L 4 V 707/74

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 8 V 211/70
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 707/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Sobald ein Urteil verkündet ist, kann auch vor seiner Zustellung Berufung hiergegen eingelegt werden.
2. Die Dermatomyositis bzw. Polymyositis gehört zu den Krankheiten, für die Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 SGG bzw. § 81 Abs. 4 Satz 2 SVG gewährt werden kann. Sie ist den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises zuzuordnen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. Juni 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der im Dezember 1939 geborene Kläger leistete vom 4. Juli 1960 bis 30. Juni 1961 Wehrdienst bei der Bundeswehr. Bei der ärztlichen Entlassungsuntersuchung war er gesund und entlassungsfähig. Für die Zeit vom 22. April bis 18. Mai 1962 wurde er zu einem Reserveunteroffiziersanwärterlehrgang erneut einberufen.

Im Januar 1968 beantragte der Kläger Versorgung wegen einer Polymyositis, die auf die besonders harte Ausbildung während seiner Bundeswehrdienstzeit zurückführt. Der Beklagte versuchte vergeblich, bei der früheren Einheit des Klägers etwas über seine dienstliche Belastung zu erfahren. Er zog die ärztlichen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt H. bei, von welcher der Kläger wegen Dermatomyositis Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält. Unter Verwertung weiterer Untersuchungsbefunde aus der Medizinischen und Neurologischen Universitätsklinik G. erstattete in dieser Akte der damalige Oberarzt der neurologischen Universitätsklinik Dr. K. ein Gutachten vom 15. September 1967. Hiernach wurde der Kläger erstmalig am 27. Dezember 1965 in die Medizinische Universitätsklinik G. aufgenommen, wo rheumatoide Schmerzen in verschiedenen Gelenken festgestellt wurden. Nach einem Arztbrief dieser Klinik vom 22. Dezember 1965 an Dr. W. klagte der Kläger seit Ende November über Schmerzen in den Gelenken. Dr. K. stellte den typischen Befund einer Dermatomyositis chronica fest, woran der Kläger seit etwa 2 Jahren leide. Diese Erkrankung sei zunächst unklar geblieben und habe sich vor allem mit Allgemeinerscheinungen in Form von Erschöpfung, Schlappheit und Müdigkeit gezeigt, aber auch schon im Beginn charakteristische Lokalsymptome wie motorische Ausfallerscheinungen in Form von Schwäche und Paresen der Extremitäten, diffuse Muskelschmerzen und Hautsymptome im Gesicht und an den Fingern gezeigt. Dieser Symptomenkomplex, bestehend aus entzündlichen Hautveränderungen, Muskelschmerzen und Muskelschwäche in Verbindung mit einem allgemeinen Krankheitsgefühl habe schon von vorne herein auf das Krankheitsbild der Dermatomyositis hingewiesen.

In seiner versorgungsärztlichen Äußerung vom 6. November 1968 stellte Dr. O. heraus, daß einer Polymyositis oft eine zunehmende Ermüdbarkeit vorausgehe, bis sich danach Schmerzhaftigkeit, Spannungsgefühl und zunehmende Schwäche der Muskulatur einstelle. Die Ursache dieser Erkrankung sei in der medizinischen Wissenschaft umstritten und nicht geklärt. Als klinischer Beginn dieser Erkrankung müsse bei dem Kläger nach dem Gutachten des Dr. K. der 5. November 1965 angesehen werden. Hierzu führte Dr. K. aus, daß der Kläger an diesem Tage auf den Lippen und auf der Schleimhaut zwischen den Lippen und der Zahnreihe mit gelblicher Flüssigkeit gefüllte Bläschen bemerkt habe und er sich um dieselbe Zeit abends immer schlapp und müde gefühlt habe, so daß er nicht mehr habe basteln können. Am 4. Dezember 1965 habe der Kläger dann fleckige Rötungen im Gesicht gehabt und seither bei der Arbeit ständig Schmerzen in allen Gelenken und in der Muskulatur der Gliedmaßen. Dem stehe die Behauptung des Klägers gegenüber, nach einem Marsch von 200 km in 3 1/2 Tagen im Mai 1961 als Soldat habe er stets Beschwerden in beiden Wadenmuskeln gehabt und sei immer müde gewesen. Dies habe der Kläger erstmalig bei seinem Antrag auf Versorgungsrente angegeben.

