L 3 AS 2251/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 314/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 2251/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit ab 01.11.2007 streitig.

Der am 25.11.1948 geborene Kläger bezog seit 01.11.2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). In den Leistungsanträgen hatte er jeweils angegeben, er wohne in der W. Str. 17, 68789 L. 2. Bis zum 31.10.2007 bezog er Alg II in Höhe der Regelleistung von zuletzt monatlich 347,00 EUR. Kosten für Unterkunft und Heizung wurden nicht gewährt, da der Kläger angegeben hatte, mietfrei bei seiner Tante zu wohnen.

Nachdem bei der Beklagten mehrere Anschriftenberichtigungen der Deutschen Post eingegangen waren, wonach der Kläger verzogen sei in die T. Str. 5 in 88048 F., sprach der Kläger am 21.12.2006 bei der Beklagten vor und teilte mit, er wohne weiterhin mietfrei bei seiner Tante. Hierzu legte er eine Meldebestätigung der Gemeinde L. vom 21.12.2006 vor, wonach er zur Zeit mit alleiniger Wohnung in der W. Str. 17 in L. gemeldet sei.

Am 08.10.2007 stellte der Kläger den Antrag auf Fortzahlung des Alg II. Hierbei gab er an, seine Anschrift habe sich nicht geändert. Am 09.10.2007 ging bei der Beklagten erneut eine Anschriftenberichtigung der Deutschen Post ein, wonach der Kläger in die T. Str. 5 in F. verzogen sei. Die Beklagte beauftragte daraufhin ihren Außendienst mit der Durchführung eines Hausbesuchs. Bei dessen Vorsprachen am 16., 17. und 18.10.2007 war der Kläger in der W. Str. 17 nicht zu erreichen. Am Briefkasten war lediglich der Name Karin Becker - die Schwester des Klägers - angebracht. Eine Nachbarin gab an, den Kläger lediglich ein einziges Mal gesehen zu haben. Der Vater des Klägers teilte mit, sein Sohn wohne seit ca. zwei Jahren in der Nähe von F ...

Auf das Anhörungsschreiben der Beklagten teilte der Kläger mit Schreiben vom 25.10.2007 mit, er sei am 18.10.1998 in die W. Str. 17 - die Wohnung seiner Großeltern - eingezogen und werde dort bis an sein Lebensende wohnen bleiben, weil er bis dahin kostenlos darin wohnen dürfe.

Mit Bescheid vom 18.12.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Alg II ab mit der Begründung, der Kläger halte sich vorwiegend in F. und damit nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich auf. Für die Gewährung von Alg II sei der für den (gewöhnlichen) Aufenthaltsort bzw. Wohnsitz des Antragstellers maßgebende Leistungsträger zuständig. Dagegen legte der Kläger bei einer persönlichen Vorsprache am 28.12.2007 Widerspruch ein mit der Begründung, er sei unter der der Beklagten bekannten Anschrift weiterhin wohnhaft. Bei einem erneuten Hausbesuch am 14.01.2008 konnte der Kläger wiederum nicht angetroffen werden. Der Briefkasten trug nun den Namen des Klägers. Ein Nachbar teilte mit, der Kläger wohne nicht hier, das Haus stehe definitiv leer. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 30.01.2008 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit der Begründung, er sei nicht umgezogen, sondern wohne weiterhin in der W. Straße Nr. 17 in L ... Unter dieser Anschrift ist der Kläger zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Die Ladung ist dem Kläger ausweislich des Rückscheins, auf dem der Kläger am 04.03.2008 den Erhalt der Sendung durch seine Unterschrift bestätigt hat, unter der Anschrift T. Str. 5, 88048 F. zugestellt worden.

Mit Urteil vom 28.03.2008 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe im streitigen Zeitraum - ab 01.11.2007 - seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gehabt. Dies ergebe sich zum einen aus den zahlreichen Anschriftenberichtigungen der Deutschen Post, nach denen der Kläger einen Nachsendeauftrag an die Anschrift T. Str. 5 in F. gestellt habe. Dies ergebe sich auch aus der Zustellungsurkunde der Deutschen Post vom 21.12.2007, wonach die Zustellung des Bescheides vom 18.12.2007 in der W. Str. 17 in L. nicht möglich gewesen sei, da der Kläger in die T. Str. 5 in F. verzogen sei. Auch die Ladung zur mündlichen Verhandlung sei dem Kläger in F. zugestellt worden. Die örtliche Zuständigkeit gemäß § 36 SGB II stelle nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ab.

