L 9 KR 230/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 660/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 230/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Mitgliedschaft des Klägers als Pflichtversicherter in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) über den 31. März 2001 hinaus.

Der 1970 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Im Juli 1987 erwarb er nach 10jährigem Schulbesuch den Abschluss an einer Polytechnischen Oberschule. Von September 1987 bis Juli 1989 unterzog er sich einer Ausbildung zum Wirtschaftskaufmann. In diesem Beruf war er anschließend bis April 1994 tätig. Von Mai bis August 1994 war der Kläger arbeitslos. Vom 15. August 1994 an besuchte er das F-K und legte dort am 15. Juli 1997 das Abitur ab. Von April 1998 bis März 1999 besuchte er eine vom Arbeitsamt finanzierte Fortbildungsmaßnahme im Bereich Film- und Medienmanagement. Von April bis September 1999 folgte Arbeitslosigkeit. Ab dem 1. Oktober 1999 studierte der Kläger an der H U zu B germanistische Linguistik, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre im Magisterstudiengang. Hierbei war er zunächst Mitglied in der KVdS bei der Beklagten.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2001 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Mitgliedschaft in der KVdS gesetzlich im Regelfall mit dem Ablauf des 14. Fachsemesters, spätestens mit Vollendung des 30. Lebensjahres, ende. Die Versicherungspflicht des Klägers als Student ende daher am 31. März 2001. Die Mitgliedschaft könne im Rahmen einer freiwilligen Krankenversicherung fortgeführt werden. Nachdem der Kläger angemerkt hatte, dass in seinem Lebenslauf Verlängerungstatbestände für die Pflichtversicherung als Student vorlägen, blieb die Beklagte bei ihrer Auffassung und stellte mit Bescheid vom 3. Mai 2001 fest, dass die studentische Pflichtversicherung am 31. März 2001 ende. Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, das Abitur im zweiten Bildungsweg erworben zu haben und sich danach für das Wintersemester 1997/1998 erfolglos um die Aufnahme für den Studiengang Publizistik an der H U zu B beworben zu haben. Ein universitätsinterner Numerus Clausus habe die Zulassung verhindert. Damit lägen mehrere Hinderungsgründe im Sinne des Gesetzes vor, so dass seine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Studenten fortdauern müsse. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2002 lehnte die Beklagte eine Verlängerung der studentischen Pflichtversicherung des Klägers ab. Zu betrachten sei der Zeitraum von August 1987 bis September 1999. Dabei handele es sich um gut 12 Jahre. Als Hinderungszeit anerkannt werden könne lediglich die Berufsausbildung mit 1 Jahr und 10 ½ Monaten sowie die Ausbildung im zweiten Bildungsweg von 2 Jahren und 11 ½ Monaten. Die Nichtzulassung im Auswahlverfahren für das Wintersemester 1997/98, die nicht nachgewiesen sei, falle mit 6 Monaten ins Gewicht. Die anzuerkennenden Hinderungszeiten umfassten danach höchstens 5 Jahre und 4 Monate, mithin nicht den überwiegenden Teil der zu betrachtenden gut 12 Jahre.

Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte erneut geltend, der Erwerb des Abiturs über den zweiten Bildungsweg müsse entscheidungserheblich ins Gewicht fallen.

Mit Bescheid vom 4. April 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Es bleibe dabei, dass der Kläger in der 12 Jahre und 2 Monate umfassenden Rahmenfrist höchstens Hinderungszeiten von 5 Jahren und 4 Monaten aufweisen könne. Die Hinderungszeiten hätten bis zum Beginn des Studiums nicht im Wesentlichen durchgehend bzw. überwiegend bestanden und seien damit nicht die Hauptursache für die verspätete Aufnahme des Studiums.

Mit der am 2. Mai 2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat im Wesentlichen vorgetragen, die in seiner Biografie liegenden Hinderungsgründe – Abitur im zweiten Bildungsweg, erfolglose Bewerbung an einer Hochschule – seien ursächlich für das Überschreiten der Altersgrenze. Bis zu seinem 19. Lebensjahr habe er sich in der Berufsausbildung befunden; er dürfe nicht schlechter behandelt werden als diejenigen, die etwa im Alter von 19 Jahren ihr Abitur abgelegt hätten. Die Notwendigkeit, den zweiten Bildungsweg zu besuchen, dürfe nicht zu seinem Nachteil gereichen. Die im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung zuviel geleisteten Beiträge seien von der Beklagten zurückzuerstatten.

