L 4 V 965/74

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 965/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. September 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Witwe des am 22. März 1970 im Alter von 79 Jahren verstorbenen A. J. Dieser hatte mit Bescheid vom 20. März 1952 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. wegen reizlosen Narben an der rechten Brust-, Bauch- und Rückenseite, arthrotischen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule, Nervenschädigung (nach Schußverletzung) im Bereich der Lendenwirbelsäule und Lungenstecksplitter rechts erhalten. Die Verletzung stammt aus dem 1. Weltkrieg. Die Meisterprüfung als Schreiner hatte er 1920 abgelegt.

Den Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich hatte der Beklagte am 19. November 1965 abgelehnt, weil der Ehemann seinen Beruf als selbständiger Schreinermeister mit 60 Jahren aufgegeben habe, wozu er durch die Schädigungsfolgen nicht gezwungen gewesen sei.

Die nachfolgende Klage wies das Sozialgericht Kassel mit Urteil vom 20. Juni 1967 ab, weil die anerkannten Schädigungsfolgen nicht zu einer wesentlichen Einkommensminderung beigetragen hätten.

Die Klägerin beantragte am 27. September 1972 die Gewährung von Witwenbeihilfe nach § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. Oktober 1972 die Gewährung von Witwenbeihilfe ab, weil die MdE nicht 70 v.H. betragen habe.

Am 24. August 1973 begehrte sie erneut Witwenbeihilfe.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. Februar 1974 die Gewährung von Witwenbeihilfe ab, weil die Versorgung der Klägerin nicht durch die Schädigungsfolgen beim verstorbenen Ehemann erheblich beeinträchtigt worden sei. Er habe bis zur Geschäftsübergabe die selbständige Tätigkeit eines Schreinermeisters ausgeübt, so daß nicht angenommen werden könne, daß die Schädigungsfolgen die Versorgung erheblich beeinträchtigt hätten. Nach der Geschäftsanweisung wurde der Bescheid der Klägerin am 5. Februar 1974 als einfacher Brief zugesandt. Sie legte dagegen am 13. März 1974 beim Versorgungsamt Kassel Widerspruch ein. Auf Nachfrage, wann sie den Brief erhalten habe, teilte sie mit, daß sie den Umschlag, in dem sich der Bescheid befunden habe, nicht mehr in ihrem Besitz habe, der Bescheid vom 4. Februar 1974 jedoch am 14. oder 15. Februar bei ihr eingegangen sei.

Der Beklagte verwarf mit Bescheid vom 6. Juni 1974 den Widerspruch, weil er nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe eingegangen sei. Nach § 27 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der KOV gelte eine Zustellung am 3. Tage nach Aufgabe zur Post als bewirkt. Das am 5. Februar 1974 abgesandte Schreiben gelte daher als am 8. Februar 1974 zugestellt. Die einmonatige Frist zur Einlegung des Widerspruchs sei damit am 8. März abgelaufen gewesen, der Widerspruch aber erst am 13. März 1974 eingegangen.

Die Klage wies das Sozialgericht Kassel mit Urteil vom 10. September 1974 ab und führte aus, die Verwaltungsentscheidung vom 4. Februar 1974 sei bindend geworden. Der Widerspruch vom 4. März 1974 sei deshalb erfolglos geblieben, weil er nicht gemäß § 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) binnen eines Monats nach der Bekanntgabe bei dem Versorgungsamt Kassel eingelegt worden sei. Nach § 27 Abs. 2 VerwVG (KOV) beginne die Widerspruchsfrist mit dem 3. Tage nach der Aufgabe zur Post. Die Klägerin habe zwar bestritten, daß ihr der angefochtene Bescheid in dieser Zeit zugegangen sei und behauptet, er sei am 14. oder 15. Februar bei ihr eingegangen. Trotz Aufforderung habe sie aber keine Nachweise für ihre Behauptung beibringen können. Einfaches Bestreiten reiche jedoch nicht aus, die Vermutung des § 27 Abs. 2 VerwVG außer Kraft zu setzen.

Gegen das der Klägerin am 16. September 1974 mittels Einschreibesendung übersandte Urteil legte sie am 15. Oktober 1974 Berufung ein.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. September 1974 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Witwenbeihilfe ab zulässigem Termin zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Der Senat fragte bei der Klägerin an, in welcher Weise sie den Eingang des Briefes am 14. oder 15. Februar 1974 nachweisen könne. Sie teilte mit, daß sie keine Zeugen benennen könne. Der Briefumschlag, in dem sich der Bescheid befunden habe, sei nicht mehr in ihrem Besitz.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Behörden- und die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist deshalb statthaft, weil die Erstgewährung von Witwenbeihilfe in Streit steht (§ 148 Ziff. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Es konnte auch in Abwesenheit der Klägerin entschieden werden, weil sie in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hierauf hingewiesen wurde, aber weder erschien, noch einen Bevollmächtigten mit ihrer Vertretung beauftragte.

Die Berufung ist nicht begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist zutreffend.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Februar 1974 hatte die Klägerin verspätet eingelegt. Gemäß § 84 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats schriftlich bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Nach § 27 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) gilt die Bekanntgabe des mittels einfachen Briefes übersandten Bescheides mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Treten aus konkretem Anlaß Zweifel daran auf, daß der Zugang des Bescheides nicht in der gesetzlich vermuteten Frist erfolgte, dann hat der Beklagte den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstückes nachzuweisen. Allerdings genügt nicht ein einfaches Bestreiten, um Zweifel an dem Zugang in der vom Gesetz angegebenen Frist hervorzurufen. Vielmehr bedarf es eines substantiierten Bestreitens, bei dem der Empfänger durch die Vorlage des Briefumschlages, die Beibringung des Zugangvermerkes oder durch Zeugen Tatsachen darlegt, aus denen sich ein späterer Zeitpunkt des Zuganges ergeben könnte (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 23. September 1966 in Bundessteuerblatt 1967 Teil III S. 99, Schönleiter-Hennig, Kommentar zum Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, § 28, Anm. 3).

Die Klägerin hat trotz Aufforderung der Verwaltungsbehörde und des Senates keinerlei Beweismittel benennen können, die Zweifel am Zugang während der drei Tage nach Absendung hervorrufen könnten. Ihre eigenen Angaben über dessen Zeitpunkt sind im übrigen, deshalb nicht überzeugend, weil sie zwei Tage für den Zugang, nämlich den 14. und den 15. Februar 1974 benannte. Kann sie selbst nicht den genauen Zeitpunkt des Zuganges angeben, ist ihr einfaches Bestreiten nicht geeignet, Zweifel an dem Zugang während der drei Tage nach Absendung entstehen zu lassen. Nach der gesetzlichen Vermutung des § 27 Abs. 2 KOV-VfG gilt die Zustellung mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post, also am 8. Februar 1974 als bewirkt. Die Widerspruchsfrist lief daher am 8. März 1974 ab (§ 64 SGG). Der am 13. März 1974 eingegangene Widerspruch war daher verspätet.

Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie sind auch nicht ersichtlich.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlaß.
Rechtskraft
Aus
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