L 1 R 211/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 RA 188/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 211/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
AAÜG, Diplom-Chemiker
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 23. Februar 2004 – S 6 RA 188/01 – wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger als Diplom-Chemiker Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 (Zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz) der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die Feststellung der entsprechenden Entgelte hat.

Dem am 1939 geborenen Kläger wurde am 23. September 1964 von der Fakultät für Stoffwirtschaft der Technischen Hochschule für Chemie L.-M. der akademischen Grad eines Diplom-Chemikers verliehen. Seit dem 1964 war er über den 30. Juni 1990 hinaus im Volkseigenen Betrieb (VEB) Hydrierwerk Zeitz bzw. dessen Nachfolgebetrieb als Chemiker tätig. Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung zahlte er ab dem 01. Juli 1972. Eine Altersversorgung in einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem nach den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG ist ihm zu keinem Zeitpunkt zugesagt worden.

Den am 16. April 1999 bei der Beklagten gestellten Antrag, die Zeit seiner Tätigkeit im Hydrierwerk Zeitz als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem festzustellen, lehnte diese mit Bescheid vom 25. Juni 1999 mit der Begründung ab, Diplom-Chemiker seien nach dem Wortlauf der Versorgungsordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz nicht in diese einbezogen gewesen. Der dagegen am 16. Juli 1999 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03. Mai 2001).

Der Kläger hat am 30. Mai 2001 beim Sozialgericht Halle Klage erhoben. Dieses hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. Februar 2004 abgewiesen. Die begehrte fiktive Einbeziehung in die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz sei nicht möglich, weil der Kläger nicht berechtigt gewesen sei, den Titel eines Technikers bzw. eines Ingenieurs zu führen.

Gegen den am 24. Februar 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04. März 2004 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt (Az. L 1 RA 70/04). Auf den übereinstimmenden Antrag der Beteiligten hat der Senat im Hinblick auf eine anhängige Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 21. Juni 2004 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Am 02. Juli 2008 hat die Beklagte unter Bezugnahme auf den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – und das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Oktober 2007 – B 4 RS 25/07 – beantragt, das ruhende Verfahren wieder aufzunehmen.

Der Kläger hält auch in Kenntnis der genannten Entscheidungen an seinem Begehren fest. Er ist der Auffassung, sowohl vor als auch nach dem Mauerbau seien in der DDR Diplom-Chemiker und Diplom-Ingenieure gleichbehandelt worden. Die Verordnung vom 17. August 1950 habe besonders qualifizierte Fachkräfte, zu den auch die Diplom-Chemiker zählen würden, an die für die DDR wichtigen Betriebe binden wollen. Die Rechtsprechung des BSG, wonach ein Diplom-Chemiker keine Ingenieurqualifikation habe und deshalb den Titel eines Ingenieurs nicht führen dürfe, negiere den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes und diskriminiere Ausbildung und Qualifikation der naturwissenschaftlichen Akademiker. Die Instanzgerichte und das BSG hätten sich nicht die Mühe gemacht, die gesetzgeberische Absicht zu analysieren, die in der DDR mit dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz verfolgt worden sei. Die Diplom-Chemiker hätten zur technischen Intelligenz gehört und seien deshalb in das Zusatzversorgungssystem einzubeziehen. Im Sprachgebrauch der DDR sei Chemiker ein zu der Berufsgruppe der Ingenieure gehörender Begriff gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 23. Februar 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 15. Oktober 1964 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG mit den entsprechenden Entgelten festzustellen; hilfsweise, den Sachverhalt durch Einholung eines linguistischen Gutachtens weiter aufzuklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 23. Februar 2004 zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts.

Mit Beschluss vom 04. November 2008 hat der Senat gemäß § 153 Absatz 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Streitsache auf den Berichterstatter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung in der Besetzung mit dem Vorsitzenden als Berichterstatter und der beiden ehrenamtlichen Richter entscheiden, weil er in Anwendung von § 153 Absatz 5 SGG die Streitsache auf den Berichterstatter übertragen hat.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Zeit vom 15. Oktober 1964 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG und die erzielten Entgelte festzustellen. Der diese Auffassung bestätigende Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle ist deshalb nicht zu beanstanden. 1. Nach § 1 Absatz 1 Satz 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG, in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Artikel 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – zitiert nach juris, RdNr. 19).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

2. Der Senat lässt auch im vorliegenden Falle ausdrücklich offen, inwieweit er sich der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG anschließt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann. Dies kann deshalb unentschieden bleiben, weil die vom BSG dafür aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (unten 3.).