Die Klage mit dem Antrag festzustellen, dass der Kläger auch in der Zeit vom 1. April 2001 bis 30. Oktober 2004 in der KVdS pflichtversichert war, und die Beklagte zu verurteilen, ihm die für diesen Zeitraum entrichteten Krankenversicherungsbeiträge in voller Höhe nebst Zinsen zu erstatten, hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 24. März 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Über den 31. März 2001 hinaus sei der Kläger nicht Mitglied in der Pflichtversicherung der KVdS gewesen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9, 2. Halbsatz SGB V seien Studenten nach dem 30. Lebensjahr nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des zweiten Bildungsweges, die Überschreitungen der Altersgrenze rechtfertigten. Als Hinderungsgründe seien beim Kläger die Zeiten anzuerkennen, in denen er an der Aufnahme des Studiums gehindert gewesen sei. Das gelte zunächst für die knapp drei Jahre, die er am F-K für den Erwerb der Hochschulreife verbracht habe. Anzuerkennen sei außerdem die Zeit seiner Berufstätigkeit, die Voraussetzung für das Beschreiten des zweiten Bildungsweges gewesen sei, hier also 3 Jahre. Im Übrigen lägen Hinderungsgründe im maßgeblichen Zeitraum von 12 Jahren und 2 Monaten nicht vor. Von einem deutlichen Überwiegen der Hinderungsgründe könne damit nicht gesprochen werden.

Gegen das ihm am 24. April 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Mai 2006 Berufung eingelegt. Zu ihrer Begründung vertieft er sein Vorbringen aus Widerspruchs- und Klageverfahren. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebe sich eindeutig, dass der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des zweiten Bildungsweges zu einem Hinausschieben der Altersgrenze führen müsse. Die Mitgliedschaft in der KVdS müsse durch die Anerkennung der Hinderungsgründe 3 ½ Jahre nach Vollendung des 30. Lebensjahres enden. Im Übrigen müsse darauf geachtet werden, dass es im Recht der Ausbildungsförderung (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BAFöG) und im Recht der Krankenversicherung nicht zu unterschiedlichen Wertungen komme.

Der Kläger beantragt u.a. wörtlich,

1. das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24.03.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 9.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.04.2003 aufzuheben,

2. festzustellen, dass der Kläger auch in der Zeit vom 1.04.2001 bis 31.10.2004 in der Krankenversicherung der Studenten pflichtversichert war,

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1.04.2001 bis 31.10.2004 entrichteten Krankenversicherungsbeiträge abzüglich der für die Mitgliedschaft in der studentischen Krankenversicherung verbleibenden Beiträge zu erstatten nebst 4 % Zinsen hieraus ab dem 25.11.2002.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und betont, auch bei Absolventen des zweiten Bildungsweges bestehe keine Ausnahme von dem Erfordernis, dass für die Überschreitung der Altersgrenze der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer entsprechenden Ausbildungsstätte ursächlich gewesen sein müsse. Diese Ursächlichkeit sei im Falle des Klägers nicht gegeben.

Ermittlungen des Berichterstatters beim F K haben ergeben, dass die Berufsausbildung des Klägers vom 1. September 1987 bis zum 15. Juli 1989 ausreichend war, um zum Besuch des Zweiten Bildungsweges zugelassen zu werden.

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 7. November 2008 mündlich erörtert.

II.

Der Senat darf über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGG).

Das Begehren des Klägers richtet sich im Wesentlichen auf die Feststellung, auch in der Zeit vom 1.04.2001 bis 31.10.2004 in der Krankenversicherung der Studenten pflichtversichert gewesen zu sein; der Anfechtung unterliegen dabei die Bescheide der Beklagten vom 3. Mai 2001 und vom 9. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2003.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass der Kläger nicht über den 31. März 2001 hinaus in der Krankenversicherung der Studenten pflichtversichert ist.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9, zweiter Halbsatz SGB V sind Studenten nach Abschluss des vierzehnten Fachsemesters oder nach Vollendung des dreißigsten Lebensjahres nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen.

Keine dieser Voraussetzungen ist im Falle des Klägers erfüllt.

Die Ausnahmeregelung in § 5 Abs. 1 Nr. 9, zweiter Halbsatz SGB V ist eng auszulegen (vgl. hierzu und zum Folgenden Peters in Kasseler Kommentar, Rdnr. 84 zu § 5 SGB V; Bundessozialgericht, Urteil vom 30. September 1992, 12 RK 40/91, SozR 3-2500 § 5 Nr. 4, mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung; Urteil des Senats vom 6. August 2008, L 9 KR 680/07 [rechtskräftig]). Die "Art der Ausbildung" muss im Falle des Klägers von vornherein als Verlängerungstatbestand außer Betracht bleiben, denn fachliche Gründe für eine Überschreitung der Altersgrenze liegen nicht vor. Persönliche oder familiäre Gründe sind z.B. Erkrankung, Behinderung, Schwangerschaft, Nichtzulassung zur gewählten Ausbildung im Auswahlverfahren, Eingehen einer mindestens achtjährigen Dienstverpflichtung als Soldat auf Zeit oder die Betreuung von behinderten oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesenen Kindern (vgl. hierzu Bundessozialgericht, a.a.O.). Von all diesen besonderen Gründen kommt im Falle des Klägers ebenfalls keiner in Betracht. Ein ausnahmsweises Hinausschieben der Altersgrenze könnte nur unter dem Aspekt erfolgen, dass er seine Hochschulzugangsberechtigung in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges erworben hat, doch auch dieser Ansatz greift letztlich nicht durch.

