L 8 R 26/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 40 (27) R 414/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 26/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Altersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten im Ghetto Daugavpils, Reichskommissariat Ostland, Generalbezirk Lettland in der Zeit von Juli 1941 bis Mai 1942.

Die nach eigenen Angaben am 24.12.1916 im damals russischen Daugavpils geborene jüdische Klägerin lebt seit Februar 1973 in Israel. Von 1944 an besaß sie zunächst die sowjetische, später nahm sie die israelische Staatsangehörigkeit an. Ein Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) ließ sich nicht ermitteln.

Gegenüber der Jewish Claims Conference (JCC), Härtefonds, gab sie zum Verfolgungsschicksal im Antrag vom 10.04.1981 an: "7.1941-1944- Ghetto "Daugavpils", im Ghetto war ich bis zu der Befreiung. Ich leistete Zwangsarbeiten, meine Mutter, 3 Schwestern und ein Bruder sind im Ghetto umgekommen".

Gegenüber der JCC, Art. 2 Fonds, beschrieb sie ebenfalls im Antrag vom 25.05.1993 ihre Verfolgung: Im Herbst 1941 sei bei ihnen (das heißt in Daugavpils) das Ghetto geschlossen (worden). So sei ihre Familie (die Klägerin, ihre Eltern, Geschwister und ihr Ehemann) ins Ghetto eingewiesen worden. Im Januar 1942 sei ihre Tochter im Ghetto geboren worden, aber nach 3 Monaten dort verstorben. Ihre 3 Schwestern seien im Ghetto umgebracht worden. Sie sei im Ghetto bis Frühjahr 1942 verblieben. Nach der Ghettoliquidierung seien sie, ihre Brüder Tl und I und ihre Schwester T1 zur Zwangsarbeit genommen worden. Sie hätten bei der Tankstelle in Daugavpils gearbeitet. Ende 1943 sei sie verhaftet worden und etwa einen Monat im Gefängnis Daugavpils gewesen. Nach dem Gefängnis habe sie noch einmal bis Frühjahr 1944 Zwangsarbeit geleistet, sei dann vom Arbeitsplatz geflüchtet und habe sich bis zur Befreiung im Herbst 1944 versteckt gehalten.

Am 04.11.2002 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten. Im undatierten Kurzantrag unterblieben Angaben zur Beschäftigung. Ebenso wenig machte sie konkrete Angaben zur Art der Beschäftigung im am 29.12.2003 unterzeichneten Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Dort erklärte sie lediglich, sie habe von 07.1941 bis 05.1942 innerhalb des Ghettos durch Vermittlung des Judenrates 6 bis 8 Stunden täglich gegen Mittagessen und zusätzliche Lebensmittel gearbeitet. Barlohn habe sie nicht erhalten. Im Formantrag, ebenfalls unterzeichnet am 29.12.2003, verneinte sie die Frage nach der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Ferner gab sie an, von 07.1941 bis 05.1942 im Ghetto Daugavpils gearbeitet zu haben. In der Antwortspalte "Name und Anschrift des Arbeitgebers" fügte sie "Ghetto Daugavpils" ein. Eine genaue Beschreibung der Tätigkeit unterblieb. In die Antwortspalte "genaue Bezeichnung der ausgeübten Tätigkeit ..." trug die Klägerin lediglich "Arbeiterin" ein. Die Höhe des Entgelts sei nicht erinnerlich.

Nachdem die Beklagte die für die Klägerin bei der JCC vorhandenen Unterlagen beigezogen hatte, lehnte sie den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 24.08.2004 ab. Die Ausübung einer Tätigkeit im Daugavpils sei nicht glaubhaft gemacht im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, da die Klägerin eine entsprechende Tätigkeit gegenüber der JCC nicht erwähnt habe.

Hiergegen legte die Klägerin am 26.08.2005 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie insbesondere eine eidesstattliche Versicherung vom 21.10.2004 vorlegte. Sie habe sich von 07.1941 bis 05.1942 im Ghetto Daugavpils aufgehalten. Um zu existieren und nicht deportiert zu werden, habe sie eine Arbeit gesucht und eine solche mit Hilfe des Judenrats gefunden. Sie habe Reinigungsarbeiten in der deutschen Kaserne erfüllt und Lebensmittel zum Wegschicken nach Deutschland sortiert. Dafür habe sie zusätzliche Lebensmittel und manchmal Mittagessen erhalten. Sie habe die ganze Zeit ihres Aufenthalts im Ghetto freiwillig für zusätzliche Lebensmittel gearbeitet.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2005 zurück. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren sei nicht glaubhaft, dass diese eine über den freien Unterhalt hinausgehende Entlohnung für die behauptete Tätigkeit erhalten habe. Mangels Entgeltlichkeit seien daher die Voraussetzungen des ZRBG nicht erfüllt.

