L 2 J 772/74

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 772/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Hat der sich ständig im Ausland (hier: Argentinien) aufhaltende Rentner im Vertrauen auf die jahrelange ablehnend Verwaltungspraxis des Versicherungsträgers seine Ansprüche auf Zuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag (§ 381 Abs. 4 S. 2 RVO) erst verspätet geltend gemacht, nachdem die Rechtslage zu seinen Gunsten geklärt war, so verbieten es Treu und Glauben dem Versicherungsträger die Einrede der Verjährung zu erheben.
2. Eine eindeutig geklärte Rechtslage wurde erst im Laufe einer längeren Entwicklung – Abschluß mit Urteil des BSG vom 20.10.1972 (BSGE 35, 15) gewonnen.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. August 1974 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1974 mit der Maßgabe abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger den Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag für die Zeit vom 7. Februar 1966 bis 31. Januar 1969 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte zahlt dem in A. lebenden Kläger, der deutscher Staatsangehöriger und Verfolgter i.S. des Bundesentschädigungsgesetzes – BEG – ist, seit dem 1. Februar 1966 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die erste Rentenfeststellung erfolgte mit Bescheid vom 18. September 1969 auf den Rentenantrag des Klägers vom 7. Februar 1966 hin. In der Rentenakte der Beklagen ist vermerkt, daß diesem Bescheid ein "Merkblatt” beigefügt war. Am 24. Januar 1973 beantragte der Kläger die Gewährung eines Zuschusses zu seinem Krankenversicherungsbeitrag nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung – RVO –. Die Beklagte gewährte den Beitragszuschuß rückwirkend ab 1. Februar 1969. Für die davorliegende Zeit seit der Rentenantragstellung bis 31. Januar 1969 berief sich die Beklagte auf die Einrede der Verjährung nach § 29 Abs. 3 RVO.

Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Beklagte habe das Widerspruchsverfahren nachzuholen. Im übrigen habe die Beklagte nicht begründet, warum sie die Einrede der Verjährung erhebe.

Die Beklagte holte das Widerspruchsverfahren nach und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 1974 zurück mit der Begründung, die Geltendmachung der Verjährung könne nicht als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden. Es bestünden keine Anhaltspunkte, daß sie an der verspäteten Antragstellung des Klägers ein Verschulden treffe; diese Verspätung sei vielmehr dem Kläger anzurechnen.

Der Kläger trug vor, bis vor einiger Zeit habe die Beklagte Anträge von Rentnern an A. und anderen Staaten, mit denen die Bundesrepublik Sozialversicherungsabkommen nicht abgeschlossen habe, auf Beitragszuschüsse abgelehnt, weil den Rentnern aufgrund der Ruhensbestimmungen und wegen der fehlenden zwischenstaatlichen Verträge ein Beitragszuschuß nicht zustehe. Aufgrund dieser Praxis habe sich bei ihm eine dahingehende feste Auffassung gebildet, so daß er davon Abstand genommen habe, die Beklagte mit dem – seinerzeit aussichtslosen – Antrag auf Beitragszuschuß zu befassen. Ihre Praxis habe die Beklagte erst geändert, nachdem das Bundessozialgericht – BSG – mit dem Urteil vom 28. August 1970 – 3 RK-94/69 – (BSGE 31, 288) entscheiden habe, daß auch solche Rentner Zuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag erhalten können. Die Beklagte habe den Kläger von dem Wandel der Rechtsauffassung unterrichten müssen; es sei der beklagten zuzumuten gewesen, entsprechende Hinweise, z.B. anläßlich der Übersendung von Lebensbescheinigungsformularen, zu geben.

Die Beklagte trug vor, obwohl die Rechtslage zugunsten des Klägers bereits durch das Urteil des BSG vom 28. August 1970 (a.a.O.) geklärt worden sei, habe dieser den Antrag auf Beitragszuschuß erst im Januar 1973 gestellt. Eine Unkenntnis der Rechtslage könne ihn nicht vor Verjährung schützen.

Mit Urteil vom 8. August 1974 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage ab mit der Begründung, dem Kläger sei zuzumuten gewesen, sich um seinen Anspruch auf Beitragszuschuß zu kümmern und einen Antrag vorsorglich zu stellen oder sich beraten zu lassen. Die Geltendmachung der Verjährungseinrede durch die Beklagte sei deshalb nicht ermessensfehlerhaft. Sie verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Eine Aufklärungspflicht der Beklagten habe nicht bestanden.

