Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 R 566/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 466/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gesetzlicher Richter, Gerichtsbescheid
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2007 wird aufgehoben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Zusatzversorgungsträger Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und das in dieser Zeit erzielte Entgelt festzustellen hat.
Der im November 1959 geborene Kläger leistete vom 1978 bis 1981 seinen Wehrdienst ab. Dieser Zeitraum wurde später mit Bescheid der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 21. September 2004 als Zeit nach § 8 Abs. 2 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) anerkannt.
Ausweislich der Urkunde der Technischen Hochschule M. vom 1986 ist der Kläger berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplomingenieur zu führen. Am 1986 nahm er eine Tätigkeit als K. im VEB Starkstrom-Anlagenbau M. auf und übte diese Tätigkeit über den 30. Juni 1990 hinaus aus.
Den Antrag des Klägers vom 15. Januar 2004 auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 zurück und führte zur Begründung aus, die Tätigkeit des Klägers falle nicht unter das AAÜG. Die Voraussetzungen des § 1 AAÜG seien nicht erfüllt, da der Kläger am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und legte dar, alle Voraussetzungen lägen bei ihm vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, maßgeblich für die Anwendung des § 5 AAÜG sei, ob die ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach (abstrakt-generell) von einem Versorgungssystem erfasst worden sei. Da der Beschäftigungsbetrieb des Klägers – der VEB Starkstrom-Anlagenbau M. – der Wirtschaftsgruppe 16619 (Reparatur- und Montagebetriebe der elektronischen Industrie) zugeordnet gewesen sei, habe es sich nicht um einen Betrieb gehandelt, dem die industrielle Produktion das Gepräge gegeben habe.
Hiergegen hat der Kläger am 16. Juni 2005 Klage erhoben und die Tätigkeit des VEB Starkstromanlagenbau M. näher geschildert. Den Schwerpunkt habe die Massenherstellung von Sachgütern gebildet. Weiter hat der Kläger eine Leistungseinschätzung über seinen Arbeitseinsatz von Januar 1987 bis Dezember 1988 vorgelegt. Danach war er als F. bzw. E. in der Abteilung E. beschäftigt. Ferner hat der Kläger seinen mit dem VEB Starkstrom-Anlagenbau M.bestehenden Arbeitsvertrag vom 1985 vorgelegt, wonach er als K. eingestellt wurde.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2007 hat das Sozialgericht Magdeburg die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Prüfung der angefochtene Bescheid im Ergebnis nicht zu beanstanden sei. Neben den durch den 4. Senat des Bundessozialgerichts für eine fiktive Einbeziehung definierten Kriterien komme es nach Auffassung der Kammer darauf an, dass "Personen der technischen Intelligenz" auch noch am 30. Juni 1990 durch rechtsmittelfähigen Beschluss einbezogen werden konnten. Dies erscheine aber angesichts der tiefgreifenden Umwälzungen in der DDR zum damaligen Zeitpunkt geradezu ausgeschlossen. Dementsprechend sehe man eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vor. Mit Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben näher dargelegt. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen können, noch Ansprüche oder Anwartschaften aus der Altersversorgung der technischen Intelligenz erwerben zu können.
Gegen den ihn am 2. November 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29. November 2007 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er rügt sinngemäß die erstinstanzliche Entscheidung einschließlich der Entscheidung durch Gerichtsbescheid anstatt durch Urteil.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Mit Schreiben vom 2. September 2008 hat sie klargestellt, dass der Rechtsstreit nicht um die Eröffnung des AAÜG, sondern nur um die Anerkennung weiterer Zeiten nach § 5 AAÜG geführt werde. Unter dem 1. Oktober 2008 hat sie ein "Anerkenntnis" abgegeben, "dass das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz gemäß § 1 Abs. 1 dieser Vorschrift im anhängigen Verfahren anwendbar ist." Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen. Der Kläger und die Beklagte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung des Senates.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2007 war aufzuheben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Ein Verfahrensmangel im Sinne dieser Norm ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 159 Rdnr. 3, 3 a m. w. N.). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an mehreren wesentlichen Verfahrensmängeln (dazu unter a-c).
a) Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter mittels Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Regelung 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorlagen. Dadurch hat es den Kläger seinem gesetzlichen Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) entzogen, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 125 SGG). Die vom Gesetz bestimmte Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens, der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R – SozR 4 - 1500 § 105 Nr. 1). Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Sachverhalt ist geklärt, wenn sich dem Gericht aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG keine weiteren Ermittlungen aufdrängen (Pawlak in Hennig, SGG, § 105 Rdnr. 34) und aufgrund fehlender Aufklärungsmöglichkeiten keine Beweislastentscheidung getroffen werden muss. Bei der Frage, ob ein schwieriger Fall vorliegt, steht dem Sozialgericht ein Beurteilungsspielraum zu (BSG, a.a.O.; Pawlak in Hennig, SGG, § 105 Rdnr. 40). Das Landessozialgericht kann im Allgemeinen nur prüfen, ob die Grenzen dieses Spielraums überschritten sind. Zu den Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid enthält die angefochtene Entscheidung keinerlei Ausführungen. Es ist dem Gerichtsbescheid nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen, ob sich die Kammer der Voraussetzungen für eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheid überhaupt bewusst gewesen ist. Dies wiegt umso schwerer, als das Sozialgericht scheinbar sogar bewusst von der ihm bekannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweicht, wonach eine fiktive Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz möglich ist. Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat für die Fälle des § 5 AAÜG angeschlossen (Urteil vom 23. November 2006 – L 1 RA 243/03 –); ein solcher Fall könnte hier vorliegen, so dass die Rechtslage in der DDR am 30. Juni 1990 unerheblich sein könnte. Zwar ist das Sozialgericht nicht an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden. Allerdings lag dann eine besondere Schwierigkeit rechtlicher Art vor, die eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid unzulässig machte. Dieser Besetzungsmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
b) Zudem hat das Sozialgericht seine Entscheidung, mittels Gerichtsbescheid zu entscheiden, nach § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG zu begründen. Dies hat es hier nicht getan. Denn Entscheidungsgründe fehlen schon, wenn sogar nur zu einem entscheidungserheblichen Streitpunkt die Erwägungen, die das Gericht zu dem Entscheidungsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind (BSG, Urteil vom 15. November 1988 – 4/11 a RA 20/87 – SozR 1500 § 136 Nr. 10; BSG, Urteil vom 3. Mai 1984 – 11 BA 188/83 – SozR 1500 § 136 Nr. 8; Pawlak in Hennig, SGG, § 136 Rdnr. 71 m. w. N.). Es liegt ein grober Verfahrensfehler vor, wenn den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen ist, auf Grund welcher Tatsachen und Erwägungen das Gericht zu seinen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Folgerungen gekommen ist (BGH, Urteil vom 7. März 2001 – X ZR 176/99 – BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Sachverständigenbeweis 32). Schon verfassungsrechtlich ist eine Begründung jedenfalls dann geboten, wenn ein Gericht von dem eindeutigen Wortlaut (hier: "keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art") oder von der höchstrichterlichen Auslegung einer Norm abweicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 1985 – 2 BvR 1434/83 – BVerfGE 71, 122, S. 135 f.). Das ist gerade deshalb erforderlich, weil die Gerichte nur dem Gesetz unterworfen sind und bei der Auslegung und Anwendung von Normen weder einer vorherrschenden Meinung folgen noch den von einem übergeordneten Gericht vertretenen Standpunkt zugrunde legen müssen, sondern ihre eigene Rechtsauffassung vertreten können. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verlangt das Willkürverbot, dass die eigene Auffassung begründet wird (BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1995 – 1 BvR 1506/93 – NJW 1995, S. 2911). Dieser Fehler ist auch wesentlich, da es ohne weiteres denkbar ist, dass das Sozialgericht bei dem Versuch der Begründung seiner Entscheidung auch die damit verbundenen Probleme anders gesehen hätte und dementsprechend zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.
c) Weiterhin ist eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur zulässig, wenn die Beteiligten zuvor gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG ordnungsgemäß angehört worden sind. Dies gewährleistet der Grundsatz auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art. 103 Abs. 1 GG). Aus der Anhörungsmitteilung muss zu entnehmen sein, dass Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Vorgehensweise gegeben wird.
Die hier vorgenommene Anhörung ist verfahrensfehlerhaft. Denn sie muss klarstellen, dass das Gericht im konkreten Fall vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGG ausgeht und eine mündliche Verhandlung nicht beabsichtigt ist. Die Voraussetzungen des § 105 SGG werden in dem Anhörungsschreiben nicht erwähnt. Es ist vorstellbar, dass bei einer ordnungsgemäßen Anhörung überzeugende Gründe für eine Entscheidung mit ehrenamtlichen Richtern vorgetragen worden wären und die Entscheidung mit diesen anders ausgefallen wäre.
Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreites einerseits mit den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits miteinander abgewogen. Dabei geht der Senat davon aus, dass angesichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ausgeschlossen ist, dass die Klage Erfolg hat.
Angesichts der ganz erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens, der fehlenden Entscheidungsreife und auch des Umstandes, dass der Kläger selbst Wert auf eine persönliche Anhörung gelegt hat, hat sich der Senat für eine Zurückverweisung entschieden. Das Sozialgericht wird auch zu prüfen haben, ob ein weiteres Gerichtsverfahren des Klägers rechtshängig ist und welche Schlüsse hieraus ggf. zu ziehen sind.
