L 4 KA 59/07

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 97/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 59/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 12/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 8 Nr. 3 der Anlage I.2. „Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger“ der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt die Kassenärztliche Vereinigung auch im Falle der Verfestigung eines Beikonsums von Benzodiazepinen nicht, im Einzelfall die Beendigung einer Substitutionsbehandlung gegenüber dem Vertragsarzt durch Verwaltungsakt anzuordnen.
Unberührt hiervon bleibt die Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigung, die weitere Vergütung der Substitutionsbehandlung zu Lasten der GKV bei Vorliegen der Voraussetzungen durch Verwaltungsakt abzulehnen.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. August 2007 sowie der Bescheid vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 insoweit aufgehoben, als dem Kläger aufgegeben wurde, die Substitutionsbehandlung des Versicherten zu beenden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung der Beendigung einer Substitutionsbehandlung des am 16. Juni 1959 geborenen Versicherten G. H. (nachfolgend: G.H.).

Der Kläger war bis zum 31. Dezember 2007 als Arzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Aufgrund eines entsprechenden Fachkundenachweises der Landesärztekammer Hessen erteilte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 1992 die Qualifikationsgenehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Methadon-Substitutionsbehandlungen bei Intravenös-Heroinabhängigen. Der Kläger führte seit 1995 auch bei dem Versicherten G. H. eine Methadonsubstitutionsbehandlung durch, die zunächst zum 2. Januar 2005 beendet wurde (Beendigungsanzeige des Klägers vom 2. Januar 2005). Am 24. Juli 2005 meldete der Kläger den Versicherten G. H. erneut für eine substitutionsgestützte Behandlung an. Die Beklagte nahm nachfolgend eine Qualitätsprüfung der Behandlung vor, auch weil eine Qualitätsüberprüfung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. im Jahr 2004 wegen Beikonsums noch nicht abgeschlossen war. Der Kläger reichte hierzu die angeforderten Unterlagen und Urinscreenings ein und führte aus, der Patient habe zwischen Januar und Juni 2005 einen anderen Arzt aufgesucht, sei aber wegen eines befürchteten die Heroinrückfalls zu ihm zurückgekehrt. Sein Benzodiazepin-Konsum habe sich leider gesteigert, denn seine psychische Situation habe sich seit dem Tod der Mutter verschlechtert. Es bestehe der Verdacht eines Borderline-Syndroms. Wegen der niedrigen Benzodiazepin-Abhängigkeit (Niedrigdosisabhängigkeit, "Lowe-Dose-Abhängigkeit") bestehe jedoch kein Grund, die Methadon-Behandlung abzubrechen.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2006 verpflichtete die Beklagte den Kläger, die Substitutionsbehandlung des Versicherten H. durch Ausschleichen bis spätestens 13. Februar 2006 zu beenden. Sie führte aus, nach den Feststellungen der Qualitätssicherungskommission bestehe ein Beigebrauch von Benzodiazepinen. Die Qualitätssicherungskommission habe deshalb eine Weiterbehandlung abgelehnt. Nach dem 13. Februar 2006 könne eine Vergütung der Substitutionsbehandlung nicht erfolgen. Ergänzend teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 13. Februar 2006 mit, dass sie die über den 14. Februar 2006 hinaus zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen im Wege der der sachlich-rechnerischen Berichtigung zurückverlangen werde. Den Widerspruch des Klägers vom 6. Februar 2006 wies die Beklagte nach Auswertung weiterer Urinsscreenings durch die Qualitätssicherungskommission mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 zurück. Der Versicherte sei seit 2. August 2005 bis 27. September 2006 nahezu durchgehend positiv auf Benzodiazepine getestet worden; lediglich einzelne Proben seien negativ gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 23. März 2007 Klage bei dem Sozialgericht Marburg erhoben. Das Sozialgericht Marburg hat die Klage mit Urteil vom 20. August 2007 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Nach § 8 der Anlage A 2 "Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger" der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung sei die Substitution bei Ausweitung oder Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution zu beenden. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Versicherten G. H. vor. Bei allen Urinkontrollen im Zeitraum vom 2. August 2005 bis 27. September 2006 seien die Benzodiazepin-Werte positiv gewesen. Lediglich einzelne Werte aus April, Mai und Juli 2006 seien negativ gewesen. Im Hinblick auf den langen Beikonsum von der Benzodiazepinen könne nicht auf eine Benzodiazepinfreiheit geschlossen werden. Die Kammer könne auch keine Niedrigdosisabhängigkeit erkennen, die im Sinne der Richtlinie unbeachtlich wäre. Aufgrund der langen Abhängigkeit liege vielmehr eine schwere Abhängigkeit vor, die in § 4 der Richtlinie als Ausschlussgrund für eine Substitution formuliert sei. Ein Ermessensspielraums der Beklagten bestehe nicht. Eine Fortsetzung der Behandlung in Einzelfällen sehe die Richtlinie nicht vor.

