Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 150/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 37/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 12/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision mit Urteil des BSG zurückgewiesen
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.01.2008 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall des Klägers vom 05.09.2004 ein Arbeitsunfall war.
Am Unfalltag hielten sich der 1990 geborene Kläger und der gleichaltrige Zeuge U auf dem Spielplatz T Straße in X auf. Auf der - vom Eingang des Spielplatzes aus betrachtet - rechten Seite befindet sich eine Mauer, an welcher rechtwinklig ein Metallzaun von einer Höhe von etwa 1,70 m angrenzt. Entlang der Mauer verläuft in der Höhe von etwa 30 bis 50 cm ein Mauervorsprung, der etwas schräg nach unten abfällt. Der Boden auf der Seite des angrenzenden Grundstücks (hinter dem Zaun) liegt etwa 30 cm tiefer als der Boden des Spielplatzes. Bei dem Nachbargrundstück handelt es sich um das Betriebsgelände eines Energieversorgungsunternehmens, welches komplett umzäunt ist und am Unfalltag durch ein Tor verschlossen war.
Der Kläger und der Zeuge U bemerkten ein kleines Mädchen, das sich allein auf dem Grundstück hinter dem Zaun aufhielt und laut und anhaltend weinte. Der Mutter des sechsjährigen Kindes, das entweder durch Benutzung des Mauervorsprungs über den Zaun geklettert oder unter einem Tor hindurch gekrochen war, gelang es nicht, ihre Tochter zur Rückkehr auf den Spielplatz zu bewegen. Der Kläger bot daher der Mutter des Mädchens seine Hilfe an. Da diese einverstanden war, kletterte der Kläger über den Zaun und beförderte das Kind auf die andere Zaunseite. Beim Zurückklettern blieb er mit seinem Ring an einer der Zaunspitzen hängen, wodurch die Haut des rechten Mittelfingers bis zum Knochen abgetrennt wurde. Der rechte Mittelfinger musste anschließend amputiert werden.
Mit Bescheid vom 20.10.2004 lehnte es der Rechtsvorgänger der Beklagten ab, den Unfall als Versicherungsfall anzuerkennen. Zur Begründung gab er an: Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) habe nicht bestanden. Der Kläger habe zwar aktiv zu Gunsten des Mädchens gehandelt, es habe aber keine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit des Kindes bestanden. Der Rechtsbehelf des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2006, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 18.07.2006 Klage erhoben und vorgetragen: Er sei als "Nothelfer" im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII tätig geworden. Das Mädchen sei nicht in der Lage gewesen, aus eigener Kraft die Situation zu beenden. Es habe sich also in einer hilflosen Lage befunden, geweint und geschrien. Ob das Mädchen sich bereits verletzt gehabt und ärztlicher Hilfe bedurft habe, sei nicht klar erkennbar gewesen. Die Möglichkeit eines konkreten - weiteren - Schadenseintritts habe greifbar nahe gelegen.
Die Beklagte ist auf ihrem Standpunkt verblieben. Sie hat gemeint, dass objektive Anhaltspunkte, die zur Annahme eines Unglücksfalls oder einer sonstigen Gefahrenlage berechtigten, nicht vorgelegen hätten.
Mit Urteil vom 15.01.2008 hat das Sozialgericht dem Antrag des Klägers entsprechend die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 20.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 verurteilt, den Unfall des Klägers vom 05.09.2004 als Versicherungsfall anzuerkennen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihr am 23.01.2008 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 13.02.2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Der Kläger habe bei dem Unfall nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden. Für die Annahme einer Gefahr, die einen schweren gesundheitsbeeinflussenden seelischen Schock herbeizuführen geeignet sei, fehle es im vorliegenden Fall an jeder Objektivierung. Dass ein Kind weine, noch dazu auf einem Kinderspielplatz, könne nicht unmittelbar mit einer Situation in Verbindung gebracht werden, die geeignet sei, einen schweren gesundheitsbeeinflussenden seelischen Schock herbeizuführen.
Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB VII seien nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.01.2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat zur Untermauerung seines Vortrags Unterlagen aus dem von ihm angestrengten Zivilprozess gegen die Stadt X, in dem um deren Schadensersatzpflicht wegen des Unfalls vom 05.09.2004 gestritten wurde, vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen; ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeit). Anders als das Sozialgericht sieht der Senat die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII hier allerdings nicht als gegeben an. Nach dieser Bestimmung stehen Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten, unter Versicherungsschutz. Dabei reicht ein Rettungswille allein nicht aus; vielmehr ist zusätzlich darauf abzustellen, ob der Hilfeleistende nach den Umständen des Einzelfalles annehmen durfte, es liege ein Unglückfall oder eine andere Gefahr oder Notsituation im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII vor (vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 9a Reichsversicherungsordnung - RVO - BSGE 37, 38; BSG Urteil vom 11.12.1980 - 2/8a RU 102/78 = USK 80300). Daran fehlt es hier. Der Kläger konnte aus den Gesamtumständen nicht den Schluss ziehen, dass eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit des Mädchens bestand. Denn es gab weder Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Kind sich verletzt hatte, noch bestanden irgendwelche Hinweise dafür, dass von dem umzäunten Grundstück eine Gefahr ausgehen oder das Kind durch eigenes Verhalten in eine konkrete Gefahrensituation geraten könnte. Der Senat vermag - anders als das Sozialgericht - auch keine objektiven Anhaltspunkte zu erkennen, die für den Kläger den Schluss zugelassen hätten, dass durch sein Handeln eine schwere seelische Belastung des Kindes beendet werde.
Ebenso wie das Sozialgericht geht der Senat aber davon aus, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden hat. Nach dieser Vorschrift sind auch Personen versichert, die wie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO iVm § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO, dessen Regelung im wesentlichen der des hier anzuwendenen § 2 Abs. 2 SGB VII iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII entspricht, voraus, dass - selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt - eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSGGE 5, 168, 174; 14, 1, 4; 15, 292, 294 = SozR Nr. 25 zu § 537 RVO aF; BSGE 16, 73, 76 = SozR Nr. 26 zu § 537 RVO aF; BSGE 17; 211, 216 = SozR Nr. 30 zu § 537 RVO aF; BSGE 34, 240, 242 = SozR Nr. 32 zu § 539 RVO; BSG SozR Nrn. 16, 23, 29 zu § 537 RVO aF; SozR Nr. 27 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 539 Nrn. 55, 66, 93, 119; BSG Urteile vom 29. November 1972 - 8/2 RU 200/71 - USK 72178, 30. November 1972 - 2 RU 195/71 - USK 72202, 27 Juni 1974 - 2 RU 23/73 - USK 74127 und 25. August 1982 - 2 RU 25/81 - USK 82194). Bei einer Tätigkeit gemäß § 539 Abs. 2 RVO braucht eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen nicht vorzuliegen, weiterhin sind die Beweggründe des Handelns für den Versicherungsschutz unerheblich (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 16 mwN). Grundsätzlich entfällt der Versicherungsschutz auch nicht bei Freundschafts- und Gefälligkeitsdiensten (BSGE 5, 168, 172; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 55). Nicht jede unter diesen Voraussetzungen geleistete Tätigkeit unterliegt jedoch dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Vielmehr muss die Verrichtung nach ihrer Art und nach den Umständen, unter denen sie geleistet worden ist, einer Tätigkeit aufgrund eines (abhängigen) Beschäftigungsverhältnisses der in § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bzw. § 2 Abs. 1 SGB VII bezeichneten Art ähneln (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 119 mwN). Dabei ist die Tätigkeit des Verletzten nicht allein nach der unmittelbar zum Unfall führenden Verrichtung zu beurteilen, sondern nach dem Gesamtbild des ausgeführten und beabsichtigten Vorhabens (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 8 m.w.N.). Auf die Zeitdauer der Tätigkeit kommt es allein nicht an; vielmehr ist der Zeitdauer lediglich innerhalb des Gesamtbildes vor allem bei Hilfeleistungen unter Verwandten und Tätigkeiten im Rahmen von Mitgliedschaftspflichten die ihr zukommende, nicht aber eine selbständige Bedeutung beizumessen (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 134). Wie bei allen Zurechnungsentscheidungen sind dementsprechend die gesamten Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild für die Beurteilung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 2 RVO in Betracht zu ziehen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 8).