Die genannte Rechtsprechung des BSG vermag den Senat deshalb nicht zu überzeugen, weil er bezweifelt, dass das AAÜG den Kreis der "potentiell vom AAÜG ab 01. August 1991 erfassten" (oben unter 1. genannten) Personen (BSG, Urteil vom 09. April 2002, a.a.O., RdNr. 20) erweitern wollte und damit das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat.

In den Gesetzesmaterialien finden sich dafür keine Hinweis (siehe BT-Drs. 12/405, S. 113, 146; BT-Drs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BT-Drs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird dort immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dort dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BT-Drs. 12/405, S. 113). Jedoch ist aus der weiteren Gesetzesbegründung ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelfallprüfung und der Kostenerstattungen durch den Bund beziehen (a.a.O., S. 113, 114).

Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Zur Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (a.a.O., S. 146). Auch findet sich in den Gesetzesmaterialien kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Berechtigung auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Das BSG geht sogar selbst davon aus, dass die durch § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG Angesprochenen konkret einbezogen waren (BSG, Urteil vom 10. April 2002, a.a.O., RdNr. 19ff.), obwohl der Gesetzgeber auch hier den Terminus "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" benutzt (BT-Drs. 12/826 S. 21). Dies hält der Senat für widersprüchlich.

3. Diese Kritikpunkte an der ständigen Rechtsprechung des BSG veranlassen den Senat dazu, die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen jedenfalls auch dann strikt einzuhalten, wenn sie als solche enger gefasst sind, als sie im Einzelnen überzeugend abzuleiten sind. Nur wenn danach die Anwendbarkeit des AAÜG bejaht werden müsste, würde sich die Frage stellen, ob der Senat in klärungsbedürftiger Weise von der genannten Rechtsprechung des BSG abweicht.

a) Im vorliegenden Fall muss dies nicht geschehen, da die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen. Danach hängt der Anspruch im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. der DDR I, Nr. 93 S. 844 – im Folgenden: VO-AVItech) i.V.m. § 1 Absatz 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (GBl. der DDR I, Nr. 62 S. 487 – im Folgenden: 2. DB)) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für (1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und (2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar (3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb.

In Anwendung dieser Maßstäbe hatte der Kläger am 01. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech. Er erfüllt die persönliche Voraussetzung nicht, denn er war als Diplom-Chemiker nicht berechtigt, eine der in § 1 Absatz 1 Satz 2 der 2. DB genannten Berufsbezeichnungen zu führen. Das BSG hat unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (Urteil vom 30. Juni 1998 – B 4 RA 11/98 R –) entschieden, dass Diplom-Chemiker nicht zwingend dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz angehört haben (Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 32/01 –, zitiert nach juris). Nach nochmaliger Sachprüfung ist das BSG bei dieser Auffassung geblieben (Urteil vom 18. Oktober 2007 – B 4 RS 25/07 R –, zitiert nach juris). Diese Rechtsprechung ist auch verfassungsgemäß (BVerfG, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 –, zitiert nach juris).

b) Der Einbeziehungstatbestand der Ausübung einer rechtlich zwingend versorgungsberechtigenden Tätigkeit unterfällt allenfalls dann dem Begriff der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG, wenn eine rechtlich unmittelbare Privilegierung durch eine Zusatzversorgungsvorschrift vorliegt. Sie muss einerseits den Vollzugsakt durch eine einzelfallbezogene Versorgungszusage entbehrlich erscheinen lassen und andererseits eine unterstellte Verweigerung der Einbeziehung nicht nur als falsch, sondern als den – grundlegenden – Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze erscheinen lassen, den Art. 19 Satz 2 EVertr zum Maßstab für die Aufhebbarkeit von Verwaltungsentscheidungen der DDR macht. Umgekehrt muss der Einbeziehungstatbestand jedenfalls so deutlich sein, dass er im Hinblick auf die nachteiligen Folgen des AAÜG zu dessen Anwendung durch einen Zusatzversorgungsträger ohne jeden rechtsstaatlichen Zweifel ermächtigen müsste.