Gegen dieses zum Zwecke der Zustellung an den Kläger am 12. August 1974 zur Post aufgelieferte Urteil hat der Kläger mit dem am 19. August 1974 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Er meint, es sei ermessensmißbräuchlich, daß die Beklagte bisher nicht die Erwägungen bezeichnet habe, die Veranlassung für die Erhebung der Verjährungseinrede gegeben hätten. Eine solche Begründung sei aber für die Ermessensentscheidung gemäß § 29 Abs. 3 RVO erforderlich, worauf z.B. das Sozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 14. Juni 1974 (S 72-KR-264/73) hingewiesen habe. Im übrigen stütze er sich auf ein Urteil des Landessozialgerichts – LSG – Berlin vom 11. September 1974 (L-9/Kr-68/73), nach dem die richtige Erkenntnis, wie § 381 Abs. 4 RVO bei ständigen Auslandsaufenthalt des Rentners auszulegen sei, erst durch ein Urteil des BSG vom 20. Oktober 1972 – 3-RK-10/72 – (BSGE 34, 15) gewonnen wurde. Daraus folge, daß ihm keine für ihn schädliche Unkenntnis des Rechts vorgeworfen werden könne. Die allmähliche Entwicklung in der Gesetzesauslegung habe sich außerhalb seines Verantwortungsbereiches abgespielt.

Der Kläger beantragt zur Sache (wörtlich):
Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. August 1974 und der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1973, soweit Ansprüche für die Zeit vor dem 1. Februar 1969 abgelehnt worden sind, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1974 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger hinsichtlich der Zeit vor dem 1. Februar 1969 einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden.

Sie trägt vor, in gleich- oder ähnlich gelagerten Fällen habe sie ausnahmslos die Verjährungseinrede erhoben. Die verspätete Geltendmachung des Leistungsanspruchs sei von ihr nicht veranlaßt worden. Daß sie ihre Verwaltungspraxis hinsichtlich des Beitragszuschusses an Rentner im Ausland aufgrund des Urteils des BSG vom 28. August 1970 (a.a.O.) mit einer Verwaltungsanordnung vom 3. Mai 1971 geändert habe, sei in diesem Zusammenhang rechtlich nicht erheblich. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, unabhängig von der seinerzeit nicht geklärten Rechtslage dem Antrag auf Beitragszuschuß zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt zu stellen.

Ergänzend wird auf den Inhalt de Gerichtsakten und der Rentenakten der Beklagten, die vorgelegen haben, Bezug genommen.

Im Termin am 28. Oktober 1970 war der Kläger trotz ordnungsgemäßer Landung weder erschienen noch vertreten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat auf Antrag der Beklagten gemäß § 126 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – nach Lage der Akten entscheiden, kann, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 110 SGG), ist zulässig; denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt und statthaft (vgl. §§ 143, 151 Abs. 2 SGG). Ein Berufungsausschließungsgrund nach § 146 SGG liegt nicht vor, weil die Berufung nicht Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft, sondern eine andere Leistung.

Sachlich ist die Berufung auch begründet.

Die vom Kläger erst im Januar 1973 gestellten Ansprüche auf Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag (§ 381 Abs. 4 Satz 2 RVO) sind für die Zeit vom 7. Februar 1966 (Rentenantragstellung) bis 31. Januar 1969 zwar verjährt. Mit dem Beschuß vom 21. Dezember 1971 – GS-4/71 – (BSGE 34, 1 – SozR Nr. 24 zu § 29 RVO) hat der Große Senat des BSG entschieden, daß die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 RVO bei Rentensprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Entstehung des Rentenversicherung mit der Entstehung des Rentenanspruches beginnt und demnach vier Jahre danach endet, es sei denn, daß der Antrag materiell-rechtliche Bedeutung hat. Dies hat entsprechen auf Ansprüche auf Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag (§ 381 Abs. 4 Satz 2 RVO) zu gelten, weil es sich hierbei wie bei der Rente unregelmäßig wiederkehrende Leistungen handelt. Der Antrag auf Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag hat keine materiell-rechtliche Bedeutung (vgl. BSGE 14, 112). Auf den Beginn des Beitragszuschusses hat deshalb der Antrag keinen Einfluß. Der Beginn bestimmt sich danach, von wann ab der Versicherungsträger im Falle der Pflichtversicherung den Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner – KVdR – zu leisten hätte. Da die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 173 a Abs. RVO vom Beginn der Versicherungspflicht an wirkt, setzt auch der Beitragszuschuß rückwirkend ein. Weil der Kläger den Antrag auf Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag erst im Januar 1973 gestellt hat, ist sein Anspruch hierauf für die Zeit vom 7. Februar 1966 (Rentenantragstellung) bis zum 31. Januar 1969 verjährt (§ 29 Abs. 3 RVO).

