L 9 U 5317/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3729/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5317/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. August 2007 aufgehoben, soweit die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente verurteilt wurde. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Es wird festgestellt, dass der großflächige Sehnenriss und die erhebliche Funktionseinschränkung im rechten Schultergelenk Folge des Arbeitsunfalls vom 22. Januar 2005 sind.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.1.2005 und die Gewährung von Verletztenrente streitig.

Der 1947 geborene Kläger war selbstständiger Landwirt und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle versichert. Der Chirurg und Unfallchirurg Dr. L., Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Kliniken des Landkreises Biberach, teilte der Beklagten im Durchgangsarztbericht vom 22.1.2005 mit, der Kläger habe am 22.1.2005 gegen 15:00 Uhr ein Kalb über eine kniehohe Barriere heben wollen. Als das Kalb abgerutscht sei, habe er plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Schulter-/Oberarmbereich verspürt, weswegen er am selben Tag um 16:45 Uhr in die Klinik gekommen sei. Das Röntgen der rechten Schulter habe keine knöcherne Verletzung ergeben. Er habe folgenden Befund erhoben: Druckschmerz lateral ca. 4 cm distal des AC-Gelenkdaches am Oberarm, Druckschmerz dorsal unter AC-Gelenkdach, Abduktion schmerzbedingt nicht möglich, Bewegung Unterarm schmerzbedingt nicht möglich; keine Schwellung, keine äußeren Verletzungszeichen. Im Rahmen der Erstversorgung verordnete der Durchgangsarzt RP Diclo 75 SL 1-0-1, Gilchrist, Voltaren-Salbenverband, Andolor bei Bedarf und äußerte einen Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur rechts. Er führte aus, der Unfallmechanismus lasse eine Gelegenheitsursache vermuten; eine Abklärung durch die Beklagte sei notwendig.

Der Kernspintomografiebefund des rechten Schultergelenks vom 27.1.2005 ergab folgende Beurteilung: 1. Komplette Ruptur der Supraspinatussehne mit Retraktion des Sehnenendes bis kurz vor der Schultergelenkspfanne und hierdurch bedingt eine Lücke von ca. 3 cm 2. Subtotale Ruptur der Subscapularis Muskulatur. Um diese herum auch ausgeprägte Flüssigkeitsansammlung 3. Anriss der Infraspinatussehne nahe ihrem Ansatz. Ausgeprägter Gelenkserguss mit Infiltration der Bursa subdeltoidea-subacromialis 4. Zystenbildung am Humeruskopf laterodorsal 5. Vorbestehende AC-Gelenksarthrose. Am 28.1.2005 wurde die rechte Schulter des Klägers operativ behandelt. Im Operationsbericht heißt es, es finde sich eine ausgeprägte Ruptur mit Retraktion der Supraspinatus- und Infraspinatussehne. Die Bizepssehne liege zwar im Sulcus, sei jedoch cranial auf 1,5 cm verbreitert und weise deutliche degenerative Veränderungen auf. Der Pathologe Dr. Q. kam auf Grund der Untersuchung von 1. zwei zusammen etwa mandelgroßen, gelbbraunen Gewebestücken von subacromial 2. Fixierflüssigkeit ohne Gewebe von der rechten Supraspinatussehne 3. eines bohnengroßen, braunen Gewebsstücks von der Infraspinatussehne 4. vier zusammen etwa mandelgroßen, aufgefaserten Gewebestücken von der rechten Bizepssehne im Pathologiebericht vom 2.2.2005 zu folgendem Ergebnis: 1. Etwas narbig veränderte Wandanteile einer Bursa subacromialis rechts 2. Fixierflüssigkeit ohne Gewebe 3. Tendinöse bzw. peritendinöse Gewebsanteile klinisch von der Infraspinatussehne mit Substanzdefekten und geringgradigen reparativen Vorgängen wie nach einer relativ frischen Läsion 4. Bizepssehnenanteile von rechts mit Substanzdefekten und Fibrinausschwitzungen sowie mit fokalen geringgradigen degenerativen Veränderungen, auch hier im Sinne einer relativ frischen Läsion, die offenbar ein leicht degenerativ verändertes Gewebe getroffen hat.

