L 9 AL 385/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 314/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 385/03
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 16. September bis 9. Oktober 2002 in Höhe von 736,08 Euro.

Der 1965 geborene Kläger übte bis 13. September 2002 eine Tätigkeit als Reisekraft bei der M. Deutschland GmbH und Co. KG aus. Das Beschäftigungsverhältnis wurde vom Arbeitgeber gekündigt.

Am 2. September 2002 meldete der Kläger sich beim Arbeitsamt A-Stadt arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Er erschien zu zwei von der Beklagten festgesetzten Meldeterminen (9./16. September 2002) nicht. Am 10. September 2002 hatte er der Beklagten telefonisch mitgeteilt, er trete zum 16. September 2002 eine Urlaubsreise in die Türkei an. In der "BewA" findet sich eine entsprechende Notiz sowie der Hinweis der Arbeitsvermittlerin auf den Wegfall von Leistungen.

Mit der Verfügung vom 16. Oktober 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für den 14. bis 15. September 2002 und beendete die Leistung mit dem 16. September 2002.

Der Kläger meldete sich am 10. Oktober 2002 wieder arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte stellte mit Bescheid am 14. Oktober 2002 fest, dass der Kläger in der Zeit vom 16. September 2002 bis 9. Oktober 2002 nicht bereit gewesen sei, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen, dass sich dadurch die Dauer des Leistungsanspruchs um die Tage der fehlenden Arbeitsbereitschaft um 24 Anspruchtage mindere und bewilligte dem Kläger am 17. Oktober 2002 erneut Arbeitslosengeld ab 10. Oktober 2002.

Der Kläger machte mit dem Widerspruch vom 31. Oktober 2002 geltend, er habe die Urlaubsreise schon im März dieses Jahres gebucht; bei einem Rücktritt von dieser Reise hätte er vom Reisebüro sein Geld nicht zurückerhalten. Die Beklagte habe ihm auch kein konkretes Arbeitsangebot gemacht. Die Arbeitsvermittlerin habe auf seinen Anruf hin keine Einwendungen erhoben und vorgeschlagen, er solle sich nach der Rückkehr aus dem Urlaub beim Arbeitsamt melden.

Mit dem Abhilfebescheid vom 22. April 2003 hob die Beklagte den Bescheid vom 14. Oktober 2002 auf und wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 30. April 2003 den Widerspruch gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zurück. Dem Kläger sei der auswärtige Aufenthalt von mehr als drei Wochen nicht genehmigt worden. Während dieses Zeitraums von 24 Tagen müsse ein Anspruch auf Arbeitslosengeld verneint werden. Er hätte aufgrund der mündlichen Belehrung am 10. September 2002 sowie anhand der Hinweise in dem ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose erkennen können, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld im Falle fehlender Verfügbarkeit nicht besteht. Die Bewilligungsentscheidung habe deshalb aufgehoben werden müssen.

Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2003 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben. Er sei auf irgendwelche rechtlichen Folgen bezüglich des Anspruchs auf Arbeitslosengeld von der Beklagten nicht hingewiesen worden. Er sei in der Zeit vom 16. September bis 9. Oktober 2002 verfügbar gewesen. Er habe einen Bekannten beauftragt, während seiner Abwesenheit täglich den Briefkasten zu leeren und hätte über Telefon oder Telefax von einem Schreiben des Arbeitsamtes benachrichtigt werden können. Er hätte jederzeit den Urlaub abbrechen und in die Bundesrepublik Deutschland zurückfliegen können. Er habe die Beklagte von Anfang an darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Rücktritt von der Urlaubsreise aufgrund der Stornogebühren nicht sinnvoll sei.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2003 die Arbeitsvermittlerin der Beklagten als Zeugin gehört; sie hat angegeben, dass sie in dem Telefongespräch mit dem Kläger auf den fehlenden Anspruch auf Arbeitslosengeld und die fehlende Krankenversicherung hingewiesen habe. Das SG hat mit Urteil vom 21. Oktober 2003 die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld setze Verfügbarkeit voraus. Der Versicherte müsse in der Lage sein, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen bzw. unverzüglich eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen. Das Arbeitsamt habe vor Reiseantritt die Zustimmung zur Ortsabwesenheit nicht erteilt. Die Arbeitsvermittlerin habe den Kläger beim Telefonat vom 10. September 2002 über den fehlenden Leistungsanspruch für die Zeit des Auslandsaufenthalts informiert.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 10. November 2003, mit der er geltend macht, er hätte jederzeit seinen Urlaub abbrechen können und sei daher während des Urlaubs stets verfügbar gewesen. Demgegenüber habe sich die Zeugin an ein konkretes Telefongespräch mit dem Kläger nicht mehr erinnern können. Sie habe ihn über das Fehlen des Leistungsanspruchs während des Urlaubs nicht informiert.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom
21. Oktober 2003 sowie des Bescheides vom 17. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2003 zu verurteilen, ihm vom 16. September bis 9. Oktober 2002 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.



Entscheidungsgründe:
:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 Euro. Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat im streitigen Zeitraum vom 16. September bis 9. Oktober 2002 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (736,08 Euro), weil die Verfügbarkeit des Klägers als Voraussetzung der Arbeitslosigkeit in diesem Zeitraum nicht bestanden hat (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch III (SGB III)). Ob die Beklagte insoweit die Bewilligung von Arbeitslosengeld zu Recht gemäß § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch III (SGB III) aufgehoben hat, ist für das Ergebnis der Entscheidung ohne Bedeutung.

Gemäß § 117 Abs. 1 SGB III entsteht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn die Voraussetzung der Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und Anwartschaftszeit erfüllt sind. Die grundsätzliche Anspruchsdauer richtet sich nach der Dauer des vorhergegangenen Versicherungspflichtverhältnisses und dem Lebensalter (§ 127 SGB III). In der Bewilligungsverfügung vom 16. Oktober 2002 lag eine rückwirkende, auf zwei Tage befristete Leistungsbewilligung. Der Kläger war während der Urlaubsreise nicht verfügbar gemäß § 119
Abs. 1 Nr. 2 SGB III, so dass die Arbeitslosigkeit nicht mehr bestand.

§ 48 SGB X ist nach Auffassung des Senats hier nicht anwendbar, weil bei der befristeten Leistungsbewilligung für die Zeit bis zum Urlaubsantritt keine Entscheidung für den streitigen Zeitraum vorlag, die über § 48 SGB X hätte durchbrochen werden können (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 2008, Vor § 44, Rn. 6, m.w.N.). Denn nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ein entsprechend aufzuhebender Ausgangsbescheid ist nicht vorhanden.

Der Leistungsanspruch hat insoweit aber nicht bestanden, weil der Kläger im streitigen Zeitraum während seiner Urlaubsreise nicht mehr erreichbar war im Sinne der §§ 117 Abs. 1 Nr. 1 , 118 Abs. 1 Nr. 2 und 119 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 3
SGB III. Danach setzt Arbeitslosigkeit Beschäftigungssuche im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III voraus und diese liegt nur vor, wenn der Versicherte den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Die hierin enthaltene Arbeitsfähigkeit setzt u.a. voraus, dass der Versicherte den Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf. Einzelheiten hierzu enthält die Erreichbarkeitsanordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit (ANBA) 1997 S. 1685 in der Fassung der 1. Änderungsanordnung vom 16. November 2001 (ANBA Nr. 12 vom 28. Dezember 2001
S. 1476), gültig ab 1. Januar 2002), die auf § 152 Nr. 2, 376 Abs. 1 S. 1 SGB III beruht. Nach § 1 Abs. 1 EAO kann Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah nur Folge leisten, wer in der Lage ist, unverzüglich 1. die Mitteilung des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, 2. das Arbeitsamt aufsuchen kann,
3. mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammentreffen kann und 4. eine vorgeschlagene Arbeit annehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilnehmen kann. Der Arbeitslose hat deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 13. Juli 2006 SozR4-4300
§ 122 Nr. 5; Urteil vom 20. Juni 2001 BSGE 88, 172, 176; siehe auch Niesel, SGB III,
§ 119, Rnrn. 74 ff. m.w.N.) entspricht ein Arbeitsloser diesen Anforderungen an die Erreichbarkeit, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhielt, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn der Arbeitslose über eine Mittelsperson erreicht werden kann, liegt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Arbeitslosigkeit bzw. Erreichbarkeit nicht vor (BSG vom 9. Februar 2006 SGb 2006, 307). Entscheidend für die Verfügbarkeit ist, dass der Arbeitslose sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf seinen Aufenthaltsort grundsätzlich jederzeit in der Lage ist, einen potentiellen neuen Arbeitgeber aufzusuchen, einen Vorstellungs- oder Beratungstermin wahrzunehmen, an einer Maßnahme zur Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen oder einem sonstigen Vorschlag des Arbeitsamts Folge zu leisten (RegE-AFRG
S. 176). Dies ist bezüglich der dreiwöchigen Ortsabwesenheit des Klägers aufgrund seiner Reise in die Türkei nicht der Fall gewesen. Seine demgegenüber vorgebrachten Einwendungen, dass er vom Eingang entsprechender Schreiben der Beklagten telefonisch sofort hätte unterrichtet werden können und er unverzüglich zu seinem Wohnort zurückgereist wäre, sind unbegründet. Denn damit war die Erreichbarkeit im o.g. Sinne eben nicht gewährleistet. Es reicht auch nicht aus, dass ein Versicherter auf andere Weise Vorkehrungen getroffen hat, dass die an die bisherige Anschrift gerichtete Post erreicht wird; insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich Postnachsendeaufträge mit den gegenwärtigen technischen Möglichkeiten ohne Zeitverlust abwickeln lassen (BSG vom 29. April 1992, DBIR 3928a, SGB X, § 48 RAr 4/91; BSG vom 20. Juni 2001, a.a.O.).

Zwar lässt § 3 EAO Ausnahmen für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches zu. Ein Arbeitsloser kann sich vorübergehend auch von seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bis zu drei Wochen entfernen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit soll das Arbeitsamt die Zustimmung nur in begründeten Ausnahmefällen erteilen. Eine vorherige Zustimmung des Arbeitsamtes liegt hier nicht vor; die Beklagte war auch gehalten, diese Zustimmung während der ersten drei Monate der Arbeitslosigkeit des Klägers nicht zu erteilen.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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