Die Beklagte kann sich jedoch auf die Verjährung nicht berufen. Ob ein Versicherungsträger sich auf die Verjährung berufen will, hat er nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden (vgl. BSG SozR Nr. 16 zu § 79 SGG). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind nur befugt zu prüfen, ob der Versicherungsträger im Einzelfalle das ihm zukommende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat; es kommt ihnen aber nicht zu, ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens des Versicherungsträgers zu setzen. Es gibt jedoch Fälle, in denen für die Ausübung dieses Ermessens kein Raum ist, weil der auch das Sozialversicherungsrecht durchdringende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Versicherungsträger zwingt, von der Erhebung der Verjährungseinrede abzusehen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Versicherungsträger dem Versicherten eine unrichtige Auskunft erteilt, auf welche sich dieser verlassen durfte und wenn er dadurch abgehalten worden ist, den Antrag rechtzeitig zu stellen (vgl. BSG SozR Nr. 25 zu § 29 RVO). Der Versicherungsträger darf in einem solchen Falle die Verjährungseinrede nicht erheben, weil er sich dadurch zu seinem vorangegangenen Verhalten in Widerspruch setzen würde. Für den vorliegenden Fall kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Auch hier muß eine solche unzulässige Rechtsausübung angenommen werden, die es nach Treu und Glauben verbietet, die Verjährungseinrede geltend zu machen.

Die Beklagte hat nach ihren Angaben die Gewährung des Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag an Rentner ins Ausland bis zur Kenntnisnahme von der Entscheidung des BSG vom 28. August 1970 – 3-RK-94/69, BSGE 31, 288) immer mit der Begründung abgelehnt, der Anspruch ruhe, solange sich der Berechtigte im Ausland aufhalte und keine entsprechenden zwischenstaatlichen Abkommen eine andere Regelung vorsähen. Die Entscheidung des BSG vom 23. August 1967 (BSGE 27, 129), aus der man entnehmen konnte, daß unter bestimmten Voraussetzungen, z.B. bei Bestehen einer Vollsicherung, der Beitragszuschuß ins Ausland zu zahlen ist, veranlaßte die Beklagte nicht, ihre damalige Verwaltungspraxis zu ändern, auch nicht das Rundschreiben des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger vom 20. Mai 1969, in dem empfohlen worden war, nach den vom BSG (a.a.O.) entwickelten Grundsätzen keine Unterschiede zu machen, ob ein Empfänger einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Inland oder bei einem Versicherungsunternehmen im Ausland krankenversichert ist (zu I, 3 S. 3). Erst nachdem das BSG mit Urteil vom 28. August 1970 (a.a.O.) ausdrücklich entschieden hatte, daß weder das Territorialprinzip noch die Bestimmungen der §§ 1315 ff RVO, 94 ff. AVG einen Anspruch der Auslandsrentner auf Beitragszuschuß ausschließen, ist die Beklagte von ihrer bisherigen Verwaltungspraxis abgegangen und hat Anträge von Auslandsrentnern auf Beitragszuschuß seit etwa Mai 1971 (Verwaltungsanordnung vom 3.5.1971) positiv beschieden. Es ist dem Kläger nicht zu widerlegen, daß er aufgrund der seitherigen jahrelangen Praxis der Beklagten der Auffassung war, ihm stehe der Beitragszuschuß nicht zu und er deshalb die Antragstellung unterließ. Das Landessozialgericht Berlin hat in einem ähnlich gelagerten Streitfall in dem Urteil vom 11. September 1974 – L 9 Kr 68/73 – darauf hingewiesen, daß aufgrund einer solchen jahrelangen Verwaltungspraxis, wie sie – auch – die Beklagte bis 1970 ausgeübt hat, sich bei den Rentnern im Ausland die feste Auffassung bilden konnte, daß ihnen aufgrund der Ruhensbestimmungen und wegen der fehlenden zwischenstaatlichen Verträge ein Beitragszuschuß nicht zustehe; denn es wären nicht nur einzelne Rentner betroffen gewesen, sondern schlechthin alle Personen, die von dem betreffenden Versicherungsträger eine Rente ins Ausland bezogen hätten. Als Folge der ohne Ausnahme gleich gehandhabten ablehnenden Verwaltungspraxis hätten die Rentner ihre Anträge für aussichtslos halten müssen.