Im Zwischenbericht vom 7.2.2005 führte Oberarzt Dr. A. von der Chirurgischen Klinik der Kliniken des Landkreises Biberach aus, der Kläger habe seine Angaben dahingehend präzisiert, das Kalb sei ihm weggesprungen, dabei sei der rechte Arm herumgerissen worden. Der makroskopische intraoperative Befund habe am 28.1.2005 in mehreren Bereichen der Rotatorenmanschettenruptur eindeutig frisch gerissene Sehnenstümpfe gezeigt, die noch keinerlei wesentliche Abrundung oder Vernarbungen aufgewiesen hätten. Im pathologischen Befundbericht werde die Läsion der Infraspinatussehne als relativ frisch beurteilt. Die Läsion der Bizepssehnenanteile sei relativ frisch und habe leicht degenerativ verändertes Gewebe getroffen. Sie seien der Meinung, dass degenerative Veränderungen und möglicherweise eine Partialläsion der Rotatorenmanschette vor dem Unfall vorgelegen habe, es durch den Unfall zumindest zu einer zusätzlichen frischen Schädigung der Rotatorenmanschette mit richtungsweisender Verschlimmerung gekommen sei.

In der Unfallanzeige vom 7.2.2005 erklärte der Kläger - unter Beifügung einer Zeichnung -, er habe am Unfalltag ein zwei Tage altes Kalb aus der Abkalbbucht mit einem kräftigen Ruck in den Transportkarren legen wollen. Dabei habe dieses plötzlich und überraschend einen blitzartigen Sprung nach vorn gemacht, wobei es ihm ausgerutscht sei und ihm den rechten Arm nach hinten weggedreht habe und er zu Boden gestürzt sei. Die Beklagte holte eine Auskunft bei dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. vom 14.2.2005 ein, der folgende Behandlungen des Klägers mitteilte: 3.5.1991 PHS (Periarthropathia humero-scapularis) re. Schulter 29.11.1991 PHS re. Schulter 28.1.1992 PHS re. Schulter 21.11.1994 PHS re. Schulter 24.1.1995 PHS links 12.12.1997 Schulter-Arm-Syndrom 23.3.1999 Schulter-Arm-Syndrom 13.9.1999 PHS links 11.1.2001 HWS-Schulter-Syndrom 21.2.2002 HWS-Schulter-Syndrom 6.5.2002 Nacken-Schulter-Arm-Syndrom 3.12.2003 PHS beidseitig 4.5.2004 Halswirbelsäulensyndrom.

Anschließend ließ die Beklagte den Kläger von Prof. Dr. M., Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie des Krankenhauses St. Elisabeth, begutachten. In dem zusammen mit Oberarzt Dr. W. erstatteten Gutachten vom 13.4.2005 stellte dieser beim Kläger eine erhebliche Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk (seitwärts/körperwärts 60-0-20 rechts, 170-0-20 links; rückwärts/vorwärts 40-0-40 rechts, 40-0-180 links), eine Verschmächtigung des rechten Musculus deltoideus, reizlose Narbenbildung nach Rotatorenmanschetten-Refixation rechts sowie röntgenologische Veränderungen im rechten Schultergelenk fest. Auf Grund der vorliegenden Befunde (Röntgen-, Kernspintomografiebefund und Operationsbericht) gingen sie davon aus, dass beim Kläger zum Unfallzeitpunkt ein erheblicher Rotatorenmanschettendefekt mit erheblichen degenerativen Veränderungen (auch des umgebenden Weichteilgewebes sowie der knöchernen Strukturen) vorgelegen haben müsse, auch wenn dieser relativ wenig Beschwerden verursacht habe. Ein frischer unfallbedingter Riss werde im Operationsbericht nicht beschrieben, auch indirekte Zeichen für einen frischen Einriss (Hämatom, Blutung ins Gelenk) fehlten. Deswegen müsse man davon ausgehen, dass für die jetzt feststellbaren Beschwerden und Funktionseinschränkungen unfallunabhängige Faktoren bei weitem überwögen. Dem angeschuldigten Ereignis komme nur die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zu.

Mit Schreiben vom 9.5.2005 übersandte die Beklagte dem Kläger das Gutachten zur Kenntnis und teilte ihm am 17.5.2005 telefonisch mit, hierbei handele es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den er ein Jahr lang Widerspruch erheben könne.

In einem Zwischenbericht vom 18.5.2005 führte Dr. A. aus, das Gutachten von Prof. Dr. M. sei nicht schlüssig. Der Unfallhergang sei geeignet gewesen, eine Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen. Ferner werde auf die intraoperativ am 28.1.2005 festgestellten frischen Rupturzeichen hingewiesen. Der histologische Befund spreche ebenfalls für frische Läsionen. Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. J. vom 30.5.2005 ein, der ausführte, es handle sich um eine Gelegenheitsursache. Nachdem Dr. A. unter dem 8.6.2005 nochmals die Ansicht vertrat, es habe sich bei dem Ereignis um einen Unfall und keine Gelegenheitsursache gehandelt, holte die Beklagte eine weitere Stellungnahme bei Dr. J. vom 13.6.2005 ein, der an seiner bisherigen Auffassung festhielt.

