L 11 KR 3411/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2349/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3411/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. März 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 23. September, 27. Oktober, 6. November 2003 und 19. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2005 abgeändert sowie die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 11. Oktober 2003 bis 8. Januar 2004 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Krankengeld (Krg) für einen Zeitraum vom 11. Oktober 2003 bis 21. März 2004.

Der 1964 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger ist ausgebildeter Agrotechniker und Mechanisator, war in wechselnden Berufen tätig, darunter auch mehrere Jahre selbstständig mit einem Transportunternehmen (K. und L.), und wurde zum Finanzkaufmann umgeschult. Seit Dezember 2001 war er als Leiter der Fernsehabteilung des M. N.-U. beschäftigt. Am 25. September 2002 wurde er in Folge eines Bandscheibenvorfalls im Segment L5/S1 arbeitsunfähig krank. Nach Ende der Entgeltfortzahlung gewährte die Beklagte ab 3. November 2002 Krg. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. Januar 2003.

Im April 2003 erfolgte eine Bandscheibentotalendoprothesenimplantation. Aus der anschließenden Anschlussheilbehandlung in der Fachklinik I. wurde der Kläger am 31. Juli 2003 als arbeitsunfähig entlassen. Im Entlassungsbericht wurde ausgeführt, aus orthopädischer Sicht sei zu erwarten, dass der Kläger nach weiterer komplikationsloser Rekonvaleszenz von ca. vier bis fünf Wochen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in der Lage sein werde, eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit aus wechselnder Ausgangshaltung mit rückengerechtem Heben von Lasten bis 10 kg ohne häufige Überkopfarbeiten sowie ohne häufig gebückte Zwangshaltungen vollschichtig durchzuführen. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Abteilungsleiter entspreche diesem Leistungsbild nicht. Auf Vorschlag der Fachklinik I. wurde zur weiteren Muskelkräftigung eine intensivierte Rehabilitationsnachsorge (IRENA) durchgeführt, die bis 10. Oktober 2003 andauerte. Von dort wurde der Kläger, wie im Entlassungsbericht und in einem Schreiben an die Beklagte vom 29. Oktober 2003 ausgeführt wurde, als arbeitsfähig entlassen. Es bestünden noch Schmerzen bei einseitigen Körperhaltungen und anhaltenden statischen Belastungen im Lendenwirbelsäulenbereich (LWS-Bereich), jedoch keine motorischen oder sensiblen Ausfälle.

Dr. S., LVA B., der den Kläger im Rahmen eines Rentenverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung K. am 15. September 2003 untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass nur noch leichte Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Zwangshaltung, ohne häufiges Bücken, Knien oder Hocken, sechsstündig möglich seien und die Tätigkeit als Leiter einer Verkaufsabteilung im M. nur noch unter drei Stunden durchgeführt werden könne.

Mit Schreiben vom 23. September und vom 6. November 2003, die keine Rechtsmittelbelehrung enthalten, sowie am 27. Oktober 2003 mündlich teilte die Beklagte mit, dass Arbeitsunfähigkeit (AU) längstens bis einschließlich bis 10. Oktober 2003 anerkannt und danach kein Krg mehr gewährt werden könne. Tatsächlich bezahlte die Beklagte Krg bis einschließlich 13. Oktober 2003. Am 29. Oktober 2003 weigerte sich die Beklagte, einen Auszahlungsschein entgegenzunehmen. Das Arbeitsamt U. gewährte Arbeitslosengeld (Alg) ab 14. Oktober 2003 in Höhe von kalendertäglich 46,57 EUR.

Der behandelnde Dr. S. bescheinigte AU am 13. und am 27. Oktober 2003. Am 15. Oktober 2003 teilte er auf Anfrage der Beklagten mit, der Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit sei nicht absehbar. Er wiederholte seine Ansicht, dass der Kläger weiterhin arbeitsunfähig sei, mit Attesten vom 18. November 2003 und 13. April 2005. Längeres Sitzen, Heben und Tragen von Lasten sowie Wirbelsäulenzwangshaltungen verursachten starke Beschwerden.