In diesem Zusammenhang ist nicht zu entscheiden, ob dem Versicherten wie bei einer erstmaligen Anwendung der Versorgungsordnung nach einer unter Umständen weiten Auslegung der einschlägigen Vorschriften eine ihn begünstigende Zusatzversorgung zuzusprechen wäre (wie also der Versicherte zu Zeiten der DDR hätte behandelt werden können). Dies ist nicht mehr der Prüfungsmaßstab einer bundesrechtlichen Feststellung von Zusatzversorgungszeiten. Diese knüpft nämlich nicht – wie möglicherweise ursprünglich die Versorgungsordnungen – unmittelbar an eine herausgehobene Erwerbstätigkeit an. Dies wäre auch unter Geltung des Grundgesetzes gar nicht möglich. Maßstab der Gleichbehandlung kann nur das rechtsstaatliche Vertrauen sein, nicht willkürlich von Normgeltung ausgenommen zu werden. Es wäre hingegen unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht möglich, frühere Mitarbeiter von volkseigenen Produktionsbetrieben gegenüber solchen von privaten oder genossenschaftlichen Produktionsbetrieben oder von Dienstleistungs- oder Handelsbetrieben (vgl. dazu § 1 Abs. 2 der 2. DB) nur wegen ihrer Tätigkeit mit einer bevorzugten Altersversorgung zu versehen.

Der Senat hat daher keine Vergleiche der jeweiligen ausbildungsbezogenen und beruflichen Leistung anzustellen und in dieser Hinsicht unstimmige Auslegungsergebnisse zu vermeiden, sondern zu prüfen, ob ein gesetzlich deutlich geregeltes Privileg von der Verwaltungspraxis der DDR übergangen wurde. Ob dies der Fall ist, bemisst sich nur nach der Deutlichkeit der Abfassung der Versorgungsnormen, nicht nach deren systemgerechten Inhalt. Schon deshalb geht aller Vortrag des Klägers fehl, der sich mit der Leistungsgerechtigkeit zwischen Personengruppen verschiedener Ausbildungen und Tätigkeiten befasst. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Tätigkeit des Diplom-Chemikers allgemein oder speziell für die Chemieindustrie der DDR besonders bedeutend war. Art. 3 GG enthält kein Handlungsgebot an den Bundesgesetzgeber, aus den Rechtsnormen der DDR überkommene Ungleichheiten zu beseitigen (BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004, a.a.O.).

Ob Diplom-Chemiker durch den Wortlaut erweiternde Auslegung der ursprünglichen VO-AVItech in den Kreis der begünstigten Berufsgruppen einbezogen werden können, kann dahingestellt bleiben. Denn selbst die Verfehlung der bestmöglichen Auslegung beinhaltet weder einen rechtsstaatswidrig willkürlichen Ausschluss von einem gesetzlichen Privileg noch hätte sie umgekehrt den Bundesgesetzgeber ermächtigt, einen auf diese Weise aus der Zusatzversorgung Ausgeschlossenen den nachteiligen Rechtsfolgen des AAÜG zu unterwerfen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert nicht, dass die nachträgliche Einbeziehung in die Zusatzversorgung auf alle Fälle ausgedehnt wird, in denen die Auslegung der Versorgungsnormen der DDR unter Anwendung aller möglichen Auslegungsmethoden dies ergeben könnte. Es trifft nämlich nicht zu, dass sich bei Anwendung aller möglichen Auslegungsmethoden leistungsgerechte Ergebnisse erzielen ließen. Denn die Versorgungsnormen sind weder in sich stimmig noch während des Bestehens der DDR technischen und wirtschaftlichen Veränderungen angepasst worden. Dies ist auch Ausdruck eines fehlenden tatsächlichen Klärungsbedürfnisses, weil zur Herstellung leistungsgerechter Ergebnisse die Vorschriften über die Ermessensversorgung genutzt werden konnten. Eine Auslegung einer Versorgungsordnung im Sinne einer diffusen Leistungsgerechtigkeit lässt aber das rechtsstaatliche Gleichbehandlungsgebot – wie dargelegt – nicht zu.