Der Kläger legte am 3.8.2005 unter Vorlage eines Attestes von Dr. Sch. vom 31.5.2005 und des Zwischenberichts von Prof. Dr. L./Dr. A. vom 8.6.2005 Widerspruch ein und beantragte, das Ereignis vom 22.1.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und über die Unfallfolgen im anschließenden Verfahren zu entscheiden. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei dem Ereignis vom 20.1.2005 habe es sich um keinen Arbeitsunfall gehandelt. Nach der Beurteilung von Prof. Dr. M./Dr. W. im Gutachten vom 13.4.2005 sei das Ereignis vom 22.1.2005 nicht geeignet gewesen, die Sehnenrisse hervorzurufen. Die Beschwerden im Bereich der rechten Schulter seien nur gelegentlich, nicht jedoch infolge äußerer Einwirkung eingetreten. Es sei von degenerativen Veränderungen auszugehen, die den Riss verursacht hätten.

Hiergegen hat der Kläger am 25.11.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben, mit der er die Anerkennung des Ereignisses vom 22.1.2005 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Verletztenrente ab 1.5.2005 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und um 30 vH begehrt hat.

Das SG hat den Orthopäden Dr. H. mit Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 25.11.2006 ausgeführt, es bestehe kein Zweifel, dass bereits vor dem Unfallereignis massive Vorschäden im rechten Schultergelenk sowie der Rotatorenmanschette vorgelegen hätten. Andererseits sei der Kläger in der Lage gewesen, den körperlich belastenden Beruf des Landwirts vollschichtig ausüben. Der Unfallmechanismus (unerwartete ruckartige kraftvolle, passive Auswärtsdrehung bzw. Überstreckung des rechten Schultergelenks) sei geeignet gewesen, einen Rotatorenmanschettenschaden zu verursachen. Das Aufsuchen des Krankenhauses innerhalb von zwei Stunden nach dem Unfallereignis deute auf einen relevanten unfallbedingten Körperschaden hin. Der ärztliche Erstbefund (massive aktive und passive Bewegungseinschränkung) sei mit einer unfallbedingten Schädigung der Rotatorenmanschette vereinbar. Der Röntgenbefund zeige deutliche Zeichen einer unfallunabhängigen Vorschädigung der Rotatorenmanschette und des Schultergelenks. Der Kernspintomografiebefund (ausgedehnte Rissbildung, die von der Subscapularissehne über die Supraspinatussehne bis in die Infraspinatussehne reiche) spreche eher für einen Unfallschaden als für eine unfallbedingte Degeneration. Der Operationsbericht und der histologische Befund sprächen sowohl für degenerative Veränderungen als auch für unfallabhängige Schäden. Nach seiner Meinung sei es sehr viel wahrscheinlicher, dass die deutlich vorgeschädigte Rotatorenmanschette durch den Unfall zusätzliche relevante Schäden erlitten habe, die letztlich aus einer nicht mehr voll belastbaren, aber frei beweglichen Schulter eine noch kaum bewegliche, fast funktionsuntüchtige Schulter gemacht hätten. Das Unfallereignis habe zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung eines Vorschadens geführt. Die MdE für die Unfallfolgen schätze er ab Ende der Arbeitsunfähigkeit, d. h. ab Mai 2005, auf 30 vH.

Die Beklagte hat hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. Sp. vom 7.1.2007 vorgelegt, der sich der Beurteilung von Prof. Dr. M. angeschlossen hat.

