L 28 AS 205/09 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 93 AS 38229/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 205/09 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Januar 2009 insoweit aufgehoben, als die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist. Dem Antragsteller wird für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Berlin mit Wirkung ab Antragstellung Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt I S beigeordnet. Beträge aus dem Vermögen oder Raten sind nicht zu zahlen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die sich auf die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe im Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Januar 2009 beziehende Beschwerde des Antragstellers ist nach § 172 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG). Auch ist sie begründet. Das Sozialgericht beurteilt die Sach- und Rechtslage nicht zutreffend. Es hätte dem sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Verhängung einer Sanktion wegen des Nichtabschlusses einer Eingliederungsvereinbarung wendenden Antragsteller Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) für dieses Verfahren gewähren müssen.

Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass das ursprünglich verfolgte Rechtsschutzbegehren des Antragstellers im Hinblick auf die Rücknahme seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin, soweit mit diesem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 26. September 2008 gegen den Sanktionsbescheid vom 18. September 2008 abgelehnt worden ist, keine Erfolgsaussicht mehr hat. Der Senat sieht als maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht den Zeitpunkt der Entscheidung des (Beschwerde)Gerichts an, sondern hält im Lichte des Zwecks der Prozesskostenhilfe, auch dem bedürftigen Beteiligten die Verwirklichung des Rechtsschutzes zu ermöglichen, gerade in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein ein konsequentes Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs für sachgerecht (vgl. den grundlegenden Beschluss vom 18. November 2008 in der Sache L 28 B 1966/08 AS ER / L 28 B 1978/08 AS PKH, abrufbar unter erstgenanntem Aktenzeichen unter sozialgerichtsbarkeit.de sowie unter juris). Zu diesem Zeitpunkt aber war das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nicht mutwillig und hatte – entgegen der Auffassung des Sozialgerichts – auch hinreichende Erfolgsaussicht.

Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen", nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance". Prozesskostenhilfe darf daher nur dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Sache fern liegend ist (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – zitiert nach juris, Rn. 26). Dies aber war hier nicht der Fall.

Richtig hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers als solchen nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ausgelegt. Denn da der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 12. September 2008 für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. März 2009 Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Höhe von monatlich 629,37 EUR gewährt hatte, wäre seinem Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache im Falle der erfolgreichen Anfechtung des Sanktionsbescheides vom 18. September 2008, mit dem die Leistungen für die Monate Oktober bis Dezember 2008 um je 105,00 EUR abgesenkt worden sind, genüge getan gewesen. Weiter hatte sein Widerspruch nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Ziffer 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, da der Antragsgegner mit der Verhängung einer Sanktion eine Entscheidungen über - dem Antragsteller (nicht) zustehende - Leistungen der Grundsicherung getroffen hat (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 39 Rn. 14.).

Soweit hingegen das Sozialgericht davon ausgegangen ist, dass keine hinreichende Erfolgsaussicht für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung besteht, folgt der Senat ihm nicht. Entgegen der Annahme des Sozialgerichts dürfte der Bescheid des Antragsgegners nicht bestandskräftig geworden sein, sodass es auch nicht bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis für das einstweilige Rechtsschutzverfahren gefehlt haben wird. Denn zwar hatte der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2008 beschieden. Er ist jedoch nach eigenen Angaben nicht in der Lage, einen Zustellnachweis vorzulegen, und der Antragsteller bestreitet den Zugang.

Schließlich war es auch durchaus nicht fern liegend, dass das Sozialgericht an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung des Antragsgegners erhebliche Zweifel haben und dementsprechend das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben, als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides überwiegend ansehen würde.

Nach der vom Antragsgegner herangezogenen Ermächtigungsgrundlage – der Regelung des § 31 Abs. 1 Nr. 1a SGB II - wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn dieser sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Dies gilt nach Satz 2 der Norm nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.

Vorliegend ist schon ungewiss, welche Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu stellen sind, und ob dem Antragsteller ein solcher zuzubilligen ist. Insbesondere aber können erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Sanktion aus Sicht des Senats bereits vor dem Hintergrund nicht verneint werden, als bislang höchstrichterlich weder geklärt ist, ob eine Absenkung der Leistungshöhe nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II im Falle der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, überhaupt verfassungsgemäß ist (ablehnend: Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 31 Rn. 22), noch das Verhältnis der genannten Sanktionsnorm zu § 15 Abs. 1 Nr. 6 SGB II feststeht. Nicht umsonst hat bereits die 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Nichtannahmebeschluss vom 14. Februar 2005 (1 BvR 199/05, zitiert nach juris, Rn. 11) eine Klärung gefordert, ob bei der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, die Geldleistungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II gekürzt werden dürfen, oder ob es nicht vielmehr ausreicht, an Stelle der Vereinbarung einen Verwaltungsakt zu erlassen. Daran anknüpfend ist weiter fraglich, ob der Antragsgegner dem Antragsteller überhaupt im Sinne des Gesetzes den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung angeboten hat (vgl. zum "Anbieten” Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 31 Rn. 12a, wonach ein Angebot nur dann vorliegen soll, wenn eine Regelung durch Verwaltungsakt aus auf die Person des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bezogenen Gründen der Arbeitsmarktintegration ausscheidet). Da auch keine sonstigen Gründe ersichtlich sind, die der Anordnung der aufschiebenden Wirkung offensichtlich entgegengestanden haben, war dem einstweiligen Rechtsschutzbegehren die erforderliche Erfolgsaussicht nicht abzusprechen.

Schließlich hat der Senat keine Zweifel an der Bedürftigkeit des weiterhin Leistungen nach dem SGB II beziehenden Antragstellers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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