Gegen das ihm am 5. September 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. September 2007 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger auf seine vertragsärztliche Zulassung zum 31. Dezember 2007 verzichtet.

Zur Berufungsbegründung trägt der Kläger vor, dass der Behandlungsabbruch durch die Beklagte eine rechtswidrige einschneidende Behandlungsmaßnahme sei, für die keine Ermächtigungsgrundlage bestehe; insbesondere sei ein Abbruch der Substitutionsbehandlung durch die Kassenärztliche Vereinigung nicht durch § 8 Nr. 3 der Richtlinie gedeckt. Nicht die Beklagte habe über ambulante Behandlungsmaßnahmen zu entscheiden, sondern die behandelnden Ärzte. Dies decke sich auch mit § 11 der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung, die den Abbruch einer Substitutionsbehandlung ausschließlich in das Ermessen des substituierenden Arztes stelle. Das Sozialgericht verkenne, dass mit der Umgestaltung der Richtlinie zum 1. Januar 2003 gerade keine Einzelfallgenehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung erteilt werde; es bestehe lediglich eine Anzeigepflicht des Arztes. Im Übrigen sehe die Richtlinie einen Maßnahmekatalog vor, wie die kassenärztliche Vereinigung disziplinarrechtlich auf den Kläger einwirken könne, z.B. durch Entzug der Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der Substitution; der Abbruch der Substitution sei nicht vorgesehen. Außerdem sei die Interpretation der Richtlinie durch das Sozialgericht und die Beklagte einseitig und zu eng. Der Beigebrauch von Benzodiazepinen in niedrigen Dosen sei in ihrer Gefährlichkeit mit der unbehandelten Drogensucht nicht zu vergleichen und kein Grund, eine erfolgreiche Methadon-Behandlung abzubrechen, zumal Politoxikomanien in der Praxis den Regelfall darstellten; eine Monotoxikomanie sei eine Seltenheit. Im vorliegenden Fall benötige der Versicherte die Benzodiazepine zum Ein- und Durchschlafen; dies insbesondere auch vor dem Hintergrund eines Borderline-Syndroms einhergehend mit Stimmungsschwankungen, Angstanfällen und Schlafproblemen. Da seit April 2006 eine semiquantitative Urinanalyse nicht mehr abrechnungsfähig sei und nur noch nachgewiesen werden könne, ob der Versicherte Benzodiazepine eingenommen habe, könne der Umfang des Beikonsums nur durch die psychiatrische Untersuchung durch den behandelnden Arzt erfolgen. Somnolenz und verwaschene Sprache seien Anhaltspunkte für einen hohen Beikonsum. Der Versicherte G. H. sei aber stets hellwach gewesen; die Einnahme lediglich einer geringen Dosis von Bezodiazepinen sei vor diesem Hintergrund glaubhaft und werde auch durch die hier noch vorliegenden semiquantitativen Urinanalysen bestätigt. Darüber hinaus befürchte er im Falle eines Behandlungsabbruchs schwerste gesundheitliche Konsequenzen für den Versicherten, die er weder moralisch noch strafrechtlich verantworten könne. Dem stünde auch die Berufsordnung für Ärzte, dort § 2 entgegen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. August 2007 sowie den Bescheid vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Der Kläger verkenne, dass die Beklagte ihn in rechtlicher Hinsicht nicht zu einem Behandlungsabbruch zwinge. Nur bei Einhaltung der Voraussetzungen der Methadon-Richtlinie könne diese zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden. Der Wortlaut der Richtlinie sei eindeutig. Die vorgelegten Urinanalysen belegten fast durchweg positive Benzodiazepin-Werte. Eine Niedrig-Dosis-Abhängigkeit des Versicherten G. H. sei nicht zu erkennen. Vielmehr liege eine Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen im Sinne des § 8 Nr. 3 der Methadon-Richtlinie vor. Unabhängig davon sei eine weitergehende Behandlung außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankversicherung privatärztlich oder zu Lasten anderer Kostenträger nicht ausgeschlossen.