Dr. O. nahm einen Zusammenhang mit Einwirkungen des Wehrdienstes deshalb nicht an, weil die Ursache der Dermatomyositis nicht bekannt sei. Zur Frage der Kannversorgung verwies er darauf, daß die Erkrankung des Klägers in dem einschlägigen Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) nicht geregelt sei. Das Institut für Dokumentation und Information in B. habe keinen Hinweis über die Aufnahme der Dermatomyositis in die Härteausgleichslisten geben können. Als ursächliche oder krankheitsprovozierende Faktoren seien im wissenschaftlichen Schrifttum bakterielle oder Virusinfektionen, Kälte-, Sonnen- oder UV-Expositionen und Vitamin-E-Mangel genannt. Zu einem zeitlichen Abstand zwischen der Einwirkung dieser Faktoren und der Manifestation der Mangelerkrankung würden im wissenschaftlichen Schrifttum keine Angaben gemacht. Wegen des Fehlens entsprechender Vorschriften könne deshalb eine Härteausgleichsversorgung nicht in Vorschlag gebracht werden. Regierungs-Medizinalrat Dr. H. konnte am 7. Januar 1969 mangels zeitlichen Zusammenhanges eine Kannversorgung nicht vorschlagen.

Die Hautärztin Dr. S.-G. führte am 29. Januar 1969 aus, als Beginn der Dermatomyositis, die auch Polymyositis genannt werde, wenn noch keine ausgeprägten Hauterscheinungen vorhanden seien, fasse man Gelenkschmerzen mit Schwellungen, Gelenkergüssen und Rötungen der darüberliegenden Haut mit Einschränkung der Beweglichkeit auf. Da erst am 22. Dezember 1965 ein geradezu klassischer Befund erhoben worden sei, müsse der Beginn der Erkrankung in den November 1965 gelegt werden. Wenn der Kläger bereits während des Wehrdienstes Beschwerden gehabt hätte, hätte ihm nicht die Beurteilung vom 16. Mai 1963 durch seinen Kompaniechef zuteil werden können, wonach er elastisch, flink und voll belastbar gewesen sei. Nach dem Auszug der AOK A. seien auch keine Brückensymptome vorhanden gewesen, die eine ununterbrochene 2 1/2-jährige Vorgeschichte der Dermatomyositis zuließen. Ein zeitlicher Zusammenhang der Erkrankung mit dem Wehrdienst könne deshalb nicht angenommen werden.

Der Kläger wurde beim Versorgungsamt Gießen am 10. April 1969 zu den Belastungen während des Wehrdienstes gehört. Der Hausarzt des Klägers Dr. W. bestätigte am 1. Juli 1969 lediglich die bekannten Erkrankungen des Klägers in dem Zeitraum von Juni 1961 bis Dezember 1965 an Lumbago, Gastritis und grippalem Infekt und teilte mit, ab 1961 sei der Kläger außer banalen Infekten nicht behandlungsbedürftig gewesen. Bei den Lumbalgien habe es sich um Muskelverspannungen der Lendenwirbelsäule gehandelt.

Dr. O. vertrat hierzu am 4. Juli 1969 die Auffassung, die Lumbago 1962/65 könne man nur dann als vorauslaufende Teilerscheinung der Polymyositis 1965 werten, wenn eine Probeexcision vorgenommen worden wäre, die einen kennzeichnenden Befund ergeben hätte. Dr. H. äußerte sich am 29. August 1969, die als Lumbago bezeichnete Krankheit könne nicht als Rheuma bzw. als Vorbote der 1965 manifest gewordenen Polymyositis angesehen werden, da es sich laut hausärztlichem Bericht hierbei um Muskelverspannungen im Bereich der Lendenwirbelsäule gehandelt habe, die nichts mit dem rheumatischen Formenkreis zu tun hätten.

Der Beklagte legte die Vorgänge dem BMA vor, der mit Erlaß vom 2. März 1970 seine nach § 81 a Soldatenversorgungsgesetz (SVG) erforderliche Zustimmung zur Kannversorgung versagte. Er teilte hierzu die Äußerung seines medizinischen Fachreferenten mit, wonach die Dermatomyositis zu den Krankheiten und Störungen mit rheumatischen Zügen gehöre. Hinsichtlich der zeitlichen Verbindung könnten die gleichen Grundsätze angewandt werden, wie sie für die anderen in derselben Gruppe aufgeführten, eine Kannversorgung rechtfertigenden Krankheiten mit ungeklärter Ursache gelten, wie eine primär chronische Polyarthritis und eine Spondylarthritis ankylopoetica. Das Ende 1965 aufgetretene Leiden stehe daher mit dem Wehrdienst in keinem zeitlichen Zusammenhang.