Die an den Kläger unter der Anschrift W. Str. 7 in L. zugestellte Ausfertigung des Urteils ist mit dem Vermerk "Empfänger verzogen" am 07.04.2008 an das SG zurückgekommen. Am 08.04.2008 ist die Urteilsausfertigung an die neue Anschrift des Klägers in F. per Einschreiben mit Rückschein zur Post aufgegeben worden. Ein Rückschein ist nicht zu den Akten des SG gelangt. Die Deutsche Post hat den Auslieferungsvermerk vorgelegt, wonach der Kläger am 12.04.2008 das an ihn gerichtete Schreiben mit der Urteilsausfertigung abgeholt hat.

Am 13.05.2008 (Dienstag nach Pfingstmontag) hat der Kläger Berufung eingelegt mit der Begründung, er habe selbstverständlich einen Nachsendeauftrag gestellt, um sicherzustellen, dass ihn wichtige Post erreiche, wenn er sich vorübergehend im Bodenseegebiet aufhalte. Er sei jedoch nicht umgezogen. Auch habe ihn immer die gesamte an die Adresse in L. gerichtete Post erreicht.

Die am 20.10.2008 zur Post gegebene, an die Anschrift W. Str. 17 in L. gerichtete Ladung zum Erörterungstermin ist am 27.10.2008 zurückgekommen mit dem Vermerk, der Empfänger sei unter der angegebenen Anschrift nicht erreichbar. Die an die Anschrift T. Str. 5 in F. gerichtete Ladung ist von S. B. mit Schreiben vom 17.11.2008 zurückgesandt worden mit der Anmerkung, sie habe aus Versehen ein Schreiben geöffnet, das mit ihrer Anschrift in ihrem Briefkasten gelegen habe. Erst beim Durchlesen habe sie bemerkt, dass es nicht für sie bestimmt gewesen sei. Die Gemeinde L. hat unter dem 28.11.2008 mitgeteilt, der Kläger sei weiterhin in der W. Str. 17 gemeldet. Ein mit Postzustellungsurkunde an den Kläger gerichtetes Schreiben mit dem Zusatz "weitersenden innerhalb des Inlands" ist am 30.12.2008 zurückgekommen mit dem Vermerk, der Empfänger sei unbekannt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. März 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. November 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig. Insbesondere ist die Berufungsfrist gewahrt. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Das Urteil des SG ist dem Kläger am 11.04.2008 zugegangen. Der 11.05.2008 war Pfingstsonntag, der folgende Montag ein Feiertag, so dass die am 13.05.2008 eingelegte Berufung noch fristgerecht erfolgt ist (§ 64 Abs. 3 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab dem 01.11.2007 abgelehnt, da der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in ihrem Bezirk hatte.

Nach § 36 Sätze 1 und 3 SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) ist für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar, so ist der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige tatsächlich aufhält.

Der Kläger hatte zumindest ab dem 01.11.2007 seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Beklagten.

Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Hierbei kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse sowie auf eine vorausschauende Betrachtungsweise an. Es sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung bei Beginn des streitigen Zeitraums erkennbaren (subjektiven und objektiven) Umstände zu berücksichtigen, wobei in erster Linie die objektiven Umstände und das Zeitmoment maßgeblich sind (BSG 03.04.2001 - B 4 RA 90/00 R - SozR - 1200 § 30 Nr. 21). Daneben sind auch die subjektiven Vorstellungen des Hilfebedürftigen zu berücksichtigen (Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 36 Rn. 18). Generell muss jedoch am gewöhnlichen Aufenthaltsort der Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse liegen (BSG 15.03.1995 - 5 RJ 28/94 - SozR 3-1200 § 30 Nr. 13).

Der Kläger hatte seinen tatsächlichen Aufenthalt nicht mehr im Bezirk der Beklagten. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass er einen Nachsendeauftrag an die Anschrift T. Str. 5 in F. gestellt hatte. Dementsprechend waren auch zahlreiche Anschriftenberichtigungen der Deutschen Post bei der Beklagten eingegangen. Dies ergibt sich weiter aus dem Außendienstbericht der Beklagten, wonach der Kläger am 16., 17. und 18.10.2007 nicht unter der angegebenen Adresse angetroffen worden ist. Diesem kann weiter entnommen werden, dass nach der Aussage von Nachbarn der Kläger unter der angegebenen Adresse nicht wohne. Bei einer weiteren Befragung hat ein Nachbar am 14.01.2008 sogar angegeben, das Haus W. Str. 17 stehe definitiv leer. Auch der Vater des Klägers hat im Oktober 2007 angegeben, dieser wohne seit zwei Jahren in der Nähe von F ...

