L 5 R 5340/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 6790/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5340/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.11.2008 wird aufgehoben. Der Beklagten wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die Altersrente des Klägers vorläufig ohne Abzug einer fiktiven Leistung des rumänischen Rentenversicherungsträgers in Höhe von 102,31 EUR (ungekürzt) auszuzahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

Der 1945 geborene Kläger, Spätaussiedler aus Rumänien (Zuzug nach Deutschland am 1.7.1989), beantragte am 16.6.2008 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Unter dem 12.8.2008 erklärte er ergänzend, er verschiebe den Leistungsbeginn einer ihm zustehenden Rente des rumänischen Rentenversicherungsträgers auf unbestimmte Zeit.

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 21.8.2008 mit, gem. § 2 Satz 1b Fremdrentengesetz (FRG) gelte dieses Gesetz nicht für Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, einem bilateralen Sozialversicherungsabkommen oder den innerstaatlichen Vorschriften eines Vertragsstaates anrechenbar seien. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Zeiten im Einzelfall tatsächlich der Berechnung der Leistung zu Grunde gelegt würden. Damit sei entsprechend den Grundsätzen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bestimmt, dass die Entschädigung der ausländischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten vorrangig vom Träger des Staates zu erfolgen habe, nach dessen Rechtsvorschriften sie zurückgelegt worden seien, hier also vom rumänischen Rentenversicherungsträger. Das FRG sei insoweit nachrangig. Aus Gründen des Vertrauensschutzes würden die in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten jedoch weiterhin nach dem FRG bei der deutschen Rente des Klägers berücksichtigt. Damit es dadurch zu keiner ungerechtfertigten Doppelleistung komme, sehe § 31 FRG vor, dass die deutsche Rente um die ausländische Rente vermindert werde, soweit sie auf denselben Versicherungszeiten beruhe. Diesen Vertrauensschutz (weitere Anrechnung der ausländischen Zeiten nach dem FRG) habe der Gesetzgeber in der Erwartung eingeräumt, dass eine ausländische Rente bezogen werde und diese nach § 31 Abs. 1 FRG angerechnet werden könne. Im Ergebnis werde also die ausländische Rentenleistung auf das Niveau des FRG aufgestockt. Die Anrechnung der ausländischen Rente diene auch der Entlastung der deutschen Rentenversicherung, die für die nach dem FRG berücksichtigten Zeiten keine Beiträge erhalten habe. Deshalb sei beabsichtigt, die dem Kläger zustehende rumänische Rente in ihrer voraussichtlichen Höhe anzurechnen, auch wenn diese tatsächlich nicht bezogen werde. Der Kläger möge deshalb seine Entscheidung überprüfen und die ihm gegen den rumänischen Rentenversicherungsträger zustehenden Rentenansprüche geltend machen. Ggf. werde die deutsche Rente ab 1.10.2008 um monatlich 102,31 EUR gemindert. Den Anrechnungsbetrag habe man auf der Basis eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners ermittelt. Er entspreche gem. Art. 107 VO (EWG) Nr. 574/72 umgerechnet 102,31 EUR Monatsrente für deckungsgleiche deutsche und rumänische Zeiten.

Unter dem 26.8.2008 machte der Kläger geltend, die Beklagte habe kein Recht zum Abzug einer fiktiven rumänischen Rente. Er habe nicht auf seine rumänische Rente verzichtet, sondern nur von einem gesetzlichen Dispositionsrecht Gebrauch gemacht (vgl. etwa Bayerisches LSG, Beschluss vom 2.7.2008, - 14 B 469/08 R ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.7.2008, - L 11 R 3191/08 ER-B -).

Mit Bescheid vom 29.8.2008 (Widerspruchsakte) gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ab 1.10.2008 (monatlicher Zahlbetrag 734,25 EUR). Die voraussichtlich zustehende rumänische Rente werde angerechnet. Die (deutsche) Rente ruhe in Höhe des Bruttobetrages der Leistung aus der rumänischen Sozialversicherung. Die monatliche ausländische Leistung sei in dem Verhältnis bei der Rente aus der deutschen Rentenversicherung anzurechnen, in dem die Monate, die bei beiden Leistungen zu berücksichtigen seien, zu allen bei der ausländischen Leistung berücksichtigten Monate stünden, also im Verhältnis 308 zu 308. Die Rente von 919,05 EUR werde damit um 102,31 EUR gemindert.

Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.9.2008 zurück. Ergänzend führte sie aus, entsprechend den Grundsätzen des über- und zwischenstaatlichen Rechts sei bestimmt worden, dass die Entschädigung der ausländischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten vorrangig vom Träger des Staates zu erfolgen habe, nach dessen Rechtsvorschriften sie zurückgelegt worden seien; das FRG sei insoweit nachrangig. Das FRG sei bei den Abkommensstaaten gem. § 2 Satz 2 FRG jedoch weiter anzuwenden, sofern dies durch eine entsprechende "FRG-Weitergeltungsbestimmung" im über- und zwischenstaatlichen Recht ausdrücklich geregelt worden sei. Diese Ausnahmeregelung, durch die eine weitere Anrechnung der ausländischen Zeiten nach dem FRG möglich sei, habe der Gesetzgeber aus Gründen des Vertrauensschutzes in das FRG eingeführt. Der Vertrauensschutz sei in der Erwartung eingeräumt worden, dass der durch das entsprechende Abkommensrecht ermöglichte Bezug einer ausländischen Rente nach § 31 FRG angerechnet werden könne. Im Ergebnis werde also die ausländische Rente auf das Niveau des Fremdrentenrechts aufgestockt. Dieser Zusammenhang zwischen § 2 und § 31 FRG ergebe sich aus der entsprechenden Gesetzesbegründung zu Art. 5 des Zustimmungsgesetzes zu dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 8.12.1990 (BT-Drs. 12/470). Das genannte Abkommen sei zwar der Anlass für die Ergänzung des § 2 FRG um dessen Satz 2 gewesen. Die Ausnahmevorschrift in § 2 Satz 2 FRG und der damit verbundene Vertrauensschutz beschränkten sich jedoch nicht auf Polen, sondern seien im Verhältnis zu mehreren Staaten anzuwenden. So sei die weitere Anwendung des FRG im Verhältnis zu Rumänien ausdrücklich in Nr. 13 des Schlussprotokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über soziale Sicherheit vom 8.4.2005 geregelt und gelte im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts durch den Eintrag im Anhang III Buchstabe A Nr. 20b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 weiter. Aus dieser Vertrauensschutzregelung folge eine besondere Verpflichtung des Rentenberechtigten zur Realisierung seines ausländischen Rentenanspruchs. Unterlasse er dies, sei der deutsche Rentenversicherungsträger im Hinblick auf den Sinn und Zweck der abkommensrechtlichen "FRG-Weitergeltungsbestimmung" berechtigt, die FRG-Leistungen auf den Umfang zu beschränken, der dem Berechtigten bei Erhalt der ihm zustehenden ausländischen Rente verbleiben würde. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem vom Kläger in Anspruch genommenen Dispositionsrecht des Art. 44 Abs. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71, auf dessen Grundlage er den rumänischen Rentenanspruch auf unbestimmte Zeit aufschieben wolle. Das könne nicht dazu führen, die Anrechnungsvorschrift des § 31 FRG zu umgehen. Die Berechnung des fiktiven Abzugsbetrages sei auch nicht willkürlich. Als Anrechnungsbetrag sei vorrangig ein ggf. aktenkundiger individueller ausländischer Rentenbetrag zu berücksichtigen. Sei dieser, wie hier, nicht bekannt, werde der Anrechnungsbetrag bezogen auf Rumänien entsprechend der dortigen Rentenformel unter Zugrundelegung des Wertes eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners in Höhe von 416 Lei (Stand 1.9.2007) in Abhängigkeit zu der Anzahl der deckungsgleichen Zeiten des Berechtigten ermittelt. Der Widerspruch des Klägers habe keine aufschiebende Wirkung. § 31 FRG sei in seinem Fall (bereits) im erstmaligen Bewilligungsbescheid angewandt worden. Bei Eintritt des Suspensiveffektes würde der gesamte Verwaltungsakt (Rentenbescheid) aufgeschoben.

