeteilt. Der Befundbericht der Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe R/Dr. W vom 29. Januar 2007 weist diese Diagnose folgerichtig auch nicht mehr aus. Bezogen auf die rezidivierenden Halswirbelsäulenbeschwerden ergeben weder das Gutachten des Arztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. F vom 25. April 2005 noch Berichte der behandelnden Ärzte funktionelle Defizite. Der Sachverständige B hat insoweit gleichfalls nichts feststellen können und daher den Untersuchungsbefund seitens des Bewegungsapparates als altersentsprechend beurteilt. Fehlt es an (behandlungsbedürftigen) Funktionsstörungen sind diese Diagnosen schon nicht geeignet, das Leistungsvermögen zu beeinträchtigen.

Wenn der Sachverständige B infolge der vorhandenen Gesundheitsstörungen die Schlussfolgerung gezogen hat, die Klägerin könne noch (bei Ausschluss von körperlich schweren Arbeiten) körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten, geistig schwierige Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen unter Schutz vor Kälte, Nässe, Zugluft, starken Temperaturschwankungen, Lärm, Hautreizstoffen verrichten, sofern mehr als zeitweilige Arbeiten in Zwangs- und überwiegend einseitiger Körperhaltung, mehr als gelegentliche Überkopfarbeiten bezüglich des linken Armes, die auf das Bewegen von leichten Lasten beschränkt sind, Arbeiten mit Bücken, mit Heben und Tragen von Lasten über 15 kg sowie Arbeiten unter Zeitdruck wie Akkord- und Fließbandarbeit vermieden werden, ist dies einleuchtend. An dem ursprünglich geforderten Ausschluss von Arbeiten mit Staubentwicklung hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. April 2008 nicht mehr festgehalten. Er hat klargestellt, dass es sich insoweit um ein Versehen gehandelt hat.

Wesentlich für die Beurteilung des Leistungsvermögens sind hierbei vornehmlich die Minderbelastung des linken Armes, daneben die Zuckerstoffwechselstörung und das seelische Leiden.

Da eine gründliche körperliche Untersuchung von der Klägerin abgelehnt worden ist, hat die Untersuchung nur orientierend durchgeführt werden können. Hierbei hat der Sachverständige im Bereich der Wirbelsäule und der oberen Extremitäten, insbesondere des linken Armes, keine krankhaften Befunde erheben können. Er hat allerdings die von der Klägerin angegebenen bei Belastung auftretenden Schmerzen im Bereich des linken Armes in Anbetracht des vorgenommenen Eingriffs (Ablatio der linken Mamma mit Axilladissektion; vgl. die Epikrisen des Klinikums B vom 06. April 2004 und 22. September 2004) für plausibel erachtet. Im Bereich der unteren Extremitäten haben sich eine mäßiggradige Knick-, Senk-, Spreizfußkonfiguration und im Bereich beider Füße und Unterschenkel eine strumpfförmig herabgesetzte Berührungsempfindlichkeit wie bei Polyneuropathie gezeigt. Dies hat der Sachverständige als diabetogene Folgeschädigung bei ansonsten mit Insulin erfolgter komplikationsloser Einstellung des Diabetes nach im August 2006 eingetretener Blutzuckerentgleisung (vgl. den für den Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin erstatteten Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K vom 28. August 2006 und den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 03. April 2007) bewertet. In psychischer Hinsicht hat eine subdepressive mit gereizt dysphorischem Akzent sich darstellende Grundstimmung, ein mäßig agitierter Antrieb und eingeengtes formales Denken bestanden. Die Klägerin hat die Brusterkrankung als erhebliche narzisstische Kränkung mit Bedrohung ihrer weiblichen Identität erlebt, wodurch es zu einer depressiven, ängstlich getönten Verstimmung gekommen ist, deren Schweregrad der Sachverständige als mittelgradig eingeschätzt hat. Zur Bewältigung der seelischen Symptomatik hat er eine psychotherapeutische Betreuung als indiziert angesehen.