Der Kläger legte gegen die eine Weitergewährung des Krg ablehnenden Bescheide am 28. November 2003 mit der Begründung Widerspruch ein, er sei nach wie vor arbeitsunfähig.

Herr R., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), führte in seiner von der Beklagten veranlassten Stellungnahme nach Aktenlage vom 11. Dezember 2003 aus, es bestehe - den Zeitpunkt der Abschluss der I.-Maßnahme berücksichtigend - ein Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ohne Wirbelsäulenbelastungen. Es liege eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vor.

Mit Bescheid vom 19. Mai 2004 wurde ein Anspruch auf Krg über den 10. Oktober 2003 hinaus (erneut) abgelehnt. Für die Beurteilung der AU sei der Tätigkeitsbereich maßgebend, der für die Vermittlung durch das Arbeitsamt in Betracht komme.

Der Kläger hielt an seinem Widerspruch fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie stützte sich dabei auf die Einschätzung der Fachklinik I., des MDK und der Bundesknappschaft. Die über den 13. Oktober 2003 hinaus attestierte AU sei nicht mehr nachzuvollziehen.

Der Kläger hat am 1. August 2005 Klage bei dem Sozialgericht Ulm (SG) erhoben.

Der Orthopäde Dr. S. hat als sachverständiger Zeuge schriftlich erklärt, er habe den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum am 13. und 27. Oktober, 18. November, 9. und 22. Dezember 2003 sowie am 9. Januar und 20. Februar 2004 behandelt. Aufgrund des chronisch rezidivierenden lumbalen Schmerzsyndroms bei Zustand nach Implantation einer Bandscheibenprothese mit Belastungsinsuffizienz und deutlicher Bewegungseinschränkung habe vom 18. September 2003 bis 21. März 2004 AU bestanden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger angegeben, die Fernsehabteilung sei 720 m² groß gewesen. Ihm seien 4 ½ Mitarbeiter unterstellt gewesen. Gleichzeitig gearbeitet hätten jeweils zwei Mitarbeiter und ein Lehrling. Eine Umsetzung in eine andere Abteilung sei nicht möglich gewesen, da Fachkräfte in anderen Bereichen beschäftigt gewesen seien.

Mit Urteil vom 2. März 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Gewährung von Krg über den 10. Oktober 2003 bestehe nicht. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum - gemessen an den ihm rechtlich und gesundheitlich zumutbaren Tätigkeiten - nicht arbeitsunfähig gewesen. Bei der Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Kommunikationsbranche bzw. in kaufmännischen Unternehmen würden sowohl kaufmännische als auch beratende Tätigkeiten anfallen. Das Heben und Tragen von schweren Lasten könne in dieser Position überwiegend auf andere Mitarbeiter übertragen werden. Ab 11. Oktober 2003 sei der Kläger wieder in der Lage gewesen, einer Tätigkeit als Abteilungsleiter nachzugehen. Dies stehe aufgrund des Entlassungsberichtes der Fachklinik I. fest, da bei Abschluss der Maßnahme "nur" noch Schmerzen bei einseitigen Körperhaltungen und anhaltenden statischen Belastungen im LWS-Bereich ohne motorische oder sensible Ausfälle bestanden hätten. Da einseitige Körperhaltungen und anhaltende statische Belastungen bei einer Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Kommunikationsbranche bzw. in einem kaufmännischen Unternehmen nicht anfielen, habe die Fachklinik I. den Kläger zu Recht als arbeitsfähig erachtet. Die von Dr. S. mitgeteilten Einschränkungen, nämlich dass längeres Sitzen, Heben und Tragen von Lasten sowie Wirbelsäulenzwangshaltungen starke Beschwerden verursachten, sei mit einer Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Bürokommunikation bzw. in einem kaufmännischen Unternehmen vereinbar.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Juni 2007 zugestellte Urteil am 11. Juli 2007 Berufung eingelegt. In einem Unternehmen wie dem M. gehöre es dazu, dass der Abteilungsleiter körperlich mitarbeite. Er habe zwar grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, das Heben und Tragen von Lasten an Mitarbeiter zu delegieren. Er habe jedoch "voll mitarbeiten" müssen, da zu keinem Zeitpunkt hinreichend Personal vorhanden gewesen sei, um ihn vom Tragen von Fernsehgeräten vollständig auszuschließen. Eine Umsetzung in eine andere Abteilung sei damals besprochen, aber nicht umgesetzt worden, da die anderen Abteilungen bereits durch Fachpersonal besetzt gewesen und mit Rücksicht auf die dort beschäftigten Mitarbeiter keine Umsetzung möglich gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. März 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 23. September, 27. Oktober, 6. November 2003 und 19. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 11. Oktober 2003 bis 21. März 2004 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Dem Kläger sei es möglich gewesen, schweres Heben und Tragen zu delegieren. Falls kein Hubwagen zur Verfügung gestanden hätte, hätte der Kläger über den Rentenversicherungsträger einen solchen erhalten können. Üblich sei auch, dass Kunden die Ware selbst in den Einkaufswagen laden und transportieren würden. Auch eine Umsetzung in eine andere Abteilung, z.B. im Bereich Telekommunikation (Telefon, Handy, Fax) sei in Frage gekommen.