Nach diesen Grundsätzen stand das zum Unfall führende Tätigwerden des Klägers unter Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Der Kläger hat eine dem als Unternehmen in Betracht kommenden Haushalt der Mutter des Kindes zu dienen bestimmte und auch deren erklärtem Willen entsprechende ernsthafte Tätigkeit verrichtet, als er am 05.09.2004 über den Zaun kletterte, das Mädchen auf die andere Zaunseite beförderte und beim anschließenden Zurückklettern verunglückte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger - wie er selbst angegeben hat - das Mädchen unter einem Tor durchgeschoben oder es - wie die Mutter des Kindes bekundet hat - über den Zaun geschoben hat. Die Tätigkeit konnte auch ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen. Dabei ist es unerheblich, ob die Mutter ohne die Hilfeleistung des unentgeltlich tätig werdenden Klägers tatsächlich eine solche Person beschäftigt hätte. Es kommt nicht darauf an, ob solche Personen von dem Unternehmen üblicherweise beschäftigt werden; es genügt, dass sie nach Art der Tätigkeit beschäftigt werden könnten (s. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 20; SozR 2200 § 539 Nr. 55). Die Hilfeleistung durch den Kläger wurde auch unter Umständen geleistet, die einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich sind.
Dass der wirtschaftliche Wert der Arbeit gering ist, steht der Anwendung des § 2 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen (vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 539 Abs. 2 RVO BSGE 25, 102; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 60; BSG Urteil vom 27.03.1990 - 2 RU 32/89 -). Nach ihrem Gesamtbild ist die Tätigkeit des Klägers nicht geringer zu bewerten als z. B. das - unter Versicherungsschutz stehende - Anschieben eines PKW, dessen Motor nicht anspringt (BSGE 35, 140) oder das Herausziehen eines im Sand stecken gebliebenen Wagens (BSG Urteil vom 25.01.1973 - 2 RU 159/72 -). Die Tätigkeit des Klägers geht aber nach Art und Umfang deutlich über das von der Beklagten als Beispiele für unversicherte Hilfeleistungen genannte Anschwung geben, Auffangen eines Kindes nach einem Sprung oder Trösten eines Kleinkindes nach einem Sturz hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall des Klägers vom 05.09.2004 ein Arbeitsunfall war.
Am Unfalltag hielten sich der 1990 geborene Kläger und der gleichaltrige Zeuge U auf dem Spielplatz T Straße in X auf. Auf der - vom Eingang des Spielplatzes aus betrachtet - rechten Seite befindet sich eine Mauer, an welcher rechtwinklig ein Metallzaun von einer Höhe von etwa 1,70 m angrenzt. Entlang der Mauer verläuft in der Höhe von etwa 30 bis 50 cm ein Mauervorsprung, der etwas schräg nach unten abfällt. Der Boden auf der Seite des angrenzenden Grundstücks (hinter dem Zaun) liegt etwa 30 cm tiefer als der Boden des Spielplatzes. Bei dem Nachbargrundstück handelt es sich um das Betriebsgelände eines Energieversorgungsunternehmens, welches komplett umzäunt ist und am Unfalltag durch ein Tor verschlossen war.
Der Kläger und der Zeuge U bemerkten ein kleines Mädchen, das sich allein auf dem Grundstück hinter dem Zaun aufhielt und laut und anhaltend weinte. Der Mutter des sechsjährigen Kindes, das entweder durch Benutzung des Mauervorsprungs über den Zaun geklettert oder unter einem Tor hindurch gekrochen war, gelang es nicht, ihre Tochter zur Rückkehr auf den Spielplatz zu bewegen. Der Kläger bot daher der Mutter des Mädchens seine Hilfe an. Da diese einverstanden war, kletterte der Kläger über den Zaun und beförderte das Kind auf die andere Zaunseite. Beim Zurückklettern blieb er mit seinem Ring an einer der Zaunspitzen hängen, wodurch die Haut des rechten Mittelfingers bis zum Knochen abgetrennt wurde. Der rechte Mittelfinger musste anschließend amputiert werden.