Die von dem Sachverständigen B erhobenen Befunde machen deutlich, dass besondere Belastungen des linken Armes ausscheiden müssen. Die genannten Leistungseinschränkungen resultieren weitgehend hieraus und berücksichtigen diesen Zustand hinreichend. Das Erfordernis, klimatische Einflüsse und Hautreizstoffe zu vermeiden, trägt dem Umstand Rechnung, dass Zuckerkranke gegenüber diesen Expositionen sensibel reagieren. Der Ausschluss von Arbeiten unter Zeitdruck wie Akkord- und Fließbandarbeit folgt daraus, dass die Klägerin infolge des seelischen Leidens besonderen psychischen Belastungen nicht ausgesetzt werden darf.

Wenn eine Tätigkeit den dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen gerecht wird, ist, ohne dass zusätzliche Befunde oder Gesichtspunkte hinzutreten, aber zugleich ein vollschichtiges, damit auch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich, folgerichtig, wie dies der Sachverständige B insoweit in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Arztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. F vom 25. April 2005 angenommen hat.

Bei einem solchen Leistungsvermögen liegt weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vor, denn maßgebend sind die Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Es ist daher unerheblich, ob ein erlernter Beruf oder der zuletzt ausgeübte Beruf noch verrichtet werden können. Mithin ist nicht entscheidend, ob die Klägerin mit diesem Leistungsvermögen im Bereich der Gastronomie tätig sein kann.

Als eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes kommt für die Klägerin somit insbesondere die Tätigkeit einer Versandfertigmacherin in Betracht.

Zu den Aufgaben eines Versandfertigmachers gehören nach der BIK BO 522 das Aufmachen von Fertigerzeugnissen zur Verschönerung oder Aufbesserung des Aussehens sowie das Kennzeichnen und Fertigmachen von Waren für den Versand in verschiedenen Branchen und bei unterschiedlichen Produkten. Im Einzelnen sind dort, wie auch in der berufskundlichen Stellungnahme des M L vom 01. November 2002, als Einzeltätigkeiten genannt: Bekleben, Bemalen, Blankreiben, Einfetten, Einhüllen, Auf- oder Einnähen; Zurichten von Textilien, Ausformen von Wirk- und Strickwaren, Handschuhen oder Strümpfen, Dressieren von Stoffen, Bügeln von Hüten oder Lederwaren, Einziehen von Schnürsenkeln; Kennzeichnen von Waren durch Banderolieren, Etikettieren, Stempeln, Bekleben, Heften, Anbringen von Abziehbildern, Ein- oder Annähen von Warenzeichen oder Etiketten von Hand oder mit der Maschine; Abzählen, Abmessen oder Abwiegen von Waren und Erzeugnissen; manuelles und maschinelles Abpacken und Abfüllen in Papp- oder Holzschachteln, Kisten, Fässer, Säcke oder sonstige Behälter; Verschließen von Behältnissen sowie Anbringen von Kennzeichen oder anderen Hinweisen an Waren oder Behältnissen. Diese Tätigkeiten setzen nach der berufskundlichen Stellungnahme des M L vom 01. November 2002 bestimmte berufliche Vorkenntnisse nicht voraus. Es handelt sich um einfache Routinearbeiten, auf die durch eine aufgabenbezogene Einweisung in wenigen Tagen vorbereitet wird. Der Umfang der Vorbereitung sei abhängig vom übertragenen Arbeitsinhalt, dauere in jedem Fall aber deutlich unter drei Monate. Es kann dahinstehen, ob eine Einweisung von wenigen Tagen bereits ausreichend ist, um diese Tätigkeit nicht zu den aller einfachsten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu rechnen. In der ergänzenden berufskundlichen Stellungnahme des M L vom 24. November 2002 ist diesbezüglich jedenfalls klargestellt, dass es auch Tätigkeiten eines Versandfertigmachers gibt, die eine Einarbeitung von mehr als wenigen Tagen bis zu zwei Wochen erfordern. Insoweit sind die jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Anforderungen maßgebend. Werden nur wenige Teile zusammengebracht und eingepackt (zum Beispiel Gebrauchsanweisungen, Produkthinweise, Handbücher und CD-Rom), ergibt sich an diesem Arbeitsplatz eine nur kurze Einweisungszeit, weil kein Wechsel der inhaltlichen Anforderungen stattfindet. Werden hingegen an einem Arbeitsplatz für eine gesamte Produktpalette mit ständig wechselnder Anzahl und in unterschiedlicher Zusammensetzung Beschreibungen zusammengestellt, dauert die Einweisung länger, weil die Gefahr einer falschen Zusammenstellung deutlich größer ist. Es müssen für letztgenannte Tätigkeit, so nach dieser berufskundlichen Stellungnahme, Ablaufformen und systematische Vorgehensweisen vermittelt werden, die anhand von Plausibilitäten während der Arbeitsverrichtung überprüft werden.

