L 13 R 4079/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2108/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4079/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1952 geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige; sie zog am 10. Oktober 1988 in die Bundesrepublik Deutschland zu. Im Herkunftsland war sie als Küchenhilfe, Erzieherin, Näherin, Schweißerin und Sekretärin beschäftigt. Nach ihrem Zuzug arbeitete die Klägerin zunächst als Metallarbeiterin (8. August bis 30. September 1990), anschießend als Arbeiterin im Paketversand (23. September 1991 bis Dezember 1996) und vom 14. September 1998 bis 31. Dezember 1999 als Arbeiterin in einer Buchbinderei bzw. im Druckzentrum S.

Am 13. November 2003 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung ihres Antrags gab sie an, sie halte sich seit dem Jahr 2000 für erwerbsgemindert. Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts ließ die Beklagte die Klägerin von dem Arzt für Orthopädie Dipl.-Med. M. untersuchen und begutachten. Dieser legte in seinem Gutachten vom 4. Februar 2004 dar, die Klägerin leide an einem rechtsbetonten Zervikobrachialsyndrom bei Status nach CTS-OP beidseits, an Diabetes mellitus Typ II und an einer Dupuytren’schen Kontraktur 4. Strahl, rechts mehr als links. Trotz dieser Erkrankungen sei die Klägerin allerdings noch in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten arbeitstäglich sechs Stunden und länger auszuführen. Dabei sollten ständige Überkopfarbeit und Tätigkeiten mit ständigen Anforderungen an die Feinmotorik beider Hände vermieden werden. In der Folge zog die Beklagte neben Befundunterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte einen medizinischen Entlassungsbericht der Z.-Klinik St. B. bei. Die Klägerin hatte in dieser Klinik in der Zeit vom 16. Dezember 1999 bis 20. Januar 2000 ein stationäres Heilverfahren absolviert. Im Reha-Entlassungsbericht vom 1. Februar 2000 führten Dr. W. und Dr. R. aus, anlässlich des Heilverfahrens seien eine Schultersteife links bei kleiner Supraspinatussehnenteilruptur links, ein Sulcus ulnaris-Syndrom rechts, ein Diabetes mellitus Typ II und Trainingsmangel diagnostiziert worden. Außerdem bestehe der Verdacht auf Osteoporose. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin, die arbeitsfähig aus dem Heilverfahren entlassen wurde, noch vollschichtig arbeiten. Mit Bescheid vom 17. März 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2004 zurück.

Mit der am 6. Juli 2004 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Entgegen den Feststellungen der Beklagten sei sie nicht mehr in der Lage, sechs Stunden täglich zu arbeiten. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin ärztliche Atteste von Facharzt für Orthopädie A. und von Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Dipl.-Psych. Re. vorgelegt. Wegen des Inhalts dieser Atteste wird auf Bl. 41/42 und 44 der Klageakte des SG verwiesen. Das SG hat zunächst schriftliche sachverständige Zeugenaussagen von der Frauenärztin Dipl.-Med. Ka., von Augenarzt Ha., von Dr. Re., Dr. A. und von der Ärztin für Allgemeinmedizin Pa. eingeholt. Während Dipl.-Med. Ka., Augenarzt Ha. und Allgemeinärztin Pa. der sozialmedizinischen Beurteilung von Dipl.-Med. M. zugestimmt haben, hat Dr. Re. in seiner Aussage vom 18. April 2005 darauf hingewiesen, das Gutachten von Dipl.-Med. M. lasse die psychiatrische Seite völlig unberücksichtigt. Dr. A. hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne wegen der dauerhaften Schmerzsymptomatik allenfalls eine unter halbschichtige Tätigkeit verrichten. Das SG hat daraufhin den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, für Psychotherapeutische Medizin und für innere Medizin Dr. Gr. und den Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin Dr. Le. mit der Erstattung medizinischer Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. Gr. hat in seinem Gutachten vom 15. September 2005 ausgeführt, die Klägerin leide auf neuro-psychiatrischem Fachgebiet unter eine grenzkompensierten Psychoneurose, unter einer ungenügend behandelten anhaltenden depressiven Entwicklung mit aktuell mäßiggradiger Ausprägung und neurotischen sowie involutiven Anteilen, unter sozial-phobischen Tendenzen ohne gravierende psycho-soziale Rückzugstendenzen und unter einer somatoformen Funktionsstörung vor dem Hintergrund neurotischer und sozialer Belastungsfaktoren. Solange die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien, könne eine quantitative Leistungsminderung nicht festgestellt werden. Dr. Le. hat in seinem Gutachten vom 23. Januar 2006 folgende Diagnosen gestellt: degeneratives Cervicalsyndrom ohne Funktionseinschränkungen, ein Thorakolumbalsyndrom bei mäßigem Haltungsfehler und leichten Funktionseinschränkungen ohne wesentliche degenerative Veränderungen, subacromiales Schmerzsyndrom der rechten Schulter mit Verdacht auf Rotatorenmanschettenläsion, persistierende periphere Ulnarisreizung nach zweimaliger Operation eines Sulcus ulnaris-Syndroms mit Aufhebung der Spreizung der Finger III und IV, Restbeschwerden im Daumenballenbereich beider Hände und Schwäche beim Faustschluss nach Operation eines Carpaltunnelsyncroms beidseits, Morbus Dupuytren ulnarer Handbereich rechts mehr als links ohne Funktionseinschränkung, Chondropathia patellae beider Kniegelenke, akute Tendinosis stenosans (schnellender Finger) III links. Eine regelmäßige Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden je Arbeitstag sei der Klägerin - unter zusätzlicher Berücksichtigung der neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen - ohne Gefährdung ihrer Gesundheit weiterhin möglich. Gestützt auf diese Gutachten hat das SG die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2006 abgewiesen.