Die Klage wäre auch dann nicht erfolgreich, wenn die in der 2. DB vorgenommene Tatbestandsabgrenzung tatsächlich rechtsstaatswidrig wäre. Denn dadurch würde jeder Anspruch auf die Feststellung von Zusatzversorgungszeiten ohne ausdrückliche Einbeziehungen durch die zuständigen Stellen der DDR ausgeschlossen, weil ein rechtsstaatlich geschütztes Vertrauen in den Text der Versorgungsordnung dann nicht bestanden haben kann. Zudem ist es widersprüchlich, einerseits den Textinhalt einer Norm anzuzweifeln und andererseits wegen des Textinhaltes Vertrauensschutz einfordern. Deshalb müssen alle Einwände gegen das Textverständnis der 2. DB unberücksichtigt bleiben, die darauf hinauslaufen, die Aufzählung des anspruchsberechtigten Personenkreises sei zufällig und beispielhaft und nicht darauf angelegt, nicht aufgezählte Gruppen von einer Anspruchsberechtigung auszuschließen. Ob überhaupt ein Vertrauen mit dem Inhalt schützenswert sein und die Auslegung von Bundesrecht bestimmen kann, ein Rechtsstaat werde z.B. nur Mitarbeitern einer volkseigenen Industrie eine privilegierte staatliche Altersversorgung einräumen, kann offen bleiben. Um ein Vertrauen auf tatsächliche Gegebenheiten in der DDR kann es ohnehin nicht gehen, weil durch Unterlassen einer tatsächlichen Einbeziehung kein rechtsstaatliches Vertrauen begründet werden kann. Jedenfalls wäre dann Vertrauen anderen Inhalts geschützt, als es das in § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG geschützte Vertrauen von Bewohnern der DDR in die ihnen vom Staat zugeteilten Altersvorkehrungen ist.

c) Ein Anspruch des Versicherten auf Einbeziehung in die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz lässt sich nicht unmittelbar aus § 1 VO-AVItech ableiten. Dessen Regelung, wonach für die technische Intelligenz eine Versorgungsversicherung eingeführt wird, enthält nur eine Einrichtungsgarantie, nämlich die einer besonderen Versicherung. Damit ist nicht gesagt, dass jeder Angehörige der technischen Intelligenz in geeigneten Betrieben einen Rechtsanspruch auf die Einbeziehung hat. Vielmehr ist eine Versorgungsversicherung für alle Angehörigen der technischen Intelligenz auch dann eingerichtet, wenn an einen Anspruch daraus zusätzlich bestimmte Leistungsanforderungen gestellt werden, bei deren Einschätzung ein Beurteilungsspielraum besteht oder im Hinblick auf die eine Einbeziehung nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt. Wann dieser Personenkreis anspruchsberechtigt ist, hat der Verordnungsgeber in § 5 VO-AVItech der uneingeschränkten Regelung durch Durchführungsbestimmungen überlassen.

Zu einer grundsätzlichen Zugänglichkeit der Zusatzversorgung für alle Angehörigen der technischen Intelligenz stand es schon nicht im Gegensatz, wenn § 1 der Ersten Durchführungsbestimmung (1. DB) zur VO-AVItech (v. 26.9.1950, GBl. DDR I, S. 1043) die Einbeziehung ausnahmslos von wertausfüllungsbedürftigen Tatbeständen mit Beurteilungsspielräumen abhängig machte, nämlich "konstruktiv", "schöpferisch", "verantwortlich" und "hervorragender Einfluss". Aber auch daraus folgte für die erwähnten Chemiker trotz der damit bestimmten Zugehörigkeit zur technischen Intelligenz kein Einbeziehungsanspruch. Die Nachholung der zur Prüfung der Anspruchsberechtigung in solchen Fällen erforderlichen Beurteilungen wäre dem Senat – ebenso wie eine nachträgliche Ermessensausübung (BSG, Urteil vom 31.7.2002 – B 4 RA 21/02 R –, SozR 3–8570 § 1 Nr. 9) – auch bei Fortgeltung dieser Vorschrift verwehrt.

