Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 An 775/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der durch Verfolgungsmaßnahmen erzwungene Verlust des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst bleibt wegen der Sonderregelung der VO vom 22.1.1940 bei Gehaltsfortzahlung auch nach der Einberufung zum militärischen Dienst für einen Schaden in der Sozialversicherung bestimmend.
§ 13 Abs. 1 WGSVG ist insoweit entsprechend anzuwenden und eine Vergleichsberechnung in Verbindung mit § 322 AVG durchzuführen.
§ 13 Abs. 1 WGSVG ist insoweit entsprechend anzuwenden und eine Vergleichsberechnung in Verbindung mit § 322 AVG durchzuführen.
Die Berufung der Beklagten gegen des Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 1974 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte bei der Rentenberechnung die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 unter Zuordnung der Beitragsklassen und Arbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 des Fremdrentengesetzes im Wege der Vergleichsberechnung zu berücksichtigen hat.
Die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten hat die Beklagte zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der 1907 geborene Kläger gehört zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes –BEG–. Er übte bei Beginn dar Verfolgungsmaßnahmen eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Verwaltungsangestellter bei der LVA H. aus. Im September 1933 wurde er aus politischen Gründen aus diesem Beschäftigungsverhältnis entfernt.
In der Folgezeit war er bis zu seiner Einberufung zum militärischen Dienst am 14. Juni 1940 bei mehreren Arbeitgebern in Privatbetrieben beschäftigt. Er bezog aus diesen Beschäftigungen entsprechend den Markenwerten im Versicherungskarten Nr. 6–9 ein geringeres Arbeitsentgelt, als er bei Zugrundelegung der vorher ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nach der Aufstellung der LVA H. vom 8.11.1960 (Blatt 8–11 RA) ohne Verfolgungsmaßnahmen erhalten hätte; das Arbeitsentgelt wäre von der LVA H. während des militärischen Dienstes des Klägers bis 30. Juni 1945 weitergezahlt worden (Auskunft der LVA H. vom 11.12.1974).
Wegen Schadens im beruflichen Fortkommen wurde nach dem BEG eine Entschädigung von 4.766,– DM gewährt; der Entschädigungszeitraum wurde vom 1.1.1934–28.10.1945 bemessen (Bescheid des Landesamtes für Wiedergutmachung, Stuttgart, vom 28.10.1963). Ab 29.10.1945 war der Kläger als Angestellter bei der Stadtverwaltung G. tätig.
Mit Bescheid vom 20. März 1972 gewährte die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1.5.1972. Die für die Zeit vom 1. September 1933 bis 30. Juni 1940 vorhandenen Pflichtbeiträge wurden nach § 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl. I 1846) – WGSVG – unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 4 bzw. – ab April 1937 – der Leistungsgruppe B 3 der Anlagen zu § 22 des Fremdrentengesetzes –FRG– angehoben. Für die Monate Februar 1935 und August, September 1935 wurden Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingter Arbeitslosigkeit gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes –AVG– angenommen. Die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 wurde als Ersatzzeit des militärischen Dienstes nach allgemeinen Vorschriften berücksichtigt.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 sei als Beitragszeit unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 FRG anzurechnen. Als Beschäftigter der LVA H. hätte er entsprechend den damaligen Regelungen für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes sein Gehalt auch während der Zeit des militärischen Dienstes weiter erhalten. Es wären dann auch die entsprechenden Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Ferner beanspruchte der Kläger Erstattung der von Dienstherrn (LVA H.) ohne die Verfolgungsmaßnahmen geleisteten Überversicherungsbeiträge und Anrechnung von Beiträgen mindestens der Klasse 4 für die gesamte Zeit der Verfolgung.
Die Beklagte war der Auffassung, beim militärischen Dienst des Klägers handele es sich nicht um einen Verfolgungstatbestand. Der Schaden des Klägers in der Sozialversicherung in dieser Zeit sei nicht mehr durch die Verfolgung, sondern aus anderen Gründen entstanden.