Mit Bescheid vom 20.10.2004 lehnte es der Rechtsvorgänger der Beklagten ab, den Unfall als Versicherungsfall anzuerkennen. Zur Begründung gab er an: Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) habe nicht bestanden. Der Kläger habe zwar aktiv zu Gunsten des Mädchens gehandelt, es habe aber keine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit des Kindes bestanden. Der Rechtsbehelf des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2006, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 18.07.2006 Klage erhoben und vorgetragen: Er sei als "Nothelfer" im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII tätig geworden. Das Mädchen sei nicht in der Lage gewesen, aus eigener Kraft die Situation zu beenden. Es habe sich also in einer hilflosen Lage befunden, geweint und geschrien. Ob das Mädchen sich bereits verletzt gehabt und ärztlicher Hilfe bedurft habe, sei nicht klar erkennbar gewesen. Die Möglichkeit eines konkreten - weiteren - Schadenseintritts habe greifbar nahe gelegen.
Die Beklagte ist auf ihrem Standpunkt verblieben. Sie hat gemeint, dass objektive Anhaltspunkte, die zur Annahme eines Unglücksfalls oder einer sonstigen Gefahrenlage berechtigten, nicht vorgelegen hätten.
Mit Urteil vom 15.01.2008 hat das Sozialgericht dem Antrag des Klägers entsprechend die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 20.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 verurteilt, den Unfall des Klägers vom 05.09.2004 als Versicherungsfall anzuerkennen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihr am 23.01.2008 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 13.02.2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Der Kläger habe bei dem Unfall nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden. Für die Annahme einer Gefahr, die einen schweren gesundheitsbeeinflussenden seelischen Schock herbeizuführen geeignet sei, fehle es im vorliegenden Fall an jeder Objektivierung. Dass ein Kind weine, noch dazu auf einem Kinderspielplatz, könne nicht unmittelbar mit einer Situation in Verbindung gebracht werden, die geeignet sei, einen schweren gesundheitsbeeinflussenden seelischen Schock herbeizuführen.
Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB VII seien nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.01.2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat zur Untermauerung seines Vortrags Unterlagen aus dem von ihm angestrengten Zivilprozess gegen die Stadt X, in dem um deren Schadensersatzpflicht wegen des Unfalls vom 05.09.2004 gestritten wurde, vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen; ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeit). Anders als das Sozialgericht sieht der Senat die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII hier allerdings nicht als gegeben an. Nach dieser Bestimmung stehen Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten, unter Versicherungsschutz. Dabei reicht ein Rettungswille allein nicht aus; vielmehr ist zusätzlich darauf abzustellen, ob der Hilfeleistende nach den Umständen des Einzelfalles annehmen durfte, es liege ein Unglückfall oder eine andere Gefahr oder Notsituation im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII vor (vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 9a Reichsversicherungsordnung - RVO - BSGE 37, 38; BSG Urteil vom 11.12.1980 - 2/8a RU 102/78 = USK 80300). Daran fehlt es hier. Der Kläger konnte aus den Gesamtumständen nicht den Schluss ziehen, dass eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit des Mädchens bestand. Denn es gab weder Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Kind sich verletzt hatte, noch bestanden irgendwelche Hinweise dafür, dass von dem umzäunten Grundstück eine Gefahr ausgehen oder das Kind durch eigenes Verhalten in eine konkrete Gefahrensituation geraten könnte. Der Senat vermag - anders als das Sozialgericht - auch keine objektiven Anhaltspunkte zu erkennen, die für den Kläger den Schluss zugelassen hätten, dass durch sein Handeln eine schwere seelische Belastung des Kindes beendet werde.