Es wird auch über die Kosten zu entscheiden haben.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Zusatzversorgungsträger Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und das in dieser Zeit erzielte Entgelt festzustellen hat.
Der im November 1959 geborene Kläger leistete vom 1978 bis 1981 seinen Wehrdienst ab. Dieser Zeitraum wurde später mit Bescheid der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 21. September 2004 als Zeit nach § 8 Abs. 2 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) anerkannt.
Ausweislich der Urkunde der Technischen Hochschule M. vom 1986 ist der Kläger berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplomingenieur zu führen. Am 1986 nahm er eine Tätigkeit als K. im VEB Starkstrom-Anlagenbau M. auf und übte diese Tätigkeit über den 30. Juni 1990 hinaus aus.
Den Antrag des Klägers vom 15. Januar 2004 auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 zurück und führte zur Begründung aus, die Tätigkeit des Klägers falle nicht unter das AAÜG. Die Voraussetzungen des § 1 AAÜG seien nicht erfüllt, da der Kläger am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und legte dar, alle Voraussetzungen lägen bei ihm vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, maßgeblich für die Anwendung des § 5 AAÜG sei, ob die ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach (abstrakt-generell) von einem Versorgungssystem erfasst worden sei. Da der Beschäftigungsbetrieb des Klägers – der VEB Starkstrom-Anlagenbau M. – der Wirtschaftsgruppe 16619 (Reparatur- und Montagebetriebe der elektronischen Industrie) zugeordnet gewesen sei, habe es sich nicht um einen Betrieb gehandelt, dem die industrielle Produktion das Gepräge gegeben habe.
Hiergegen hat der Kläger am 16. Juni 2005 Klage erhoben und die Tätigkeit des VEB Starkstromanlagenbau M. näher geschildert. Den Schwerpunkt habe die Massenherstellung von Sachgütern gebildet. Weiter hat der Kläger eine Leistungseinschätzung über seinen Arbeitseinsatz von Januar 1987 bis Dezember 1988 vorgelegt. Danach war er als F. bzw. E. in der Abteilung E. beschäftigt. Ferner hat der Kläger seinen mit dem VEB Starkstrom-Anlagenbau M.bestehenden Arbeitsvertrag vom 1985 vorgelegt, wonach er als K. eingestellt wurde.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2007 hat das Sozialgericht Magdeburg die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Prüfung der angefochtene Bescheid im Ergebnis nicht zu beanstanden sei. Neben den durch den 4. Senat des Bundessozialgerichts für eine fiktive Einbeziehung definierten Kriterien komme es nach Auffassung der Kammer darauf an, dass "Personen der technischen Intelligenz" auch noch am 30. Juni 1990 durch rechtsmittelfähigen Beschluss einbezogen werden konnten. Dies erscheine aber angesichts der tiefgreifenden Umwälzungen in der DDR zum damaligen Zeitpunkt geradezu ausgeschlossen. Dementsprechend sehe man eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vor. Mit Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben näher dargelegt. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen können, noch Ansprüche oder Anwartschaften aus der Altersversorgung der technischen Intelligenz erwerben zu können.
Gegen den ihn am 2. November 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29. November 2007 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er rügt sinngemäß die erstinstanzliche Entscheidung einschließlich der Entscheidung durch Gerichtsbescheid anstatt durch Urteil.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Mit Schreiben vom 2. September 2008 hat sie klargestellt, dass der Rechtsstreit nicht um die Eröffnung des AAÜG, sondern nur um die Anerkennung weiterer Zeiten nach § 5 AAÜG geführt werde. Unter dem 1. Oktober 2008 hat sie ein "Anerkenntnis" abgegeben, "dass das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz gemäß § 1 Abs. 1 dieser Vorschrift im anhängigen Verfahren anwendbar ist." Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen. Der Kläger und die Beklagte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung des Senates.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2007 war aufzuheben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Ein Verfahrensmangel im Sinne dieser Norm ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 159 Rdnr. 3, 3 a m. w. N.). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an mehreren wesentlichen Verfahrensmängeln (dazu unter a-c).
a) Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter mittels Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Regelung 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorlagen. Dadurch hat es den Kläger seinem gesetzlichen Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) entzogen, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 125 SGG). Die vom Gesetz bestimmte Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens, der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R – SozR 4 - 1500 § 105 Nr. 1). Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Sachverhalt ist geklärt, wenn sich dem Gericht aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG keine weiteren Ermittlungen aufdrängen (Pawlak in Hennig, SGG, § 105 Rdnr. 34) und aufgrund fehlender Aufklärungsmöglichkeiten keine Beweislastentscheidung getroffen werden muss. Bei der Frage, ob ein schwieriger Fall vorliegt, steht dem Sozialgericht ein Beurteilungsspielraum zu (BSG, a.a.O.; Pawlak in Hennig, SGG, § 105 Rdnr. 40). Das Landessozialgericht kann im Allgemeinen nur prüfen, ob die Grenzen dieses Spielraums überschritten sind. Zu den Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid enthält die angefochtene Entscheidung keinerlei Ausführungen. Es ist dem Gerichtsbescheid nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen, ob sich die Kammer der Voraussetzungen für eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheid überhaupt bewusst gewesen ist. Dies wiegt umso schwerer, als das Sozialgericht scheinbar sogar bewusst von der ihm bekannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweicht, wonach eine fiktive Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz möglich ist. Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat für die Fälle des § 5 AAÜG angeschlossen (Urteil vom 23. November 2006 – L 1 RA 243/03 –); ein solcher Fall könnte hier vorliegen, so dass die Rechtslage in der DDR am 30. Juni 1990 unerheblich sein könnte. Zwar ist das Sozialgericht nicht an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden. Allerdings lag dann eine besondere Schwierigkeit rechtlicher Art vor, die eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid unzulässig machte. Dieser Besetzungsmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
b) Zudem hat das Sozialgericht seine Entscheidung, mittels Gerichtsbescheid zu entscheiden, nach § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG zu begründen. Dies hat es hier nicht getan. Denn Entscheidungsgründe fehlen schon, wenn sogar nur zu einem entscheidungserheblichen Streitpunkt die Erwägungen, die das Gericht zu dem Entscheidungsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind (BSG, Urteil vom 15. November 1988 – 4/11 a RA 20/87 – SozR 1500 § 136 Nr. 10; BSG, Urteil vom 3. Mai 1984 – 11 BA 188/83 – SozR 1500 § 136 Nr. 8; Pawlak in Hennig, SGG, § 136 Rdnr. 71 m. w. N.). Es liegt ein grober Verfahrensfehler vor, wenn den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen ist, auf Grund welcher Tatsachen und Erwägungen das Gericht zu seinen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Folgerungen gekommen ist (BGH, Urteil vom 7. März 2001 – X ZR 176/99 – BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Sachverständigenbeweis 32). Schon verfassungsrechtlich ist eine Begründung jedenfalls dann geboten, wenn ein Gericht von dem eindeutigen Wortlaut (hier: "keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art") oder von der höchstrichterlichen Auslegung einer Norm abweicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 1985 – 2 BvR 1434/83 – BVerfGE 71, 122, S. 135 f.). Das ist gerade deshalb erforderlich, weil die Gerichte nur dem Gesetz unterworfen sind und bei der Auslegung und Anwendung von Normen weder einer vorherrschenden Meinung folgen noch den von einem übergeordneten Gericht vertretenen Standpunkt zugrunde legen müssen, sondern ihre eigene Rechtsauffassung vertreten können. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verlangt das Willkürverbot, dass die eigene Auffassung begründet wird (BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1995 – 1 BvR 1506/93 – NJW 1995, S. 2911). Dieser Fehler ist auch wesentlich, da es ohne weiteres denkbar ist, dass das Sozialgericht bei dem Versuch der Begründung seiner Entscheidung auch die damit verbundenen Probleme anders gesehen hätte und dementsprechend zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.
c) Weiterhin ist eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur zulässig, wenn die Beteiligten zuvor gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG ordnungsgemäß angehört worden sind. Dies gewährleistet der Grundsatz auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art. 103 Abs. 1 GG). Aus der Anhörungsmitteilung muss zu entnehmen sein, dass Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Vorgehensweise gegeben wird.
Die hier vorgenommene Anhörung ist verfahrensfehlerhaft. Denn sie muss klarstellen, dass das Gericht im konkreten Fall vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGG ausgeht und eine mündliche Verhandlung nicht beabsichtigt ist. Die Voraussetzungen des § 105 SGG werden in dem Anhörungsschreiben nicht erwähnt. Es ist vorstellbar, dass bei einer ordnungsgemäßen Anhörung überzeugende Gründe für eine Entscheidung mit ehrenamtlichen Richtern vorgetragen worden wären und die Entscheidung mit diesen anders ausgefallen wäre.
Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreites einerseits mit den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits miteinander abgewogen. Dabei geht der Senat davon aus, dass angesichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ausgeschlossen ist, dass die Klage Erfolg hat.
Angesichts der ganz erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens, der fehlenden Entscheidungsreife und auch des Umstandes, dass der Kläger selbst Wert auf eine persönliche Anhörung gelegt hat, hat sich der Senat für eine Zurückverweisung entschieden. Das Sozialgericht wird auch zu prüfen haben, ob ein weiteres Gerichtsverfahren des Klägers rechtshängig ist und welche Schlüsse hieraus ggf. zu ziehen sind.
Es wird auch über die Kosten zu entscheiden haben.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht.
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