L 7 B 8/06 SB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 SB 130/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 B 8/06 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Auslegung einer Erklärung als Beschwerde i.V.m.§ 120 Abs.4 ZPO
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführeres gegen die Verfügung des Sozialgerichts Dessau vom 19. April 2006 wird der Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 30. März 2006 dahin abgeändert, dass der Beschwerdeführer mit Wirkung vom 1. Juni 2006 keine Raten mehr zu zahlen hat.

Gründe:
I. In der Hauptsache war streitig, ob der Beschwerdeführer und damalige Kläger mindestens einen Grad der Behinderung von 50 sowie die Merkzeichen G und B beanspruchen kann. Nachdem der damalige Beklagte, das Land Sachsen-Anhalt, mit Bescheid vom 7. September 2000 eine Behinderung mit einem Grad von 30 beim Kläger festgestellt hatte, lehnte er einen Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 28. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2005 ab. Dagegen hat der Kläger am 17. Oktober 2005 Klage beim Sozialgericht Dessau erhoben und am 26. Januar 2006 Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

Aus der am 24. Februar 2006 vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ergaben sich für den Kläger (dessen Ehefrau einen eigenen Nettoverdienst von 1.074,70 EUR hat und mit der der Kläger in einem eigenen Einfamilienhaus wohnt) folgende persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse:

Arbeitslosengeld: (monatlich) 606,90 EUR Haftpflichtversicherung: (jährlich) 85,49 EUR Unfallversicherung: (jährlich) 117,74 EUR Kfz-Versicherung: (jährlich) 508,33 EUR Hausratversicherung: (jährlich) 95,34 EUR Wohngebäudeversicherung: (jährlich) 395,65 EUR Grundsteuer: (jährlich) 283,85 EUR Trinkwasser: (jährlich) 408,00 EUR Schornsteinfeger: (jährlich) 52,68 EUR Stromkosten: (monatlich) 63,00 EUR Heizölkosten: (jährlich) 2.092,44 EUR Private Rentenversicherung: (monatlich) 29,13 EUR

Mit Urteil vom 27. Februar 2006 hat das Sozialgericht die angegriffenen Bescheide abgeändert und das beklagte Land unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, mit Wirkung von Januar 2006 einen Grad der Behinderung von 60 sowie die Merkzeichen G und B festzustellen. Mit Beschluss vom 13. März 2006 hat es dem Kläger PKH ohne Ratenzahlungsverpflichtung gewährt und ihm Rechtsanwalt C. beigeordnet. Hiergegen hat der Beschwerdegegner am 23. März 2006 Beschwerde mit der Begründung eingelegt, bei Eheleuten mit erheblichen Einkommensdifferenzen seien die Wohnkosten anteilig zu berücksichtigen. Mit Beschluss vom 30. März 2006 hat das Sozialgericht der Beschwerde abgeholfen, den Beschluss vom 13. März 2006 aufgehoben und dem Kläger PKH mit einer Ratenzahlung von 30,00 EUR unter Beiordnung von Rechtsanwalt C. bewilligt.

Gegen den am 4. April 2006 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 19. April 2006 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, das Sozialgericht habe den Wegfall des Arbeitslosengeldes mit Ablauf des 25. Mai 2006 nicht berücksichtigt. Zur Glaubhaftmachung hat er einen Bescheid der Agentur für Arbeit Dessau vom 3. November 2005 vorgelegt, wonach ihm Arbeitslosengeld für 180 Kalendertage ab dem 27. November 2005 bewilligt worden war.

Das Sozialgericht hat am 19. April 2006 verfügt, ein Schreiben mit folgendem Inhalt an die Beteiligten zu übersenden: "In pp hat der Klägerin mit Schreiben vom 18.4.2006 gegen den Beschluss vom 30.3.2006 Beschwerde eingelegt. Der Beschwerde wird nicht abgeholfen. Diese wird dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt."

Am 1. September 2006 hat der Kläger unter Hinweis auf den Wegfall des Arbeitslosengeldes einen Antrag nach § 120 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf ratenfreie PKH gestellt. Am 26. Januar 2007 hat er den Bescheid des Landkreises Bernburg vom 13. Juli 2006 über die Ablehnung von Leistungen nach den Bestimmungen über eine Grundsicherung für Arbeitssuchende vorgelegt. Mit Schreiben vom 25. April 2007 hat der Kläger erklärt, dass lediglich über den Antrag nach § 120 Abs. 4 ZPO entschieden werden soll. Unter dem 26. November 2008 hat er mitgeteilt, dass er ab dem 1. Juni 2006 kein Einkommen mehr habe.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags nach § 120 Abs. 4 ZPO mit Verfügung vom 19. Februar 2008 nicht abgeholfen.