Der Beklagte erließ am 3. April 1970 zwei Bescheide. Mit dem einen Bescheid lehnte er die Feststellung eines Zusammenhanges zwischen der Dermatomyositis mit dem Wehrdienst ab, da die zur Anerkennung dieser Gesundheitsstörung erforderliche Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 81 Abs. 3 SVG deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache dieser Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit bestehe. Mit dem weiteren Bescheid lehnte er das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beschädigtenversorgung gemäß § 81 a SVG (Kannversorgung) ab, da die Erkrankung des Klägers erstmals Ende 1965 in Erscheinung getreten sei und die angegebenen Beschwerden während des Wehrdienstes 1960/1961 und in den 4 Wochen im Jahre 1963 so uncharakteristisch und vieldeutig seien, daß sie bei fehlender Symptomatik in der Zwischenzeit nicht als Anfangssymptome der Krankheit betrachtet werden könnten.

Mit seinem Widerspruch gegen beide Bescheide behauptete der Kläger, er habe bei den Vorerkrankungen die gleichen Symptome wie seit Ende 1965 gehabt. Am 11. Mai 1970 verwies Dr. O. darauf, nach der Stellungnahme des BMA dürfe zwischen dem Ende des Wehrdienstes und dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome lediglich ein Zeitraum von 6 Monaten verstrichen sein. Mit Bescheid vom 31. August 1970 half der Beklagte dem Widerspruch nicht ab.

Mit seiner Klage verfolgte der Kläger seine Ansprüche weiter.

Prof. Dr. E. erstattete am 8. Oktober 1973 ein Gutachten, wonach die seit 1965 Arbeitsunfähigkeit des Klägers bedingende Dermatomyositis "nach den vorliegenden Angaben” mit Wahrscheinlichkeit bis in die Zeit des Dienstes bei der Bundeswehr 1961 zurückreiche. Die Erkrankung könne aber nicht als Schädigungsfolge auf Belastungen des Dienstes bei der Bundeswehr, weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung, zurückgeführt werden. Die Krankheitssymptome äußerten sich in Form von Muskelschmerzen und progredienten myogenen Paresen mit sekundären Gelenkveränderungen. Die von der AOK A. für die Zeit ab 18. Dezember 1962 mitgeteilten Erkrankungen seien nicht als Brückensymptome anzusehen (Lumbago, Gastritis und Grippe). Die Entstehungsursache der Erkrankung sei unbekannt, es würden autoimmunologische Prozesse und Virusinfektionen vermutet. Körperliche und psychische Belastungen könnten sich unter Umständen ungünstig auf ein derartiges Leiden auswirken, wobei aber eher das Auftreten eines akuten Krankheitsschubes angenommen werden sollte. Zu einem solchen Schub sei es erst Ende 1965 gekommen. Die Schleimhautveränderungen seien aber als Frühsymptome zu werten.

Gegenüber Prof. Dr. E. hatte der Kläger erklärt, schon seit 1961 habe er gelegentlich etwa die gleichen Schleimhautveränderungen in Form von Bläschen im Bereich der Mundschleimhaut bemerkt, die Ende 1965 aufgetreten seien. Dieser gerichtliche Sachverständige nahm einen zeitlichen Zusammenhang des Krankheitsbeginns mit dem Dienst in der Bundeswehr an und bejahte die Voraussetzungen für die Kannversorgung.

Dem widersprach die Obermedizinalrätin Dr. S., da der Krankheitsbeginn erst Ende 1965 anzunehmen sei und der Kläger bei früheren Untersuchungen das erstmalige Auftreten von mit gelber Flüssigkeit gefüllten Bläschen zwischen Lippen und Zahnreihe für den 5. November 1965 angegeben habe. Bei diesen Angaben des Klägers zu dem Gutachten des Dr. K. vom 15. September 1967 sei dessen Erinnerung noch frischer als jetzt gewesen, so daß man diesen Angaben den Vorzug geben müsse.

