Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 26 SB 167/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 148/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 3. August 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Änderungsantrages die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Bei dem am 16. Februar 1929 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 11. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2003 ein GdB von 70 wegen folgender Behinderungen:
Lungenerkrankung nach Heilungsbewährung, Teilverlust der linken Lunge, Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 50)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 30),
Teilverlust des Magens (Einzel-GdB 20),
Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes (Einzel-GdB 10),
Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB 10),
Sehminderung (Einzel-GdB 10) und
Durchblutungsstörung des Herzens (Einzel-GdB 10)
sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erheblich gehbehindert) anerkannt, die des Merkzeichens "aG" abgelehnt worden.
Am 22. Dezember 2003 stellte der Kläger einen erneuten Verschlimmerungsantrag, in dem er u.a. angab, sowohl der Wirbelsäulenschaden als auch die Atemnot hätten sich verschlechtert; Abnutzungserscheinungen der Kniegelenke, der Hüftgelenke sowie der Schultergelenke seien neu hinzugetreten. Er beantrage die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung.
Nach Einholung und Auswertung von Befundberichten des Facharztes für Orthopädie Dr. P vom 12. Januar 2004 sowie der Fachärztin für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie Dr. H vom 13. Februar 2004 erhöhte der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 11. März 2004 auf 80 und erkannte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" an, wobei er die Lungenfunktionseinschränkung nunmehr mit einem Einzel-GdB von 60 bewertete, lehnte aber die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab. Den Widerspruch des Klägers vom 1. April 2004, in dem er u. a. ausführte, es sei nicht berücksichtigt worden, dass sein Bewegungsradius nach Aussage seiner behandelnden Ärztin nur ca. 10 m betrage, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2004 zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 12. August 2004 Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben, um sein Begehren weiterzuverfolgen. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe nicht alle bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen zutreffend bewertet. Dies gelte insbesondere für den im Mai 2004 stattgehabten Herzinfarkt sowie sein Lungenleiden.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin Dr. L vom 23. Dezember 2004, des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. B vom 21. Dezember 2004, der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H vom 3. Januar 2005 und des Facharztes für Orthopädie Dr. P vom 2. Januar 2005 eingeholt sowie einen Entlassungsbericht des -Klinikums, C, über einen Aufenthalt des Klägers vom 8. Juni 2004 bis 11. Juni 2004 beigezogen.
Der als Sachverständiger bestellte Sozialmediziner Dr. Aron-Schön hat in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2005 unter anderem ausgeführt, bei dem Kläger liege seit Mai 2004 ein Gesamt-GdB von 90 vor. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege dagegen eindeutig nicht vor. Der Kläger könne bei der Fortbewegung zu Fuß nicht mit dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten, der Doppeloberschenkelamputierten, der Hüftexartikulierten, die dauernd außer Stande seien, ein Kunstbein zutragen oder nur eine Beckenprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien, gleichgestellt werden. Er könne ohne fremde Hilfe und ohne Nutzung von Hilfsmitteln zu Fuß, ohne große Anstrengung, Wegstrecken von 80 bis 100 m durchaus zurücklegen. Ein Herzschaden mit schweren Dekompensationserscheinungen und Ruheinsuffizienz oder eine Krankheit der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades liege bei dem Kläger nicht vor.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 7. April 2006 einen GdB von 90 ab Dezember 2005 anerkannt. Er ist dabei vom Vorliegen folgender Behinderungen:
chronische Bronchitis, Lungenfunktionseinschränkung, Teilverlust der Lunge (Einzel-GdB 60),
Funktionseinschränkung des Fußes beidseits, arterielle Verschlusskrankheit der Beine beidseits, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits (Einzel-GdB 40),
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30),
koronare Herzkrankheit, das heißt Durchblutungsstörungen des Herzens (Einzel-GdB 30),
Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Einzel-GdB 30),
Teilverlust des Magens (Einzel-GdB 20),
Funktionsbehinderung des Schultergelenkes (Einzel-GdB 10) und
Sehminderung (Einzel-GdB 10)
ausgegangen.