II.

Da der Kläger mit Schriftsatz vom 25. April 2007 erklärt hat, dass lediglich über die Ablehnung seines Antrags nach § 120 Abs. 4 ZPO im Beschwerdeverfahren entschieden werden soll und er damit die zunächst am 19. April 2006 erhobene Beschwerde gegen den Beschluss vom 30. März 2006 zurückgenommen hat, ist über diese Beschwerde nicht mehr zu entscheiden. Verfahrensgegenstand ist damit allein die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags nach § 120 Abs. 4 ZPO. Diese Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist zulässig, denn es liegt eine ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts über einen Antrag nach § 120 Abs. 4 ZPO vor, über die der Senat nach § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im Beschwerdeverfahren zu entscheiden hat. Die mit "Beschwerde" bezeichnete Erklärung des Klägers vom 19. April 2006 ist als Antrag nach § 120 Abs. 4 ZPO auszulegen, da er mit diesem Schreiben eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse angezeigt hat, nämlich den Wegfall des Arbeitslosengeldes mit dem Ablauf des 25. Mai 2006. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Verfügung vom 19. April 2006, die durch das entsprechende Schreiben auch den Beteiligten bekannt gegeben wurde, konkludent abgelehnt. Diese Verfügung ist auch beschwerdefähig, denn Entscheidungen des Sozialgerichts sind nicht nur Beschlüsse, sondern auch Anordnungen und Verfügungen (Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Auflage 2005, § 172 RdNr. 2 b).

Gegen diese ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts vom 19. April 2006 hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Seine Erklärung vom 1. September 2006, mit der er aufgrund des Wegfalls des Arbeitslosengelds ab 27. Mai 2006 ratenfreie PKH begehrt hat, ist als Beschwerde auszulegen. Diese wurde auch fristgerecht erhoben, weil hier nicht die Monatsfrist, sondern die Jahresfrist Anwendung findet. Denn die Monatsfrist nach § 173 ZPO beginnt nach § 66 Abs. 1 SGG mit Bekanntgabe der Entscheidung nur zu laufen, wenn eine Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde. Dem Schreiben des Sozialgerichts an die Beteiligten vom 19. April 2004 war eine solche aber nicht beigefügt, sodass nach § 66 Abs. 2 SGG die Jahresfrist für die Einlegung der Beschwerde ein Jahr betragen hat. Diese war am 1. September 2006 noch nicht abgelaufen.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn dem Kläger war nach § 120 Abs. 4 ZPO ab 1. Juni 2006 PKH ohne Ratenzahlungsverpflichtung zu bewilligen. Der Kläger hat durch die Vorlage des Bescheides der Agentur für Arbeit Dessau vom 3. November 2005 und durch den Bescheid des Landkreises Bernburg vom 13. Juli 2006 glaubhaft gemacht, ab dem 26. Mai 2006 über kein eigenes Einkommen mehr zu verfügen. Vermögen ist nach der vorliegenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorhanden.

Ein Prozesskostenvorschuss des Klägers gegen seine erwerbstätige Ehefrau nach § 1360 a Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kommt nicht in Betracht, da diese bei einem Nettoverdienst von 1.074,70 EUR und unter Berücksichtigung der Freibeträge ab 1. Juni 2006 (eigener Freibetrag: 380,00 EUR, Erwerbstätigenfreibetrag 173,00 EUR, Freibetrag für den Kläger 380,00 EUR) sowie der Wohnkosten (insgesamt belegt 263,07 EUR: Gebäudeversicherung 32,97 EUR; Grundsteuer 9,84 EUR, Wasserkosten 41,50 EUR; Kehrgebühr 4,39 EUR, Heizkosten 174,37 EUR) über kein anrechenbares Einkommen verfügt und damit selbst prozesskostenhilfebedürftig sein würde.

Nach § 120 Abs. 4 ZPO wirkt sich die durch den Wegfall des Arbeitslosengeldes eingetretene Änderung nur für die Zukunft aus, wobei der Zeitpunkt des Eintritts der Veränderung maßgeblich ist (Zöller-Philippi, ZPO, 25. Auflage 2005, § 120 Rdnr. 32). Demnach war der Beginn der Änderung auf den 1. Juni 2006 festzusetzen.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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