Die Arbeitsbedingungen eines Versandfertigmachers sind in der BIK BO 522 beschrieben unter anderem als körperlich leichte bis mittelschwere Arbeit (zeitweise schweres Heben und Tragen) überwiegend in geschlossenen Räumen und Hallen, zum Teil im Freien, Arbeit in wechselnder Körperhaltung von Gehen, Stehen und Sitzen, zum Teil Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken, Knien und vornüber geneigte Haltung, zum Teil Arbeit auf Leitern und Gerüsten. Allerdings bedeutet diese Beschreibung nicht notwendigerweise, dass dieses Anforderungsprofil für alle Arbeitsplätze eines Versandfertigmachers einschlägig ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass diese Tätigkeit in verschiedenen Branchen und mit unterschiedlichen Produkten ausgeführt wird. Wenn demzufolge in den berufskundlichen Stellungnahmen des M L vom 01. November 2002 und 24. November 2002 dargestellt ist, dass es insoweit auch eine nennenswerte Zahl von, also nicht weniger als 300, Arbeitsplätzen gibt, die körperlich leicht sind und in geschlossenen Räumen im Wechsel von Sitzen und Stehen ausgeübt werden, bei denen wirbelsäulen- oder gelenkbelastende Körperhaltungen nicht eingenommen werden müssen, monotone oder repetitive Arbeitshaltungen sich nicht ergeben, die Aufgaben nicht durch fremdbestimmtes Arbeitstempo geprägt sind, nicht unter akkordähnlichen Bedingungen verrichtet werden, keine besonderen Anforderungen an die Kraft oder die Ausdauer der Hände gestellt werden, insbesondere keine Fein- oder Präzisionsarbeiten erfordern, Reiben, Schieben, Drehen, Ziehen oder Drücken nicht verlangt werden, weder Anforderungen an das Hörvermögen noch an die Stimme gestellt werden, eine durchschnittliche Sehfähigkeit genügt und bei denen geistig einfache Routinearbeiten weder besondere Anforderungen an die Umstellungsfähigkeit, das Reaktionsvermögen, die Aufmerksamkeit, die Übersicht, die Verantwortung oder die Zuverlässigkeit stellen, ist dies nachvollziehbar.

Betrachtet man das Leistungsvermögen jener Klägerin, das der berufskundlichen Aussage des M L vom 01. November 2002 und 24. November 2002 zugrunde gelegen hatte, mit demjenigen der hiesigen Klägerin, wird deutlich, dass als Versandfertigmacher, wie auch in jener berufskundlichen Aussage angenommen wurde, gearbeitet werden kann. Das ermittelte Leistungsvermögen jener Klägerin war wie folgt beschränkt auf körperlich leichte Arbeiten, geistig einfache Arbeiten, im Wechsel der Haltungsarten, kein ausschließliches Stehen oder Sitzen, unter Witterungsschutz, ohne monotone oder repetitive Arbeitshaltungen, ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne anhaltende Rumpfbeugehaltung, ohne anhaltendes Knien, Hocken und Bücken, ohne dauerhafte Überkopfarbeiten, ohne Leiter- und Gerüstarbeit und ohne besonderen Zeitdruck wie etwa Akkord- oder Fließbandarbeit. Dies zeigt, dass die Klägerin in ihrem Leistungsvermögen nicht stärker eingeschränkt ist als jene Klägerin, die in den berufskundlichen Aussagen vom 01. November 2002 und 24. November 2002 zu beurteilen war.