Dagegen hat die Klägerin am 25.10.2005 Klage erhoben. Sie habe sich freiwillig über die Arbeitsverwaltung des Judenrates eine Tätigkeit als Reinigungsarbeiterin in den deutschen Kasernen gesucht. Ihr Arbeitgeber sei der Judenrat gewesen, der in wirtschaftlicher Hinsicht praktisch ein staatlicher Betrieb gewesen sei. Für ihre Tätigkeit habe sie einen Lohn in Form von Sachbezügen erhalten. Es könnten auch Lebensmittelcoupons und Bargeld gewesen sein. Es falle ihr schwer, sich nach über 60 Jahren an alle Einzelheiten zu erinnern. Sachbezüge habe sie zur beliebigen Verfügung bekommen. Da Angaben über eine freiwillige Arbeitsaufnahme und eine Entlohnung für das Entschädigungsverfahren ohne Bedeutung gewesen seien und auch nicht abgefragt worden seien, könnten hierzu fehlende Angaben nicht gegen sie verwendet werden. Insbesondere könnten Aussagen der betroffenen Verfolgten, es habe Zwangsarbeit vorgelegen, nicht anspruchsvernichtend bewertet werden. Generell hätten alle Ghettoinsassen den Aufenthalt und die Tätigkeiten als Zwang empfunden und dies in den Entschädigungsverfahren auch hervorgehoben. Es könne jedoch vor dem historischen Hintergrund keinen Zweifel geben, dass es im eigenen Interesse der jüdischen Bevölkerung gelegen habe, einer Beschäftigung nachzugehen, um so den Lebensunterhalt zu sichern und sicher auch, um nicht beschäftigungslos aufgegriffen, deportiert und ermordet zu werden. Ergänzend hat die Klägerin eine weitere eidliche Erklärung, datierend auf den 17.08.2006, vorgelegt. Im Ghetto Daugavpils habe sie sich von 07.1941 bis 05.1942 befunden. Sie habe freiwillig Reinigungsarbeiten erfüllt und Lebensmittel sortiert. Dafür habe sie von der Ghettoverwaltung Mittagessen und zusätzlich Lebensmittel für zu Hause wöchentlich erhalten. Diese Lebensmittel seien in solchem Umfang gewesen, dass sie der Familie helfen und einige Lebensmittel habe tauschen können, um etwas Notwendiges anzuschaffen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2005, die Tätigkeiten von Juli 1941 bis Mai 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 unter Berücksichtigung der weiteren Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich hierbei insbesondere auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid bezogen.

Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht Düsseldorf (SG) ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage mit Urteil vom 21.12.2006 abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das der Klägerin am 02.01.2007 zugestellte Urteil hat diese am 22.01.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung intensiviert sie insbesondere ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Sie beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2006 und unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2005 zu verurteilen, der Klägerin eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von Juli 1941 bis Mai 1942 im Ghetto Daugavpils nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Anforderung des Senats hat die JCC die bei ihr vorliegenden Antragsunterlagen übersandt. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat mitgeteilt, dass Karteikarten, nach denen die Klägerin Ansprüche nach dem BEG geltend gemacht habe, nicht aufzufinden seien.

