L 13 R 410/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 1339/07 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 410/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 520/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 23. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung von Beitragszeiten für die Jahre 1963 bis 1969.

Der 1931 geborene Kläger ist Staatsbürger der Republik Bosnien-Herzegowina. Er bezog mit Bescheid vom 25. Februar 1985 seit 1. August 1984 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Rentenbescheid vom 17. Oktober 1996 gewährte die Beklagte anstelle dieser Rente ab 1. Dezember 1996 eine Regelaltersrente. Dabei berücksichtigte sie - mit Unterbrechungen - Zeiten vom 3. September 1969 bis 13. September 1974, vom 1. August 1984 bis 18. November 1986 und vom 19. November 1986 bis 30. November 1996. Ferner bezieht er seit 1. August 1984 eine Invalidenrente des ehemaligen jugoslawischen Versicherungsträgers. Der jugoslawische Versicherungsträger stellte Versicherungszeiten u.a. für die Zeit vom 18. Juni 1956 bis 23. März 1964 und vom 3. September 1969 bis
13. September 1974 fest.

Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 begehrte er die Berücksichtigung von in Deutschland zurückgelegten Zeiten von 1960 bis 1969. Er gab an, seit 1963 bei der Fa. G. M. bzw. Fa. S.-Bau beschäftigt gewesen zu sein. Die AOK Stuttgart konnte hierzu keine Angaben machen. Die AOK- Die Gesundheitskasse in Hessen bescheinigte Mitgliedszeiten vom 5. April 1965 bis 7. August 1965, vom 25. März 1966 bis 29. April 1966 sowie vom 2. Mai bis 5. Juli 1966.

Mit Bescheid vom 21. August 2007 lehnte die Beklagte weitere anrechenbare rentenrechtliche Zeiten ab. Die Beschäftigungszeiten von 5. April 1965 bis 7. November 1966 seien antragsgemäß nach § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen erstattet worden. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2007 zurück.

Mit der Klage zum Sozialgericht Landshut machte der Kläger Versicherungszeiten für die Jahre 1963 bis 1969 geltend. Er legte hierzu den Antrag vom 2. Mai 1966 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Anmeldebestätigung des 11. Polizeireviers F. vom 25. März 1966 vor. Die Beklagte legte eine Kopie der Versicherungskarte Nr. 1 vor, wonach die LVA Hessen die Zeiten vom 5. April 1965 bis 17. November 1966 erstattete.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2008 ab. Die Rentenversicherungsbeiträge für die Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet vom 5. April 1965 bis 17. November 1966 seien von der LVA Hessen gemäß § 1303 RVO erstattet worden. Diese Zeiten könnten deshalb nicht mehr berücksichtigt werden. Die durchgeführten Ermittlungen bei den für den Kläger zuständigen Krankenkassen hätten keine weiteren Beitragszeiten ergeben. Eine Anerkennung im Wege der Glaubhaftmachung scheide aus.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger vorgebracht, er habe kriegsbedingt für die Jahre 1963 bis 1969 keine Unterlagen mehr. Er hat weiterhin die Berücksichtigung von Zeiten aus den Jahren 1963 bis 1969 begehrt.

Die Beklagte hat mitgeteilt, dass lediglich die Versicherungskarte Nr. 1 vorliege. Die Versicherungskarte für die Zeit vom 3. September 1969 bis 7. Dezember 1972 sei nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist am 8. November 1985 vernichtet worden. Zwar beziehe der Kläger seit 1. August 1984 Rente in Bosnien-Herzegowina, eine Anerkennung der Versicherungszeiten in Bosnien-Herzegowina in der deutschen Rentenversicherung sei jedoch mangels Rechtsgrundlage nicht möglich.

