L 7 AS 21/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 895/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 21/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom
20. November 2008 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten wegen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Einzelnen wendet sich der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) gegen einen Wegfall seiner Leistungen nach § 31 SGB II für den Zeitraum November 2008 bis Januar 2009.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Bg.) hatte den Wegfall der Leistungen festgestellt, weil der Bf. sich auf einen Vermittlungsvorschlag hin nicht beim potentiellen Arbeitgeber vorgestellt hatte. Der Bf. bringt vor, er habe einen entsprechenden Vermittlungsvorschlag nicht erhalten. Dass die Bg., so der Bf. weiter, eine Postzustellungsurkunde besitze, welche die persönliche Übergabe des Vermittlungsvorschlags an ihn dokumentiere, könne nicht das Gegenteil beweisen. Denn am vermeintlichen Übergabetag, dem 16.08.2008, habe er sich überhaupt nicht in A-Stadt, sondern vielmehr bei seiner Freundin (im Landkreis Donau-Ries) aufgehalten. Das belege deren eidesstattliche Versicherung.

In der Angelegenheit ist inzwischen eine Klage beim Sozialgericht Regensburg anhängig. Am 07.11.2008 hat der Bf. beim Sozialgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seines vorangegangenen Widerspruchs anzuordnen. Zudem hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und ihm seinen Prozessbevollmächtigten beizuordnen.

Mit Beschluss vom 20.11.2008 hat das Sozialgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. An der Rechtmäßigkeit der von der Bg. getroffenen Regelung, so das Sozialgericht zur Begründung, bestünden keine ernstlichen Zweifel. Mit der Postzustellungsurkunde liege ein Nachweis für den Zugang des Vermittlungsvorschlags vor. Der Vortrag des Bf., er habe sich vom "15.08.2008 bis 17.02.2008" bei seiner Freundin aufgehalten, sei nicht geeignet, die Richtigkeit der Postzustellungsurkunde in Frage zu stellen. Mit gleichem Beschluss hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von PKH und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Gegen den Beschluss des Sozialgerichts - und zwar sowohl gegen die Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes als auch von PKH - hat der Bf. Beschwerde eingelegt. Für das Beschwerdeverfahren hat der Bf. keinen PKH-Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Bg. sowie auf die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Beschwerde ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

Im Hinblick auf die Beschwerde gegen die Ablehnung von einstweiligem Rechtsschutz prüft der Senat nicht, ob das Sozialgericht nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen am 20.11.2008 eine richtige Entscheidung getroffen hat. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geboten ist (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 06.03.2007 - L 7 B 884/06 AS ER, vom 15.05.2007 - L 7 B 234/07 AS ER, vom 30.05.2007 - L 7 B 394/07 AS ER, vom 21.06.2007 - L 7 B 344/07 AS ER). Gemessen daran ist die Beschwerde schon deshalb unbegründet, weil der streitgegenständliche Zeitraum praktisch abgelaufen ist.

Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung, ob die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, fällt nämlich zu Lasten des Bf. maßgeblich ins Gewicht, dass sein Rechtsschutzbegehren - weil eben der streitige Zeitraum nahezu abgelaufen ist - einer besonderen Dringlichkeit entbehrt. Dieser Umstand ist nicht nur bei der einstweiligen Anordnung (Anordnungsgrund) relevant (vgl. § 86 b Abs. 2 SGG), sondern verkörpert auch einen wichtigen Parameter bei der Gesamtabwägung im Rahmen von § 86 b Abs. 1 SGG. Zwar unterscheiden sich die materiellen Prüfungsmaßstäbe im Verfahren der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und beim Erlass einer einstweiligen Anordnung andererseits grundlegend; so wird im Rahmen der Prüfung, ob die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anzuordnen ist, regelmäßig in erster Linie auf dessen Erfolgsaussichten abgestellt. Eine derartige Handhabung hat in Fällen, in denen man es mit einem Entzug einer Rechtsposition im Sinn einer "klassische Eingriffskonstellation" zu tun hat, ihre uneingeschränkte Berechtigung.

Im vorliegenden Fall liegt der Sachverhalt anders. Zwar war dem Bf. zunächst mit Leistungsbescheid vom 29.07.2008 eine Rechtsposition dahingehend zuerkannten worden, er habe einen - betragsmäßig festgelegten - Leistungsanspruch u.a. für die Monate November 2008 bis Januar 2009. Der Feststellungs- und Aufhebungsbescheid vom 10.10.2008 hat diese Rechtsposition entzogen. Auf den ersten Blick liegt somit eine "klassische Eingriffskonstellation" vor. Allerdings darf man die Konsequenzen nicht unberücksichtigt lassen, welche die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hätte. Der Eintritt des Suspensiveffekts hätte zur Folge, dass der Leistungsbescheid vom 29.07.2008 weiterhin als "Anspruchstitel" zu behandeln wäre; die Bg. müsste die Leistungen für den gesamten Zeitraum nachzahlen (BSG NZS 1998, S. 300 ; vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14.11.2007 - L 7 B 754/07 AS ER), ohne dass es hierzu einer gesonderten Anordnung nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG bedürfte.