Am 10.10.2008 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Außerdem suchte er um vorläufigen Rechtsschutz nach.

Zur Begründung trug er vor, seit der Anerkennung als Heimatvertriebener lebte er in Deutschland. Eine rumänische Rente in rumänischer Währung könne er nicht verwenden. Vielmehr sei er auf die Zahlungen nach dem FRG angewiesen. Es gebe keinen Fall, in welchem aus Rumänien eine Leistung nach Deutschland in EUR gezahlt worden wäre. Rumänische Renten würden auch nur auf Konten in Rumänien überwiesen; dies habe die Deutsche Rentenversicherung Bund festgestellt. Sie gehe auch selbst im Ergebnis davon aus, dass Rentenleistungen in Rumänien kein gleichwertiger Ersatz für die entsprechenden FRG-Rentenanteile darstellten; deshalb habe sie auch die angebotene Abtretung rumänischer Renten abgelehnt.

Einen Verzicht auf die rumänische Rente habe er nicht erklärt. Für den von der Beklagten vorgenommenen Fiktivabzug gebe es keine Rechtsgrundlage. Die Rechtsauffassung der Beklagten sei unrichtig. Mit der von ihr angeführten Gesetzesänderung hätten Folgen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens bzw. dadurch bewirkte Besserstellungen beseitigt werden sollen. Nach der Begründung des einschlägigen Gesetzentwurfs habe die Gesetzesänderung die Gewährung einer Rente nach dem FRG ermöglichen sollen, die jedoch auf eine polnische Exportrente anzurechnen sei. Deshalb komme es auf den tatsächlichen Export einer Rente an. Nur tatsächlich gezahlte Renten berechtigten zu einer Leistungskürzung nach § 31 FRG. Das gelte auch für den Fall, dass die Dispositionsmöglichkeit des Art. 44 VO (EWG) Nr. 1408/71 genutzt werde. Zu einer Exportrente komme es nur dann, wenn unter Berücksichtigung der genannten Dispositionsmöglichkeit ein Rentenbeginn festgestellt werde und ein Leistungsexport einsetze. Daran fehle es hier. Bei Wahrnehmung des Dispositionsrechts dürften nicht die Folgen eintreten, wie sie etwa für einen Verzicht in § 46 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorgesehen seien. Die Rechtsfolgen eines Verzichts seien bei Ausübung einer gesetzlich eröffneten Dispositionsmöglichkeit nicht anwendbar. Wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts komme eine entsprechende Anwendung der maßgeblichen Vorschriften (§ 31 FRG) nicht in Frage. Vorsorglich erkläre er die Abtretung aller ihm gegen den rumänischen Rentenversicherungsträger zustehenden Rentenansprüche an die Beklagte in dem Umfang, in dem diese Leistungen erbringe, die gem. § 31 FRG zum Ruhen der deutschen Rente führen würden. Demgegenüber dürfe man ihn nicht auf einen Leistungsbezug in Rumänien in dortiger Währung verweisen.

Die Berechnung des Abzugsbetrages berücksichtige seine individuellen Verhältnisse nicht, stelle vielmehr auf statistische Unterstellungen ab und sei damit willkürlich. Er sei auf die ungekürzte Zahlung einer deutschen Rente angewiesen. Andere Rentenversicherungsträger, wie die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See hätten sich der Rechtsauffassung der Beklagten nicht angeschlossen und würden keine Fiktivabzüge vornehmen (vgl. etwa ein Schreiben des genannten Rentenversicherungsträgers vom 12.3.2008). Er stütze sich außerdem auf die bisher ergangene sozialgerichtliche Rechtsprechung (etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.7.2008, - L 11 R 3191/08 ER-B -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.8.2008, - L 6 B 523/08 R ER -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6.10.2008, - L 2 R 210/08 - sowie eine Vielzahl sozialgerichtlicher Entscheidungen erster Instanz), die alle in seinem Sinne ausgefallen seien. Im Ergebnis müsse die Beklagte nach dem Wortlaut des § 31 FRG verfahren oder durch Vereinbarungen mit dem rumänischen Rentenversicherungsträger dafür sorgen, dass es nicht mehr notwendig sei, von dem Dispositionsrecht gem. Art. 44 VO (EWG) Nr. 1408/71 Gebrauch zu machen. Dieses Dispositionsrecht werde nicht mutwillig ausgeübt, sondern deshalb, weil die in Rede stehenden Leistungen nicht vergleichbar seien.