Mit Beschluss vom 17. Juni 2008 hat der Senat die Berufung dem Berichterstatter übertragen ( § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid vom 23. April 2008 sowie den Bescheid vom 21. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Rentenbescheid vom 17. Oktober 1996 dahingehend zu ändern, dass weitere rentenrechtliche Zeiten von 1963 bis 1969 berücksichtigt und der Berechnung der Altersrente zugrunde gelegt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Anerkennung weiterer rentenrechtliche Zeiten und somit auf Änderung des Rentenbescheides zu.

Es konnte in Abwesenheit des Klägers entscheiden werden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG). Das persönliche Erscheinen des Klägers, der sich als Gründe für seine Abwesenheit auf die weite Entfernung und seinen Gesundheitszustand beruft, war nicht angeordnet.

Streitgegenstand ist zum einen der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2007, mit dem diese die Anerkennung weiterer Versicherungszeiten ablehnte. Eine Auslegung des Klageantrags ist jedoch zum anderen dahingehend zu erfolgen, dass eine Abänderung des Rentenbescheides vom 17. Oktober 1996 begehrt wird und die Rente unter Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten für die Jahre 1963 bis 1969 neu berechnet wird. Anspruchsgrundlage ist insoweit § 44 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X). Soweit sich danach im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X.

Der Rentenbescheid vom 17. Oktober 1996 ist jedoch nicht zu berichtigen, da für die geltend gemachte Zeit von 1963 bis 1969 keine weiteren Beitragszeiten anzuerkennen sind. Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Rentenrechtliche Zeiten sind neben Zeiten mit vollwertigen Beiträgen auch beitragsgeminderte Zeiten (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 b SGB VI). Darüber hinaus sind rentenrechtliche Zeiten auch Berücksichtigungszeiten
(§ 54 Abs. 1 Nr. 3, 57 SGB VI). Vorliegend werden allein Beitragszeiten im Sinne von Pflichtbeitragszeiten geltend gemacht.

Der Rentenbescheid berücksichtigte Versicherungszeiten ab 3. September 1969. Konkrete Angaben für die Zeit davor konnte der Kläger nicht machen. Die Ermittlungen der Beklagten bei der zuständigen Krankenkasse ergaben Beschäftigungszeiten vom 5. April 1965 bis 7. August 1965 bei der Fa. R. & S. KG, vom 25. März 1966 bis 29. April 1966 bei der Fa. G. Z. KG sowie vom 2. Mai bis 5. Juli 1966 bei der Fa. H. & B. Bauunternehmung GmbH. Nach der vorliegenden Versichertenkarte Nr. 1 ergeben sich ferner Tätigkeiten bei der Fa. P. K. (27. Juli 1965 bis 11. Dezember 1965) und bei der Arbeitsgemeinschaft K.-Backhaus (9. Juli bis 17. November 1966). Diese Zeiten wurden allerdings ausweislich der Versichertenkarte gemäß § 1303 RVO erstattet und die Versichertenkarte am 25. November 1968 dementsprechend berichtigt. Das Versicherungsverhältnis ist damit insoweit erloschen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 14. März 1975,
Az.: 1 RA 173/74 - SozR 2200 § 1309a Nr. 1, S. 1; ebenso schon Urteil vom 28. April 1964, Az.: 12 RJ 340/61 - SozR Nr. 69 zu § 128 SGG und vom 24. Januar 1973, Az.: 4 RJ 103/72) kann aus dem Inhalt von Sammelkarten, Beitragserstattungslisten sowie sonstigen noch vorhandenen und auf den Namen der Berechtigten lautenden Verwaltungsunterlagen die - auf Lebenserfahrung sowie dem Grundsatz der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung beruhende, jedoch widerlegbare - Vermutung begründet werden, dass die Beitragserstattung tatsächlich wirksam erfolgt ist. Die Einträge auf der Versicherungskarte lassen bei typischem Geschehensablauf darauf schließen, dass eine Beitragserstattung beantragt und durchgeführt wurde (z.B. LSG Hamburg, Urteil vom 5. April 2007, Az.: L 6 R 189/06). Zur Widerlegung der Richtigkeit einer Urkunde genügt nicht die bloße Glaubhaftmachung i.S.d. § 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), sondern es ist der volle Gegenbeweis erforderlich; die Unrichtigkeit muss zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden (vgl. LSG Hamburg, a.a.O., m.w.N.) bzw. es muss jede Möglichkeit der Richtigkeit der Urkunde ausgeschlossen sein (BSG, Urteil vom 23. Juni 1981, Az.: 7 RAr 32/80). Eine Glaubhaftmachung nach § 286 Abs. 5 SGB VI scheidet somit, neben den vom Sozialgericht genannten Gründen, aus.