In der berufskundlichen Stellungnahme des M L vom 14. Januar 2005 wird an der Darstellung vom 01./24. November 2002, die im Einzelnen wiederholt wird, festgehalten und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich seither bezüglich des Berufes eines Versandfertigmachers keine nachhaltigen Veränderungen ergeben hätten. Wird das Leistungsvermögen jenes Klägers, das Grundlage der berufskundlichen Stellungnahme vom 14. Januar 2005 war, mit dem vorliegenden Leistungsvermögen verglichen, ist zwar festzustellen, dass jener Kläger teilweise in seinem Leistungsvermögen nicht so deutlich eingeschränkt war. Jener Kläger konnte körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten und geistig einfache Arbeiten (ohne hohe Anforderungen an das Intelligenzniveau) mit nur geringen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit und Verantwortungsbewusstsein in freien und in geschlossenen Räumen, jedoch ohne Arbeit unter besonderem Zeitdruck, wie z. B. Akkordarbeit, ohne Kontakt mit hautreizenden Stoffen und mit grober Verschmutzung und ohne Feuchtarbeit verrichten. Dieses Leistungsvermögen steht ebenfalls einer Tätigkeit eines Versandfertigmachers nach der berufskundlichen Stellungnahme des M L vom 14. Januar 2005 nicht entgegen. Im Übrigen folgt daraus jedoch nichts Neues, denn dass sich das Belastungsprofil eines Versandfertigmachers in körperlicher oder geistiger Hinsicht zwischenzeitlich verändert haben könnte, insbesondere stärkere oder höhere Anforderungen gestellt werden, wird in dieser neuen berufskundlichen Stellungnahme gerade verneint.

Die bei der Klägerin bestehenden Leistungseinschränkungen lassen sich mit dem Belastungsprofil einer Versandfertigmacherin in Einklang bringen. Wenn der Sachverständige B somit zu der Einschätzung gelangt ist, die Klägerin könne diesen Beruf vollschichtig und damit auch mindestens drei Stunden bzw. sechs Stunden täglich ausüben, ist dies, weil er das berufskundliche Anforderungsprofil nicht verkannt hat, schlüssig und bewegt sich im Rahmen des einem Arzt einzuräumenden Beurteilungsspielraumes, so dass sich der Senat seine Bewertung zu eigen machen kann.

Die von dem Sachverständigen B für erforderlich gehaltene Pausenregelung steht dieser Tätigkeit nicht entgegen.

Nach § 4 Sätze 1 und 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist die Arbeit durch im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis zu 9 Stunden zu unterbrechen, wobei die Ruhepausen in Zeitabschnitten von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden können. Insoweit begründen zusätzliche, also betriebsunübliche, Pausen eine schwere spezifische Leistungseinschränkung, die nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich dazu führt, dass eine konkrete Verweisungstätigkeit, die einer solchen unüblichen Pausenregelung gerecht wird, zu benennen ist (BSG, SozR 2200 § 1246 Nr. 136).