Es ist somit davon auszugehen, daß die Verwaltungspraxis der Beklagten entscheidend für das Verhalten des Klägers war, seine Ansprüche auf Beitragszuschuß zunächst nicht geltend zu machen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich deshalb wesentlich von dem in dem Beschluss des Großen Senats (a.a.O.) als noch der geltenden Rechtsordnung bezeichneten typischen Fall für eine möglicherweise eintretende Verjährungen, daß dem Berechtigten nicht einmal bewußt ist, daß ihm ein Anspruch zustehe. Vielmehr hat der Kläger wegen der Rechtsauffassung der Beklagten und deren bis Ende 1970 entsprechenden ablehnenden Verwaltungspraxis seine Ansprüche auf Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag zunächst nicht geltend gemacht. Der GS hat in seinem Beschluss (a.a.O.) einen Umstand, der zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Verjährungseinrede führen könnte, angenommen, wenn ein Berechtigter im Vertrauen auf die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgericht, wonach die Verjährung nicht vor der Antragstellung beginnen konnte, den Antrag erst verspätet gestellt habe. Es kann aber nichts anderes gelten, wenn ein Berechtigter im Vertrauen auf die ablehnende Verwaltungspraxis eines Versicherungsträgers seine Ansprüche erst verspätet gestellt hat.

Daß der Kläger erst im Januar 1973, also erst nach Ablauf von mehr als einem Jahr nach Bekanntwerden des Urteils des BSG vom 28. August 1970 (a.a.O.) den Antrag gestellt hat, gibt keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. Eine eindeutig geklärte Rechtslage, wie § 381 Abs. 4 RVO bei ständigem Auslandsaufenthalt eines Rentners auszulegen ist, haben Rechtsprechung und Verwaltung erst im Laufe einer längeren Entwicklung, die mit dem Urteil des BSG vom 20. Oktober 1972 (vgl. BSGE 35, 15) zum Abschluß kam, gewonnen (vgl. auch Urteil des LSG Berlin vom 11. September 1974 – L 9 Kr 68/73 –). Von einer ständigen Rechtsprechung des BSG zu der angeführten Rechtsfrage kann daher erst seit dem Urteil das BSG vom 20. Oktober 1972 (a.a.O.) gesprochen werden. Bei der im Januar 1973 erfolgten Antragstellung kann dem Kläger deshalb noch keine schädliche Unkenntnis des Rechts vorgeworden werden. Erst nach dem Urteil des BSG vom 20. Oktober 1972 (a.a.O.) konnte er Gewißheit haben, daß auch seine Versicherungsangelegenheit letztlich nach der – ständigen – Rechtsprechung des BSG ausgerichtet wird. Diesem Gedanken trägt z.B. auch § 40 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) Rechnung, nach dem auf Antrag des Berechtigten ein neuer Bescheid zu erteilen ist, wenn das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat.

Die Beklagte muß somit wegen ihres eigenen fehlerhaften Verhaltens, nämlich ihrer unzutreffenden Verwaltungspraxis, nach Treu und Glauben ein Verhalten der Rentner hinnehmen, dem sie sonst die Einrede der Verjährung entgegensetzen könnte. Der Grund für die späte Antragstellung des Klägers im Januar 1973 fällt in den Verantwortungsbereich der Beklagten und zwingt sie, auf die Verjährungseinrede zu verzichten. Der Umstand, daß der Inhalt des dem Kläger mit dem Rentenbescheid vom 18. September 1969 übersandten Merkblattes nicht mehr zu ermitteln ist – der Kläger hat dieses Merkblatt nicht mehr im Besitz und die Beklagte konnte ein Exemplar dieses Merkblattes, das bei ihr nicht mehr im Gebrauch ist, nicht vorlegen – gibt keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden und wird von der Beklagten auch nicht behauptet, daß der Kläger aus diesem Merkblatt hätte erkennen müssen, daß er – im Widerspruch mit der damaligen Verwaltungspraxis der Beklagten – die Auszahlung des Beitragszuschusses mit Erfolg hätte geltend machen können. Dem Kläger kann daher bei der Behandlung seiner Versicherungsangelegenheit eine grobe Fahrlässigkeit jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Zu einem Verzicht auf die Verjährungseinrede wäre die Beklagte aber nur dann nicht verpflichtet, wenn der Versicherte die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt hat und ihm deshalb ein Vertrauensschutz nicht gewährt werden kann (vgl. BSGE 34, 124 ff.).

Nach allem ist die Beklagte nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gezwungen, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Bei dieser Sachlage bleibt für die Ausübung des Ermessens kein Raum mehr, so daß die Beklagte entsprechend dem sinngemäßen Antrag des Klägers verurteilt werden kann. Die Voraussetzungen des § 381 Abs. 4 RVO für den Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag für die Zeit vom Tag der Stellung des Rentenantrages am 7. Februar 1966 bis 31. Januar 1969 sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Ein Anspruch auf Beitragszuschuß kann frühestens mit dem Tage der Stellung des Rentenantrages entstehen (vgl. dazu BSG Urt. V. 25.2.1966 – 3 RK 72/63 – Breith. 1966, 471; BSG vom 23.8.1967 – SozR Nr. 14 zu § 381 RVO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der entschiedenen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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