Das Sozialgericht Frankfurt/Main gab der Klage hinsichtlich der begehrten Anrechnung der Zeit vom 1.7.1940 bis 30.6.1945 als Beitragszeit unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlagen zu § 22 FRG statt; im übrigen wurde die Klage abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 sei dem Kläger ein Schaden in der Sozialversicherung entstanden, der durch Anrechnung einer Beitragszeit auszugleichen sei. Ohne die Entlassung im Jahre 1933 wären für den Kläger nach der Regelung des § 1 der Verordnung über die Rentenversicherung und die knappschaftliche Pensionsversicherung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 22. Januar 1940 (RGBl. I S. 225) Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Dieser Schaden sei in entsprechender Anwendung der §§ 13, 14 WGSVG auszugleichen.
Die gesetzlichen Bestimmungen über die Wiedergutmachung in der Sozialversicherung seien seit jeher darauf gerichtet, den Verfolgten vollen Schadensersatz zu gewähren. Durch das WGSVG habe sich hieran nichts geändert.
Gegen dieses am 22. Juli 1974 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. August 1974 Berufung eingelegt, mit der sie die Ansicht vertritt, die Zeit des militärischen Dienstes des Klägers werde von den Regelungen der §§ 13, 14 WGSVG nicht erfasst. Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Wiedergutmachung in der Sozialversicherung sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber derartige Fälle übersehen habe. Jedenfalls könne aber ein Schaden des Klägers in der Sozialversicherung während des militärischen Dienstes nicht mehr mit den Verfolgungsmaßnahmen in Zusammenhang gebracht werden, wie sich auch aus der Entscheidung des BSG vom 17.3.1970 – 11 RA – 136/66 – entnehmen lasse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 24. Juni 1974 aufzuheben soweit der Klage stattgegeben wurde und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, zwischen der Verfolgung und dem Beitragsausfall in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 bestehe ein Ursachenzusammenhang. Der Beitragsausfall sei deshalb zu entschädigen.
Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Rentenakten und der Entschädigungsakten des Landesamtes für Wiedergutmachung Baden-Württemberg, Az.: ES xxxxx – Reg.F., die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).
Sachlich ist die Berufung jedoch unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Berücksichtigung der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 unter Zuordnung der Beitragsklassen und Arbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 FRG bei der Rentenberechnung. Dieser Anspruch ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 13 Abs. 1 des WGSVG. Danach werden für einen Verfolgten, der eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung, die u.a. – wie beim Kläger – durch Verfolgungszeiten beendet worden ist, den Verfolgungszeiten die Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte zugeordnet, die sich bei entsprechender Anwendung des § 22 FRG ergeben, falls dies gegenüber der Berechnung nach den allgemeinen Vorschriften zu einer für den Berechtigten günstigeren Rentenbemessungsgrundlage führt.
Diese Vorschrift ist entsprechend auch für die Teilnahme des Klägers als Soldat am Zweiten Weltkrieg in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 anzuwenden. Die Kriegsteilnahme eines Versicherten, wie es der Kläger war, als Soldat wird gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 AVG in jedem Fall als Ersatzzeit berücksichtigt, allerdings nur als Zeit "ohne Beitragsleistung” (§ 27 Abs. 1 Buchst. b). Bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage werden solche beitragslosen Zeiten regelmäßig einheitlich mit dem Monatsdurchschnitt, der sich aus den vor dem 1. Januar 1965 zurückgelegten Beitragszeiten ergibt, bewertet (§ 32 a AVG). Ein Verfolgungstatbestand des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG wird vom Kläger durch die Zeit das militärischen Dienstes hingegen nicht erfüllt, weil eine verfolgungsbedingte Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung insofern nicht vorlag. Damit ist eine direkte Anwendung des § 13 WGSVG nicht möglich. Unter Verfolgungszeiten im Sinne dieses Gesetzes sind, wie sich aus § 11 ergibt, die Tatbestände des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG gemeint.