Die Beklagte trug vor, für den Erlass einer einstweiligen Anordnung fehle es am Anordnungsanspruch. Aus Sinn und Zweck des § 31 FRG und dem Regelungszusammenhang mit § 2 FRG folge die Zulässigkeit einer Kürzung der FRG-Rente um die dem Kläger voraussichtlich zustehende rumänische Rente. § 2 FRG habe schon immer den vollständigen Rentenverlust vorgesehen, sofern Versicherungs- und Beschäftigungszeiten nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, bilateralen Sozialversicherungsabkommen oder innerstaatlichen Vorschriften eines Vertragsstaates in der Rentenversicherung des anderen Staates anrechenbar seien. Dieser erhebliche Eingriff sei durch die ergänzende Regelung in § 2 Satz 2 FRG gemildert worden, was auch dem Kläger zugute komme. Deswegen sei unverständlich, dass er diese Ergänzung auf das Rechtsverhältnis zwischen Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen beschränkt sehen wolle.

Richtig sei zwar, dass die Anrechnung zustehender Leistungen (Fiktivabzug) im Wortlaut des § 31 FRG nicht erwähnt werde. Jedoch könnten sich Einschränkungen der Rechtsansprüche auch ohne konkrete Einzelregelungen aus den Grundsätzen des Fremdrentenrechts ergeben (vgl. etwa BSG, Urt. vom 17.10.2006, - B 5 RJ 21/05 R -). Ihre Vorgehensweise finde in der Regelungsabsicht und der Entstehungsgeschichte des § 31 FRG bzw. im Zusammenhang dieser Vorschrift mit den übrigen Bestimmungen des FRG und dem über- und zwischenstaatlichen Recht eine ausreichende Grundlage. So sei das FRG neben dem Grundsatz der Eingliederung vom Prinzip der Subsidiarität geprägt. § 2 Satz 1b FRG schließe die Anwendung des FRG vollständig aus, soweit Versicherungs- und Beschäftigungszeiten nach der VO (EWG) Nr. 1408/71, einem bilateralen Sozialversicherungsabkommen oder den innerstaatlichen Vorschriften eines Vertragsstaates anrechnungsfähig seien. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Zeiten im Einzelfall tatsächlich der Berechnung der Leistung zu Grunde gelegt würden. Diese Einschränkung sei gerechtfertigt, weil durch das über- bzw. zwischenstaatliche Recht eine verlässliche Rechtsgrundlage bestehe, die die Rentenansprüche der Betroffenen sichere. Damit verglichen enthalte § 31 FRG eine weniger weitgehende Einschränkung. Diese Vorschrift sehe zur Vermeidung von Doppelleistungen die Kürzung der nach dem FRG festgestellten Rente um entsprechende ausländische Leistungen vor. Auch darin komme der Vorrang der ausländischen Rente zum Ausdruck. Das FRG wolle mit dem Differenzbetrag für die Aufstockung auf das deutsche Rentenniveau sorgen.