Mit Urteil vom 3. August 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger gehöre nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen sei. Er sei diesem Personenkreis auch nicht gleichzustellen, denn er sei in der Lage ohne fremde Hilfe und ohne Nutzung von Hilfsmitteln, sich ohne große Anstrengung zu Fuß 80 bis 100 m zu bewegen. Es stehe eindeutig die Einbuße der allgemeinen körperlichen Belastbarkeit bedingt durch die Herz- und Lungenfunktionsminderung, mit frühzeitig eintretender körperlicher Erschöpfung und Atemnot im Vordergrund. Die degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und Kniegelenke beidseits sowie die arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine würden dabei die Gang- und Standfähigkeit des Klägers nur nachrangig beeinträchtigen. Der Kläger selbst habe gegenüber dem Gutachter angegeben, eine Gehstrecke auf ebener Fläche von 100 m zu Fuß bewältigen zu können. Anlässlich der Begutachtung sei es dem Kläger auch möglich gewesen, die Wegstrecke von 200 bis 300 m vom Parkplatz außerhalb des Geländes bis zu den Untersuchungsräumen problemlos zu Fuß zu bewältigen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" lägen damit nicht vor.
Gegen dieses ihm am 15. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Januar 2007 Berufung eingelegt, um sein Begehren weiter zuverfolgen. Er ist weiterhin der Ansicht, das Merkzeichen "aG" sei zu bewilligen. Er könne kaum 10 m ohne Hilfsmittel zurücklegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 3. August 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab 22. Dezember 2003 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, dass dem Kläger das Merkzeichen "aG" nicht zustehe.
Der Senat hat Befundberichte des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. B vom 9. Juli 2007, der Fachärztin für Neurologie Dr. A vom 10. Juli 2007, des Facharztes für Orthopädie Dipl.-Mediziner G vom 27. Juli 2007 und der Fachärztin für Innere Medizin/Pneumologie Dipl.-Medizinerin J vom 10. Oktober 2007 eingeholt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: ) verwiesen. Der Inhalt dieser Unterlagen war Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 i. V. m. 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 18. August 2008 bzw. 25. August 2008 mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Sie ist aber nicht begründet, denn das Sozialgericht Cottbus hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" abgelehnt.
Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; eine solche ist vorliegend nicht gegeben.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (dessen Regelungen am 1. Juli 2001 in Kraft getreten und zuletzt durch Art. 8 Abs. 2 Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 18. Dezember 2007, BGBl. I S. 2984 geändert worden sind - SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gebehinderung i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen i. S von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen". Darüber hinaus führt sie u. a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3 a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB XI) und ggfs. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gebehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419; vgl. zur insoweit unveränderten Fassung vom 22. Oktober 1998: BAnz 1998, Nr. 246b, S 47). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 38 f). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 S 87; Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 182). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht ankommen (Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22; Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37). Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von "aG" bezweckten Nachteilsausgleiches nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StvO bzw § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 183). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150, S. 9 f. in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 39).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das BSG bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen.
Auch soweit die genannten großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichen jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes aber auch der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar.
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden, denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994, Az. 9 RVs 3/94, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 11 S 45).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens "aG" herleiten. Es kommt daher nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Das Merkzeichen "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06. November 1985, Az. 9a RVs 7/83, BSG SozR 3870 § 3 Nr. 18 S. 58). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahe legen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2001, Az. L 11 SB 4527/00, zitiert nach iuris). Aber auch diesem Ansatz hat das BSG nicht zugestimmt (BSG, Urteil vom 29. März 2007, Az. B 9a SB 1/06 R, zitiert nach juris), denn abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze zu kurz, da den nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO gewährten Erleichterungen weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie z. B. die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt werden.
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann.
Vorliegend steht für den Senat trotz der erheblichen bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen fest, dass dieser sich noch wesentlich besser als der Kreis der ausdrücklich genannten Schwerbehinderten, denen das Merkzeichen "aG" zusteht, fortbewegen kann. Dies folgt aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. , der dargelegt hat, dass im Vordergrund der leistungslimitierenden Beschwerden die Einbuße der allgemeinen körperlichen Belastbarkeit, bedingt durch die Herz- und Lungenfunktion, mit frühzeitig eintretender körperlicher Erschöpfung und Atemnot, steht. Demgegenüber ist die Gang- und Standfähigkeit bei dem Kläger nur nachrangig durch die degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und Kniegelenke beidseits sowie der arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine beeinträchtigt. Trotz der erheblichen Einschränkungen durch die Herz- und Lungenerkrankung kann der Kläger aber ohne fremde Hilfe und ohne Nutzung von Hilfsmitteln zu Fuß, ohne große Anstrengung, Wegstrecken von 80 bis 100 m durchaus zurücklegen. Danach benötigt er Pausen im Sitzen von ca. 5 bis 10 Minuten. Es besteht damit bei dem Kläger eine erhebliche, nicht jedoch eine außergewöhnliche Gehbehinderung.
