L 11 B 983/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 981/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 983/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine bestandskräftige Entscheidung des Grundsicherungsträgers schließt aufgrund der Bindungswirkung (§ 77 SGG) einen Anordnungsanspruch in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus.
Solange ein Überprüfungsverfahren (§ 44 SGB X) in Bezug auf eine bestandskräftige Entscheidung des Grundsicherungsträgers nicht eingeleitet ist, ist ein Anordnungsgrund in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegeben.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom
29.08.2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird
abgelehnt.

Gründe:

I.
Die Antragstellerin (ASt) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag) die Kostenübernahme für einen Umzug von N. nach A-Stadt.

Die ASt und ihr Ehemann (geb.1941) bezogen seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ab dem 01.01.2006 war allein die ASt leistungsberechtigt, nachdem der Ehemann der ASt das 65. Lebensjahr vollendet und eine Altersrente bezogen hatte.

Bereits seit März 2007 bemühte sich das Ehepaar um einen Umzug nach B-Stadt, nachdem es darauf hingewiesen worden war, dass die bisherigen Unterkunftskosten nicht angemessen seien und die tatsächlichen Kosten längstens bis 31.08.2007 übernommen würden. In diesem Zusammenhang beantragte die ASt die Bewilligung von Maklerkosten zur Suche einer Wohnung in B-Stadt. Widerspruch und Klage gegen die mündliche Ablehnung vom 16.03.2007, die beantragten Maklerkosten zu übernehmen, blieben erfolglos. Das insoweit eingeleitete Berufungsverfahren (L 11 AS 144/08) ist noch offen. Mit dem Berufungsschriftsatz vom 11.04.2006 (gemeint ist wohl 2008) beantragte die ASt auch, die Ag zur Zahlung von Umzugskosten zu verurteilen. Die Ag hat hierzu im Erörterungstermin am 15.12.2008 erklärt, sie sei mit einer derartigen Klageänderung nicht einverstanden.

Im Laufe des weiteren Verwaltungsverfahrens sprach die ASt am 03.06.2008 und 15.08.2008 bei der Ag vor, um den zwischenzeitlich konkret angestrebten Umzug zu besprechen und die Modalitäten für die Übernahme der Umzugskosten zu klären. Nach Rücksprache mit der für die ASt nach dem Umzug zuständigen ARGE A-Stadt erfuhr die Ag, dass die von der ASt in Aussicht genommene Wohnung nicht den Mietobergrenzen (MOG) des dort zuständigen kommunalen Trägers für einen Zwei-Personen-Haushalt entsprechen würde.

Die Ag lehnte daraufhin den Antrag der ASt auf Übernahme der Umzugskosten mit Bescheid vom 20.08.2008 ab.

Am gleichen Tag, dem 20.08.2008, hat die ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Umzugskosten (zumindest anteilig) zu übernehmen.

Diesen Antrag hat das SG mit Beschluss vom 29.09.2008 abgelehnt, weil weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht seien. Der Umzug sei bereits vollzogen, und es sei nicht ersichtlich, dass der ASt das Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden könne. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben, weil die Wohnung in A-Stadt für den Wohnbedarf eines Leistungsempfängers nach dem SGB II sowohl unangemessen groß, als auch unangemessen teuer erscheine, so dass die Angaben der ARGE A-Stadt in Bezug auf die Einhaltung der MOG nachvollziehbar erscheinen würden. Insofern bestehe auch kein materiell- rechtlicher Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten. Ein höherer Raumbedarf zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit (des Ehemannes der ASt) sei nicht hinreichend belegt und begründe auch keinen höheren Wohnbedarf.

Gegen diesen Beschluss hat die ASt am 07.11.2008 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Mit der Beschwerde hat die ASt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes beantragt.

Bereits mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2008 (Aufgabe zur Post am 06.11.2008 lt. Vermerk in der Akte der Ag) hatte die Ag den Widerspruch vom 22.08.2008 gegen den Bescheid vom 20.08.2008 als unbegründet zurückgewiesen.

Auf den gerichtlichen Hinweis, dass kein Klageverfahren gegen diesen Widerspruchsbescheid eingeleitet worden sei, teilten die Bevollmächtigten der ASt mit, dass diese die Beschwerde nicht zurücknehmen möchte, es werde auf die vorangegangenen Schriftsätze verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die gerichtlichen Akten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als nicht begründet.

Vorliegend begehrt die ASt die Bewilligung von Umzugskosten, die mit Bescheid vom 20.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2008 abgelehnt wurde, so dass für die Frage, ob die Ag zur (vorläufigen) Erbringung dieser Leistungen zu verpflichten ist, § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr. 643)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Unter Beachtung dieser Kriterien ist der ASt einstweiliger Rechtsschutz nicht zu gewähren, weil weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben ist.

Vorliegend ist die ablehnende Entscheidung der Ag vom 03.11.2008 - mangels Erhebung einer fristgemäßen Klage - bestandskräftig und schließt somit einen Leistungsanspruch der ASt aus (§ 77 SGG). Auch nach dem gerichtlichem Hinweis, dass es an einer Hauptsache, dem Klageverfahren fehlt, hat die ASt lediglich auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen, ohne sich mit der vom Senat aufgeworfenen Problematik auseinandergesetzt zu haben, so dass keine Zweifel am Zugang der Widerspruchsentscheidung vom 03.11.2008 und deren Bestandskraft - nach Ablauf der Klagefrist am 06.12.2008 - bestehen.

Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich auch nicht durch den Umstand, dass die ASt bereits mit der Berufung im Verfahren L 11 AS 144/08 die Übernahme von Umzugskosten begehrt hat.

Diesem Antrag sind - soweit er im Berufungsverfahren aufrecht erhalten bleibt - keine Erfolgsaussichten zu bescheinigen. Zum einen ist der Bescheid vom 20.08.2008 (idG des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2008) nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, denn die dort im Streit stehende Regelung betrifft allein die Übernahme von Maklerkosten, wie dies von der Ag mündlich am 16.03.2008 abgelehnt worden ist. Zum anderen wird der Senat über diesen Antrag auf Übernahme der Umzugskosten nicht in der Sache entscheiden müssen, weil die Ag ihr Einverständnis zu einer Klageänderung, die in diesem Antrag zu sehen ist, nicht erklärt hat, und die Sachdienlichkeit einer Klageänderung für den Senat nicht ersichtlich ist, insbesondere weil über das Anliegen der ASt mit Bescheid vom 20.08.2008 verbindlich entschieden ist.

Im weiteren ist die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung auch deshalb nicht zu erkennen, weil nach Lage der Akten Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die ASt einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 20.08.2008 gestellt hätte, so dass die Angelegenheit derzeit auch nicht eilbedürftig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des ASt.

Mangels Erfolgsaussichten (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) im Beschwerdeverfahren besteht auch kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Ein gesonderter Beschluss vor der Beschwerdeentscheidung in Bezug auf die Prozesskostenhilfe war nicht angezeigt, nachdem die ASt vorab auf die fehlenden Erfolgsaussichten und die Problematik des Beschwerdeverfahrens (fehlendes Hauptsacheverfahren) hingewiesen worden war und gleichwohl eine Begründung der Beschwerde oder des Prozesskostenhilfegesuches - im Hinblick auf die dargelegte Problematik - unterlassen hat.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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