Dem Kläger ist jedoch für die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 eine im wesentlichen gleiche Rechtsposition einzuräumen, die er bisher hatte und die bis zu seiner Einberufung zum militärischen Dienst zur Anwendung der Regelung des § 14 Abs. 1 WGSVG führte. Diese besondere Rechtsposition ergibt sich für den Kläger aus seiner Eigenschaft als Verfolgter des Nationalsozialismus. Der Kläger ist auch während der Soldatenzeit Verfolgter im Sinne des BEG gewesen. Tatsächlich wirkte sich der erzwungene Verlust des Arbeitsplatzes für den Kläger nicht nur – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – bis zur Einberufung zum militärischen Dienst, sondern auch noch während des Kriegsdienstes schädigend aus. Für die Angestellten (und Arbeiter) des öffentlichen Dienstes, die zum militärischen Dienst eingezogen waren und ihre Dienstbezüge weiterbezogen, galt die Sonderregelung, dass Beiträge zur Rentenversicherung weiter zu entrichten waren (vgl. § 1 der Verordnung vom 22.1.1940). Dem Kläger wären aber, wie sich aus der Auskunft der LVA H. vom 11.12.1974 ergibt, falls er bei seiner Einberufung dort weiter beschäftigt gewesen wäre, die Dienstbezüge während des militärischen Dienstes bis 30.6.1945 weitergewährt worden. Es wäre deshalb nach der angeführten gesetzlichen Regelung auch eine entsprechende Beitragsleistung zur Angestelltenversicherung erfolgt.
Der Einwand der Beklagten, die politisch bedingte Entlassung sei von der Einberufung zum militärischen Dienst an für einen derartigen Schaden in der Sozialversicherung nicht weiterhin bestimmend, erscheint nicht zutreffend. Der Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 17.3.1970 – 11 RA-136/66 – geht insoweit fehl. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich gänzlich von dem vorliegenden. In jenem Fall war der Kläger von den Ereignissen des Zusammenbruchs betroffen; ein verfolgungsbedingter Schaden wurde verneint, weil der Kläger von diesen Ereignissen auch dann betroffen worden wäre, wenn er nicht Verfolgter gewesen wäre. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Das BSG hat bereits zum früheren Wiedergutmachungsrecht ausgesprochen, dass ein Arbeitnehmer, der wegen seiner politischen Haltung im Mai 1933 aus seinem damaligen Arbeitsverhältnis entlassen wurde und in der Folgezeit kein gleichartiges Arbeitsverhältnis eingehen konnte, Verfolgter auch während seiner Soldatenzeit geblieben ist (vgl. BSG Urt. v. 16.9.1960 – 1 RA-74/59 –). Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsmeinung bei der Beurteilung nach dem WGSVG abzugehen, zumal in Falle des Klägers die verfolgungsbedingte Schlechterstellung in der Sozialversicherung wegen der damaligen Sonderregelung für Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes deutlicher erkennbar ist als in dem vom BSG (a.a.O.) entschiedenen Fall. Der Ansicht der Beklagten, der Gesetzgeber habe bewußt in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG solche Fälle nicht für eine besondere Entschädigung nach dem WGSVG erfasst, ist der Senat nicht gefolgt. Die Verfolgten des Nationalsozialismus nahmen, wie in der Rechtsprechung wiederholt hervorgehoben wurde (BSG a.a.O.; BSG 10, 113), in der Rentenversicherung nach dem bisherigen Wiedergutmachungsrecht eine Rechtsstellung eigener Art ein, die nicht an den üblichen Grundsätzen der Rentenversicherung gemessen werden kann. Hieran hat sich durch das Inkrafttreten des WGSVG nichts Entscheidendes geändert. Es deutet nichts darauf hin, dass insbesondere durch die Neufassung des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 eine einschränkende und abschließende Regelung dahin getroffen wurde, dass nur die in § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG aufgeführten Ersatzzeittatbestände – zu denen Fälle der vorliegenden Art nicht gerechnet werden können – als Verfolgungszeiten im Sinne des § 13 Abs. 1 WGSVG anzusehen sind. Dar Senat hielt es deshalb in Anlehnung an die angeführte bisherige Rechtsprechung für gerechtfertigt, die Vorschrift des § 13 Abs. 1 WGSVG für die Zeit des militärischen Dienstes des Klägers vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 entsprechend anzuwenden.
Auf Grund dieser entsprechenden Anwendung ist demnach eine Vergleichsberechnung vorzunehmen. Dabei ist zum einen die Zeit wie alle anderen Ersatzzeiten gem. § 32 a AVG zu bewerten. Zum anderen ist diese Zeit mit den Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelten bei entsprechender Anwendung des § 22 FRG zu bewerten. Dabei ist – wie vom Kläger begehrt wurde – eine Zuordnung in die Leistungsgruppe B 3 vorzunehmen. Dies entspricht der wahrscheinlich von Kläger bei der LVA H. bei einer Weiterbeschäftigung erreichten Stellung, wie die Beklagte durch die bereits erfolgte entsprechende Zuordnung seit der Zeit von 1937 bis zur Einberufung des Klägers zum militärischen Dienst anerkannt hat.
Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts war daher – wie geschehen – zur Klarstellung abzuändern.
Der Senat hat der vorliegenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Er hat deshalb die Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten hat die Beklagte zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der 1907 geborene Kläger gehört zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes –BEG–. Er übte bei Beginn dar Verfolgungsmaßnahmen eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Verwaltungsangestellter bei der LVA H. aus. Im September 1933 wurde er aus politischen Gründen aus diesem Beschäftigungsverhältnis entfernt.
In der Folgezeit war er bis zu seiner Einberufung zum militärischen Dienst am 14. Juni 1940 bei mehreren Arbeitgebern in Privatbetrieben beschäftigt. Er bezog aus diesen Beschäftigungen entsprechend den Markenwerten im Versicherungskarten Nr. 6–9 ein geringeres Arbeitsentgelt, als er bei Zugrundelegung der vorher ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nach der Aufstellung der LVA H. vom 8.11.1960 (Blatt 8–11 RA) ohne Verfolgungsmaßnahmen erhalten hätte; das Arbeitsentgelt wäre von der LVA H. während des militärischen Dienstes des Klägers bis 30. Juni 1945 weitergezahlt worden (Auskunft der LVA H. vom 11.12.1974).
Wegen Schadens im beruflichen Fortkommen wurde nach dem BEG eine Entschädigung von 4.766,– DM gewährt; der Entschädigungszeitraum wurde vom 1.1.1934–28.10.1945 bemessen (Bescheid des Landesamtes für Wiedergutmachung, Stuttgart, vom 28.10.1963). Ab 29.10.1945 war der Kläger als Angestellter bei der Stadtverwaltung G. tätig.
Mit Bescheid vom 20. März 1972 gewährte die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1.5.1972. Die für die Zeit vom 1. September 1933 bis 30. Juni 1940 vorhandenen Pflichtbeiträge wurden nach § 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl. I 1846) – WGSVG – unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 4 bzw. – ab April 1937 – der Leistungsgruppe B 3 der Anlagen zu § 22 des Fremdrentengesetzes –FRG– angehoben. Für die Monate Februar 1935 und August, September 1935 wurden Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingter Arbeitslosigkeit gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes –AVG– angenommen. Die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 wurde als Ersatzzeit des militärischen Dienstes nach allgemeinen Vorschriften berücksichtigt.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 sei als Beitragszeit unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 FRG anzurechnen. Als Beschäftigter der LVA H. hätte er entsprechend den damaligen Regelungen für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes sein Gehalt auch während der Zeit des militärischen Dienstes weiter erhalten. Es wären dann auch die entsprechenden Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Ferner beanspruchte der Kläger Erstattung der von Dienstherrn (LVA H.) ohne die Verfolgungsmaßnahmen geleisteten Überversicherungsbeiträge und Anrechnung von Beiträgen mindestens der Klasse 4 für die gesamte Zeit der Verfolgung.
Die Beklagte war der Auffassung, beim militärischen Dienst des Klägers handele es sich nicht um einen Verfolgungstatbestand. Der Schaden des Klägers in der Sozialversicherung in dieser Zeit sei nicht mehr durch die Verfolgung, sondern aus anderen Gründen entstanden.
Das Sozialgericht Frankfurt/Main gab der Klage hinsichtlich der begehrten Anrechnung der Zeit vom 1.7.1940 bis 30.6.1945 als Beitragszeit unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlagen zu § 22 FRG statt; im übrigen wurde die Klage abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 sei dem Kläger ein Schaden in der Sozialversicherung entstanden, der durch Anrechnung einer Beitragszeit auszugleichen sei. Ohne die Entlassung im Jahre 1933 wären für den Kläger nach der Regelung des § 1 der Verordnung über die Rentenversicherung und die knappschaftliche Pensionsversicherung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 22. Januar 1940 (RGBl. I S. 225) Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Dieser Schaden sei in entsprechender Anwendung der §§ 13, 14 WGSVG auszugleichen.