Insofern ergibt sich keine grundsätzliche Änderung der Rechtslage und es steht auch im Einklang mit § 1 VO-AVItech, wenn nach § 1 Abs. 1 Unterabsatz 2 der 2. DB allgemein "andere Spezialisten" bei "bedeutendem Einfluss auf den Produktionsprozess" in die Zusatzversorgung – nach Ermessen – einbezogen werden können. Damit zählen die anderen Spezialisten – vgl. die Überschrift des § 1 der 2. DB – zum Kreis der technischen Intelligenz, ohne dadurch allein von Gesetzes wegen anspruchsberechtigt zu sein. Zu diesem Kreis gehören nach den Texten der Versorgungsordnung die in der Industrie tätigen Chemiker. Es kann daher nicht geschlussfolgert werden, die Rechtsprechung der Bundesrepublik unterstelle dem Normgeber der DDR entgegen den historischen Tatsachen, er habe die Diplom-Chemiker aus der Zusatzversorgung ausschließen wollen. In der zusätzlichen Prüfung eines "bedeutenden Einflusses auf den Produktionsprozess" und der Ermächtigung zu weiteren sachbezogenen Abwägungen in den Fällen der anderen Spezialisten (und somit auch der Chemiker) liegt kein Ausschluss.

d) Rechtlich nicht zwingend ist die Vorstellung, der Normengeber der DDR habe die Trennung zwischen bindender Berechtigung auf Zusatzversorgung und Berechtigung auf Zusatzversorgung nach Ermessen nur nach der Höhe der Qualifikation der Anspruchsberechtigten vornehmen dürfen. Der Normengeber der DDR konnte (sogar) aus rechtsstaatlicher Sicht unbedenklich die Trennung allein davon abhängig machen, ob er glaubte, die für den verfolgten Zweck maßgeblichen Gesichtspunkte selbst trennscharf regeln zu können oder sie einer Einzelfallbeurteilung überlassen zu müssen. Dagegen spricht nicht, dass es nach einem halben Jahrhundert nahezu unmöglich ist, herauszuarbeiten, welche denkbaren Gesichtspunkte die Unterscheidung (bindende Berechtigung auf Zusatzversorgung und Berechtigung auf Zusatzversorgung nach Ermessen) bestimmt haben könnten. Damit ist aus der Sicht des Normengebers auch nicht das Ziel verfehlt, die technische Intelligenz einschließlich der Chemiker zu fördern (siehe Präambel der Durchführungsbestimmung zur Kulturverordnung vom 24.5.1951, GBl. DDR S. 485). Dafür trifft der Normgeber anderweitig Vorkehrungen. So findet das dort erkennbare Motiv, (auch) die VO v. 17. August 1950 umzusetzen, in der 2. DB auch für die Ermessensfälle seine Fortsetzung, indem § 3 Abs. 1 der 2. DB den Werkdirektoren aufgibt, die § 1 – einschließlich der Ermessensvorschrift – unterliegenden Personen einschließlich eines Gutachtens über die Zweckmäßigkeit der Zusatzversorgung – notgedrungen nur auf Ermessensfälle zu beziehen – innerhalb eines Monats der Hauptverwaltung zu benennen.