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Änderungsantrages die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Bei dem am 16. Februar 1929 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 11. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2003 ein GdB von 70 wegen folgender Behinderungen:
Lungenerkrankung nach Heilungsbewährung, Teilverlust der linken Lunge, Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 50)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 30),
Teilverlust des Magens (Einzel-GdB 20),
Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes (Einzel-GdB 10),
Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB 10),
Sehminderung (Einzel-GdB 10) und
Durchblutungsstörung des Herzens (Einzel-GdB 10)
sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erheblich gehbehindert) anerkannt, die des Merkzeichens "aG" abgelehnt worden.
Am 22. Dezember 2003 stellte der Kläger einen erneuten Verschlimmerungsantrag, in dem er u.a. angab, sowohl der Wirbelsäulenschaden als auch die Atemnot hätten sich verschlechtert; Abnutzungserscheinungen der Kniegelenke, der Hüftgelenke sowie der Schultergelenke seien neu hinzugetreten. Er beantrage die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung.
Nach Einholung und Auswertung von Befundberichten des Facharztes für Orthopädie Dr. P vom 12. Januar 2004 sowie der Fachärztin für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie Dr. H vom 13. Februar 2004 erhöhte der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 11. März 2004 auf 80 und erkannte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" an, wobei er die Lungenfunktionseinschränkung nunmehr mit einem Einzel-GdB von 60 bewertete, lehnte aber die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab. Den Widerspruch des Klägers vom 1. April 2004, in dem er u. a. ausführte, es sei nicht berücksichtigt worden, dass sein Bewegungsradius nach Aussage seiner behandelnden Ärztin nur ca. 10 m betrage, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2004 zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 12. August 2004 Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben, um sein Begehren weiterzuverfolgen. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe nicht alle bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen zutreffend bewertet. Dies gelte insbesondere für den im Mai 2004 stattgehabten Herzinfarkt sowie sein Lungenleiden.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin Dr. L vom 23. Dezember 2004, des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. B vom 21. Dezember 2004, der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H vom 3. Januar 2005 und des Facharztes für Orthopädie Dr. P vom 2. Januar 2005 eingeholt sowie einen Entlassungsbericht des -Klinikums, C, über einen Aufenthalt des Klägers vom 8. Juni 2004 bis 11. Juni 2004 beigezogen.
Der als Sachverständiger bestellte Sozialmediziner Dr. Aron-Schön hat in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2005 unter anderem ausgeführt, bei dem Kläger liege seit Mai 2004 ein Gesamt-GdB von 90 vor. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege dagegen eindeutig nicht vor. Der Kläger könne bei der Fortbewegung zu Fuß nicht mit dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten, der Doppeloberschenkelamputierten, der Hüftexartikulierten, die dauernd außer Stande seien, ein Kunstbein zutragen oder nur eine Beckenprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien, gleichgestellt werden. Er könne ohne fremde Hilfe und ohne Nutzung von Hilfsmitteln zu Fuß, ohne große Anstrengung, Wegstrecken von 80 bis 100 m durchaus zurücklegen. Ein Herzschaden mit schweren Dekompensationserscheinungen und Ruheinsuffizienz oder eine Krankheit der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades liege bei dem Kläger nicht vor.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 7. April 2006 einen GdB von 90 ab Dezember 2005 anerkannt. Er ist dabei vom Vorliegen folgender Behinderungen:
chronische Bronchitis, Lungenfunktionseinschränkung, Teilverlust der Lunge (Einzel-GdB 60),
Funktionseinschränkung des Fußes beidseits, arterielle Verschlusskrankheit der Beine beidseits, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits (Einzel-GdB 40),
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30),
koronare Herzkrankheit, das heißt Durchblutungsstörungen des Herzens (Einzel-GdB 30),
Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Einzel-GdB 30),
Teilverlust des Magens (Einzel-GdB 20),
Funktionsbehinderung des Schultergelenkes (Einzel-GdB 10) und
Sehminderung (Einzel-GdB 10)
ausgegangen.