Die gesetzlichen Bestimmungen über die Wiedergutmachung in der Sozialversicherung seien seit jeher darauf gerichtet, den Verfolgten vollen Schadensersatz zu gewähren. Durch das WGSVG habe sich hieran nichts geändert.
Gegen dieses am 22. Juli 1974 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. August 1974 Berufung eingelegt, mit der sie die Ansicht vertritt, die Zeit des militärischen Dienstes des Klägers werde von den Regelungen der §§ 13, 14 WGSVG nicht erfasst. Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Wiedergutmachung in der Sozialversicherung sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber derartige Fälle übersehen habe. Jedenfalls könne aber ein Schaden des Klägers in der Sozialversicherung während des militärischen Dienstes nicht mehr mit den Verfolgungsmaßnahmen in Zusammenhang gebracht werden, wie sich auch aus der Entscheidung des BSG vom 17.3.1970 – 11 RA – 136/66 – entnehmen lasse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 24. Juni 1974 aufzuheben soweit der Klage stattgegeben wurde und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, zwischen der Verfolgung und dem Beitragsausfall in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 bestehe ein Ursachenzusammenhang. Der Beitragsausfall sei deshalb zu entschädigen.
Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Rentenakten und der Entschädigungsakten des Landesamtes für Wiedergutmachung Baden-Württemberg, Az.: ES xxxxx – Reg.F., die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).
Sachlich ist die Berufung jedoch unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Berücksichtigung der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 unter Zuordnung der Beitragsklassen und Arbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 FRG bei der Rentenberechnung. Dieser Anspruch ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 13 Abs. 1 des WGSVG. Danach werden für einen Verfolgten, der eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung, die u.a. – wie beim Kläger – durch Verfolgungszeiten beendet worden ist, den Verfolgungszeiten die Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte zugeordnet, die sich bei entsprechender Anwendung des § 22 FRG ergeben, falls dies gegenüber der Berechnung nach den allgemeinen Vorschriften zu einer für den Berechtigten günstigeren Rentenbemessungsgrundlage führt.
Diese Vorschrift ist entsprechend auch für die Teilnahme des Klägers als Soldat am Zweiten Weltkrieg in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 anzuwenden. Die Kriegsteilnahme eines Versicherten, wie es der Kläger war, als Soldat wird gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 AVG in jedem Fall als Ersatzzeit berücksichtigt, allerdings nur als Zeit "ohne Beitragsleistung” (§ 27 Abs. 1 Buchst. b). Bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage werden solche beitragslosen Zeiten regelmäßig einheitlich mit dem Monatsdurchschnitt, der sich aus den vor dem 1. Januar 1965 zurückgelegten Beitragszeiten ergibt, bewertet (§ 32 a AVG). Ein Verfolgungstatbestand des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG wird vom Kläger durch die Zeit das militärischen Dienstes hingegen nicht erfüllt, weil eine verfolgungsbedingte Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung insofern nicht vorlag. Damit ist eine direkte Anwendung des § 13 WGSVG nicht möglich. Unter Verfolgungszeiten im Sinne dieses Gesetzes sind, wie sich aus § 11 ergibt, die Tatbestände des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG gemeint.
Dem Kläger ist jedoch für die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 eine im wesentlichen gleiche Rechtsposition einzuräumen, die er bisher hatte und die bis zu seiner Einberufung zum militärischen Dienst zur Anwendung der Regelung des § 14 Abs. 1 WGSVG führte. Diese besondere Rechtsposition ergibt sich für den Kläger aus seiner Eigenschaft als Verfolgter des Nationalsozialismus. Der Kläger ist auch während der Soldatenzeit Verfolgter im Sinne des BEG gewesen. Tatsächlich wirkte sich der erzwungene Verlust des Arbeitsplatzes für den Kläger nicht nur – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – bis zur Einberufung zum militärischen Dienst, sondern auch noch während des Kriegsdienstes schädigend aus. Für die Angestellten (und Arbeiter) des öffentlichen Dienstes, die zum militärischen Dienst eingezogen waren und ihre Dienstbezüge weiterbezogen, galt die Sonderregelung, dass Beiträge zur Rentenversicherung weiter zu entrichten waren (vgl. § 1 der Verordnung vom 22.1.1940). Dem Kläger wären aber, wie sich aus der Auskunft der LVA H. vom 11.12.1974 ergibt, falls er bei seiner Einberufung dort weiter beschäftigt gewesen wäre, die Dienstbezüge während des militärischen Dienstes bis 30.6.1945 weitergewährt worden. Es wäre deshalb nach der angeführten gesetzlichen Regelung auch eine entsprechende Beitragsleistung zur Angestelltenversicherung erfolgt.