Diesem Verständnis steht auch nicht entgegen, dass § 1 Abs. 1 Unterabsatz 1 der 2. DB sprachlich nicht die Anspruchsberechtigung regelt, sondern eine Begriffsbestimmung der technischen Intelligenz gibt. Denn erstens ist diese Begriffsbestimmung nicht zwingend vollständig, da sie nur einen bestimmten Personenkreis benennt, der ohne weitere Prüfung und unwiderleglich als technische Intelligenz im Sinne des Versorgungsrechts gilt. Zweitens wird an der Überschrift der Bestimmung "Versorgungsberechtigte aus dem Kreis der technischen Intelligenz" deutlich, dass es letztlich doch um eine Unterscheidung zwischen den zur technischen Intelligenz gehörenden Personen und einem engeren Kreis von Personen mit zwingendem oder ermessensabhängigen Versorgungsanspruch geht.

e) § 1 Abs. 1 der 2. DB zählt Diplom-Chemiker ungeachtet ihrer möglichen Zugehörigkeit zur "technischen Intelligenz" nicht als unmittelbar anspruchsberechtigt auf. Der Versicherte erfüllte aber auch nicht die Eigenschaft eines unmittelbar anwartschaftsberechtigten Ingenieurs im Sinne dieser Vorschrift. Denn aus der Gegenüberstellung von Personen ohne den "Titel" eines Ingenieurs oder Technikers im Rahmen der Ermessensversorgung in § 1 Abs. 1 Unterabsatz 2 der 2. DB lässt sich auf die Erforderlichkeit eines solchen "Titels" für eine etwaige Anspruchsversorgung nach § 1 Abs. 1 Unterabsatz 1 der 2. DB schließen. Den Titel eines Ingenieurs erwirbt man durch den entsprechenden Ausbildungsabschluss; dieser war für Ingenieure in der DDR seit 1962 durch die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12.4.1962 (GBl. DDR II S. 278) geregelt. Der Kläger durfte danach nicht den Titel eines Ingenieurs führen.

f) Der Normengeber der DDR hat auch nicht in § 1 der 2. DB für die Begriffe Ingenieure und Techniker an die Begriffsverwendung der Systematik der Berufe der Abteilung Planung und Statistik des Ministeriums für Arbeit vom November 1950 angeknüpft. Auf die dort vorgenommene Zuordnung der Chemiker zur Berufsgruppe 41 der Ingenieure und Techniker als "Ingenieure der Stoffumwandlung" (Berufsordnung Nr. 414) kommt es für die Beurteilung des Begriffs Ingenieure oder Techniker nicht an, weil diese Begriffe dort anders als in der Zusatzversorgungsordnung verwendet werden.

Zunächst ist die Systematik der Berufe für die "Arbeitskraftlenkung, die Betreuung der Arbeitskräfte durch die Arbeitsverwaltung sowie die darauf fußenden planenden und lenkenden Maßnahmen" bindend (S. V). Für den Bereich der Zusatzversorgung enthält sie keine Vorgaben. Auch betreiben Mitarbeiter der Betriebe, die sich mit Vorschlägen zur Einbeziehung in die Zusatzversorgung zu beschäftigen haben, weder Arbeitsverwaltung noch Arbeitskräftelenkung.

Darüber hinaus ist für die Einstufung dort (S. V, Abschnitt 2) die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit maßgebend. § 1 Abs. 1 der 2. DB unterscheidet jedoch zwischen dem Titel einerseits und andererseits der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit (stellvertretend: BSG, Urteil vom 26.10.2004 – B 4 RA 23/04 RSozR 4-8570 § 1 Nr. 6). Im Gegensatz dazu ist es für die Einordnung in die Systematik der Berufe unerheblich, ob der entsprechende Beruf erlernt wurde oder nicht (S. V, Abschnitt 3). Nach der Systematik der Berufe werden keine Titel verliehen und wird nicht über eine Berechtigung zu deren Führung entschieden. So sind unter "Diplom-Chemikern" gemäß der Fußnote 52 zu Seite 77 der Systematik auch Personen zu verstehen, die keine Chemie-Diplomprüfung abgelegt haben. Daran ändert es auch nichts, wenn in Fußnote 51 zur Berufsgruppe 41 (wohl) festgelegt werden soll, dass zumindest ausgebildete Ingenieure – und nur diese – in die Berufsgruppe 41 einzustufen sind. Denn die nachfolgende Untergliederung enthält jedenfalls eine Fülle von Funktionsbezeichnungen, die mit einem bestimmten Abschluss nicht in Verbindung zu bringen sind, wie auf S. 79 der Systematik in der oberen Fußnote für den Konstrukteur auch ausdrücklich angegeben wird.