Der Senat hat Auskünfte bei dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eingeholt; es wird insoweit auf die Blätter 99, 100, 107-112 der Gerichtsakte verwiesen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. August 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 sind rechtwidrig, soweit sie die Beendigung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. anordnen. Die in dem angefochtenen Bescheid außerdem enthaltene Ankündigung, die Vergütung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. nach dem 13. Februar 2006 einzustellen, ist hingegen rechtmäßig.

Die Klage bleibt auch nach Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung zum 31. Dezember 2007 als Anfechtungsklage zulässig. Eine Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht erforderlich, denn der angefochtene Verwaltungsakt hat sich - für den hier maßgeblichen Zeitraum bis 31. Dezember 2007 - nicht erledigt. Eine Behandlung des Versicherten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung über den 31. Dezember 2007 hinaus, wird vom Kläger auch nicht begehrt.

Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Regelung, die Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. zu beenden, ist mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Die Beendigung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. kann nicht auf § 8 Nr. 3 der Anlage I.2. "Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger" der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung ("Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung") in der Fassung vom 17. Januar 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006; Nr. 48 (S. 1523) in Kraft getreten am 01. April 2006, zuletzt geändert am 18. Januar 2007, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2007; Nr. 79 (S. 4 362) in Kraft getreten am 1. April 2007 (hier zitiert nach www.g-ba.de; nachfolgend: Substitutionsrichtlinie) gestützt werden. § 8 Nr. 3 der Substitutionsrichtlinie ist wie folgt formuliert:

"Bei Vorliegen folgender Voraussetzungen ist die Substitution zu beenden: ( ) Nr. 3: Ausweitung oder Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution"