Hierfür spricht zudem, dass am Briefkasten des Hauses W. Str. 17 nicht der Name des Klägers, sondern lediglich der Name seiner Schwester angebracht war und der Name des Klägers erst angebracht wurde, nachdem die Bewilligung von Leistungen versagt worden war. Auch der Kläger selbst hat nicht vorgetragen, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in L. hatte. So hat er in der Berufungsbegründung ausgeführt, bei der Anschrift in L. handle es sich nicht um einen Wohnsitz, sondern um eine Postanschrift. Er sei deshalb jederzeit schriftlich erreichbar gewesen. Damit hat er selbst zugestanden, sich nicht unter der angegebenen Anschrift in L. aufgehalten zu haben.

Demgegenüber ist die polizeiliche Meldung und der Wille, irgendwann wieder zurückzukehren, für die Begründung bzw. Beibehaltung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht ausreichend. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass sich der Kläger seit Jahren im Bodenseegebiet aufhält, dass er dort seinen Lebensmittelpunkt hat und dass es keine objektiven Anhaltspunkte dafür gibt, dass er diesen in absehbarer Zeit wieder in den Bezirk der Beklagten zurückverlegen wird. Ausreichend hierfür ist keinesfalls der Vortrag, er genieße kostenfreies Wohnrecht im Haus seiner Tante.

Da auch der tatsächliche Aufenthalt des Klägers nicht bekannt ist, war auch eine Beiladung des Trägers der Grundsicherung des Bezirks, in dem sich der Kläger tatsächlich aufhält, nicht möglich. Der Kläger hat zwar einen Nachsendeantrag an die Anschrift T. Str. 5 in F. gestellt. Die an ihn unter dieser Anschrift gerichtete Post kam jedoch zurück mit dem Vermerk, der Kläger wohne nicht dort.

Einem Anspruch des Klägers gegen die Beklagte steht zudem § 7 Abs. 4a SGB II entgegen. Nach § 7 Abs. 4a SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706), in Kraft ab 01.08.2006, erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 3001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) hat der Arbeitslose sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Erreicht werden kann ein Arbeitsloser nur, wenn die Postzugangseinrichtung (Briefkasten) ordnungsgemäß vorhanden und mit seinem Namen versehen ist (Brand in Niesel, SGB III, § 119 Rn. 78). Schon diese Voraussetzung hat zunächst nicht vorgelegen. Ausweislich des Außendienstberichtes der Beklagten von Oktober 2007 hat der Briefkasten der Wohnung W. Str. 17 nicht den Namen des Klägers getragen, sondern war lediglich mit Karin Becker - dem Namen seiner Schwester - beschriftet. Erst beim Hausbesuch im Januar 2008 war der Name des Klägers auf dem Briefkasten angebracht.

Für die Erreichbarkeit ist darüber hinaus nicht ausreichend, dass der Arbeitslose überhaupt postalisch erreichbar i Deshalb reichen ein Nachsendeauftrag oder sonstige Vorkehrungen, dass ihn an die bisherige Anschrift gerichtete Post erreicht, nicht aus (Brand, a.a.O., Rn. 79). Wegen seiner - weder genehmigten noch überhaupt der Beklagten mitgeteilten - tatsächlichen Ortsabwesenheit war der Kläger damit für die Beklagte nicht erreichbar.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, er haben die Regelung des § 428 SGB III in Anspruch genommen und müsse deshalb den Vermittlungsvorschlägen nicht mehr Folge leisten, ist dies im vorliegenden Zusammenhang unbeachtlich. Er ist dadurch nur von der Verpflichtung entbunden, alle Möglichkeiten zu nutzen und nutzen zu wollen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Vorliegend geht es jedoch nicht darum, ob der Kläger Verpflichtungen zur Beschäftigungssuche nachgekommen ist, sondern darum, ob unter dem Gesichtspunkt der generell unverzichtbaren Erreichbarkeit die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg II erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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