Im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats vom 21. November 2007 hat der Kläger dargelegt, ihm hätten zwei Verkäufer unterstanden, außerdem zwei bis drei Auszubildende, von denen faktisch aber immer nur einer anwesend gewesen sei. Fernseher würden 50 bis 60 kg, manchmal auch 80 kg wiegen, Kleinfernseher mindestens 15 kg. Die Möglichkeit rückengerechten Tragens sei nicht möglich gewesen; er habe auch Paletten umschichten müssen. Den Vorschlag des Berichterstatters, dem Kläger noch für einen Teil der geltend gemachten Zeit Krg zu gewähren, lehnte die Beklagte ab.

Der Senat hat Auszüge aus der Datenbank BERUFENET zu den Tätigkeiten als "Fachverkäufer/-berater/in für Elektronik", "Kaufmann/-frau im Einzelhandel - Elektrogeräte" und "Kaufmann/-frau im Einzelhandel - Rundfunk, Fernsehen, Video" beigezogen (AS 36c ff der Senatsakte). Beigezogen worden sind weiterhin die Unterlagen des zuständigen Rentenversicherungsträgers (Deutsche Rentenversicherung K.)

Eine Anfrage beim Bundesverband T. d. E. e. V. nach den körperlichen Anforderungen für Abteilungsleier in einem Elektromarkt, in einer Fachabteilung eines Kauf- oder Warenhauses oder in einem größeren Supermarkt oder Discounter hat keine Antwort erbracht, da man von dort aus angegeben hat, nicht über die entsprechenden Kenntnisse zu verfügen. Andere Verbände oder Institutionen, die sich schon mit entsprechenden Fragestellungen beschäftigt hätten, seien nicht bekannt. Die Firma M. V. D. GmbH hat mitgeteilt, dass in der Fernsehabteilung üblicherweise keine Gewichte über 10 kg gehoben oder getragen würden und für Ausnahmefälle Hubwagen zur Verfügung stünden bzw. sich Kollegen untereinander helfen würden. Der Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. W., Zentraler Betriebsarzt der K. W. GmbH, hat angegeben, es sei in vergleichbaren Beschäftigungsverhältnissen üblich, dass Gewichte über 10 kg gehoben oder getragen würden. Es gebe jedoch Betriebsanweisungen, wonach Gewichte über 20 kg nur zu zweit gehoben werden dürften, und im Fall, dass der zweite Mann nicht zur Verfügung stehe, die gesundheitsgefährdende Tätigkeit zu unterlassen sei.