Die Verfasser der 2. DB sind nachweislich nicht von den Begriffsbestimmungen der Systematik der Berufe ausgegangen. Zunächst ist dort das Begriffsdoppel der Ingenieure und Techniker in der Eingangsformulierung nicht verwandt, sondern die Aufzählung der Ingenieure und Techniker sogar durch Personengruppen unterbrochen, die nach der Systematik der Berufe ohne weiteres darunter fielen. So wäre auch die ausdrückliche Nennung der Architekten in § 1 Abs. 1 Unterabsatz 1 der 2. DB überflüssig, weil auch diese auf Grund ihrer Nennung in der Gruppe 415 als "Ingenieure des Konstruktionswesens" schon in der Berufsgruppe 41 der Ingenieure und Techniker nach der Systematik der Berufe erfasst sind.

Zudem unterwerfen die Verfasser der 2. DB Untergruppen der Ingenieure und Techniker im Sinne der Systematik der Berufe sogar unterschiedlichen Rechtsfolgen. So werden Steiger und Bauleiter nach § 1 Abs. 1 Unterabsatz 2 der 2. DB nur nach Ermessen in das Zusatzversorgungssystem einbezogen, obwohl sie wie Architekten und Ingenieure – hier in der Berufsordnung "Ingenieure der Bodenerschließung" (Nr. 411 - Steiger) und in dem Beruf 4151 (Bauleiter) – der Berufsgruppe der Ingenieure und Techniker nach der Systematik der Berufe angehören. Dies verdeutlicht einen grundlegend anderen Sprachgebrauch der 2. DB gegenüber der Systematik der Berufe. Dagegen lässt sich nicht einwenden, diese Tätigkeiten seien nur für die Fälle einer verwaltungstechnischen Funktion dort aufgezählt. Sprachlich werden dort vielmehr diese Funktionen selbst unmittelbar als verwaltungstechnische Funktionen bezeichnet. Anders wäre auch nicht verständlich, weshalb gerade für diese beiden Funktionen (neben einigen weiteren) eine Zusatzversorgung (dann) auch im Hinblick auf die Wahrnehmung verwaltungstechnischer Funktionen nach Ermessen eingeräumt werden sollte.

g) Schließlich entspricht die Gleichsetzung von Chemikern und Ingenieuren nicht dem Sprachgebrauch der Bestimmungen zur Altersversorgung der technischen Intelligenz. Denn sowohl in § 1 der 1. DB als auch in § 1 Abs. 1 der Dritten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben v. 24.5.1951 (GBl. DDR I S. 489 – 3. DB) sind Chemiker ausdrücklich neben den Ingenieuren genannt. Allein der spezielle Sprachgebrauch der Regelungen zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (2. DB) ist aber ausschlaggebend.

h) Aus der Möglichkeit, Chemiker nach Ermessen als "andere Spezialisten" oder durch Einzelvertrag in die Altersversorgung der technischen Intelligenz einzubeziehen, lässt sich die Einbeziehung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nicht begründen, weil die Ermessensentscheidung nicht für diesen Zweck nachzuholen ist (BSG, Urteil vom 9.4.2002 – B 4 RA 31/01 R –, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; BSG, Urteil vom 10.4.2002 – B 4 RA 34/01 R –, SozR 3-8570 § 1 Nr. 3). Denn das Unterlassen einer Einbeziehung im Ermessenswege war von Einzelfallumständen abhängig, die gerade nicht Inhalt eines Normtextes sind. Dies macht ihre Abhängigkeit von willkürlicher Gesetzesmissachtung im Nachhinein unüberprüfbar (BSG, Urteil vom 31.7.2002 – B 4 RA 21/02 R –, SozR 3-8570 § 1 Nr. 9).

4. Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag war nicht nachzugehen, weil dieser unzulässig ist. Die Auslegung des Wortlauts von Rechtsvorschriften ist ureigenste Aufgabe der Gerichte und damit allein Sache der mit der Entscheidung befassten Richter.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Absatz 2 SGG nicht ersichtlich sind. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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