Der Einwand der Beklagten, die politisch bedingte Entlassung sei von der Einberufung zum militärischen Dienst an für einen derartigen Schaden in der Sozialversicherung nicht weiterhin bestimmend, erscheint nicht zutreffend. Der Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 17.3.1970 – 11 RA-136/66 – geht insoweit fehl. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich gänzlich von dem vorliegenden. In jenem Fall war der Kläger von den Ereignissen des Zusammenbruchs betroffen; ein verfolgungsbedingter Schaden wurde verneint, weil der Kläger von diesen Ereignissen auch dann betroffen worden wäre, wenn er nicht Verfolgter gewesen wäre. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Das BSG hat bereits zum früheren Wiedergutmachungsrecht ausgesprochen, dass ein Arbeitnehmer, der wegen seiner politischen Haltung im Mai 1933 aus seinem damaligen Arbeitsverhältnis entlassen wurde und in der Folgezeit kein gleichartiges Arbeitsverhältnis eingehen konnte, Verfolgter auch während seiner Soldatenzeit geblieben ist (vgl. BSG Urt. v. 16.9.1960 – 1 RA-74/59 –). Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsmeinung bei der Beurteilung nach dem WGSVG abzugehen, zumal in Falle des Klägers die verfolgungsbedingte Schlechterstellung in der Sozialversicherung wegen der damaligen Sonderregelung für Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes deutlicher erkennbar ist als in dem vom BSG (a.a.O.) entschiedenen Fall. Der Ansicht der Beklagten, der Gesetzgeber habe bewußt in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG solche Fälle nicht für eine besondere Entschädigung nach dem WGSVG erfasst, ist der Senat nicht gefolgt. Die Verfolgten des Nationalsozialismus nahmen, wie in der Rechtsprechung wiederholt hervorgehoben wurde (BSG a.a.O.; BSG 10, 113), in der Rentenversicherung nach dem bisherigen Wiedergutmachungsrecht eine Rechtsstellung eigener Art ein, die nicht an den üblichen Grundsätzen der Rentenversicherung gemessen werden kann. Hieran hat sich durch das Inkrafttreten des WGSVG nichts Entscheidendes geändert. Es deutet nichts darauf hin, dass insbesondere durch die Neufassung des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 eine einschränkende und abschließende Regelung dahin getroffen wurde, dass nur die in § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG aufgeführten Ersatzzeittatbestände – zu denen Fälle der vorliegenden Art nicht gerechnet werden können – als Verfolgungszeiten im Sinne des § 13 Abs. 1 WGSVG anzusehen sind. Dar Senat hielt es deshalb in Anlehnung an die angeführte bisherige Rechtsprechung für gerechtfertigt, die Vorschrift des § 13 Abs. 1 WGSVG für die Zeit des militärischen Dienstes des Klägers vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 entsprechend anzuwenden.
Auf Grund dieser entsprechenden Anwendung ist demnach eine Vergleichsberechnung vorzunehmen. Dabei ist zum einen die Zeit wie alle anderen Ersatzzeiten gem. § 32 a AVG zu bewerten. Zum anderen ist diese Zeit mit den Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelten bei entsprechender Anwendung des § 22 FRG zu bewerten. Dabei ist – wie vom Kläger begehrt wurde – eine Zuordnung in die Leistungsgruppe B 3 vorzunehmen. Dies entspricht der wahrscheinlich von Kläger bei der LVA H. bei einer Weiterbeschäftigung erreichten Stellung, wie die Beklagte durch die bereits erfolgte entsprechende Zuordnung seit der Zeit von 1937 bis zur Einberufung des Klägers zum militärischen Dienst anerkannt hat.
Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts war daher – wie geschehen – zur Klarstellung abzuändern.
Der Senat hat der vorliegenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Er hat deshalb die Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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