Dr. S. hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gutachten erstattet. Er hat den Verlauf der Krankengeschichte und die Befunde des Klägers im streitigen Zeitraum sowie zum Zeitpunkt der Untersuchung (29. April 2008) im Einzelnen dargestellt. Im streitigen Zeitraum hätte ein chronisch-rezidivierendes lumbales Schmerzsyndrom bei Zustand nach intradiskaler elektrothermischer Katheter-Therapie L4/5 und Zustand nach Implantation einer Bandscheiben-Prothese L5/S1 nach vorausgegangener Bandscheiben-Operation im Segment L5/S1 mit nachfolgendem sog. Postnukleotomie-Syndrom bei Bandscheibendegeneration L4 bis S 1 sowie ein retropatellarer Knorpelschaden mit beginnender Retropatellararthrose links mehr als rechts bei Zustand nach Kniedistorsion links und Patellaluxation beidseits bestanden. Der Kläger habe keine Gewichte mit mehr als 10 kg heben können und sei deswegen nicht mehr in der Lage gewesen, als Leiter der Fernsehabteilung des M. oder in einer vergleichbaren Tätigkeit in einem großen Elektromarkt oder Kaufhaus zu arbeiten.

Die Beklagte hat ein Gutachten nach Aktenlage von Herr R. vorgelegt. Dieses hat sich im Wesentlichen auf die Einschätzung des Entlassungsberichts der Fachklinik I. gestützt. Dem Kläger seien keine Hebe- und Tragebelastungen von mehr als zehn Kilogramm möglich gewesen, ebenso nicht Zwangshaltungen, überwiegendes Bücken, langes Sitzen und einseitige Körperhaltungen. Nach den bisherigen Erhebungen beim Arbeitgeber hätte diese Belastungsgrenze eingehalten werden können.

Den Vorschlag des Berichterstatters, dem Kläger noch bis Ende 2003 Krg zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt.

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte ergänzend mitgeteilt, dass das tägliche Krg im streitgegenständlichen Zeitraum 65,28 EUR betragen würde.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässig. Insbesondere wird die Berufungssumme von 500 EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier maßgeblichen Fassung vor dem Gesetz vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) erreicht. Dabei ist zu beachten, dass hier § 49 Abs. 1 Nr. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht anwendbar ist. Danach ruht der Anspruch auf Krg solange Versicherte Alg beziehen. Die Vorschrift, die in Konkurrenz zur Regelung des § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) steht, kommt nur zur Anwendung, wenn das Alg während der ersten sechs Wochen der AU fortzuzahlen ist (§ 126 SGB III; vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 6/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr. 11). Zwar ist denkbar, dass die Bundesagentur für Arbeit bei Bejahung eines Anspruchs des Klägers auf Krg einen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen die Beklagte hat. Dieser Erstattungsanspruch führt nach § 107 Abs. 1 SGB X zur Erfüllung des Anspruchs des Klägers auf Krg (sog. Erfüllungsfiktion), jedoch nur in Höhe des Erstattungsanspruchs ("soweit"). Die Differenz zwischen dem gewährten Alg (§ 129 SGB III: 60 bzw. 67 % des pauschalierten Nettoentgelts) und dem höheren Anspruch auf Krg (§ 47 Abs. 1 SGB V: 70 % des Regelentgelts) kann der Kläger weiterhin gegen die Beklagte geltend machen. Damit ergibt sich für den in Frage stehenden Zeitraum von 160 Tagen eine Summe, die 500 EUR deutlich übersteigt (s. die Berechnungen im Aktenvermerk der Beklagten auf AS 170 der Verwaltungsakte).

Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Das SG hätte die Klage nicht in vollem Umfang abweisen dürfen. Dem Kläger steht Krg im ausgesprochenen Umfang zu.