Mit Urteil vom 3. August 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger gehöre nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen sei. Er sei diesem Personenkreis auch nicht gleichzustellen, denn er sei in der Lage ohne fremde Hilfe und ohne Nutzung von Hilfsmitteln, sich ohne große Anstrengung zu Fuß 80 bis 100 m zu bewegen. Es stehe eindeutig die Einbuße der allgemeinen körperlichen Belastbarkeit bedingt durch die Herz- und Lungenfunktionsminderung, mit frühzeitig eintretender körperlicher Erschöpfung und Atemnot im Vordergrund. Die degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und Kniegelenke beidseits sowie die arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine würden dabei die Gang- und Standfähigkeit des Klägers nur nachrangig beeinträchtigen. Der Kläger selbst habe gegenüber dem Gutachter angegeben, eine Gehstrecke auf ebener Fläche von 100 m zu Fuß bewältigen zu können. Anlässlich der Begutachtung sei es dem Kläger auch möglich gewesen, die Wegstrecke von 200 bis 300 m vom Parkplatz außerhalb des Geländes bis zu den Untersuchungsräumen problemlos zu Fuß zu bewältigen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" lägen damit nicht vor.
Gegen dieses ihm am 15. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Januar 2007 Berufung eingelegt, um sein Begehren weiter zuverfolgen. Er ist weiterhin der Ansicht, das Merkzeichen "aG" sei zu bewilligen. Er könne kaum 10 m ohne Hilfsmittel zurücklegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 3. August 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab 22. Dezember 2003 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, dass dem Kläger das Merkzeichen "aG" nicht zustehe.
Der Senat hat Befundberichte des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. B vom 9. Juli 2007, der Fachärztin für Neurologie Dr. A vom 10. Juli 2007, des Facharztes für Orthopädie Dipl.-Mediziner G vom 27. Juli 2007 und der Fachärztin für Innere Medizin/Pneumologie Dipl.-Medizinerin J vom 10. Oktober 2007 eingeholt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: ) verwiesen. Der Inhalt dieser Unterlagen war Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 i. V. m. 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 18. August 2008 bzw. 25. August 2008 mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Sie ist aber nicht begründet, denn das Sozialgericht Cottbus hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" abgelehnt.
Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; eine solche ist vorliegend nicht gegeben.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (dessen Regelungen am 1. Juli 2001 in Kraft getreten und zuletzt durch Art. 8 Abs. 2 Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 18. Dezember 2007, BGBl. I S. 2984 geändert worden sind - SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gebehinderung i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen i. S von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen". Darüber hinaus führt sie u. a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3 a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB XI) und ggfs. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gebehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419; vgl. zur insoweit unveränderten Fassung vom 22. Oktober 1998: BAnz 1998, Nr. 246b, S 47). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 38 f). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 S 87; Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 182). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht ankommen (Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22; Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37). Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von "aG" bezweckten Nachteilsausgleiches nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StvO bzw § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 183). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150, S. 9 f. in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 39).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das BSG bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen.
Auch soweit die genannten großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichen jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes aber auch der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar.
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden, denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994, Az. 9 RVs 3/94, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 11 S 45).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens "aG" herleiten. Es kommt daher nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Das Merkzeichen "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06. November 1985, Az. 9a RVs 7/83, BSG SozR 3870 § 3 Nr. 18 S. 58). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahe legen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2001, Az. L 11 SB 4527/00, zitiert nach iuris). Aber auch diesem Ansatz hat das BSG nicht zugestimmt (BSG, Urteil vom 29. März 2007, Az. B 9a SB 1/06 R, zitiert nach juris), denn abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze zu kurz, da den nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO gewährten Erleichterungen weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie z. B. die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt werden.
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann.
Vorliegend steht für den Senat trotz der erheblichen bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen fest, dass dieser sich noch wesentlich besser als der Kreis der ausdrücklich genannten Schwerbehinderten, denen das Merkzeichen "aG" zusteht, fortbewegen kann. Dies folgt aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. , der dargelegt hat, dass im Vordergrund der leistungslimitierenden Beschwerden die Einbuße der allgemeinen körperlichen Belastbarkeit, bedingt durch die Herz- und Lungenfunktion, mit frühzeitig eintretender körperlicher Erschöpfung und Atemnot, steht. Demgegenüber ist die Gang- und Standfähigkeit bei dem Kläger nur nachrangig durch die degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und Kniegelenke beidseits sowie der arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine beeinträchtigt. Trotz der erheblichen Einschränkungen durch die Herz- und Lungenerkrankung kann der Kläger aber ohne fremde Hilfe und ohne Nutzung von Hilfsmitteln zu Fuß, ohne große Anstrengung, Wegstrecken von 80 bis 100 m durchaus zurücklegen. Danach benötigt er Pausen im Sitzen von ca. 5 bis 10 Minuten. Es besteht damit bei dem Kläger eine erhebliche, nicht jedoch eine außergewöhnliche Gehbehinderung.
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
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