Den Gegenbeweis vermag der Kläger nicht zu führen. Er gab zwar an, seit 1963 bei der Fa. G. M. bzw. Fa. S.-Bau beschäftigt gewesen zu sein. Unterlagen konnte er hierzu jedoch nicht vorlegen. Vielmehr war er nach Aktenlage bis 23. März 1964 und ab 3. September 1969 im ehemaligen Jugoslawien beschäftigt. Weitere Zeiten sind nicht belegt und nicht zu ermitteln. Die Eintragungen der Versichertenkarte mit Beitragszeiten vom 5. April 1965 bis 17. November 1966 (mit Unterbrechungen) und dem Löschungs- und Berichtigungsvermerk vom 25. November 1968 lassen vielmehr darauf schließen, dass zumindest bis November 1968 keine weiteren Beitragszeiten angefallen sind. Bis September 1969 sind somit keine weiteren Beitragszeiten in Deutschland nachgewiesen.

Allerdings weist der Versicherungsverlauf im ehemaligen Jugoslawien Versicherungszeiten u.a. vom 18. Juni 1956 bis 23. März 1964 und vom 3. März 1969 bis 13. September 1974 auf. Eine Anerkennung dieser zurückgelegten Zeiten in der deutschen Rentenversicherung ist nicht möglich, da hierfür die Rechtsgrundlage fehlt. Vor allem scheidet eine Anerkennung nach dem Fremdrentengesetz (§ 1 FRG) aus, da der Kläger bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger ist und keinen Bundesvertriebenenausweis erhalten hat. Damit scheidet auch eine Anerkennung der Versicherungszeiten nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung vom 10. März 1956 (BGBl. 1958 II, S. 170) aus. Voraussetzung wäre danach, dass der Versicherte am 1. Januar 1956 als deutscher Staatsangehöriger in der Bundesrepublik Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch - SGB I) inne gehabt hat. Beides ist nicht der Fall.

Eine Rechtsgrundlage für die Anerkennung der Versicherungszeiten in Bosnien-Herzegowina in der deutschen Rentenversicherung findet sich auch nicht in dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (SVA - zur Frage der Anwendbarkeit des SVA im Verhältnis insbesondere zu Bosnien-Herzegowina: Vorlagebeschluss des BSG vom
23. Mai 2006, B 13 RJ 17/05 R, an das Bundesverfassungsgericht, Az.: 2 BvR 3/06) vom 12. Oktober 1968 (BGBl. I 1969 II, S. 1438) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl. 1975 II, S. 390). Sind nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden, so werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen, Art. 25 Abs. 1

S. 1 SVA. Die Beklagte hat die im ehemaligen Jugoslawien zurückgelegten Zeiten bei der Erfüllung der Wartzeit für die ab 1. August 1984 gezahlte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und für die Regelaltersrente berücksichtigt. Der jugoslawische Rentenversicherungsträger bestätigte am 7. September 1985, dass dem Kläger ab 1. August 1984 eine Invaliditätsrente bewilligt wurde. Der bosnisch-herzegowinische Versicherungsträger gewährt damit bereits eine Rentenleistung unter Berücksichtigung der im ehemaligen Jugoslawien zurückgelegten Versicherungszeiten.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG. Sie beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seiner Klage auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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