Der Wortlaut des § 31 FRG müsse im Zusammenhang mit seiner Entstehung und den damaligen Verhältnissen gesehen werden. Seinerzeit habe es für die FRG-Berechtigten kaum praktische Möglichkeiten gegeben, Rentenleistungen aus dem Herkunftsstaat zu erhalten. Verlässliche und durchsetzbare Rechtsgrundlagen hätten nicht existiert. Deshalb habe § 31 FRG auf (tatsächlich) "ausgezahlte" Leistungen abgestellt. Mittlerweile hätten sich die Verhältnisse und die Rechtslage aber durch die Ergänzung des § 2 FRG um dessen Satz 2 wesentlich geändert. Danach sei auch bei Anwendung des über- und zwischenstaatlichen Rechts die Weitergeltung des FRG möglich, wenn dies in den entsprechenden Abkommen ausdrücklich geregelt werde. Das stelle eine deutliche Abschwächung der Ausschlussregelung dar, die der Gesetzgeber angesichts des häufig noch deutlich niedrigeren Rentenniveaus in den Herkunftsländern und damit aus Vertrauensschutzgründen getroffen habe. Dieser Vertrauensschutz sei indessen in Erwartung entsprechender ausländischer Rentenleistungen und der daraus folgenden Anwendung des § 31 FRG eingeräumt worden. Wenn die Berechtigten weiterhin die Rechtsvorteile des FRG in Anspruch nehmen könnten, sollten aber zumindest die vorrangigen ausländischen Renten angerechnet werden. Die weitere Anwendung des FRG sei also auf den verbleibenden Differenzbetrag beschränkt. Diese Regelungsabsicht komme in den entsprechenden Gesetzesbegründungen klar zum Ausdruck (BT-Drs. 12/470), wonach die – polnischen - Rentenleistungen im Ergebnis auf das Niveau des FRG aufgestockt werden sollten. Dabei seien nicht nur tatsächlich gezahlte Leistungen von Belang.

Im Hinblick auf Spätaussiedler aus Rumänien hätten sich die zuvor allenfalls theoretischen, aber nicht durchsetzbaren Rentenansprüche nunmehr in rechtlich gesicherte und zumutbar realisierbare Zahlungsansprüche umgewandelt. Der Gesetzgeber habe nicht abgesehen, dass die FRG-Berechtigten die ihnen zustehenden ausländischen Rentenansprüche nicht geltend machen würden. Deshalb habe keine Veranlassung dafür bestanden, solche Fälle gesetzlich zu regeln. Die in Rede stehende Verhaltensweise der FRG-Berechtigten habe sich erst in jüngster Zeit entwickelt, weshalb von einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz ausgegangen werden müsse. Angesichts der heute völlig veränderten Rahmenbedingungen sei es zumindest gerechtfertigt, wenn nicht geboten, die Auslegung des § 31 FRG entsprechend fortzuentwickeln. Unter Geltung von Sozialversicherungsabkommen bzw. unter Geltung des Europäischen Gemeinschaftsrechts sei es den FRG-Berechtigten zuzumuten, ihnen zustehende ausländische Rentenansprüche zu realisieren, und damit die in § 31 FRG vorgesehene Entlastung der deutschen Rentenversicherung zu ermöglichen. Andernfalls halte man sich für berechtigt, FRG-Leistungen nach Maßgabe des § 31 FRG zu beschränken. An Stelle tatsächlich gezahlter Renten würden die zustehenden Ansprüche in die Ruhensregelung einbezogen. Die Anwendung des § 31 FRG allein auf tatsächlich gezahlte Renten sei nicht mehr gerechtfertigt, wenn die FRG-Berechtigten die Nichtzahlung selbst zu vertreten hätten; diese Auffassung vertrete auch das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 24.4.2003 (- L 10 RA 4929/00 -).

Die zustehenden, aber nicht ausgezahlten Auslandsrenten seien unabhängig davon anzurechnen, auf welche Weise der Rentenberechtigte die Auszahlung verhindere, hier etwa die Zahlung auf unbestimmte Zeit aufschiebe. Europäisches Gemeinschaftsrecht stehe dieser Sichtweise nicht entgegen. Das Dispositionsrecht aus Art. 44 Abs. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 solle lediglich Nachteile vermeiden, die durch unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen zur Altersrente (bspw. Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme) in den Mitgliedstaaten entstehen könnten. Deshalb beziehe sich das Dispositionsrecht auch ausschließlich auf Altersrenten. Hätte der Gesetzgeber dieses Recht auf andere Sachverhalte erstrecken wollen, hätte er es nicht nur auf Altersrenten beschränkt. Die Möglichkeit, eine Rente auf unbestimmte Zeit aufzuschieben, sei mit dieser Regelung nicht beabsichtigt gewesen.