Gegen dieses ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 17. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. August 2006 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen den Feststellungen des SG liege ihr berufliches Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich; im Vordergrund stünden die Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Weder die vorliegende Depression noch die bislang unberücksichtigt gebliebene Alkoholkrankheit hätten sich gebessert; in der Vergangenheit hätte sie im Gegenteil immer wieder Rückfälle erlitten. Sie halte den Sachverhalt zumindest für weiter aufklärungsbedürftig. Mit Schriftsatz vom 19. März 2008 hat der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, "zum Beweis dafür, dass die Klägerin wegen ihrer Alkoholsucht, den rezidivierenden Depressionen, ihrer Agoraphobie und der somatoformen Schmerzstörung sowie der Verdachtsdiagnose des Restless-legs-Syndroms allenfalls noch in der Lage ist, bis maximal 3 Stunden am Tag zu arbeiten, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu veranlassen".

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2004 zu verurteilen, ihr ab 1. November 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren,

hilfsweise ein Sachverständigengutachten, wie im Schriftsatz vom 19. März 2008 beantragt, einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend. Zur Begründung hat sie ärztliche Stellungnahmen von Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin Dr. St. vom 15. Januar 2007, vom 2. Oktober 2007 und vom 22. Februar 2008 vorgelegt. Wegen des Inhalts dieser Stellungnahmen wird auf Bl. 29, 71/72 und 93 der Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Der Senat hat zunächst einen Bericht der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie V.-S. über eine teilstationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 4. Oktober bis 8. Dezember 2006 beigezogen. Wegen des Inhalts dieses Berichts wird auf Bl. 26/27 der Berufungsakte des Senats verwiesen. Anschließend ist der Nervenarzt Prof. Dr. Ste. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Letzterer hat in seinem Gutachten vom 5. September 2007 dargelegt, die Klägerin leide unter Alkoholabhängigkeit und unter einer sekundären depressiven Störung nicht eindeutig bestimmbaren Schweregrades, aktuell wahrscheinlich in der Ausprägung einer Dysthymia. Ein Nervenwurzelreizsyndrom hat der Sachverständige ebenso ausgeschlossen, wie eine psychosomatische Erkrankung. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. September 2007 hat Prof. Dr. Ste. ausgeführt, überdauernde qualitative oder quantitative Leistungseinschränkungen hätten nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Wenn die Klägerin sich um Abstinenz bemühe - dies sei ihr völlig zumutbar - könne sie ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben. In der Folge hat der Senat eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage von Dr. Re. (Aussage vom 22. Januar 2008; Bl. 87/88 der Berufungsakte) eingeholt. Außerdem sind der Entlassungsbericht des V. v. P. Hospitals R. über eine in der Zeit vom 26. Oktober bis 23. November 2007 sowie vom 3. Dezember 2007 bis 18. Januar 2008 durchgeführte Entwöhnungsbehandlung (Bl. 89 bis 91 der Berufungsakte) und Auszüge aus der Schwerbehindertenakte des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis (Bl. 104/105 der Berufungsakte) beigezogen worden.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG (S 6 RJ 2108/04) und die Berufungsakten des Senats (L 13 R 4079/06) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Rentenantrag der Klägerin vom 13. November 2003 ablehnende Bescheid vom 17. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2004. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in subjektiven Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Durch das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827 ff.) hat der Gesetzgeber das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundlegend neu geordnet. Kernstück der auch im vorliegenden Fall anwendbaren Neuregelung ist die Abschaffung der bisherigen Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1. Januar 1961 geborene Versicherte und die Einführung einer zweistufigen Erwerbsminderungsrente mit einer vollen Erwerbsminderungsrente bei einem Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von drei bis sechs Stunden.