Die auf Gewährung von Versorgung im Rechtsanspruch und als Kannleistung ab 1. Januar 1960 bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. gerichtete Klage wies das Sozialgericht Gießen mit Urteil vom 18. Juni 1974 ab und schloß sich für die Ablehnung von Versorgung im Rechtsanspruch dem Gutachten des Prof. Dr. E. an. Das Sozialgericht sah die Auffassung des Beklagten nicht als ermessensfehlerhaft an, da es zu dem ersten Krankheitsschub 4 1/2 Jahre nach dem am 30. Juni 1961 beendeten Wehrdienst gekommen sei. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Belastungen des Wehrdienstes und dem ersten erkennbar gewordenen Krankheitsschub sei nicht gegeben.

Am 18. Juni 1974 legte der Kläger zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Gießen gegen dieses am 31. Juli 1974 an ihn zur Post aufgelieferte Urteil Berufung ein. Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 1009 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hält der Kläger nicht für ratsam, da ein Gutachten des Prof. Dr. E. vorliege. Es sei falsch, dieses Gutachten zu übergehen und die Dermatomyositis als eine Rheumaerkrankung anzusehen.

Vor dem Senat erklärte der Kläger, während des Lehrganges vom 22. April bis 10. Mai 1962 bei der Bundeswehr habe er lediglich eine theoretische Ausbildung erhalten, die ihn körperlich nicht besonders belastet habe. Allerdings habe er sich nach einem 3 km-Marsch erschöpft gefühlt und sich abends vom Sanitäter Tabletten geben lassen. Der Oberleutnant L. sowie Vorgesetzte und Kameraden aus seiner Wehrdienstzeit könnten nur bekunden, daß er während seiner 1961 endenden Wehrdienstzeit zuweilen Schmerzen in der Beinmuskulatur gehabt habe. Sie könnten jedoch nichts darüber wissen, daß sich diese Schmerzen bis zum Sommer 1965 hingezogen hätten. Die Kameraden des späteren Unteroffiziers-Lehrganges könnten nur bekunden, daß er sich wegen allgemeiner Erschöpfung abends immer hingelegt habe und nicht mehr ausgegangen sei. Als Zeugen für seinen Gesundheitszustand von 1962 bis 1965 habe er lediglich den Zahnarzt E. der aussagen könne, daß er häufig an einer Mundschleimhautentzündung gelitten habe, die zur Bläschenbildung unter der Zunge und an der Innenseite der Backenknochen geführt habe. Allerdings habe es sich hierbei um eine andere Erkrankung gehandelt als die, welche zur Aufnahme in die Medizinische Poliklinik G. im Dezember 1965 geführt hatte.

Der vor dem erkennenden Senat gehörte Zeuge E. bekundete, der Kläger stehe seit November 1963 in seiner laufenden zahnärztlichen Behandlung. Eine ulzeröse Mundschleimhautentzündung habe er in seiner Karteikarte erstmalig im 1. Quartal 1966 bei dem Kläger vermerkt. Bei einer Mundschleimhautentzündung komme es aber überhaupt nicht zur Bläschenbildung. Er könne sich nicht daran erinnern, bei dem Kläger jemals eine Bläschenbildung gefunden zu haben. Im November 1963 sei der Kläger nur einmal von ihm behandelt worden; die nächste Behandlung sei dann im 1. Quartal 1965 erfolgt. Auf die Frage des Klägers, ob er sich daran erinnern könne, ihm im November 1963 wegen der Mundschleimhautentzündung empfohlen zu haben, Zitronen zu essen, erklärte der Zeuge E., er könne sich hieran nicht mehr erinnern. Die damalige Behandlung des Klägers sei wegen des Durchbruches eines Weisheitszahnes erfolgt, wobei eine vermehrte Vitaminaufnahme zu empfehlen sei.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 3. April 1970 und des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1970 sowie des Urteils des Sozialgerichts Gießen vom 18. Juni 1974 den Beklagten zu verurteilen, ihm Versorgungsbezüge im Rechtsanspruch bzw. als Kannversorgung ab 1. Januar 1968 bei einer MdE um 100 v.H. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält seine angefochtenen Entscheidungen und das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und den der beigezogenen Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgemäß eingelegt. Hieran ändert sich nichts dadurch, daß der Kläger sofort nach Verkündung des angefochtenen Urteiles am 18. Juni 1974 die Berufung zu Protokoll des Urkundsbeamten beim Sozialgericht Gießen erklärt hat. Wenn § 151 SGG vorschreibt, daß die Berufung "innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils” eingelegt werden muß, so kommt der Zustellung des Urteiles lediglich die Bedeutung zu, daß mit dem Zustellungstage die Monatsfrist zu laufen beginnt, an deren Ende eine Einlegung der Berufung nicht mehr möglich ist (so auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 20.12.1968 – L-1 J-2/68 in RSpDienst der Sozialgerichtsbarkeit, S – 9 000 zu § 63 SGG, RGZ 112 S. 167 und LSG NRW in VersB 1966 S. 103). Voraussetzung für die Einlegung der Berufung ist es freilich, daß das Urteil, gegen das Berufung eingelegt werden soll, bereits verkündet ist. Dies war aber bei der Einlegung der Berufung geschehen, da sich der Kläger mit dem gleichzeitig gestellten Berufungsantrag ausdrücklich gegen das Urteil des Sozialgerichtes vom gleichen Tage wendet.

Die Berufung ist auch statthaft jedoch nicht begründet.

Wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, kann der Kläger Versorgung im Wege des Rechtsanspruches nach § 81 SVG deshalb nicht erhalten, weil der ursächliche Zusammenhang der bei ihm bestehenden Dermatomyositis mit dem Wehrdienst nicht als wahrscheinlich festgestellt werden kann, da über die Ursache dieser Erkrankung nach den Stellungnahmen aller hierzu gehörten Ärzte in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht.

Aber auch eine Kannversorgung des Klägers nach § 81 a SVG bzw. § 81 Abs. 4 Satz 2 in der Fassung des Gesetzes vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1881) ist wegen dieser Erkrankung nicht möglich. Die Gewährung einer solchen Kannversorgung ist an die Zustimmung des BMA gebunden, d.H. in dessen pflichtgemäßes Ermessen gestellt. Da die Versorgung nach dem SVG gemäß § 80 SVG in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erfolgt, soweit sich aus dem SVG nichts Abweichendes ergibt, sind auch für eine Kannversorgung nach dem SVG die Richtlinien für die Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 maßgebend, der eine gleichartige Kannversorgung für Kriegsleiden regelt. Die zuletzt durch das Rundschreiben des BMA vom 16. Juni 1969 – V/6 – 5681. 2.23 – 1170/69 (Bundesversorgungsblatt 1969 S. 70) geänderten neuen Richtlinien vom 25. April 1968 legen im einzelnen fest, wann eine Kannversorgung gewährt werden soll. Durch diese Richtlinien ist eine einheitliche Handhabung des dem BMA eingeräumten und von ihm weitgehend auf untergeordnete Dienststellen delegierten Ermessens gewährleistet, so daß sie gleichzeitig der Rechtssicherheit dienen indem sie einer willkürlichen Handhabung entgegen wirken.

Wenn auch die beim Kläger vorliegende Dermatomyositis in dem Rundschreiben des BMA vom 16. Juni 1969 nicht erwähnt ist, so haben doch der BMA und der Beklagte bei der Versagung von Kannversorgung wegen dieser Erkrankung ihr Ermessen nicht willkürlich ausgeübt, noch die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht oder in sonstiger Weise rechtswidrig gehandelt (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Der Senat, der angesichts der Dreiteilung der Gewalten nicht in das der Verwaltung vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessen eingreifen darf, fand indessen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte rechtswidrig gehandelt hat.

Da es sich bei der auch Polymyositis genannten Dermatomyositis um ein seltenes Krankheitsbild handelt und der BMA deshalb auch nicht die Aufnahme dieses Leidens in seine neuen Richtlinien vom 25. April 1968 vornehmen will, war es folgerichtig, daß der medizinische Fachreferent des BMA für diese Erkrankung die gleichen Grundsätze angewandt hat, wie sie für andere in derselben Gruppe aufgeführten, eine Kannversorgung rechtfertigenden Krankheiten mit ungeklärter Ursache gelten. Dabei hat er auf diese Richtlinie in der Fassung vom 16. Juni 1969 zu der primär chronischen Polyarthritis und bei Spondarthritis ankylopoetica hingewiesen. Diese Erkrankungen werden, wie sich aus Nr. 13 und 14 der Richtlinien ergibt, dem rheumatischen Formenkreis zugerechnet. So haben auch verschiedene im vorliegenden Verfahren tätig gewordene Ärzte darauf verwiesen, daß nach dem internationalen Schema der Krankheitseinteilungen von Toronto die Dermatomyositis den Erkrankungen mit rheumatischem Formenkreis zugerechnet wird.