Es treffe zwar zu, dass der rumänische Rentenversicherungsträger zunächst nicht in der Lage gewesen sei, Renten in das Ausland zu zahlen und deshalb die Einrichtung eines Kontos in Rumänien empfohlen worden sei. Die rumänische Seite habe aber stets darauf hingewiesen, dass es sich um vorübergehende Anlaufschwierigkeiten handele und zugesagt, ihre aus dem EU-Beitritt resultierenden Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Schwierigkeiten seien mittlerweile offenbar ausgeräumt und es werde mit der Überweisung der Rentenleistungen nach Deutschland begonnen. Den FRG-Berechtigten entstünden durch die Inanspruchnahme der ausländischen Rente und die Anrechnung nach § 31 FRG keine Nachteile, da die deutsche Rente maximal um den Betrag des auf die deckungsgleichen Zeiten entfallenden Teils der Auslandsrenten gemindert werde. Damit trete per Saldo keine Rentenminderung ein. Der Aufschub der rumänischen Rentenleistungen diene offensichtlich allein dazu, die Anwendung des § 31 FRG zu umgehen, und belaste damit einseitig und unangemessen ausschließlich die deutsche Rentenversicherung. Das Angebot, Rentenansprüche an die Deutsche Rentenversicherung Bund abzutreten, gleiche dies nicht aus. Nicht bekannt sei, ob solche Abtretungen nach rumänischem Recht zulässig wären. Außerdem sei kaum vorstellbar, dass der rumänische Rentenversicherungsträger Renten an die Deutsche Rentenversicherung Bund überweise, ohne dass der Rentenberechtigte zuvor einen Rentenantrag gestellt habe.

Der Kläger habe schließlich auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Im Streit sei ein Kürzungsbetrag von 102,31 EUR bei einem verbleibenden Nettozahlbetrag von 734,25 EUR. Es sei nicht stichhaltig geltend gemacht worden, weshalb die vorübergehende Rentenkürzung unzumutbar sein solle. Insoweit müsse auch berücksichtigt werden, dass es im Einflussbereich des Klägers liege, den ausländischen Rentenanspruch zu realisieren, und dadurch schadlos gestellt zu werden. Hierauf sei er ausdrücklich hingewiesen worden. Die rumänische Rentenversicherung exportiere inzwischen Leistungen nach Deutschland. Die Zahlungen gingen in der Währung EUR ein. Die erforderlichen Bescheinigungen könnten im Internet zweisprachig heruntergeladen werden. Ergänzend werde auf den Beschluss des Bayerischen LSG vom 19.8.2008 (- L 6 B 523/08 R ER -, SG-Akte S. 20) hingewiesen.

Mit Beschluss vom 11.11.2008 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Zur Begründung führte es aus, nach summarischer Prüfung müsse der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen angesehen werden (vgl. dazu eingehend Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.8.2008, - L 6 B 523/08 R ER -). Deshalb sei eine Interessenabwägung anzustellen. Dem Kläger sei zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Ihm drohe lediglich eine zeitlich verzögerte Auszahlung des zum Ruhen gebrachten Rentenanteils. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass er eine bleibende Schädigung wirtschaftlicher Interessen zu erwarten habe. Dafür seien angesichts der Höhe der gewährten Rentenleistungen im Verhältnis zum Kürzungsbetrag auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Auf den ihm am 20.11.2008 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 20.11.2008 Beschwerde eingelegt. Er trägt ergänzend vor, er beziehe eine Rente in Höhe von 734,25 EUR, die unterhalb der Armutsgrenze liege. Bei summarischer Prüfung sei von einem Erfolg seiner Klage auszugehen. Er sei auf die ungekürzte Rente zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.11.2008 aufzuheben und der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, seine Altersrente vorläufig ohne Abzug einer fiktiven Leistung des rumänischen Rentenversicherungsträgers in Höhe von 102,31 EUR (ungekürzt) auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist gem. §§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgeben müssen, die Rente des Klägers vorläufig ungekürzt auszuzahlen. Hierfür sind folgende Erwägungen des Senats maßgeblich:

Vorläufiger Rechtsschutz ist vorliegend gem. § 86b Abs. 2 SGG statthaft. Denn die Beklagte hat dem Kläger im Rentenbescheid vom 29.8.2008 Altersrente (von vornherein) unter Anrechnung einer fiktiven Leistung des rumänischen Rentenversicherungsträgers – und damit in verminderter Höhe – bewilligt. Mit seiner im Hauptsacheverfahren erhobenen Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur ungekürzten Rentengewährung. Er wendet sich nicht (isoliert) gegen das Ruhen der deutschen Rente in Höhe einer rumänischen Fiktivrente gem. § 31 FRG, weshalb die Klage nicht als Anfechtungsklage gegen eine selbständig anfechtbare Teilregelung des Rentenbescheids, sondern als Leistungsklage anzusehen ist; vorläufiger Rechtsschutz nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage) kommt deshalb nicht in Betracht.