Gemäß § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die - wie die Klägerin - vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Die Klägerin ist noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Sie ist damit weder erwerbsgemindert, noch berufsunfähig und hat deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Dass bei der Klägerin eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß nicht gegeben ist, hat das SG in nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise zutreffend aus den Sachverständigengutachten von Dr. Gr. und Dr. Le. sowie dem Gutachten von Dipl.-Med. M., das im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden kann, geschlussfolgert. Der Senat schließt sich deshalb zunächst den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 29. Juni 2006, insbesondere der dort vorgenommene Beweiswürdigung an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin zur Begründung der Berufung und die im Verlauf des Berufungsverfahrens durchgeführte Beweisaufnahme rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Nachdem das Schwergewicht der das berufliche Leistungsvermögen einschränkenden Erkrankungen - dies wird auch von der Klägerin so gesehen - auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet liegt und zudem mit einer Alkoholkrankheit ein im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht berücksichtigtes Krankheitsbild zu Tage getreten ist, hat der Senat auf nervenärztlichem Fachgebiet ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt. Auch Prof. Dr. Ste. hat in seinem Gutachten vom 5. September 2007 jedoch nur qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens bestätigen können. Wie er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. September 2007 klargestellt hat, kann die Klägerin ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass sie sich um Alkoholabstinenz bemüht; dies ist ihr, wie Prof. Dr. Ste. aus den von ihm erhobenen Befunden schlüssig gefolgert hat, auch möglich und zumutbar. Bestätigt wird diese Einschätzung durch den vom Senat beigezogenen Entlassungsbericht des V. v. P. Hospitals R., in dem die Klägerin in der Zeit vom 26. Oktober bis 23. November 2007 sowie vom 3. Dezember 2007 bis 18. Januar 2008 (insbesondere wegen der Alkoholkrankheit) stationär behandelt worden ist. Dort wird ausgeführt, die Klägerin habe zum Entlassungszeitpunkt ausreichend stabil, selbstsicher und stimmungsmäßig ausgeglichen gewirkt. Letztlich sind auch dem Bericht der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie V.-S. vom 21. September 2006, der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Re. vom 22. Januar 2008 und den beigezogenen Auszügen aus der Schwerbehindertenakte des LRA keine Befunde zu entnehmen, die den Senat veranlassen könnten, an der Richtigkeit der sozialmedizinischen Beurteilung von Prof. Dr. Ste. zu zweifeln. Der Senat hat auch keinen Anlass weiter Beweis zu erheben. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, wie vom Bevollmächtigten der Klägerin unter Bezugnahme seines Schriftsatzes vom 19. März 2008 in der mündlichen Verhandlung beantragt, ist nicht notwendig, zumal das beantragte Beweisthema bereits Gegenstand des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. Ste. gewesen ist und der medizinische Sachverhalt somit abschließend ermittelt ist. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands oder das Hinzutreten weiterer Befunde ist nicht ersichtlich und wird vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht vorgetragen - er hat nach eigener Darlegung auch keinen direkten Kontakt zu der Klägerin und kann aktuelle Befunde nicht vorlegen.

Auch der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) ist nicht gegeben. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin nicht vor. In qualitativer Hinsicht muss diese, wie der Orthopäde Dr. Lehnhard in seinem Gutachten vom 23. Januar 2006 ausgeführt hat, mittelschwere und schwere Arbeiten, Heben oder Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, häufiges Bücken und gleichförmige Körperhaltungen, Akkord- und Fließbandarbeiten, Überkopfarbeiten und überwiegend manuelle Belastungen vermeiden. Aufgrund der Erkrankungen des nervenärztlichen Fachgebiets verbieten sich ausweislich des Gutachtens von Dr. Gr. darüber hinaus Schichtarbeit, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, an laufenden gefährlichen Maschinen, mit Absturzgefahr verbundene Tätigkeiten sowie solche, die mit häufigem Publikumsverkehr einhergehen. Diese Einschränkungen können zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Aufgrund der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme konnten weitere Funktionseinschränkungen nicht festgestellt werden.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht vor; die Klägerin ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entwickelten Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23).

Ausgehend von diesem Schema ist die Klägerin allenfalls der Gruppe der unteren Angelernten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von höchstens zwölf Monaten zuzuordnen. Die Klägerin war zuletzt von September 1991 bis Dezember 1996 als Arbeiterin im Paketversand und vom 14. September 1998 bis 31. Dezember 1999 als Arbeiterin in einer Buchbinderei bzw. im Druckzentrum Südwest versicherungspflichtig beschäftigt. Herbei handelte es sich um Tätigkeiten, die eine Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf Monaten jedenfalls nicht erfordern. Die Klägerin genießt damit keinen qualifizierten Berufsschutz und kann auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf. Da sie jedenfalls noch im Stande ist, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden täglich auszuüben, kann der Senat offen lassen, ob gesundheitsbedingte Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens einer Wiederaufnahme der zuletzt verrichteten Tätigkeit entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved