L 17 B 1036/08 U

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 193/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 B 1036/08 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Wegen der Möglichkeit einer Bescheiderteilung nach § 66 SGB I kann eine Mitwirkungspflichtverletzung für sich genommen grundsätzlich noch kein zureichender Grund im Sinne des § 88 Abs 1 Satz 2 SGG dafür sein, dass die Behörde einen Antrag unbeschieden gelassen hat (Anschluss an BSG vom 26.08.1994 - 13 RJ 17/94 = SozR 3-1500 § 88 Nr 2 = BSGE 75, 56).
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozial-
gerichts Würzburg vom 17.11.2008 aufgehoben.

Gründe:

I.
Der Beschwerdeführer (Bf) war als Reinigungskraft beschäftigt. Er erlitt bei seiner Tätigkeit am 10.07.2006 einen Unfall. Mit Bescheid vom 07.02.2007 erkannte die Beschwerdegegnerin (Bg) den Unfall als Arbeitsunfall an und lehnte die Gewährung von Rentenleistungen ab. Als Unfallfolgen bezeichnete sie eine Rückenprellung, Hüft- und Oberschenkelprellung. Die Prellungen seien nach unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit vom 11.07.2006 bis 14.07.2006 folgenlos ausgeheilt. Als unfallunabhängige Gesundheitsstörungen benannte sie deutlich anlagebedingte Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und einen anlagebedingten Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelkörper 3/4.

Dagegen wandte sich der Bf mit Widerspruch vom 12.03.2007. Er führte aus, dass es nicht anlagebedingt, sondern unfallbedingt zu der Bandscheibenschädigung gekommen sei. Die Bg leitete daraufhin eine Zusammenhangsbegutachtung ein und beauftragte mit Schreiben vom 14.06.2007 den auf Vorschlag des Bf gewählten Gutachter Prof. Dr. B., der das neurochirurgische Gutachten vom 05.05.2008 (Eingang 16.05.2008) erstellte. Prof. Dr. B. kam zum Schluss, dass als Unfallfolgen ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom und eine hochgradige funktionelle Bewegungsstörung der Lendenwirbelsäule nach zweifacher Operation des Segments LW 3/4 (mit sekundärer Versteifungsoperation) sowie eine Somatisierungsstörung anzuerkennen sei. Ab dem 10.07.2006 habe eine noch andauernde unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 70 vH einzuschätzen.

Unter dem 10.06.2008 teilte die Bg dem Bf mit, dass nach verwaltungsinterner Auswertung das von Prof. Dr. B. erstellte Gutachten nur bedingt zur Entscheidungsfindung genutzt werden könne, da zu einigen Fragen nicht ausreichend und korrekt Stellung genommen worden sei. Weitere Ermittlungen seien erforderlich.

Am 01.08.2008 hat der Bf Untätigkeitsklage beim Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben.

Die Bg hat erwidert, ihr beratender Arzt Dr. C. habe auf Anfrage vom 15.08.2008 Stellung genommen und unter dem 26.08.2008 ausgeführt, dass eine erneute Zusammenhangsbegutachtung auf unfallchirurgischem Gebiet mit neurologisch-psychia-trischer Zusatzbegutachtung unter stationären Bedingungen erforderlich sei. Nach Auswahl der Gutachter werde das neue Zusammenhangsgutachten veranlasst.

Der Bf ist einer erneuten Begutachtung entgegen getreten (zuletzt mit Schriftsatz vom 04.11.2008). Er hat darauf verwiesen, dass er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen und die Einholung weiterer Gutachten nicht erforderlich sei, zumal mit dem neurochirurgischen Gutachten des Prof. Dr. B. ein Gutachten auf dem einschlägigen Fachgebiet vorliege. Prof. Dr. B. habe ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten nicht für notwendig erachtet.

Mit Beschluss vom 17.11.2008 hat das SG das Verfahren ausgesetzt und der Bg aufgegeben, bis zum 23.04.2009 einen Widerspruchsbescheid zu erlassen. Der zureichende Grund dafür, dass die Bg bisher noch keinen Widerspruchsbescheid erlassen habe, sei darin zu sehen, dass das von Prof. Dr. B. eingeholte Gutachten mit erheblichen Mängeln behaftet sei und einer Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden könne. Der Bg sei daher die Möglichkeit einzuräumen, weitere Gutachten einzuholen.

Hiergegen hat der Bf Beschwerde eingelegt. Das SG habe sich ohne eigene Sachkunde der medizinischen Beurteilung der Bg angeschlossen. Der Bg habe ausreichend Zeit für Ermittlungen zur Verfügung gestanden. Die erneute Gewährung eines Zeitraums von sechs Monaten bedeute einen nicht akzeptablen Zeitraum von zwei Jahren und zwei Monaten für den Erlass eines Widerspruchsbescheides.

Die Bg ist der Beschwerde entgegen getreten. Sie nimmt Bezug auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Akte des SG und die Akte des vorliegenden Beschwerdeverfahrens Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist nicht nach § 172 Abs 2 SGG ausgeschlossen, weil der Aussetzungsbeschluss seinem wesentlichen Inhalt nach keine prozessleitende Verfügung ist (Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 88 Rz 8).

Die Beschwerde ist begründet. Das SG ist unzutreffend davon ausgegangen, dass ein zureichender Grund bestand, über den Widerspruch vom 12.03.2007 noch nicht zu entscheiden.

Nach § 88 Abs 1 Satz 2, Abs 2 SGG setzt das Gericht das Klageverfahren bis zum Ablauf einer von ihm zu bestimmenden Frist aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden ist. Für die Beurteilung, ob ein zureichender Grund für den bisherigen Nichterlass des Bescheides bzw. hier des Widerspruchsbescheides vorliegt, kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an, nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. BSG SozR 3-1500 § 88 Nr 1). Das Vorliegen eines zureichenden Grundes ist allein nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der seit Antragstellung verstrichenen Zeit zu beurteilen (BSG SozR 3-1500 § 88 Nr 2).

Ein zureichender Grund ist zwar grundsätzlich anzunehmen, wenn die Behörde an einer sachlichen Entscheidung gehindert ist, weil sie in Befolgung ihrer Amtsermittlungspflicht noch Sachverhaltsermittlungen durchführt oder Sachverständigengutachten einholt. Allerdings rechtfertigt die von einer Behörde angenommene Notwendigkeit einer Aufklärung des medizinischen Sachverhalts mittels Sachverständigengutachten nicht stets auch die Annahme, dass ein zureichender Grund für das Ausbleiben der Entscheidung vorliegt. Falls der Antragsteller die Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts verweigert, etwa sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ist es die sich aus der fehlenden Mitwirkung ergebene mögliche Verletzung der Mitwirkungspflichten, die die Behörde an der Entscheidung hindert. Die Verletzung der Mitwirkungspflichten stellt aber keinen zureichenden Grund dar. Denn aufgrund der in diesem Fall gegebenen Möglichkeit einer Bescheiderteilung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann eine Mitwirkungspflichtverletzung für sich genommen grundsätzlich noch kein Grund dafür sein, dass die Behörde einen Antrag bzw. Widerspruch unbeschieden belassen hat (BSG SozR 3-1500 § 88 Nr 2 ).

Dies zugrunde gelegt lag zum Zeitpunkt des Aussetzungsbeschlusses kein zureichender Grund dafür vor, dass die Bg noch nicht über den Widerspruch vom 12.03.2007 entschieden hat. Es kommt nicht darauf an, ob in Hinblick auf vermeintliche Mängel des von Prof. Dr. B. eingeholten Gutachtens der Bg die Möglichkeit einzuräumen ist, weitere Gutachten einzuholen. Offen bleiben kann auch, ob unter Berücksichtigung der bisherigen Verfahrensdauer und der Möglichkeit einer Fristverlängerung nach § 88 Abs 1 Satz 2 SGG die getroffene Fristsetzung von sechs Monaten noch als angemessen zu erachten ist. Jedenfalls hat der Bf im Laufe des Klageverfahrens seine fehlende Bereitschaft zu erkennen gegeben, an der von der Bg beabsichtigten Einholung eines weiteren Gutachtens auf unfallchirurgischem Gebiet mit neurologisch-psychiatrischer Zusatzbegutachtung mitzuwirken. Er hat darauf verwiesen, dass er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Die mögliche Verletzung der Mitwirkungspflicht mag die Bg an einer Entscheidung bisher gehindert haben, stellt aber keinen im Sinne des § 88 Abs 1 Satz 2 SGG zureichenden Grund dafür dar, dass über den Widerspruch bisher nicht entschieden wurde.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil es sich vorliegend nicht um eine das Verfahren beendende Entscheidung sondern um eine Zwischenentscheidung in einem noch anhängigen Rechtsstreit handelt.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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