Mit Urteil vom 28.8.2007 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 22.1.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente ab 1.5.2005 nach einer MdE um 30 vH zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. H. gehe es davon aus, dass mit Wahrscheinlichkeit eine richtungsweisende Verschlimmerung des vorbestehenden Krankheitsbildes im Bereich der rechten Schulter eingetreten sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass die drastische Verschlechterung bei einer Alltagsbelastung etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre. Die MdE für die Unfallfolgen betrage ab 1.5.2005 30 vH. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 16.10.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9.11.2007 Berufung eingelegt und unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Sp. vom 15.11.2007 vorgetragen, die Feststellung des SG, dass es sich bei dem Ereignis vom 22.1.2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt habe, werde nicht angefochten. Strittig seien jedoch die Auswirkungen des Arbeitsunfalls. Ein Unfallereignis sei dann als gleichwertige Teilursache neben der Anlage zu werten, wenn die Reißfestigkeit des Supraspinatussehne gemindert sei. Die Reißfestigkeit werde mit etwa 400 kp errechnet, sodass eine Belastung mit 200 kp vorauszusetzen sei. Da andererseits die Reißfestigkeit der Muskulatur nur ein Drittel des Sehnengewebes betrage, also beim Musculus supraspinatus etwa 130 kp, bedeute dies, dass die einwirkende Kraft nicht die Sehne, sondern die Muskulatur zerreiße. Der geschilderte Unfallhergang sei nicht geeignet, eine Zusammenhangstrennung von Sehnengewebe zu bewirken. Eine unnatürliche Längendehnung der Sehne lasse sich aus den Angaben des Klägers nicht ableiten, zumal das Kalb vor Erreichen der Belastungsgrenze der Hand entglitten sei. Nicht nachvollziehbar sei auch die Feststellung des SG, dass eine richtungsweisende Verschlimmerung des vorbestehendem Krankheitsbildes getreten sei. Da die Degeneration bis zum Ereignis stumm geblieben sei, sei die Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens bei Riss der Rotatorenmanschette nicht anzunehmen. Das Ereignis vom 22.1.2005 sei auch nicht eine mit der vorbestehenden Krankheitsanlage mit Wahrscheinlichkeit mindestens gleichwertige Teilursache für die nun vorliegenden Gesundheitsstörungen an der rechten Schulter.

Gegen einen Kausalzusammenhang spreche auch, dass beim Kläger auch an der linken Schulter eine Rotatorenmanschettenschädigung vorliege. Dem Operationsbericht vom 28.1.2005 seien keine Zeichen einer frischen Rotatorenmanschettenruptur zu entnehmen. Vielmehr würden dort eine deutliche Veränderung des subacromialen Raumes, eine ausgeprägte Ruptur mit Retraktion der Supraspinatus- und Infraspinatussehne sowie deutliche degenerative Veränderungen der Bizepssehne beschrieben. Die Beschreibung des makroskopischen intraoperativen Befundes im späteren Zwischenbericht vom 7.2.2005 sei auf Grund der detaillierten Beschreibung im Operationsbericht nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Diese Auffassung werde durch das Ergebnis der feingewebliche Untersuchung gestützt, weil nach dem Bericht des Pathologen vom 2.2.2005 keine Veränderungen, wie sie ein bis zwei Wochen nach einer traumatischen Schädigung der Rotatorenmanschette festzustellen seien, beschrieben würden. So fehlten Hinweise auf eine Einblutung in das gewonnene Gewebe, welche ca. acht Tage nach einer traumatischen Durchtrennung noch zu erwarten wären. Es fehlten Siderinablagerungen als Zeichen einer ehemaligen Einblutung, die sich nach einem Trauma noch bis zu sechs Monate nachweisen ließen. Außerdem sprächen die Zeichen einer faserknorpeligen Metaplasie, die im Bereich der Infraspinatussehne in geringem Umfang zu erkennen gewesen sei, für eine länger zurückliegende Schädigung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. August 2007 insoweit aufzuheben, als sie verurteilt wurde, eine Verletztenrente ab 1.Mai 2005 nach einer MdE um 30 vH zu gewähren und den Feststellungsantrag bezüglich der Unfallfolgen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und festzustellen, dass der großflächige Sehnenriss und die erhebliche schmerzhafte Funktionseinschränkung im rechten Schultergelenk Folge des Arbeitsunfalls vom 22. Januar 2005 sind.