Angefochten sind mehrere Bescheide, denn die Beklagte hat die Gewährung von Krg über den 10. Oktober 2003 mehrfach abgelehnt. Neben den Schreiben vom 23. September und 6. November 2003, die eine Regelung enthalten und daher auch ohne Rechtsmittelbelehrung als Verwaltungsakte anzusehen sind, findet sich die Regelung erneut im Bescheid vom 19. Mai 2004. Im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats hat die Beklagte zudem klargestellt, dass es sich bei dem im Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2005 erwähnten Bescheid vom 27. Oktober 2003 um eine mündliche Ablehnung handelte. Schon aus Gründen der Klarstellung ist auch dieser Bescheid zu erfassen.

Versicherte haben nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krg, wenn sie mit Anspruch auf Krg versichert sind und die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Kläger gehört nach § 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Sein Beschäftigtenverhältnis endete zwar mit Ablauf des 2. November 2002 (letzter Tag, für den der Kläger Entgeltfortzahlung erhielt), was nach § 190 Abs. 2 SGB V grundsätzlich auch zur Beendigung der sich nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ergebenden Mitgliedschaft bei der Beklagten führt. Die Mitgliedschaft des Klägers blieb jedoch über diesen Zeitpunkt hinaus erhalten, weil ein Anspruch auf Krg bestand und Krg bzw. Übergangsgeld gezahlt wurde (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB V). Die Höhe des Anspruchs auf Krg richtet sich daher nach § 47 SGB V und nicht nach § 47 b SGB V. Solange eine der in § 192 Abs. 1 SGB V genannten Tatbestandsalternativen vorliegt, besteht der ursprüngliche versicherungsrechtliche Status uneingeschränkt fort (BSG, Urteil vom 2. November 2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr. 1).

Arbeitsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben könnte, ist unerheblich. Verliert er - wie hier der Kläger - nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt innegehabte Arbeitsstelle, ändert sich allerdings der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an diesem Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr ab-strakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleiche oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei aber der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der Funktion des Krankengelds eng zu ziehen ist. Handelt es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um einen anerkannten Ausbildungsberuf, so scheidet eine Verweisung auf eine außerhalb dieses Berufs liegende Beschäftigung aus. Auch eine Verweisungstätigkeit innerhalb des Ausbildungsberufs muss, was die Art der Verrichtung, die körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Höhe der Entlohnung angeht, mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, so dass der Versicherte sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Dieselben Bedingungen gelten bei ungelernten Arbeiten, nur dass hier das Spektrum der zumutbaren Tätigkeiten deshalb größer ist, weil die Verweisung nicht durch die engen Grenzen eines Ausbildungsberufs eingeschränkt ist (BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, B 1 KR 30/00 R, SozR 3-2500 § 44 Nr. 9).

Maßstab ist daher nicht die konkrete Tätigkeit des Klägers als Leiter der Fernsehabteilung des M. N.-U ... Es kommt nicht darauf an, ob es dort üblich war, dass der Abteilungsleiter auch schwere Fernsehgeräte heben und tragen musste. Maßgeblich sind vergleichbare Tätigkeiten in anderen Unternehmen, die Fernsehgeräte verkaufen. Dabei stellt sich die Bezeichnung "Abteilungsleiter" in gewisser Weise als irreführend dar. In den hier maßgeblichen Tätigkeiten steht das Verkaufen im Vordergrund und die Leitungsfunktion spielt nur insoweit eine Rolle, als andere Verkäufer im Einzelnen anzuweisen und bei Zweifelsfragen Entscheidungen im eigenen Kompetenzbereich zu treffen sind. Der "Abteilungsleiter" ist nicht mehr als ein gehobener Verkäufer, bei dem - wenn man den beruflichen Werdegang des Klägers vor Augen hat - einschlägige Fachkenntnisse eher im Hintergrund stehen.