Eine Ermächtigung der Kassenärztlichen Vereinigung, gegenüber einem Vertragsarzt die Beendigung der Substitutionsbehandlung wegen des Beigebrauchs von Suchtsoffen anzuordnen, ist in dieser Regelung nicht enthalten. Die Substitutionsrichtlinie ist zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung aufgrund des § 135 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Band V – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) erlassen worden (vgl. BSG, Urteil vom 6. November 2002, B 6 KA 39/01 R, juris Rdnr. 17) und entfaltet normative Wirkung gegenüber Vertragsärzten, Krankenkassen und Versicherten (BSG, Urteil vom 20. März 1996, Az: 6 RKa 62/94, zit. nach juris Rn. 21 ff.). Adressat des § 8 Nr. 3 der Substitutionsrichtlinie ist der behandelnde Arzt, der bei Vorliegen der Ausweitung oder Verfestigung eines Beikonsums von Suchtstoffen neben der Substitution die Substitution zu beenden hat. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Regelung. Substitution (von lat.: substituere = ersetzen) bezeichnet allgemein das Ersetzen einer bestimmten Sache durch eine andere; Drogensubstitution (auch: Drogenersatztherapie) ist die Behandlung Opiadabhängiger mit legalen Ersatzdrogen. Die Substitution selbst, d.h. die Gabe der Ersatzdroge (Methadon) erfolgt ausschließlich durch den Vertragsarzt, der – wie der Kläger – über die Qualifikationsgenehmigung zur Abrechnung von Methadon-Substitutionsbehandlungen verfügt. Folglich kann ausschließlich der Arzt die Substitution im Sinne des § 8 Nr. 3 der Substitutionsrichtlinie abbrechen. Ferner ergibt auch die systematische Auslegung der Richtlinie, dass die in §§ 2 bis 8 der Substitutionsrichtlinie geregelten Voraussetzungen zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung an den Vertragarzt adressiert sind. Lediglich nach §§ 9 und 10 der Substitutionsrichtlinie sind die Kassenärztlichen Vereinigung (KVen) im Rahmen der Qualitätssicherung und des Genehmigungsverfahrens involviert. Nach § 9 obliegt es den KVen, Qualitätssicherungskommissionen einzurichten (§ 9 Abs. 1), welche die Qualität der vertragsärztlichen Substitution, auch durch Stichprobenprüfungen kontrollieren (§ 9 Abs. 3) und dabei die Einhaltung aller Bestimmungen der Richtlinie überprüfen (§ 9 Abs. 6). Die Qualitätssicherungskommission kann verlangen, dass die Ärzte die patientenbezogenen Therapiekonzepte und Behandlungsdokumentationen übermitteln (§ 9 Abs. 3); in § 9 Abs. 5 ist eine regelmäßige Pflicht zur Vorlage dieser Unterlagen jeweils nach Ablauf von fünf Behandlungsjahren normiert. Stellt die Qualitätssicherungskommission Mängel fest, sieht § 9 Abs. 7 eine gestaffelte Vorgehensweise vor: Zunächst ist der Vertragsarzt auf bestehende Qualitätsmängel hinzuweisen; in einer gemeinsamen Beratung ist darauf hinzuwirken, dass diese Mängel behoben werden (§ 9 Abs. 7, Sätze 1 und 2). Gelingt es trotz wiederholter Anhörung und Beratung des Arztes nicht, eine richtliniengemäße Substitutionsbehandlung zu erreichen, kann dem Arzt die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der Substitution durch die KV entzogen werden (§ 9 Abs. 7 Satz 3). Eine Ermächtigung zur Anordnung der Beendigung der Substitutionsbehandlung eines Versicherten sieht dieser Maßnahmekatalog nicht vor und ist auch nicht in der Ermächtigung zum vollständigen Entzug der Genehmigung nach § 9 Abs. 7 Satz 3 der Substitutionsrichtlinie enthalten. Auch kann die Anordnung der Beendigung im Einzelfall nicht als ein Weniger zum Genehmigungsentzug verstanden werden. Diese Auslegung entspricht auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der bis 31. Dezember 2002 geltenden "Richtlinie zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger" ("Methadon-Richtlinie") des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen: Hiernach war es grundsätzlich nicht zu beanstanden, die Durchführung der Substitution im Einzelfall bei einer in der Richtlinie nicht vorgesehenen Indikation von der Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung abhängig zu machen (so zu Nr. 2.3 und 2.5 der alten Methadon-Richtlinie: BSG, Urteil vom 20. März 1996, Az.: 6 RKa 62/94). Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis an die Kassenärztliche Vereinigung ist dann nicht möglich, wenn die Kassenärztliche Vereinigung unmittelbar und mit Außenwirkung gegenüber dem Versicherten über dessen Leistungsanspruch entschied (BSG, Urteil vom 20. März 1996, Az.: 6 RKa 62/94, zit. nach juris Rn. 50). Diese Entscheidung bleibt der Krankenkasse vorbehalten (vgl. § 21 Abs. 2 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I), § 2 Abs 1 Satz 1 SGB V). Auch im Falle des Versicherten G. H. gilt, dass es der Beklagten nicht erlaubt ist, den Abbruch seiner Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Kläger zu verfügen, zumal weder der Versicherte noch die zuständige Krankenkasse an dem Verfahren beteiligt wurden (vgl. hierzu: BSG a.a.O.). Bei Anwendung der vom Bundessozialgericht im Urteil vom 20. März 1996 (BSG a.a.O.) aufgestellten Kriterien ist zusätzlich zu bedenken, dass in diesem Urteil einzelne Bestimmungen der sog. "Methadon-Richtlinie" aus dem Jahr 1991, die noch ein Antragsverfahren für jeden Versicherten vorsah, im Streit standen. Das Bundessozialgericht hatte vor dem Hintergrund der Auswirkungen einer negativen Entscheidung im Einzelfall ausdrücklich angeregt, dass die Richtlinie die Beteiligung des Versicherten und der zuständigen Krankenkasse in diesen Fällen vorsehen müsse. Diese Anregung hat der Bundesausschuss jedoch nicht aufgenommen, sondern mit Inkrafttreten der Substitutionsrichtlinie zum 1. Januar 2003 u.a. das Antragsverfahren für jeden einzelnen Versicherten gestrichen und durch ein einfaches Anzeigeverfahren ersetzt. Der Bundesausschuss wollte damit offensichtlich die Kompetenz der KVen aufheben, Einzelentscheidungen mit unmittelbarer Wirkung zum Nachteil des Versicherten zu treffen.

Auch in der "Regelung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zur Durchführung der Qualitätsprüfung im Rahmen der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger" vom 16. Juli 2004, welche die Beklagte auf der Basis des § 136 Abs. 1 Satz 1 SGB V erlassen hat und die in §§ 9 bis 11 einen detaillierten Maßnahmenkatalog bei Beanstandungen der Qualitätssicherungskommission vorsieht, findet sich keine Ermächtigung der Beklagten, den Abbruch einer Substitutionsbehandlung im Einzelfall zu anzuordnen. Der Maßnahmekatalog differenziert nach der Schwere der Beanstandungen und sieht unter § 11 Abs. 2 bei schwerwiegenden Beanstandungen folgende Maßnahmen vor:

- Erneute Vorlage von Patientendokumentationen; evt. Rückforderung der Vergütung für höchstens vier Quartale

oder:

a) Einladung zum Kolloquium zum Nachweis der Befähigung.
b) Nichtvergütung oder Rückforderung bereits geleisteter Vergütung der beanstandeten Leistungen.
c) Widerruf/Einschränkung der Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Substitutionsbehandlungen.

Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte durch Satzung eine Ermächtigung zum Abbruch einer Substitution im Einzelfall regeln könnte, wird auch aufgrund des hier geregelten Maßnahmekataloges deutlich, dass die Beklagte gerade keine Anordnungen im Einzelfall verfügen soll, sondern neben "beratenden" Maßnahmen (z.B. Kolloquium) und sachlich-rechnerischen Berichtigungen - als ultima ratio – die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Methadon-Substitutionsbehandlungen widerrufen kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die zur Substitutionsrichtlinie bzw. ihren Vorgängerrichtlinien ergangene Rechtssprechung auf dem Gebiet des Vertragsarztrecht entweder mit die Frage der Genehmigungserteilung oder aber mit Regeressen bzw. sachlich-rechnerischen Berichtigungen beschäftigte (BSG, Urteil vom 20. März 1996, Az.: 6 RKa 62/94: Genehmigung im Einzelfall nach der bis 31.12.2002 gelten Methadon-Richtlinie; BSG, Urteil vom 6. November 2002, Az.: B 6 KA 39/01 R: Notfallbehandlung nach der bis 31.12.2002 geltenden Methadon-Richtlinie; Landessozialgericht NRW, Urteil vom 10. Dezember 2003, Az.: L 10 KA 79/02: Arzneiregress; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Juni 2008, Az.: L 4 KA 40/06: Arzneikostenregress; SG Dresden, Beschluss vom 28. November 2006, Az.: S 18 KA 613/06 ER: Entziehung der Genehmigung).

Der angefochtene Bescheid enthält über die rechtswidrige Anordnung, die Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. zu beenden, hinaus jedoch auch die rechtlich nicht zu beanstandende Regelung, dass eine Vergütung der Substitutionsbehandlung über den 13. Februar 2006 hinaus nicht erfolgt. Maßstab einer entsprechenden Auslegung des Bescheides ist dabei der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in die Entscheidung einbezogen hat (Diering/Timme/Waschull, SGB X, Kommentar, § 31 Rn. 25 m.w.N.). Die Beklagte führt in den Gründen des angefochtenen Bescheides aus, dass sie die Vergütung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. zum 13. Februar 2006 einstellen wird. Auch der Kläger hat den Bescheid vom Januar 2006 dahingehend verstanden, dass eine Weiterbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Vergütung durch die Beklagte nach dem 13. Februar 2006 ausgeschlossen sind, denn er wendet sich mit seinem Widerspruch vom 6. Februar 2006 ausdrücklich gegen die "Beendigung der Kassenfinanzierung der Methadonbehandlung".

Die Beklagte war auch berechtigt, im Rahmen der Qualitätssicherung eine solche Ankündigung mittels Verwaltungsakt vorzunehmen. Das in § 9 der Substitutionsrichtlinie vorgesehene Qualitätssicherungsverfahren sieht bei Mängeln – wie bereits dargelegt – einen gestuften Maßnahmekatalog vor, der im Einzelnen noch durch die "Regelung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zur Durchführung der Qualitätsprüfung im Rahmen der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger" vom 16. Juli 2004 ergänzt wird und nicht abschließend ist. Vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit für den beteiligten Arzt ist es angezeigt, die beabsichtigte Nichtvergütung durch rechtsmittelfähigen Verwaltungsakt zu regeln, zumal die Regelung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zur Durchführung der Qualitätsprüfung im Rahmen der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger" vom 16. Juli 2004 selbst für eine Empfehlung einen rechtsmittelfähigen Bescheid vorsieht (§ 11 Abs. 2).