Er erwidert, das Urteil des SG sei zutreffend. Durch den Unfall sei es zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung des vorbestehenden Krankheitsbildes der rechten Schulter gekommen, wie sich aus dem Operationsbericht vom 28.1.2005 und dem Zwischenbericht vom 7.2.2005 ergebe. Darin werde ausdrücklich eine ausgeprägte Ruptur mit Retraktion der Supra- und Infraspinatussehne beschrieben. Weiter werde in mehreren Bereichen der Rotatorenmanschette auf frisch gerissene Sehnenstümpfe, die noch keinerlei wesentliche Abrundung oder Vernarbung zeigten, hingewiesen. In Bezug auf die Infraspinatussehne werde die Läsion als relativ frisch bezeichnet. Auch die Beurteilung der Bizepssehne zeige eine relativ frische Läsion, die leicht degenerativ verändertes Gewebe getroffen habe. Aus dem Bericht des Pathologen vom 2.2.2005 ergäben sich sehr wohl Anzeichen für eine frische Schädigung der Rotatorenmanschette. Trotz Vorliegens degenerativer Veränderungen an der rechten Schulter sprächen überwiegende Umstände für eine richtunggebende Verschlimmerung durch das Unfallereignis. Durch eine Alltagsbelastung wäre es nicht etwa zum selben Zeitpunkt zu einer drastischen Verschlechterung gekommen. Der Unfall vom 22.1.2005 sei auch geeignet gewesen, eine Schädigung der Rotatorenmanschette zu verursachen und stelle somit eine wesentliche Teilursache dar. Durch das Ereignis sei es zu einer Zugbelastung mit einer unnatürlichen Längendehnung der Supraspinatussehne gekommen, die geeignet gewesen sei, neben einer Zerrung oder Prellung des rechten Schultergelenks eine Schädigung der Rotatorenmanschette zu verursachen. Sein rechter Arm sei ruckartig nach hinten weggedreht worden.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist auch insoweit begründet, als das SG die Beklagte zur Gewährung einer Rente nach einer MdE um 30 vH ab 1.5.2005 verurteilt hat. Mit "Bescheid" vom 9.5.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2005 hat die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 22.1.2005 als Arbeitsunfall abgelehnt und einen Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis und dem großflächigen Sehnenriss verneint. Über eine konkrete Leistung - z. B. Verletztenrente bzw. Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung - hat die Beklagte nicht entschieden. Mangels einer entsprechenden Entscheidung über eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine Leistungsklage auf Gewährung von Verletztenrente daher unzulässig.

Bei sachgerechter Auslegung ist das Begehren des Klägers im Hinblick auf die im Ausgangsbescheid erfolgte Ablehnung eines Arbeitsunfalls als Anfechtungs- und Feststellungsklage zu sehen (BSG, Urt. vom 20.3.2007 - B 2 U 19/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 23; Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 29.9.2008 - L 1 U 2116/08 -), mit der die Feststellung des Ereignisses vom 22.1.2005 als Arbeitsunfall und die Feststellung von Unfallfolgen begehrt wird. Auf den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.4.2009 gestellten Antrag des Klägers sind daher die Folgen des Arbeitsunfalls festzustellen.

Das SG hat allerdings zu Recht festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 22.1.2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) oder infolge der Zurücklegung eines versicherten Weges (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Zur Annahme eines Arbeitsunfalls ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang). Dies ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Tätigkeit innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach dem Gesetz der Unfallversicherungsschutz reicht (ständige Rechtsprechung, BSG, Urt. vom 18.3.2008 -B 2 U 13/07 R und vom 10.10.2006 -B 2 U 20/05 R in JURIS mit Hinweis auf BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70 S. 197; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 32 S. 113; BSGE 94, 262, 263 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14, Rdnr. 6). Maßgebend ist dabei, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG, Urt. vom 10.10.2006 a.a.O. Rdnr. 14). Auf Grund der Angaben des Klägers gegenüber dem Durchgangsarzt, der von ihm gefertigten Unfallanzeige vom 7.2.2005 sowie seiner Angaben gegenüber den behandelnden Ärzten, dem Gutachter Prof. Dr. M. sowie dem Sachverständigen Dr. H. stellt der Senat fest, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit als Landwirt ein Kalb über einen kniehohen Zaun heben wollte, das versuchte wegzuspringen, wobei der Arm des Klägers herumgerissen wurde und der Kläger auf den Boden stürzte. Hierbei handelte es sich um einen Arbeitsunfall, wovon die Beklagte im Berufungsverfahren ebenfalls ausgeht und insoweit das Urteil des SG nicht anficht.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und auch ihre Berücksichtigung bei der Bemessung der MdE bzw. der Verletztenrente ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209). Beim Zusammentreffen einer Krankheitsanlage mit einer äußeren Einwirkung ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar war, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlich äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - aaO).

