L 2 AS 1280/09 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 4447/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1280/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Es kann offen bleiben, ob die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Reutlingen (SG) vom 23. Mai 2007 zulässig ist (vgl. § 141 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Streitgegenstand des dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 8. Juni 2007 zugestellten Urteils des SG war der Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2006, mit dem die Regelleistung des Klägers für den Zeitraum November 2006 bis Januar 2007 um monatlich 30 v. H., also insgesamt in Höhe von 310,50 EUR abgesenkt wurde. Obwohl demnach gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung die Berufung der Zulassung bedurft hätte, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes der Klage, die eine Geldleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betraf, 500 EUR nicht überstiegen hat, hat das Urteil über das Rechtsmittel der Berufung belehrt. Diese hat der Kläger auch fristgemäß am 3. Juli 2007 beim Landessozialgericht erhoben. Das allein gegebene Rechtmittel der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG hat der Kläger jedoch erst am 18. März 2009 - also nicht binnen der Monatsfrist gem. § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG - erhoben. Allerdings ist gem. § 66 Abs. 2 SGG dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt wurde, die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist in Folge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Nimmt man an, dass bei Belehrung über ein vermeintlich statthaftes Rechtsmittel - hier die Berufung - eine Belehrung im Sinne des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG dahin erfolgt ist, dass "ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei", kann auch nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist noch Wiedereinsetzung beantragt werden (so Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 19/06 R -; offen gelassen in BSG SozR - 1500 § 158 Nr. 1 und SozR 4 - 4300 § 323 Nr.1). Darüber, ob vorliegend Wiedereinsetzung in die Ein-Jahres-Frist des § 66 Abs. 2 SGG zu gewähren wäre und damit seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 23. Mai 2007 zulässig wäre, braucht jedoch nicht entschieden werden, da die Beschwerde jedenfalls nicht begründet ist. Die Voraussetzung für eine Zulassung liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG - sowohl in der bereits seit 6. März 2008 als auch in der im 1. April 2008 geltenden Fassung - bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder ein hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 EUR bzw. 750 EUR nicht übersteigt. Die Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als 1 Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht. Gegenstand der vom Kläger erhobenen Klage (S 5 AS 4447/06) war der Bescheid vom 5. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2006, mit welchem die SGB II-Leistung des Klägers für den Zeitraum November 2006 bis Januar 2007 im Umfange von monatliche 30%, also insgesamt in einer Höhe von 310,50 EUR abgesenkt wurde. Der Beschwerdewert überschreitet damit offensichtlich nicht den Betrag von 500 EUR bzw. 750 EUR.

Da das SG die Berufung im Urteil nicht zugelassen hat, bedarf die Berufung der Zulassung durch Beschluss des Landessozialgerichts (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Anhaltspunkte dafür, dass das Urteil des SG grundsätzliche Bedeutung hat oder von einer Entscheidung eines der oben genannten Gerichte abweicht, bestehen nicht; hierzu bedarf es deshalb keiner weiteren Ausführungen des Senats, zumal der Kläger seine Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht auf einen Zulassungsgrund aus § 144 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG gestützt hat.

Schließlich liegt auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht vor, da der Kläger keine der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmängel geltend gemacht hat, die vorliegen und auf denen das Urteil beruhen kann. Ein Verfahrensmangel liegt nur vor bei einem Verstoß des erstinstanzlichen Gerichts gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils. Es geht insoweit nicht um die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil. Ein Verfahrensmangel verpflichtet nur dann zur Zulassung der Berufung, wenn er gerügt (geltend gemacht) wird. Dafür genügt es, wenn Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, aus denen sich der Mangel des Verfahrens ergibt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Ein Verfahrensfehler des Sozialgerichts, der zur Zulassung der Berufung führen müsste, ist nicht darin begründet, dass das SG auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen ist, irgendwelche Arbeitstätigkeiten auszuführen, da ein geordneter Gedankenablauf und ein der Gesellschaft entsprechendes Verhalten bei ihm zu keiner Zeit vorgelegen habe aufgrund seiner alkoholbedingt deutlich herabgeminderten Einsichts- und Wahrnehmungsfähigkeit, verzichtet hat. Denn das SG hat hierdurch seine Pflicht zur Amtsermittlung nicht verletzt. Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann auf die Übergehung eines Beweisantrages - im Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 16. Januar 2007 dürfte es sich im Übrigen nicht um einen Beweisantrag, sondern um eine Beweisanregung gehandelt haben - gestützt werden, dem das SG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu muss der Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gestellt oder, falls er vorher schriftsätzlich niedergelegt war, aufrechterhalten werden (vgl. BSG, Beschluss vom 21. August 2007 - B 3 P 18/07 B -, veröffentlicht in Juris). Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereiteten Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er bis zur Entscheidung des Sozialgerichts nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn diese einen zuvor angekündigten Beweisantrag nicht mehr wiederholt haben (vgl. BSG, Beschluss vom 20. September 2007 - B 5a/5 R 262/07 B -, veröffentlicht in Juris). Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2007 die zuvor im Schriftsatz vom 16. Mai 2007 enthaltene Beweisanregung nicht als Beweisantrag "wiederholt" hat, ist auch für § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG in Anlehnung an die ständige Rechtssprechung des BSG zu § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG in einem solchen Falle grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung der Pflicht der Amtsermittlung durch Übergehen eines Beweisantrages nicht gegeben ist.

Ob das SG den Rechtsstreit richtig entschieden, namentlich die festgestellten Tatsachen richtig gewürdigt hat, ist dagegen im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Die sachliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt nach § 144 Abs. 2 SGG keinen Grund dar, eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Vielmehr soll es gem. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG bei Verfahren mit geringem Streitwert - wie hier - grundsätzlich mit einer gerichtlichen sachlichen Überprüfung des Klagebegehrens sein Bewenden haben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren wegen der Nichtzulassung der Berufung und Beiordnung von Rechtsanwalt Glaenz wird abgelehnt.

Gem. § 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Die Rechtsverfolgung hat von vorneherein keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die gesetzlichen Gründe für die Zulassung der Berufung nicht vorliegen.

Diese Entscheidungen sind mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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