L 7 AR 4/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 SB 85/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 AR 4/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine Befangenheit bei Hinweis auf § 109 SGG
Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 15. September 2008 gegen die Vorsitzende der 5. Kammer des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, Direktorin des Sozialgerichts Rönninger, wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:
I.Gegenstand des Verfahrens ist ein Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende der 5. Kammer des Sozialgerichts Dessau-Roßlau im Rechtsstreit S 5 SB 85/08.

Nach medizinischer Sachaufklärung durch den Beklagten stellte dieser mit Bescheid vom 19. Juli 2007 ab 31. Mai 2007 bei der Antragstellerin (ASt) eine Behinderung mit einem Grad von 20 fest. Ihren dagegen am 22. August 2007 erhobenen Wider-spruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2008 zurück.

Am 15. Mai 2008 hat die ASt Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau mit dem Ziel der Feststellung eines höheren Grads der Behinderung als 20 erhoben. Die Vorsit-zende der 5. Kammer hat Befundberichte der Fachärztin für Innere Medizin Dr. K. und der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. eingeholt. Dr. K. hat ihren Befundbe-richt am 12. August 2008, Dr. S. am 18. August 2008 erstattet. Dem Befundbericht von Dr. S. lagen weitere medizinische Unterlagen bei (Arztbrief Dr. H. 13. April 2007, Laborbefunde vom 27. Mai 2008, 16. Mai 2001 und 13. März 2007, Arztbrief Dres. Ka./St. vom 28. März 2007).

Mit Verfügung vom 18. August 2008 hat die Vorsitzende der 5. Kammer der ASt die Befunde nebst Anlagen zur Kenntnisnahme und dem Beklagten zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 1. September 2008 unter Bezugnahme auf eine Prüfärztliche Stellungnahme von Dr. W. seine Stellung-nahme abgegeben. Diese hat die Vorsitzende der 5. Kammer der ASt mit Verfügung vom 5. September 2008 zur Kenntnisnahme übersandt. Außerdem hat sie gebeten, bis zum 22. September 2008 mitzuteilen, ob die ASt ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beantrage; sodann sei ein Kostenvorschuss in Höhe von 1.000 EUR zu entrichten.

Am 17. September 2008 hat die ASt die Vorsitzende der 5. Kammer wegen der Be-sorgnis der Befangenheit abgelehnt und vorgetragen, offensichtlich gedenke die Kammervorsitzende nicht, Erhebungen in der Sache zu machen, sondern sich auf den Vortrag des Beklagten zu stützen. Da die Vorsitzende der 5. Kammer ihr auf-zugeben suche, einen Kostenvorschuss in Höhe von 1.000 EUR zu entrichten, nicht jedoch ihrer Aufklärungspflicht im Sinne des § 106 SGG nachzukommen gedenke, bestehe die Befürchtung, dass die Kammervorsitzende befangen sei, da sie Rechte vereitele bzw. erschweren.

In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 18. November 2008 hat die Vorsitzende der 5. Kammer ausgeführt, sie habe im Rahmen der Amtsermittlung und der Sach-aufklärung Befundberichte beigezogen. Zur Vorbereitung auf die mündliche Ver-handlung sei aus rechtlicher Sicht die Einholung eines medizinischen Gutachtens von Amts wegen nicht angezeigt. Gerade im Schwerbehindertenrecht könne im Hinblick auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Ent-schädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht eine Beweisaufnahme durch ein medizinisches Gutachten überflüssig sein.

Dazu hat die ASt ausgeführt, bevor ein Hinweis auf § 109 SGG erfolge, bedürfe es der ausführlichen Auseinandersetzung vorliegender Befunde mit den Kriterien der Anhaltspunkte. Dies habe die Vorsitzende der 5. Kammer nicht im Geringsten er-kennen lassen. Zudem habe das Gericht gemäß § 107 SGG Mitteilungen der Er-gebnisse seiner Ermittlungen zu veranlassen. Es sei allgemein anerkannt, dass die Vorschrift auf alle Beweisaufnahmen und Ermittlungsaufnahmen nach § 106 SGG anzuwenden sei. Aus § 107 SGG i. V. m. § 128 Abs. 2 SGG folge, dass die Beteilig-ten schon vor der mündlichen Verhandlung darüber unterrichtet werden müssten, welche Verwaltungsvorgänge und sonstige Akten beigezogen worden sind. Schließ-lich scheine die Vorsitzende der 5. Kammer das Wesen des § 109 SGG zu verken-nen. Danach sei ein Gutachten lediglich auf Antrag des Versicherten einzuholen, einen solchen Antrag habe sie nicht gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Diese lagen dem Senat bei der Entscheidung vor.