Die Heranziehung der Erkrankungen nach Nr. 13 und 14 der Richtlinien des BMA zum Vergleich ergibt aber, daß eine Kannversorgung nur dann in Frage kommen kann, wenn auf einen Beginn des Leidens in einer zeitlichen Verbindung bis zu 6 Monaten nach der Beendigung des Wehrdienstes begründet geschlossen werden kann (Nr. 13 der Richtlinien) bzw. auf eine Manifestation des Leidens in einer solchen zeitlichen Verbindung mit dem Wehrdienst begründet geschlossen werden kann (Nr. 14 der Richtlinien). Dies ist jedoch bei dem Kläger nicht der Fall.

Der Beginn des Leidens bzw. seine Manifestation ist nach den vorliegenden objektiven Unterlagen auf das Ende des Jahres 1965 zu legen.

So heißt es in dem Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik G. vom 22. Dezember 1965 an den Hausarzt des Klägers Dr. W., der Kläger klage seit Ende November über Schmerzen in den Gelenken, die im linken Schultergelenk begonnen hätten und jetzt vorwiegend in den Fuß- und Handgelenken sprunghaft aufträten. In dem abschließenden Arztbrief der gleichen Klinik an den gleichen Arzt vom 25. Februar 1966 wird hervorgehoben, daß der Kläger dort vom 27. Dezember 1965 bis 16. Februar 1966 in stationärer Behandlung war und er bisher nie krank gewesen sei.

Auch Dr. K. jetzt Professor und Amtsnachfolger von Prof. E., dem die Krankengeschichten der Medizinischen, Haut- und Neurologischen Universitätsklinik G. zur Verfügung standen, erwähnt, daß im Dezember 1965 rheumatoide Schmerzen in verschiedenen Gelenken bestanden und weder Schwellungen noch Rötungen vorhanden waren. Nach diesem Gutachten wurde zunächst eine rheumatoide Arthritis diagnostiziert, was ebenfalls auf die Verwandtschaft der Erkrankung des Klägers mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises hinweist, wie dies der BMA angenommen hat. Ein typischer Befund ist nach den Darlegungen von Dr. K. erst am 4. Juli 1966 in der Medizinischen Poliklinik erhoben worden, wobei sich die Kraftleistungen in beiden Armen, Händen und Fingern als reduziert erwiesen, sich an den Fingern sogenannte rattenbißartige Veränderungen mit Rötungen der Fingerkuppen und porzellanartige artrophische Herde bei einer erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) mit vermehrten Gammaglobulinen im Serum und im Blutbild eine Anämie zeigten.

Gegenüber Dr. K. hat der Kläger damals angegeben, er habe am 5. November 1965 auf den Lippen und auf der Schleimhaut zwischen Lippen und Zahnreihe mit gelblicher Flüssigkeit gefüllte Bläschen bemerkt. Etwa um die gleiche Zeit will sich der Kläger abends schlapp und müde gefühlt haben, so daß er abends nicht mehr die Kraft hatte, zu basteln. Zwei Wochen später hat er dann nach seinen eigenen Angaben den rechten Arm nicht mehr heben können und heftige Schmerzen im Schulter- und Ellenbogengelenk gehabt. Weiter hat der Kläger gegenüber Dr. K. angegeben, er habe Ende November bis Anfang Dezember 1965 gleichartige Beschwerden in der Muskulatur beider Unterschenkel gehabt und wenig später auch in beiden Handgelenken. Als die Krankheitserscheinungen immer schlimmer wurden, hat sich der Kläger dann am 20. November 1965 in der Medizinischen Poliklinik vorgestellt und wurde am 27. Dezember 1965 in stationäre Behandlung aufgenommen. Eine Manifestation der Dermatomyositis vor Ende 1965 läßt sich aber nicht nachweisen. Wenn der Kläger auch vor dem 5. November 1965, wie er dann später gegenüber Prof. Dr. K. zu dessen Gutachten vom 8. Oktober 1973 erklärt hat, tatsächlich solche Bläschen mit gelber Flüssigkeit gehabt hätte, dann hätte er dies auch Dr. K. gegenüber zu dessen Gutachten vom 15. September 1967 erwähnen müssen. Die Erklärung des Klägers gegenüber Prof. E. ist daher schon deshalb nicht glaubwürdig.