Gem. § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1, Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2, Regelungsanordnung). Mit der Sicherungsanordnung soll die Rechtsstellung des Antragstellers (vorläufig) gesichert, mit der Regelungsanordnung soll sie (vorläufig) erweitert werden. Voraussetzung ist jeweils die Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds. Unter dem Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch zu verstehen, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend macht. Der Anordnungsgrund besteht in der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss gerechtfertigt sein. Daher müssen Gründe vorliegen, aus denen sich ihre besondere Dringlichkeit ergibt.

Bei Auslegung und Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG sind das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und die Pflicht zum Schutz betroffener Grundrechte zu beachten, namentlich dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes Grundrechte des Antragstellers erheblich, über den Randbereich hinaus und womöglich in nicht wieder gut zu machender Weise verletzten könnte. Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde. Schließlich kann im Wege einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung getroffen und dem Antragsteller daher nicht schon in vollem Umfang, und sei es nur für eine vorübergehende Zeit, gewährt werden, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Erst recht ist es grundsätzlich unzulässig, durch einstweilige Anordnung über das im Hauptsacheverfahren Erreichbare hinauszugehen. Letzteres ist von Belang, wenn der Behörde für die in der Hauptsache begehrte Entscheidung ein Ermessens- oder ein Beurteilungsspielraum eröffnet ist. Auch in solchen Fällen ist der Erlass einer einstweiliger Anordnung freilich möglich, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist (zu alledem etwa Puttler, in NK-VwGO § 123 Rdnr. 94 ff.; Kopp/Schenke, VwGO § 123 Rdnr.12 ff. m.N. zur Rechtsprechung).

Der Senat kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend klären, ob die Vorgehensweise der Beklagten, die Anrechnung zustehender und nicht nur tatsächlich gewährter Auslandsrenten, rechtens, insbesondere von der Vorschrift des § 31 FRG erlaubt ist. Hierbei stellen sich schwierige Rechtsfragen (vgl. dazu nur etwa Bayerisches LSG, Beschl. v. 19.8.2008, - L 6 B 523/08 R ER -), deren Klärung nicht Gegenstand eines Eilverfahrens sein kann, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Damit kann über das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs des Klägers ebenfalls nicht abschließend befunden werden. Der Senat stützt seine Entscheidung daher auf eine Folgenabwägung, die den Anforderungen der betroffenen Grundrechte Rechnung trägt. Ausschlaggebend ins Gewicht fällt, dass dem Kläger bei Versagung vorläufigen Rechtsschutzes schwere Nachteile drohen, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr ohne Weiteres zu beseitigen wären. Der monatliche Zahlbetrag seiner Rente beläuft sich auf nur 734,25 EUR, der Anrechnungsbetrag (Ruhensbetrag nach § 31 FRG) auf 102,31 EUR. Nach Auffassung des Senats ist dem Kläger, der zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf die Rentenzahlung angewiesen ist, angesichts der geringen Rentenhöhe nicht abzuverlangen, sich bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache mit dem gekürzten Zahlbetrag zu behelfen. Demgegenüber besteht für die Beklagte grundsätzlich die Möglichkeit, etwaige Überzahlungen künftig ggf. aus der laufenden Rente zurückzufordern (vgl. etwa § 51 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I). Damit ist den Belangen des Klägers Vorrang einzuräumen. Nach Ergehen von Hauptsacheentscheidungen käme u.U. auch eine (vorzeitige) Abänderung der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren getroffenen Entscheidung in Betracht (vgl. dazu näher etwa Hk-Binder, SGG § 86b Rdnr. 50). Vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes geht der Senat bei dieser Sachlage aus, ohne dass hierzu weitere Glaubhaftmachungen zu fordern wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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