Dieses Ergebnis leuchtet nicht ein. Einstweiliger Rechtsschutz dient von Verfassungs wegen dazu, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Der Recht suchende Bürger soll aufgrund der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens keine unbilligen Nachteile erleiden müssen. Zu dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt sind aber im vorliegenden Fall solche Nachteile nicht mehr zu befürchten; denn der vorübergehende Leistungswegfall hat sein Ende gefunden. Weil aber Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich der gegenwärtigen Bedarfsdeckung dienen sollen, tut man sich schwer, auch nach Ablauf des jeweiligen Leistungszeitraums die weitere Vorenthaltung der Leistungen noch als unzumutbaren Nachteil zu begreifen.

Bei vergleichender Betrachtung erschiene es zudem inkonsequent, dann, wenn noch keine Leistungsbewilligung vorliegt, einstweiligen Rechtsschutz deshalb zu verweigern, weil Leistungen für die Vergangenheit von vornherein nicht geeignet sind, einer dringende Notlage abzuhelfen, im anderen Fall aber - wenn wie hier eine Leistungsbewilligung zunächst vorhanden war - diesen zu gewähren. Der Unterschied, dass in einem Fall bereits eine Leistungsbewilligung vorliegt, im anderen dagegen nicht, ist formal-rechtlich zwar von großer Bedeutung, im Hinblick auf die Problemlage jedoch nicht signifikant. In beiden Fällen verlangt das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für vergangene Zeiträume vorläufig nachzuzahlen; der jeweilige Antragsteller kann bei beiden Konstellationen grundsätzlich den Ausgang des Hauptverfahrens abwarten. Der materielle Prüfungsmaßstab für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist deshalb in der Weise anzupassen, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ihre dominierende Bedeutung verlieren und daneben auch dem Vorhandensein einer gegenwärtigen dringlichen Notlage wesentliche Bedeutung beigemessen wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.02.2007 - L 7 B 1034/06 AS ER, vom 21.06.2007 - L 7 B 344/07 AS ER, vom 10.03.2008 L 7 B 1101/07 AS ER und vom 21.05.2008 - L 7 B 322/08 AS ER).

Auch die Entscheidung des Sozialgerichts, PKH zu verweigern, ist richtig. Dieses hat zutreffend eine hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens verneint. Anders als bei der Frage, ob einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist, kommt es hier darauf an, ob das Sozialgericht zu einem zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zutreffenden Ergebnis gekommen ist; dieser Unterschied erklärt sich dadurch, dass es sich bei der PKH-Entscheidung um eine bloße verfahrensrechtliche Regelung handelt.

Gemessen daran hat das Sozialgericht richtig entschieden. Der Senat lässt offen, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen Sinn gegeben wäre, würde man die eidesstattliche Versicherung der Freundin des Bf. in die Überlegungen einbeziehen. Denn Letzteres musste und konnte das Sozialgericht nicht. Als das Sozialgericht am 20.11.2008 über den PKH-Antrag entschieden hat, lagen ihm keine tragfähigen Anhaltspunkte vor, die Angaben in der Postzustellungsurkunde könnten falsch sein. Denn mit Schriftsatz vom 18.11.2008 hat der Bf. geäußert, er habe sich "vom 15.08.2008 bis 17.02.2008" bei seiner Freundin aufgehalten. Dass das Sozialgericht den Bf. an der Angabe "17.02.2008" festgehalten und deswegen nicht den Eingang der eidesstattlichen Versicherung der Freundin abgewartet hat, ist nicht zu beanstanden. Der Bf. mag dagegen einwenden, es habe sich doch offensichtlich um einen Schreibfehler gehandelt. Darauf wäre zu erwidern, dass das, was nach der Intention des Bf. zum Ausdruck kommen sollte, keineswegs mit hinreichender Sicherheit klar war. Jedenfalls musste das Sozialgericht nicht beim Bf. rückfragen, was dieser gemeint hatte. Denn einerseits hat es sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz gehandelt, bei dem der Amtsermittlungs- grundsatz erheblich durch die Obliegenheiten des Antragstellers zur Glaubhaftmachung anspruchsstützender Tatsachen überlagert wird. Das erfordert von dessen Seite präzise und unzweideutige Angaben. Andererseits hatte im Vorfeld bereits eine relativ umfangreiche Korrespondenz zwischen dem Sozialgericht und den Beteiligten stattgefunden; aus der Sicht des Sozialgerichts war der Fall entscheidungsreif. Die eidesstattliche Versicherung der Freundin des Bf. ist erst am 25.11.2008 beim Sozialgericht eingegangen und hat deswegen für die Bewertung der Erfolgsaussicht keine Rolle gespielt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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