Nach den vom Senat eingeholten Auskünften der Firma M. V. D. GmbH und des Betriebsarztes Dr. W. ist bei solchen Tätigkeiten im Allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass Gewichte über 10 kg allein und ohne Hilfsmittel gehoben oder getragen werden. Dem folgt der Senat. Zwar hat Dr. S. in seinem Gutachten ausgeführt, die Angaben, es würden Hubwagen zur Verfügung stehen und Kollegen würden sich untereinander helfen, würden nach eigener Anschauung nicht dem Berufsalltag entsprechen. Beim Kauf eines eigenen Fernsehgeräts im M. habe der ihn bedienende Verkäufer das Gerät mit einem Gewicht von mehr als 10 kg mit eigener Muskelkraft angehoben. Wenn der Verkäufer in jedem Fall einen Kollegen zur Hilfe holen würde, wäre der Geschäftsablauf erheblich gestört. Dem kann der Senat nicht folgen. Denn der Gutachter überschreitet mit dieser Aussage den Bereich der eigenen, nämlich der medizinischen Sachkunde. Er hat auch nicht dargelegt, auf welcher Grundlage er die Anschauungen über den beruflichen Alltag gewonnen hat. Ein einmaliger Kauf eines Fernsehgerätes reicht hierfür nicht aus. Auch ist nicht erkennbar, warum die Erkenntnisse von Dr. S. denjenigen der gehörten sachkundigen Stellen überlegen sein sollten.

Darüber hinaus ist der Kläger nicht auf den Bereich des Verkaufs von Fernseher beschränkt. In Frage kommen auch andere Fachabteilungen, wie diejenige von Fotoapparaten, Mobiltelefonen oder elektronischen Kleingeräten (Toaster, Rasierapparate, Haarföne etc.). Dass der Kläger die Fachkenntnisse nicht gehabt hätte, die für die Tätigkeit in einer anderen Abteilung für Elektrogeräte notwendig sind, glaubt der Senat nicht. Einschlägige Erfahrung im Verkauf und im Bereich von Elektrogeräten brachte er aus seiner Tätigkeit als Leiter der Fernsehabteilung mit. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auch angegeben, er habe kaufmännische Kenntnisse (weswegen er zeitweise als Buchhalter arbeiten konnte). Spezifische, durch eine Fachausbildung vermittelte Kenntnisse hinsichtlich der verkauften elektronischen Geräte sind nicht notwendig, denn auch hinsichtlich der verkauften Fernseher verfügte der Kläger nicht über solche. Die Anforderungen als Verkäufer in anderen Bereichen der Elektrogeräte unterscheiden sich auch, wie die beigezogenen Auskünfte der Datei BERUFENET zeigt, nicht wesentlich voneinander.

Der Kläger war jedoch nach Überzeugung des Senats auch ohne die Notwendigkeit, schwere Lasten zu heben und zu tragen, über den 11. Oktober 2003 hinaus arbeitsunfähig. Sein Gesundheitszustand stellte sich nach der Implantation einer Bandscheibenprothese noch nicht als derart stabilisiert dar, dass er in der Lage gewesen wäre, mehrere volle Arbeitstage als Abteilungsleiter bzw. Fachverkäufer im Elektrobereich auszuhalten. Dies ergibt sich aus der Würdigung des Gutachtens von Dr. S. und den weiteren medizinischen Unterlagen.

Bei der klinischen Untersuchung vom 9. September 2003 durch Dr. S. fanden sich noch Ausstrahlungsschmerzen ins linke Bein, die bei Belastungen zunahmen. Der Kläger konnte nur 5 bis 10 Minuten sitzen und 15 Minuten Auto fahren. Der Lasègue war bei 70 Grad positiv (linkes Bein), die LWS und der thorakolumbale Überbau waren zeigten einen ausgeprägten Muskelhartspann.

Zwar zeigt der Entlassungsbericht nach der I.-Maßnahme für den etwa einen Monat später liegenden Zeitpunkt ein gebessertes Bild. So war der Lasègue nun negativ. Doch es bestanden weiterhin Schmerzen bei einseitiger Körperhaltung und anhaltenden statischen Belastungen im LWS-Bereich. Bei der Beschreibung der durch die Maßnahme erreichten Funktionsveränderung ist allein von einer insgesamt leichten Linderung der Belastungsschmerzen die Rede. Welchen Maßstab für die Einschätzung der - bejahten - Arbeitsfähigkeit angelegt worden ist, wird nicht deutlich. Das Schreiben der Fachklinik I. vom 29. Oktober 2003 deutet darauf hin, dass es nicht der hier maßgebliche ist, denn dort ist die Arbeitslosigkeit des Klägers vermerkt, ohne zu differenzieren, ob der Arbeitsplatz vor oder nach Eintritt der AU verloren wurde. Auch der Bescheid vom 19. Mai 2004 stellte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ab, der hier gerade nicht einschlägig ist.