Nach dem Sachverständigen B muss die Klägerin zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten während eines achtstündigen Arbeitstages jeweils im Umfang von höchstens fünf Minuten zur kurzfristigen Nahrungsaufnahme (nach seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. April 2008 in Form zum Beispiel eines Müsliriegels, einer Banane oder eines Joghurts) morgens nach Arbeitsbeginn und vor der (üblichen) Mittagspause zwei Pausen sowie nachmittags nach der Mittagspause bis zum Ende des Arbeitstages weitere zwei Pausen machen. Dies ist nachvollziehbar. Bei der insulinpflichtigen Zuckerkrankheit besteht, so der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Januar 2008, bei großen Zeitintervallen zwischen den Nahrungsaufnahmen das Risiko der Unterzuckerung, was zu einem Koma führen kann. Zwei große Mahlzeiten am Tag alleine bewirken bei Insulinbehandlung einen schnellen Blutzuckerabbau. Um den Abfall des Blutzuckers zu verhindern, muss daher zwischendurch mit kleinen Zwischenmahlzeiten entgegengewirkt werden (vgl. auch seine ergänzenden Stellungnahmen vom 14. Februar 2008 und 09. September 2008).

Die von dem Sachverständigen B für erforderlich gehaltenen Pausen sind rechtlich relevant, denn nach der o. g. Vorschrift besteht kein Anspruch darauf. Gleichwohl führt dies, wie der berufskundliche Sachverständige L ausgeführt hat, nicht zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes, denn die erforderlichen Arbeitsunterbrechungen stehen der Tätigkeit einer Versandfertigmacherin nicht entgegen. Die genannten Arbeitsunterbrechungen stellen im Arbeitsalltag insofern keine Besonderheit dar, weil diese kurzen Zeiten der so genannten persönlichen Verteilzeit zuzurechnen sind. Verteilzeiten sind Zeitanteile, die unregelmäßig auftreten und nicht für den Arbeitsprozess selbst verwendet werden, aber dennoch als Arbeitszeit gerechnet und deshalb bei der Ermittlung des Personalbedarfs, der Kapazität oder des Auslastungsgrades berücksichtigt werden. Nach dem Sachverständigen L werden zwei Arbeiten von Verteilzeiten unterschieden, die sachliche Verteilzeit (z. B. Einrichten und Aufräumen des Arbeitsplatzes, Vorbereitung technischer Arbeitsmittel, arbeitsbedingte Gespräche), die nach allgemeiner Erfahrung 5 v. H. der Arbeitszeit ausmacht, und die persönliche Verteilzeit mit einem Anteil von ca. 10 v. H. der Arbeitszeit, zu der die Frühstückspause, Toilettenbesuche, Besprechungen und Rücksprachen in persönlichen Angelegenheiten, Erholungs- und Entspannungszeiten und ähnliches rechnen. Diese Verteilzeiten werden in der betriebswirtschaftlichen Betrachtung häufig pauschal mit 15 v. H. der Arbeitszeit zusammengefasst. Sind solche Pausen und Arbeitsunterbrechungen zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten erforderlich, können sie allerdings grundsätzlich durchaus der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit entgegenstehen. Dies ist auf solchen Arbeitsplätzen der Fall, bei denen entweder der Fortgang der Arbeitsverrichtungen durch Maschinen oder Anlagen fremdbestimmt wird oder der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz wegen betriebsbedingter zwingender Anwesenheit, wie beim Pförtner, nicht jederzeit verlassen kann bzw. darf. Können hingegen Pausen bzw. Arbeitsunterbrechungen nach den persönlichen Bedürfnissen gemacht werden, wie dies an einem so genannten Einzelarbeitsplatz möglich ist, fließen sie in die persönliche Gestaltung der Einzelarbeitsverrichtungen im Rahmen der persönlichen Verteilzeit ein, ohne dass dies Auswirkungen auf den Gesamtarbeitsprozess hat. Bei der Tätigkeit der Versandfertigmacherin, wie sie von dem Sachverständigen L beschrieben worden ist, handelt es sich nach dessen Beurteilung um einen solchen Einzelarbeitsplatz. Es ist daher nachvollziehbar, wenn dieser Sachverständige die von dem Sachverständigen Bfür erforderlich gehaltenen Pausen bzw. Arbeitsunterbrechungen als nicht hinderlich für die Ausübung einer solchen Berufstätigkeit bewertet hat.

Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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