Ferner hat das Gericht von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines historischen Gutachtens, erstellt von Frau Katrin Reichelt unter dem 15.04.2008. Die Sachverständige geht davon aus, dass mit der Errichtung eines Ghettos in Daugavpils relativ zeitnah nach der Okkupierung der Stadt durch das Deutsche Reich am 26.06.1941 begonnen wurde. Nach Aussagen ehemaliger Ghettoinsassen habe das Ghetto bereits am 07.07.1941 bestanden. Geschlossen worden sei es am 28.07.1941. In der Anfangszeit sei es zu umfangreichen Mordaktionen der Besatzer gekommen und schließlich am 08./09. November 1941 zur größten Aktion in der Geschichte des Ghettos Daugavpils, bei der 11.034 Menschen getötet worden seien. Für die Folgezeit liege ihr eine Liste sämtlicher Bewohner des Ghettos vor, erstellt am 05.12.1941 durch die jüdische Ghettoverwaltung, die insgesamt 962 Namen der Überlebenden der vorhergehenden Erschießungen im November 1941 aufzeige. Diese Zahl werde noch einmal durch eine Meldung des Chefs der Sicherheitspolizei im Ostland vom 14.01.1942 bestätigt. Zu dieser Zeit sei das Ghetto auch wegen einer Typhusepidemie unter Quarantäne gestellt worden, so dass die Juden Arbeitsstellen außerhalb des Ghettos nicht hätten erreichen können. Erst im April 1942 sei das Ghetto wieder "geöffnet" worden, bevor nach einer letzten Aktion am 01./02. Mai 1942, die ca. 500 Opfer gefordert habe, die Chronik des Ghettos ende. Die Sachverständige hat ferner die Auffassung vertreten, dass jede Arbeit offiziell obrigkeitlich zugewiesen worden sei. Eine direkte Entlohnung der arbeitenden Ghettoinsassen durch die jeweiligen "Arbeitsstellen" habe sich nicht ermitteln lassen. Sämtliche vorliegenden Dokumente, die sich auf die Bezahlung jüdischer Arbeitskräfte bezögen, wiesen lediglich Gelder aus, die der jeweilige Arbeitgeber als Bezahlung der Bereitstellung jüdischer Arbeiter an den Gebietskommissar, d.h. an die deutsche Zivilverwaltung zu zahlen gehabt habe. Die Vergütung der Arbeiter in Lebensmitteln, wie im Fall der Klägerin, sei die Regel gewesen. Genaue Verpflegungsmengen könnten nicht ermittelt werden. Das geschilderte Schicksal der Familienangehörigen entspreche voll und ganz den allgemeinen historischen Gegebenheiten, denen die Juden in Daugavpils während ihrer Verfolgung durch die Deutschen ausgesetzt gewesen seien. Allerdings befinde sich der Name der Klägerin auch unter Berücksichtigung ihres Geburtsnamen nicht auf der Liste der Ghettoinsassen vom 05.12.1941. Zwar könne das Dokument eigentlich als vollständig und glaubhaft gewertet werden, jedoch sei nicht auszuschließen, das Ghettoinsassen durch unterschiedlichste Umstände bei der Erstellung der Namensliste keinen Eintrag gefunden hätten, da die Registrierung der Einwohner unter den forcierten Bedingungen einer Zwangssituation stattgefunden habe. Ergänzend müsse bedacht werden, dass eine offizielle Registrierung wohl Voraussetzung für eine (offizielle) Arbeitsvermittlung gewesen sei. Auf den weiteren Inhalt wird verwiesen.

Auf Bitte des Senats hat Yad Vashem ergänzende historische Informationen übersandt. Der ITS konnte einen Ghettoaufenthalt der Klägerin nicht recherchieren. Die Beklagte übersendet einen Versicherungsverlauf der israelischen Rentenversicherung, in dem 46 Monate Beitragszeiten gespeichert sind.

Die ergänzenden Fragen des Senats zu weiteren Ermittlungsansätzen sowie ein detaillierter Fragebogen zu den Umständen der Ghettobeschäftigung sind von der Klägerin unbeantwortet geblieben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Entschädigungsakte der Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit der Klägerin und ihres Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil dieser in der Terminsmitteilung, die ihm am 21.01.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Soweit die Klägerin mit ihrem im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Herstellung einer Versicherungsunterlage sinngemäß die Vormerkung der Zeit von Juli 1941 bis Mai 1942 als Beitragszeit begehrt, ist der Antrag im Verfahren auf Gewährung und Zahlung einer Altersrente bereits unzulässig (vgl. Senat, Urteil v. 20.08.2008, L 8 R 23/07, sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).

Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der angefochtene und im Ergebnis vom SG bestätigte Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin daher nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat weder unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG (hierzu unter 1.) noch nach den allgemeinen Rentenvorschriften (hierzu unter 2.) einen Rentenanspruch gegenüber der Beklagten.

1. Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (z. B. Urteil vom 06.06.2007 L 8 R 54/05, sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4, aA BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 3). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall der Klägerin nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 1. Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; BSG Urteil vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 17).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", d. h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, mwN).

Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Solche Beitragszeiten bestehen hier weder nach § 2 Abs. 1 ZRBG noch nach den Vorschriften des Fremdrentenrechts.

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder im eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d. h. mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4).

Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert für den geltend gemachten Zeitraum nicht schon daran, dass die Klägerin für diese Zeiten eine Entschädigung nach dem Gesetz zur Entrichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) erhalten hat. Wie der Senat bereits entschieden hat, erstrecken sich die in § 16 Abs. 1 S. 2 EVZStiftG geregelte Ausschlusswirkung und die Verzichtswirkung des § 16 Abs. 2 S. 2 EVZStiftG nicht auf den Anspruch auf Zahlung einer (ggf. höheren) Rente aufgrund von Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG (vgl. zuletzt Senat Urteil vom 18.06.2008, L 8 R 298/07, sozialgerichtsbarkeit.de, mit eingehender Begründung).

Der Klägerin ist es aber bereits nicht gelungen, die Ausübung einer Beschäftigung im Ghetto Daugavpils im Zeitraum von Juli 1941 bis Mai 1942 ausreichend glaubhaft zu machen. Das ergibt sich aus einer Würdigung ihres Vorbringens im vorliegenden Verfahren, aber auch gegenüber der JCC, in einer Gesamtschau mit den insbesondere durch das eingeholte Gutachten der Historikerin Reichelt gewonnenen historischen Erkenntnissen.

Schon die Schilderungen der Klägerin gegenüber der JCC sind in Teilbereichen schwer miteinander in Einklang zu bringen. Gegenüber dem Härtefonds hat die Klägerin noch mitgeteilt, bis zur Befreiung im Ghetto (bzw. im ZAL) gewesen zu sein. Gegenüber dem Artikel-2-Fonds hat sie dagegen 1993 angegeben, sie habe von Frühjahr 1944 bis zur Befreiung im März 1944 versteckt gelebt.

Im ZRBG-Fragebogen der Beklagten hat die Klägerin mitgeteilt, sie habe innerhalb des Ghettos gearbeitet, ohne die Tätigkeiten genauer zu beschreiben. In den nachfolgenden eidesstattlichen Versicherungen hat sie ihre Beschäftigung als Reinigungsarbeiten in einer deutschen Kaserne bzw. als das Sortieren von Lebensmitteln beschrieben, die nach Deutschland versendet werden sollten. Diesbezüglich ist für den Senat schon schwer vorstellbar, dass eine deutsche Kaserne im Ghettogebiet gelegen haben könnte, ebenso, dass Lebensmittel ins Ghetto transportiert worden seien sollen, damit diese dort sortiert wurden, um sie schließlich nach Deutschland zu versenden. Die Beschreibung der Arbeitsplätze durch die Klägerin spricht eher für Tätigkeiten, die außerhalb der Ghettogrenzen verrichtet worden sind. Eine Tätigkeit außerhalb des Ghettos hat die Klägerin indessen nicht behauptet.

Zudem bestehen nach den historischen Erkenntnissen erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin die behaupteten Tätigkeiten über den gesamten (streitigen) Zeitraum von Juli 1941 bis Mai 1942 hinweg ausüben konnte, wie sie z. B. in ihrer Erklärung vom 21.10.2004 behauptet hat. Zum einen hat sie im Januar 1942 eine Tochter geboren, die es anschließend auch zu versorgen galt; zum anderen ist für den Senat aufgrund des in sich schlüssigen und wissenschaftlichen fundierten Gutachtens der Historikerin Katrin Reichelt vom 15.04.2008 historisch belegt, dass das Ghetto Daugavpils von Herbst 1941 bis April 1942 unter Quarantäne stand, und die Bewohner dieses - auch nicht zur Verrichtung von Tätigkeiten - verlassen durften (vgl. Bl. 9 des Gutachtens). Die Klägerin hat diese Umstände in ihren diversen Schilderungen nicht erwähnt, so dass bezweifelt werden muss, dass ihrer Darlegungen erlebnisfundiert sind.