Der Kläger war nach dem 10. Oktober 2003 fortlaufend in Behandlung bei Dr. S., der Physiotherapie verordnete. Es ist gut nachvollziehbar, wenn Dr. S. ausführt, der Kläger habe im maßgeblichen Zeitraum an einem ausgeprägten chronischen Schmerzsyndrom der LWS mit deutlichen Funktionsdefiziten und einer ausgeprägten Belastungsinsuffizienz der LWS gelitten. Ebenfalls schlüssig erscheint es, wenn dem Kläger die Gefahr einer Fehl- und Überbelastung mit unabsehbaren Folgen für seinen Gesundheitszustand noch nicht zuzumuten war. Bei der beim Kläger durchgeführten Operation handelte es sich, wie Dr. S. dargelegt hat, um eine noch immer wenig ausgeführte, bei der die Erfahrungen noch verhältnismäßig gering sind. Dass die notwendige Stabilisierung nach dem 10. Oktober 2003 noch nicht erreicht war, zeigt der weitere Verlauf. Am 22. Dezember 2003 stellte sich der Kläger mit starken Beschwerden im LWS-Bereich bei Dr. S. vor. Die Beschweren waren nach einer Rotationsbelastung eingetreten. Dem Kläger war Sitzen nicht möglich und zur Schmerzreduktion musste er sich mit leichter Stufenbettlagerung hinlegen.

Erst bei der Vorstellung am 9. Januar 2004 konnte Dr. S. eine Besserung der Beschwerdesymptomatik feststellen. Bei den nachfolgenden Untersuchungen setzte sich dies fort. Daher erscheint es dem Senat sachgerecht, den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit mit dem 9. Januar 2004 anzunehmen.

Nicht ausschlaggebend erscheinen dem Senat die Einschätzungen in den beiden Gutachten von Herrn R., der den Kläger nicht untersucht hat und auch argumentativ nicht über die Wiedergabe der ihm vorgelegten medizinischen Unterlagen gelangt ist. Hinsichtlich seines Gutachtens im Verwaltungsverfahren ist anzumerken, dass es zumindest der weiteren Erläuterung bedurft hätte, warum einerseits AU verneint, andererseits eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit angenommen wurde. Die Leistungsbeurteilung der Ärzte des Rentenversicherungsträger sind nicht zu der hier maßgeblichen Tätigkeit erfolgt. Die Einschätzung von Dr. S., wonach die Tätigkeit als Leiter einer Verkaufsabteilung im M. nur noch unter drei Stunden durchgeführt werden könne, steht zumindest nicht im Widerspruch zur Bewertung des Senats.

Die nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V notwendige ärztliche Feststellung der AU liegt im streitigen Zeitraum nur teilweise vor. Soweit sie fehlen hat der Kläger jedoch alles für die Anspruchsentstehung Erforderliche und ihm Zumutbare unternommen, insbesondere war er in ständiger Behandlung bei Dr. S ... Die Beklagte hat die Annahme weiterer Zahlscheine verweigert, womit sich aus Sicht des Klägers auch die Erstellung und Vorlage weiterer AU-Bescheinigungen als sinnlos darstellen musste. In einem solchen Fall kann der Anspruch auf Krg auch für den Zeitraum ohne ärztliche Feststellung der AU geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Verpflichtung für die Zeit vom 11. bis 13. Oktober 2003 von der Beklagten bereits erfüllt ist und in der Zeit danach eine teilweise Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X, wie bereits dargelegt, in Frage kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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