Die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Qualitätssicherungskommission der Beklagten ist jedoch nur begrenzt möglich, da dem fachkundigen Gremium insoweit ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Prüfungs- bzw. Beurteilungsspielraum zusteht. Die Qualitätssicherung wird durch fachkundige Kommissionen durchgeführt, die bei den KVen zu bilden sind (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Substitutionsrichtlinie). Die Kommissionen bestehen aus sechs Mitgliedern. Drei in Fragen der Opiatabhängigkeit fachkundige Mitglieder werden von der KV benannt, darunter sollen zwei Ärzte mit besonderer Erfahrung in der Behandlung von Suchtkranken sein. Zwei in Drogenproblemen fachkundige Mitglieder werden von den Landesverbänden der Krankenkassen und ein in Drogenproblemen fachkundiges Mitglied von den Verbänden der Ersatzkassen benannt. Die Krankenkassen können sich in den Kommissionen auch durch Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vertreten lassen (§ 9 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 der Substitutionsrichtlinie). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich daher auch im Falle eines Beikonsums von Benzodiazepinen darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs des Beikonsums im Sinne der §§ § 3 Abs. 5 Satz 3, § 4 und § 8 Nr. 3 der Substitutionsrichtlinie zu ermittelnden Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Eine Überprüfung medizinischer Fragestellungen erfolgt nicht. In Übereinstimmung mit dem Kläger geht auch der Senat davon aus, dass nicht jeder Beikonsum – auch von Benzodiazepinen – die Nichtvergütung der Substutionsbehandlung durch die KV, d.h. zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nach sich zieht. So hat das in § 8 Nr. 3 der Substitutionsrichtlinie normierte Abbruchkriterium "nur" die Ausweitung und Verfestigung eines Beikonsums zum Inhalt. Ferner ermächtigt § 3 Abs. 5 Satz 3 der Substitutionsrichtlinie den Vertragsarzt, bei Beigebrauch wegen der damit möglicherweise verbundenen Gefahren eine individuelle Risikoabwägung zwischen Fortführung und Beendigung vorzunehmen. Jedoch darf nach § 4 der Substitutionsrichtlinie eine Substitution nicht durchgeführt werden, wenn und solange der Substitution medizinisch allgemein anerkannte Ausschlussgründe wie z.B. eine primäre/hauptsächliche Abhängigkeit von anderen psychotropen Stoffen (Alkohol, Kokain, Benzodiazepine etc.) entgegenstehen. Von einer solchen hauptsächlichen Abhängigkeit geht die fachkundig besetzte Qualitätssicherungskommission jedoch im Fall des Versicherten G. H. aus. Die Qualitätssicherungskommission hat hierzu die Urinproben des Versichten G. H. aus dem Zeitraum vom 2. August 2005 bis zum 27. September 2006 ausgewertet und festgestellt, dass die Benzodiazepinwerte bis auf wenige Ausnahmen positiv waren. Weiter gelangt die Qualitätssicherungskommission zu der Einschätzung, dass der jahrelange Beikonsum von Benzodiazepinen, der sich nach Auskunft des Klägers mit dem Tod der Mutter des Versicherten sogar verschlechtert habe, einer Verfestigung der Abhängigkeit entspricht, die nach fachkundiger Einschätzung der Qualitätssicherungskommission vor dem Hintergrund der langjährigen Abhängigkeit auch keine "Low-Dose-Abhängigkeit" darstellt. Der Bescheid vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 berücksichtigt die entsprechenden Ergebnisse der Qualitätssicherungskommission.

Die Auffassung des Klägers, die Nichtvergütung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. käme letztlich einem Abbruch der Behandlung gleich, teilt der Senat nicht. Dem Kläger als behandelndem Arzt wurde mit Bescheid vom 16. Januar 2007 eine vierwöchige Frist zum "Ausschleichen" der Substitutionsbehandlung eingeräumt. Innerhalb dieser Frist konnte der Kläger den Versicherten und ggf. dessen Betreuer und den ebenfalls involvierten psychosozialen Dienst entsprechend informieren, damit sich der Versicherte mit seiner Krankenkasse bzw. einem anderen Kostenträger (Sozialamt) in Verbindung setzt und ggf. im Rahmen einer Einzelfallgenehmigung die Fortsetzung der Substitutionsbehandlung im Sinne des § 27 SGB V klärt. Dem Kläger blieb es im Übrigen unbenommen, den Versicherten privatärztlich weiterzubehandeln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG zugelassen. Der Senat misst der Frage des Adressatenkreises und der Reichweite des § 8 Substitutionsrichtlinie grundsätzliche Bedeutung bei; eine höchstrichtliche Entscheidung ist hierzu noch nicht ergangen.

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist der Streitwert auf 5.000,00 EUR festzusetzen (§§ 47, 52 Abs. 2 GKG). Es kann insbesondere nicht auf den Umfang einer erst beabsichtigten Honorarrückforderung wegen sachlich-rechnerischer Berichtigung abgestellt werden; diese ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
Saved