Auffällig ist weiter, dass gegenüber dem Artikel-2-Fonds Zwangsarbeiten zwar für die Zeit nach dem Ghetto erwähnt worden sind. Tätigkeiten während der Ghettoinhaftierung jedoch nicht. Es kommt hinzu, dass insbesondere eine Tätigkeitsbeschreibung im ZRBG-Fragebogen aber auch im Formantrag völlig fehlt. Solche Beschreibungen hat die Klägerin erstmals mit der im Widerspruchsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nachgeschoben. Auch dies lässt Zweifel daran aufkommen, dass die nunmehr entsprechenden Angaben zutreffen.

Die Annahme einer Beschäftigung der Klägerin während ihres Ghettoaufenthaltes wird auch durch den Umstand in Zweifel gezogen, dass sich weder der Name der Klägerin noch die Namen der drei die Ghettozeit überlebenden Geschwister der Klägerin (T, I und T1) auf der von der Historikerin Reichelt recherchierten Ghettoinsassenliste vom 05.12.1941 finden lassen. Zwar spricht dieser Umstand nicht bereits gegen einen Ghettoaufenthalt der Klägerin, weil die Liste nach Angaben der Sachverständigen nicht zwingend Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Es ist aber andererseits zu berücksichtigen, dass ohne eine offizielle Registrierung keine Arbeitsvermittlung möglich gewesen ist. Dementsprechend mag die fehlende Eintragung der Klägerin in der Liste noch mit einem nicht registrierten Aufenthalt im Ghetto erklärbar sein. Ihre Vermittlung in eine offizielle Arbeit in einer deutschen Kaserne ohne eine solche Registrierung erscheint jedoch nicht glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit.

Darüber hinaus ist bereits nach den Schilderungen der Klägerin nicht davon auszugehen, dass die im streitigen Zeitraum von Juli 1941 bis Mai 1942 behaupteten Tätigkeiten gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG verrichtet worden sind.

Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG beschriebene Typus der Beschäftigung nach dem Vorbild des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auch durch die Entgeltlichkeit von der nicht von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG erfassten Zwangsarbeit abzugrenzen ist. Danach ist neben der Aufnahme und Ausübung der Arbeit aus eigenem Willensentschluss auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich, das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann (Senat, Urteil vom 21.11.2007, L 8 R 98/07; sozialgerichtsbarkeit.de). Maßgebend hierfür sind die Kriterien, die das BSG in seiner sogenannten Ghetto-Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; vom 21.04.1999 B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, aaO) entwickelt hat (vgl. hierzu im einzelnen BSG Urteil vom 07.10.2004, aaO.; Senatsurteil vom 21.11.2007, aaO.).

Wie der Senat bereits im Einzelnen dargelegt hat, ist als Entgelt in diesem Sinne ein die Versicherungspflicht in der Deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (vgl. zum Folgenden Urteile vom 12.12.2007, L 8 R 187/07 und vom 28.01.2008, L 8 RJ 139/04; jeweils aaO.). Danach lassen sich die im Zusammenhang mit Streitigkeiten nach dem ZRBG auftretenden Fallgruppen zunächst wie folgt systematisieren: Die Gewährung von Entgelt in der ortsüblichen Währung, von Ghettogeld oder zum Tausch bestimmten Bezugsscheinen ist Entgelt in Sachen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG, soweit ihr Umfang zumindest 1/6 des ortsüblichen Arbeitsentgelts für ungelernte Arbeiter(-innen) übersteigt. Bei der Gewährung von Sachbezügen ist dagegen zu unterscheiden: Übersteigen die Sachbezüge (insbesondere Verpflegung, Unterkunft und Kleidung) nicht das Maß freien Unterhalts, d.h. derjenigen wirtschaftlichen Güter, die zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Einzelnen erforderlich sind, liegt kein Entgelt vor. Bei Lebensmitteln kommt es darauf an, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden. Wird das Maß des persönlichen Bedarfs hingegen überschritten, und werden die Lebensmittel zur freien Verfügung gewährt, ist von Entgelt auszugehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn glaubhaft gemacht wird, dass gewährte Lebensmittel auch den Bedarf eines Angehörigen sicherstellen. Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z.B. der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten, oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist. Ohne Bedeutung ist es dagegen, ob die Lebensmittel unmittelbar in Naturalien gewährt worden sind, oder ob die Betroffenen Lebensmittelcoupons erhalten haben, die sie gegen Lebensmittel eintauschen konnten.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die von der Klägerin behaupteten Beschäftigungen nicht als entgeltlich anzusehen:

Die Klägerin behauptet, für die Tätigkeiten (lediglich) zusätzliche Lebensmittel und Mittagessen erhalten zu haben. Die Frage nach Barlohn hat sie im ZRBG-Fragebogen der Beklagten ausdrücklich verneint. Darüber hinaus hat sie eine etwaige Gegenleistung gegenüber der JCC nicht erwähnt, so dass sich auch aus diesen Darstellungen kein Anhaltspunkt bietet, die Art der behaupteten Gegenleistung in Frage zu stellen.

Aus diesen Angaben der Klägerin aber auch aus den historischen Ermittlungen der Sachverständigen Reichelt ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte für die Entgeltzahlung seitens eines etwaigen Arbeitgebers an einen Dritten, z.B. den Judenrat. Wie die Sachverständige Reichelt vielmehr überzeugend dargelegt hat, ist eine Entlohnung der Arbeiter durch eine Zahlung an Dritte nicht erfolgt. Vielmehr musste eine öffentliche Abgabe für die "Benutzung" der Arbeiter durch die Dienststelle an die Kasse des Gebietskommissars, d. h. die deutsche Zivilverwaltung erfolgen (Bl. 15 des Gutachtens).

Korrespondierend mit diesen historischen Ermittlungen geht auch die Klägerin davon aus, dass Arbeitgeber nicht die jeweils behauptete Arbeitsstelle (also die Kaserne oder der Betrieb, in denen die Lebensmittel sortiert wurden) war, sondern vielmehr der Judenrat.

Bezüglich der erhaltenen Lebensmittel kann nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden, dass diese nach dem vorbestimmten Maß zur beliebigen Verfügung geeignet gewesen, d. h. über den unmittelbaren Bedarf der Klägerin hinausgegangen wären und damit das Maß des freien Unterhalts überstiegen hätten. Die Klägerin hat keine genauen Angaben zum Umfang der erhaltenen Lebensmittel gemacht, so dass nicht beurteilt werden kann, ob diese den eigenen unmittelbaren Bedarf überstiegen haben. Dies kann auch nicht anhand der übrigen sonstigen Erkenntnisse im vorliegenden Fall im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden. Denn es ist - angesichts der allgemeinen schlechten Versorgungssituation in den Ghettos - zumindest genau so wahrscheinlich, dass die erhaltenen Lebensmittel nicht den eigenen Bedarf überstiegen habe. Die nachhaltige Mitversorgung eines Dritten ist nicht vorgetragen, aber aus den Umständen des Einzelfalls auch nicht überwiegend wahrscheinlich.

2. Die von der Klägerin im Ghetto Daugavpils verrichtete Arbeit kann auch nicht nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. §§ 15, 16, Fremdrentengesetz (FRG) i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeit angerechnet werden.

Die behauptete Arbeit der Klägerin in Daugavpils unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen. Im Reichskommissiariat Ostland galten diese nicht für Personen, die wie der Kläger, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R für das sogenannte Generalgouvernement). Eine Anrechnung als Versicherungszeit kann sich daher allein nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG richten. Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt indessen nicht in Betracht, weil eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht und von der Klägerin auch gar nicht behauptet worden ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, da - wie oben bereits ausgeführt worden ist - ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann. Auch § 16 FRG greift nicht zu Gunsten der Klägerin ein, da die von ihr ausgeübten Tätigkeiten nicht nach dem am 01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227 und 1228 RVO n.F.) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet hätten, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wären.

Da nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass die Klägerin eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.

Weitere - von der Klägerin mit der vorliegenden Klage ohnehin nicht geltend gemachte - Beitragszeiten, die zum Anspruch auf Zahlung einer Regelaltersrente führen könnten, sind nicht ersichtlich. In den Genuss von Kindererziehungzeiten nach dem deutschen Rentenversicherungsrecht für ihre im Januar 1942 geborene, wenig später verstorbene Tochter kommt die Klägerin schon nicht, weil sie am 24.12.1916 und damit vor dem 01.01.1921 geboren ist (vgl. § 249 Abs. 4 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Anlass die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, hat nicht bestanden.
Rechtskraft
Aus
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