Ebenso wie das Sozialgericht geht der Senat aber davon aus, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden hat. Nach dieser Vorschrift sind auch Personen versichert, die wie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO iVm § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO, dessen Regelung im wesentlichen der des hier anzuwendenen § 2 Abs. 2 SGB VII iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII entspricht, voraus, dass - selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt - eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSGGE 5, 168, 174; 14, 1, 4; 15, 292, 294 = SozR Nr. 25 zu § 537 RVO aF; BSGE 16, 73, 76 = SozR Nr. 26 zu § 537 RVO aF; BSGE 17; 211, 216 = SozR Nr. 30 zu § 537 RVO aF; BSGE 34, 240, 242 = SozR Nr. 32 zu § 539 RVO; BSG SozR Nrn. 16, 23, 29 zu § 537 RVO aF; SozR Nr. 27 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 539 Nrn. 55, 66, 93, 119; BSG Urteile vom 29. November 1972 - 8/2 RU 200/71 - USK 72178, 30. November 1972 - 2 RU 195/71 - USK 72202, 27 Juni 1974 - 2 RU 23/73 - USK 74127 und 25. August 1982 - 2 RU 25/81 - USK 82194). Bei einer Tätigkeit gemäß § 539 Abs. 2 RVO braucht eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen nicht vorzuliegen, weiterhin sind die Beweggründe des Handelns für den Versicherungsschutz unerheblich (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 16 mwN). Grundsätzlich entfällt der Versicherungsschutz auch nicht bei Freundschafts- und Gefälligkeitsdiensten (BSGE 5, 168, 172; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 55). Nicht jede unter diesen Voraussetzungen geleistete Tätigkeit unterliegt jedoch dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Vielmehr muss die Verrichtung nach ihrer Art und nach den Umständen, unter denen sie geleistet worden ist, einer Tätigkeit aufgrund eines (abhängigen) Beschäftigungsverhältnisses der in § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bzw. § 2 Abs. 1 SGB VII bezeichneten Art ähneln (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 119 mwN). Dabei ist die Tätigkeit des Verletzten nicht allein nach der unmittelbar zum Unfall führenden Verrichtung zu beurteilen, sondern nach dem Gesamtbild des ausgeführten und beabsichtigten Vorhabens (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 8 m.w.N.). Auf die Zeitdauer der Tätigkeit kommt es allein nicht an; vielmehr ist der Zeitdauer lediglich innerhalb des Gesamtbildes vor allem bei Hilfeleistungen unter Verwandten und Tätigkeiten im Rahmen von Mitgliedschaftspflichten die ihr zukommende, nicht aber eine selbständige Bedeutung beizumessen (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 134). Wie bei allen Zurechnungsentscheidungen sind dementsprechend die gesamten Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild für die Beurteilung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 2 RVO in Betracht zu ziehen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 8).
Nach diesen Grundsätzen stand das zum Unfall führende Tätigwerden des Klägers unter Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Der Kläger hat eine dem als Unternehmen in Betracht kommenden Haushalt der Mutter des Kindes zu dienen bestimmte und auch deren erklärtem Willen entsprechende ernsthafte Tätigkeit verrichtet, als er am 05.09.2004 über den Zaun kletterte, das Mädchen auf die andere Zaunseite beförderte und beim anschließenden Zurückklettern verunglückte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger - wie er selbst angegeben hat - das Mädchen unter einem Tor durchgeschoben oder es - wie die Mutter des Kindes bekundet hat - über den Zaun geschoben hat. Die Tätigkeit konnte auch ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen. Dabei ist es unerheblich, ob die Mutter ohne die Hilfeleistung des unentgeltlich tätig werdenden Klägers tatsächlich eine solche Person beschäftigt hätte. Es kommt nicht darauf an, ob solche Personen von dem Unternehmen üblicherweise beschäftigt werden; es genügt, dass sie nach Art der Tätigkeit beschäftigt werden könnten (s. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 20; SozR 2200 § 539 Nr. 55). Die Hilfeleistung durch den Kläger wurde auch unter Umständen geleistet, die einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich sind.
Dass der wirtschaftliche Wert der Arbeit gering ist, steht der Anwendung des § 2 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen (vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 539 Abs. 2 RVO BSGE 25, 102; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 60; BSG Urteil vom 27.03.1990 - 2 RU 32/89 -). Nach ihrem Gesamtbild ist die Tätigkeit des Klägers nicht geringer zu bewerten als z. B. das - unter Versicherungsschutz stehende - Anschieben eines PKW, dessen Motor nicht anspringt (BSGE 35, 140) oder das Herausziehen eines im Sand stecken gebliebenen Wagens (BSG Urteil vom 25.01.1973 - 2 RU 159/72 -). Die Tätigkeit des Klägers geht aber nach Art und Umfang deutlich über das von der Beklagten als Beispiele für unversicherte Hilfeleistungen genannte Anschwung geben, Auffangen eines Kindes nach einem Sprung oder Trösten eines Kleinkindes nach einem Sturz hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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