Hinzu kommt, daß sich ein entsprechender Nachweis auch nicht durch die Aussagen des Zeugen E. führen lässt. Während der Kläger ursprünglich meinte, dieser Zeuge könne bezeugen, daß sich bei ihm schon vorher an den Lippen Bläschen gebildet hätten, aus denen gelbe Flüssigkeit austrat, schwächte er bei der persönlichen Anhörung vor dem Senat dies schon dahingehend ab, er leide häufig an einer Mundschleimhautentzündung, die zur Bläschenbildung unter der Zunge und an der Innenseite der Backenknochen führe, ohne daß sich gelbe Flüssigkeit entleere. Hierbei handele es sich daher um eine andere Erkrankung als er sie bei der Aufnahme in die Medizinische Poliklinik im Dezember 1965 hatte.

Der Zahnarzt E. hat dann anschließend als Zeuge vor dem Senat bekundet, er habe eine ulzeröse Mundschleimhautentzündung erstmalig im 1. Quartal 1966 bei dem Kläger behandelt. Bei dieser Erkrankung, an deren Einzelheiten er sich nicht mehr erinnern konnte, könne es jedoch nicht zur Bläschenbildung an den Lippen und auch überhaupt nicht zur Bläschenbildung kommen. Der Zeuge konnte sich auch nicht daran erinnern, bei dem Kläger jemals eine Bläschenbildung an den Lippen oder im Mund bemerkt zu haben.

Da der Kläger als einzigen Zeugen für seinen Gesundheitszustand in der Zeit von 1962 bis 1965 nur den Zahnarzt E. angegeben hat, konnte somit der Nachweis nicht geführt werden, daß irgendwelche Krankheitssymptome insbesondere auch eine Bläschenbildung im Mundbereich vor dem November 1965 bei dem Kläger vorhanden gewesen ist, die Prof. Dr. E. als Vorsymptome der Dermatomyositis bezeichnet hat.

Prof. Dr. E. weist nun in seinem Gutachten vom 8. Oktober 1973 darauf hin, daß anläßlich der ersten stationären Aufnahme des Klägers in der Neurologischen Universitätsklinik G. vom 21. Juli 1966 als Vorsymptome ein im Anfang November 1965 aufgetretener Bläschenausschlag im Bereich des Vestibulus oris und auf den Lippen angegeben worden sei, mit gleichzeitigem Einsetzen verstärkter Müdigkeit und Schlappheit gegen Abend, unmittelbar nach diesen Feststellungen hebt Prof. Dr. E. auf Seite 42 seines Gutachtens hervor, der Kläger habe jetzt noch angegeben, daß er schon seit etwa 1961 gelegentlich Schleimhautveränderungen in Form von Bläschen im Bereich der Mundschleimhaut bemerkt habe und längere Zeit vor Beginn der Erkrankung, etwa seit 1962 oder 1963, seien Kopfschmerzen aufgetreten, die jetzt auch im Zusammenhang mit stärkeren Muskelschmerzen bemerkt würden. Der Muskel- und Hautbefund habe sich dann von Ende 1965 an bis 1969 kontinuierlich weiter entwickelt.

Ohne diese im Widerspruch zu den Angaben des Klägers bei Dr. K. stehenden neuen Erklärungen des Klägers irgendeiner Wertung zu unterziehen oder eine Erklärung für sie zu finden, schlußfolgert dann Dr. E. auf Seite 45 seines Gutachtens, daß die Erkrankung "nach den vorliegenden Angaben” mit Wahrscheinlichkeit bis in die Zeit des Dienstes bei der Bundeswehr 1961 zurückreiche. In den tatsächlich nachgewiesenen Erkrankungen des Klägers seit seinem Wehrdienst, welche die AOK A. mitgeteilt hat, sieht Prof. Dr. E. jedoch keine Brückensymptome für das vorliegende Krankheitsbild. Der gerichtliche Sachverständige betont dann noch einmal, daß es zu einem Krankheitsschub erst Ende 1965 gekommen ist, die Schleimhautveränderungen aber als Frühsymptome zu werten seien. "Angesichts des zeitlichen Zusammenhanges des Krankheitsbeginns mit dem Dienst in der Bundeswehr” sieht Prof. Dr. E. dann die Voraussetzungen für den Härteausgleich (Kannversorgung) als gegeben an.

