S 14 R 665/07

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 14 R 665/07
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungs-zeiten wegen Kindererziehung vom 1. Dezember 2001 bis 29. März 2002.

Die am 1. November 1974 in I geborene Klägerin lebte seit August 1996 in der B , wo sie im Oktober 1996 einen Inder heiratete. Von Januar bis März 1997 war sie versicherungspflichtig beschäftigt. Am 28. Mai 1999 wurde ihr erstes Kind geboren. Seit 26. Januar 2000 ist sie im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.

Am 1. September 2000 meldeten sich die Klägerin und ihre Familie an ihrem bisherigen Wohnort in K ab und zogen nach L , wo der Ehemann der Klägerin bei einer dortigen Hilfsorganisation eine Beschäftigung aufnahm. Von L aus schloss dieser im November 2001 einen Vertrag mit einer Hilfsorganisation in D , in dem vereinbart war, dass er nach einer Vorbereitungszeit vom 1. Januar bis 29. März 2002 in D für drei Jahre als Entwicklungshelfer nach K gehen werde. Die Klägerin zog darauf hin mit ihrer Familie am 1. Dezember 2001 zu ihren Schwiegereltern nach H in D und meldete sich auch dort an. Vom 1. Januar bis 29. März 2002 besuchte sie vertragsgemäß gemeinsam mit ihrem Ehemann diverse Vorbereitungskurse für den Auslandsaufenthalt in Kambodscha. In dieser Zeit wohnten sie in einem Appartement der Schulungseinrichtung. Am 30. März 2002 ging sie mit ihrer Familie nach Kambodscha, wo sie am 30. November 2003 ihr zweites Kind zur Welt brachte. Seit 14. März 2005 wohnt sie mit ihrer Familie in I wo ihr Ehemann ebenfalls im Auftrage der deutschen Hilfsorganisation und wieder für drei Jahre als Entwicklungshelfer tätig ist.

Am 17. März 2004 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für ihre am 28. Mai 1999 und 30. November 2003 geborenen Kinder.

Mit Bescheid vom 14. November 2005 stellte die Beklagte darauf hin die Zeiten vom 1. Juni 1999 bis 31. August 2000, vom 30. März 2002 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 31. Dezember 2003 als Kindererziehungszeiten und die Zeiten vom 28. Mai 1999 bis 31. August 2000, vom 30. März 2002 bis 31. Dezember 2003 und vom 30. November bis 31. Dezember 2003 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung fest. Die Zeit vom 1. September 2000 bis 29. März 2002 könne nicht anerkannt werden, weil das Kind im Ausland erzogen worden sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 14. Februar 2006 Widerspruch. Vom 1. Dezember 2001 bis 29. März 2002 habe sie in D gelebt. Bereits ab 1. September 2001 habe sie die Rückkehr nach D vorbereitet. Ihrem Widerspruch fügte sie die Anmeldebestätigung der Meldebehörde der Gemeinde H vom 3. Dezember 2001 bei.

Die Beklagte zog die Akte des Ehemannes der Klägerin von der DRV Bund bei. Daraus war ersichtlich, dass dieser vom 6. September 2000 bis 5. April 2002 in G eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausübte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Zeit vom 1. September 2000 bis 29. März 2002 könne weder als Kindererziehungszeit noch als Kinderberücksichtigungszeit anerkannt werden, weil das Kind nicht in der B erzogen worden sei. Eine gleichstehende Erziehung im Ausland nach § 56 Abs. 3 Sätze 2 bis 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) liege ebenfalls nicht vor.

Dagegen hat die Klägerin am 3. Juli 2007 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Vom 1. Dezember 2001 bis 29. März 2002 habe sie mit ihrer Familie in D gelebt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2007 zu verurteilen, die Zeit vom 1. Dezember 2001 bis 29. März 2002 als Kindererziehungszeit und als Kinderberücksichtigungszeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die angefochtenen Bescheide. Die Zeit vom 1. Dezember 2001 bis 29. März 2002 könne nicht anerkannt werden, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der B gehabt habe. Denn ihr Aufenthalt im Lande sei nur vorübergehend gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Anspruchsgrundlage ist § 149 Abs. 5 SGB VI. Danach ist der Versicherungsträger verpflichtet, einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid über die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, zu erlassen, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat. Nach § 57 Satz 1 SGB VI ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Nach § 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 bis 3 und 5 SGB VI sind Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die ihnen Kindererziehungszeiten anzurechnen sind. Einem Elternteil wird nach § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der B erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Klägerin ihr Kind in der Zeit vom 1. Dezember 2001 bis 29. März 2002 nicht im Gebiet der B erzogen hat und die Erziehung einer solchen Erziehung auch nicht gleichsteht.

Gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI ist die Erziehung im Gebiet der B erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Das war bei der Klägerin im streitigen Zeitraum nicht der Fall. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist damit die über eine vorübergehende Verweildauer hinausgehende Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts an bestimmten Orten, die sich in bestimmten Umständen manifestieren müssen (vgl. Schlegel in: jurisPK-SGB I, § 30 Rdnr. 35). "Gewöhnlich" ist der Aufenthalt nicht nur dann, wenn er ein ständiger Aufenthalt ist (vgl. BSG 16. Oktober 1986, 12 RK 13/86 - SozR 1200 § 30 Nr. 10). Dauerhaftigkeit liegt bereits dann vor, wenn und solange der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, er also zukunftsoffen ist (vgl. BSG 27. Januar 1994, 5 RJ 16/93 - SozR 3-2600 § 56 Nr. 7). Entscheidend ist, dass die Umstände auf einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt schließen lassen. Ein nur vorübergehender Aufenthalt liegt z.B. vor, wenn dieser nur zu einer Urlaubsreise oder Besuchszwecken, zur Durchreise oder zur Krankenbehandlung erfolgt (vgl. Schlegel in: jurisPK-SGB I, § 30 Rdnr. 37). So liegt der Fall hier.

Denn der Aufenthalt der Klägerin und ihrer Familie in der B war von vornherein zeitlich begrenzt. Die Familie hielt sich vom 1. bis 31. Dezember 2001 zu Besuchszwecken bei den Schwiegereltern der Klägerin in H auf. Während der Zeit vom 1. Januar bis 29. März 2002 waren sie lediglich auf der Durchreise. Der Aufenthalt war in beiden Fällen nicht zukunftsoffen, sondern vielmehr durch den noch in L mit der deutschen Hilfsorganisation geschlossenen Vertrag auf Beendigung zum 30. März 2002 angelegt. Denn der Ehemann der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung versichert, dieser Ausreisetermin nach K habe bereits bei Vertragsschluss festgestanden. Vom 1. Januar bis 29. März 2002 wohnte die Familie zudem lediglich in einer Unterkunft der Bildungseinrichtung, bei der sie den Vorbereitungskurs absolvierte. Abgesehen von der Tatsache, dass die Klägerin im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, sprechen daher alle äußeren Umstände für einen nur vorübergehenden Aufenthalt.

Für die Kammer ergibt sich auch keine andere Bewertung daraus, dass die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin im Auftrage einer deutschen Hilfsorganisation jeweils nur im voraus befristet für drei Jahre erfolgt. Zwar kann es sich ergeben, dass prognostische Gesichtspunkte so zwingend sind, dass z. B. bei mehrjähriger Abwesenheit zum Zwecke eines Studiums der gewöhnliche Aufenthalt am früheren Ort verbleibt (vgl. Mrozynski, SGB I, 3. Aufl., § 30 Rdnr. 19 mit Hinweis auf BSG 22. März 1988, 8/5a RKn 11/87 - SozR 2200 § 205 Nr. 65). Allerdings liegt der Fall hier anders. Zum einen hat die Familie der Klägerin in D seit September 2000 keine eigene Wohnung mehr. Zum anderen zeigt sich gerade an dem Aufenthalt der Familie in G von September 2000 bis November 2001, während dessen der Ehemann der Klägerin bei einer britischen Hilfsorganisation beschäftigt war, dass vorliegend nie die zwingende Prognose einer dauerhaften Rückkehr nach D bestand.

Eine der Erziehung im Inland gleichstehende Erziehung im Ausland nach § 56 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SGB VI liegt bereits deshalb nicht vor, weil sich die Klägerin mit ihrer Familie wie bereits festgestellt, in der streitigen Zeit auf der Durchreise befand und auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte. Denn die Wohnung in L war bereits aufgegeben und eine Wohnsitznahme in K hatte noch nicht stattgefunden. Allein der Wunsch, an einen bestimmten Ort zu ziehen, begründet noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Zur Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts gehört auch das tatsächliche Verweilen am neuen Aufenthaltsort (vgl. BSG 15. März 1995, 5 RJ 28/94 - Breith. 1996, 233).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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