Ausgehend hiervon gelangt der Senat auf Grund des Kernspintomographiebefundes vom 27.1.2005, des Operationsberichts vom 28.1.2005, des Pathologieberichts vom 2.2.2005, der Ausführungen von Dr. A. vom 7.2., 18.5. und 8.6.2005 sowie insbesondere des Gutachtens von Dr. H. vom 25.11.2006 zum Ergebnis, dass der Arbeitsunfall vom 22.1.2005 eine wesentliche Ursache für den großflächigen Sehnenriss der Rotatorenmanschette rechts bzw. den am 27.1.2005 festgestellten kernspintomographischen Befund (insbesondere subtotale Ruptur des Subscapularis-Muskels, Anriss der Infraspinatussehne nahe ihrem Ansatz) und nunmehr der erheblichen Bewegungseinschränkung der rechten Schulter ist.

Unter Berücksichtigung der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfallberufskrankheit, 7. Aufl., S. 509) hält der Senat die Beurteilung von Dr. H. für zutreffend, dass der geschilderte Unfallmechanismus geeignet war, eine Rotatorenmanschette zu schädigen. Denn nach der Schilderung des Klägers lag eine starke Zugbelastung bei Verdrehung des Armes vor, als das 50 bis 55 kg schwere Kalb plötzlich und unerwartet wegspringen wollte. Auch Dr. M. hält den Unfallmechanismus für geeignet, zumindest die im Kernspinbefund beschriebene subtotale Ruptur der Subscapularis-Muskulatur hervorzurufen. Für einen Kausalzusammenhang spricht ferner, dass der Kläger nach dem Unfall umgehend die Arbeit eingestellt und innerhalb von zwei Stunden wegen starker Schmerzen und massiver Bewegungseinschränkungen des rechten Armes (Abduktion schmerzbedingt nicht möglich, Bewegung Unterarm schmerzbedingt nicht möglich) das Krankenhaus aufgesucht hat. Ferner spricht auch die kernspintomographisch festgestellte ausgedehnte Rissbildung, die von der Subscapularissehne über die Supraspinatussehne bis in die Infraspinatussehne reicht, für einen (zumindest zusätzlichen) Unfallschaden im Bereich des Muskulus subscapularis und des Muskulus infraspinatus. Diese Beurteilung wird durch die Einschätzungen des Operateurs Dr. A. bestätigt, der in den Zwischenberichten vom 7.2., 18.5. und 8.6.2005 neben vorbestehenden degenerativen Veränderungen (insbesondere im Bereich der Supraspinatussehne) auch zusätzliche frische Schädigungen in mehreren Bereichen der Rotatorenmanschette beschreibt, die er auf das Unfallereignis vom 22.1.2005 zurückführt. Ferner nennt auch der Pathologe Dr. Q. im Pathologiebericht vom 2.2.2005 Substanzdefekte an der Infraspinatussehne und geringgradige reparative Vorgänge wie nach einer relativ frischen Läsion und Bizepssehnenanteile mit geringgradig degenerativen Veränderungen im Sinne einer relativ frischen Läsion, die ein leicht degenerativ verändertes Gewebe getroffen hat.

Den hiervon abweichenden Beurteilungen von Prof. Dr. M. und Dr. Sp. folgt der Senat dagegen nicht. Soweit Dr. Sp. einen geeigneten Verletzungsmechanismus verneint, weil eine unnatürliche Längendehnung zwar eingeleitet, aber nicht zu Ende geführt worden sei, ist dies nicht überzeugend, da seine Behauptung, das Kalb sei dem Kläger vor Erreichen der Belastungsgrenze entglitten, durch nichts belegt und damit spekulativ ist. Der Umstand, dass kernspintomographisch keine komplette Ruptur der Infraspinatussehne beschrieben wurde, widerlegt das Argument von Dr. H. nicht, dass der ausgedehnte Rotatorenmanschettenschaden eher für eine (zumindest zusätzliche) unfallbedingte Schädigung spricht als für eine degenerativ bedingte. Die Ausführungen von Prof. Dr. M. und Dr. Sp. belegen insbesondere nicht, dass es auch ohne den Unfall vom 22.1.2005 auf Grund der vorbestehenden degenerativen Veränderungen in etwa zu derselben Zeit zu der ausgedehnten Rotatorenmanschettenruptur mit der erheblichen Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks des Klägers gekommen wäre. Angesichts dessen hat der Kläger Anspruch auf die Feststellung, dass der großflächige Sehnenriss und die erhebliche Funktionseinschränkung der rechten Schulter Folge des Arbeitsunfalls vom 22.1.2005 sind.

Das Urteil des SG war aber insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Rentengewährung verurteilt wurde. Insoweit war die Klage mangels einer entsprechenden Entscheidung der Beklagten über eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unzulässig und daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte zu Unrecht die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Feststellung von Unfallfolgen abgelehnt hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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