Hieraus ergibt sich, daß Prof. Dr. E., die Angaben des Klägers, daß er schon seit 1961 Schleimhautveränderungen in Form von Bläschen an der Schleimhaut bemerkt habe, ohne weiteres als den Tatsachen entsprechend angenommen hat, diese als gleichartige Bläschen, wie Ende 1965 festgestellt, angesehen hat und so zu der Schlußfolgerung gelangt ist ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Wehrdienst liege vor.

Da nach den obigen Ausführungen der Nachweis aber nicht zu führen ist, daß Schleimhautveränderungen bei dem Kläger bereits vor Ende Dezember 1965 eingetreten sind, kann sich der Senat auch nicht den Schlußfolgerungen von Prof. Dr. E. anschließen, daß die Voraussetzungen für eine Härteausgleichs-Versorgung gegeben wären. Krankheitssymptome in Form einer Bläschenbildung an der Mundschleimhaut oder den Lippen lassen sich innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten nach dem Wehrdienst des Klägers nicht nachweisen. Für diese Feststellung ist auch noch zu berücksichtigen, daß nach den Erklärungen des Klägers vor dem Senat der Unteroffiziers-Lehrgang im April und Mai 1962 nicht zu besonderen körperlichen Belastungen geführt hat und demnach die Halbjahresfrist von dem 30. Juni 1961 an zu rechnen wäre, an dem der Kläger nach seinem Grundwehrdienst aus der Bundeswehr entlassen wurde.

Aber auch andere Symptome der Dermatomyositis lassen sich innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten nach Entlassung des Klägers aus seinem Grundwehrdienst nicht nachweisen. Als Beweismittel für Schmerzen in der Beinmuskulatur während des Wehrdienstes und dafür, daß sich diese Schmerzen bis zum Sommer 1965 hingezogen hätten, hatte der Kläger zunächst den Oberleutnant L. sowie andere nicht näher benannte Vorgesetzte und Kameraden seiner Kompanie aus der Wehrdienstzeit angegeben, dies vor dem Senat aber dann dahingehend eingeschränkt, daß diese Zeugen nur darüber etwas bekunden könnten, daß er während der Grundwehrdienstzeit zuweilen Schmerzen in der Beinmuskulatur hatte. Selbst, wenn sich, die jetzige Anschrift des Oberleutnant L. und der von anderen Vorgesetzten und Kameraden der Wehrdienstzeit des Klägers noch ermitteln ließe und sie das bekundeten, was der Kläger in ihr Wissen stellt, so würde dies nicht weiter führen, weil es des Nachweises bedarf, daß diese Schmerzen auch noch bis zum Auftreten weiterer Frühsymptome der Erkrankung im November 1965 bestanden haben. Es ist auch unerheblich, wenn die Kameraden des späteren Unteroffiziers-Lehrganges darüber etwas aussagen würden, daß sich der Kläger abends wegen allgemeiner Erschöpfung immer hingelegt habe und nicht mehr ausgegangen sei. Wenn ein solches Verhalten des Klägers überhaupt zwingend auf einschlägige Krankheitssymptome schließen ließe, so würde es doch an dem weiteren Nachweis fehlen, daß sich diese Krankheitssymptome bis zum November 1965 hingezogen haben.

Im übrigen ist aber darauf hinzuweisen, daß nach dem Gutachten des Dr. K. vom 15. September 1967 der Kläger erst seit etwa 2 Jahren an einer Dermatomyositis leidet – was auf das Ende des Jahres 1965 ebenfalls hinausläuft – und erst am 4. Juli 1966 bei dem Kläger ein typischer Befund für die Dermatomyositis erhoben werden konnte.

Da sich nach alledem eine Manifestation der Erkrankung des Klägers bzw. der Beginn seines Leidens in einer zeitlichen Verbindung bis zu 6 Monaten nach seinem Grundwehrdienst, der am 20. Juni 1961 endete, nicht erweisen läßt, hat der Beklagte, ohne einen Ermessensfehler zu begehen, die Gewährung von Kannversorgung an den Kläger abgelehnt. Die Berufung des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewonnen.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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