II.

Das zulässige Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende der 5. Kammer ist unbegrün-det.

Gemäß § 60 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung ge-gen einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vor-liegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommen nur objektive Gründe in Frage, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Ent-scheidend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Um-stände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Bundes-verfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 16. Februar 1995 – 2 BvR 1852/94; Be-schluss vom 16. Februar 1995 – 2 BvR 1852/94, jeweils zitiert nach juris).

Hier sieht sich die ASt durch die Art und Weise der Verfahrensführung, insbesondere die aus ihrer Sicht unzureichende Sachaufklärung nach § 106 SGG durch die Kam-mervorsitzende in ihren Rechten verletzt. Doch kann die Ablehnung nicht auf die Ver-fahrensweise oder die bloße Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden, denn im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist zwar geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und of-fensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 26. Auflage, 2007, § 42 Rdnr. 9, 24, 28 m. w. N.). Doch hat weder die ASt einen Verstoß gegen anerkannte rechtliche Grundsätze dargelegt, noch ist ein solcher nur ansatzweise erkennbar.

Insbesondere kann die ASt die Besorgnis der Befangenheit nicht auf eine Verletzung von § 107 SGG stützen. Nach § 107 SGG ist den Beteiligten nach Anordnung des Vor-sitzenden entweder eine Abschrift der Niederschrift der Beweisaufnahme oder deren Inhalt mitzuteilen. Hier liegt keine Verletzung dieser Verfahrenvorschrift vor, da die Vorsitzende der 5. Kammer die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen der ASt zur Kenntnis übersandt und somit auch das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt hat. Damit hat sie dem durch § 107 SGG normierten Grundsatz auf Gewährung von rechtlichem Gehör entsprochen. Dagegen besteht die von der ASt eingeforderte Pflicht zur Ausei-nandersetzung mit den eingeholten Befundberichten nicht, sodass deren Unterlassen auch nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen kann. Obwohl rechtliche Hinwei-se das Verfahren fördern können, gibt es dazu keine rechtliche Pflicht, zumal aufgrund der durch das SGG vorgesehenen Kollegialentscheidung mit zwei ehrenamtlichen Richtern eine rechtliche Würdigung nicht hätte abschließend sein können. Selbst ein Verstoß gegen § 107 SGG würde zwar einen wesentlichen Verfahrensmangel begrün-den, nicht jedoch zugleich die Besorgnis der Befangenheit nach sich ziehen. Das ergibt sich schon daraus, dass dieser Fehler nach § 202 SGG i.V.m. § 295 ZPO geheilt wer-den kann.

Auch der Hinweis der Vorsitzenden der 5. Kammer auf § 109 SGG begründet keinen Verfahrensverstoß, der die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Vielmehr hat die Vorsitzende mit diesem Hinweis zugleich (vorsorglich) im Rahmen ihrer Fürsor-gepflicht auf die aus ihrer Sicht abgeschlossene Sachaufklärung hingewiesen. Dies begründet aber keine Voreingenommenheit, weil ein solcher Hinweis im wohlverstan-denen Interesse eines jeden Klägers liegt, da so die noch bestehenden prozessualen Möglichkeiten verdeutlicht werden. Auch die Art und Weise, wie die Vorsitzende der 5. Kammer den Hinweis gegeben hat, begründet keine Voreingenommenheit. Das Schreiben war freundlich und sachlich; der Hinweis auf den zu erbringenden Kosten-vorschuss entspricht der Rechtslage nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG.

Nach alledem konnte der Antrag keinen Erfolg haben.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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