Folgende Zeitabschnitte kommen im Sinne des Ausnahmetatbestandes als "Hinderungszeiten" in Betracht: Erstens die knapp zweijährige Zeit der Berufsausbildung von September 1987 bis Juli 1989, die (hinreichende) Voraussetzung war für das spätere Beschreitendürfen des Zweiten Bildungsweges (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über die Ausbildung und die Abiturprüfung an Abendgymnasien und Kollegs im Freistaat Sachsen vom 3. August 2004, AGyKoVO). Zweitens die Zeit im F-K von August 1994 bis Juli 1997. Die überdies geltend gemachte Wartezeit auf einen Studienplatz in Gestalt einer erfolglosen Bewerbung für das Wintersemester 1997/1998 muss außer Betracht bleiben, weil der Kläger insoweit keinerlei Nachweis geführt hat; zu Recht hat das Sozialgericht insoweit auch darauf hingewiesen, dass eine erfolglose Bewerbung für den Studiengang Publizistik im Wintersemester 1997/98 keinen Rückschluss darauf erlaubt, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt an der Aufnahme des 1999 begonnenen Studiums gehindert war. Ebenso wenig kann die Zeit der Berufstätigkeit von Juli 1989 bis April 1994 als Hinderungszeit anerkannt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 30. September 1992, 12 RK 3/91, Rdnr. 16, zitiert nach juris).

Der vollständig vor Vollendung des 20. Lebensjahres – nämlich vom 16. bis zum 18. Lebensjahr – absolvierten Berufsausbildung kommt in diesem Zusammenhang nur untergeordnete Bedeutung zu, weil eine Ungleichbehandlung zu Studenten aufträte, die ihr Abitur mit ca. 19 Jahren im "ersten" Bildungsweg abgelegt haben, würde man die schon vor Erreichen des 20. Lebensjahres abgeschlossene Zeit der Berufsausbildung vollständig und gleichrangig als Hinderungszeit bewerten (Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 15). Die Hinderungszeit konzentriert sich im Falle des Klägers damit allein auf den Zeitraum im F-K von August 1994 bis Juli 1997, mithin auf zwei Jahre und elf Monate.

Aus alledem folgt, dass die anzuerkennende Hinderungszeit für die Überschreitung der Altersgrenze nicht ursächlich ist. Aufgrund ihrer langen Dauer von gut viereinhalb Jahren Jahre dominiert vielmehr die bis April 1994 ausgeübte Berufstätigkeit des Klägers dessen drittes Lebensjahrzehnt. Hinzu treten mehrere Perioden der Arbeitslosigkeit sowie die einjährige Fortbildung im Bereich Medienmanagement. In der Zusammenschau waren diese Zeiten überwiegend ursächlich für die späte Aufnahme des Studiums, nicht aber der zwischenzeitliche Besuch der Einrichtung des Zweiten Bildungsweges. Ein schematisches Hinausschieben der Altersgrenze bei Vorliegen irgendwelcher Hinderungszeiten ohne Berücksichtigung der Kausalität verbietet sich. Den vom Kläger behaupteten "Wertungswiderspruch" zu § 10 Abs. 3 BAföG sieht der Senat dabei nicht, denn die Vorschriften knüpfen mit abweichendem Ziel an unterschiedliche Sachverhalte an: Während der Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 BAföG bestimmt hat, dass Ausbildungsförderung auch nach dem 30. Lebensjahr geleistet werden darf, wenn der Auszubildende die Zugangsvoraussetzungen z.B. an einem Kolleg erworben hat und die Ausbildung unverzüglich nach Erreichen der Zugangsvoraussetzungen aufgenommen wird, verbietet § 5 Abs. 1 Nr. 9, zweiter Halbsatz SGB V jeden Automatismus bei Beurteilung des Pflichtversicherungsstatus: In jedem Falle muss die überwiegende Ursache für die späte Studienaufnahme im Beschreiten des Zweiten Bildungsweges zu sehen sein, was im Falle des Klägers gerade zu verneinen ist. Von der Möglichkeit des Bezuges von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz darf nicht ohne weiteres auf fortbestehende Pflichtversicherung in der KVdS geschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorlag.
Rechtskraft
Aus
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