L 12 AL 51/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KG 7/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 51/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 27.04.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zusätzlich in der Berufungsinstanz. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten Kinderzuschlag für den Monat Dezember 2005 verlangen kann.

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin ist Mutter von insgesamt 5 Kindern. Vier Kinder (G H, geb. 00.12.1986, D I, geb. 00.02.1996, O I, geb. 00.12.2003 und M K I, geb. 00.07.2005) wohnen mit ihr in einem Haushalt. Die Familie wohnt in einem eigenen Haus. Zur Finanzierung fallen monatliche Schuldzinsen i.H.v. 379,14 EUR an.

Die Klägerin steht in einem Beschäftigungsverhältnis. Vom 18.07.2005 bis 21.11.2005 bezog sie Mutterschaftsgeld i.H.v. 12,97 EUR/Tag. Seit dem 22.11.2005 ist sie wieder erwerbstätig und erzielte monatlich ein Brutto-Arbeitsentgelt i.H.v. 380,12 EUR (anzurechnen davon 279,64 EUR). Von Dezember 2004 bis Dezember 2005 erhielt sie Erziehungsgeld für O i.H.v. monatlich 300,- EUR. Für M K bezog sie seit dem 22.11.2005 Erziehungsgeld ebenfalls i.H.v. monatlich 300,- EUR. Für D bekam sie im streitigen Zeitraum monatlich 257,- EUR.

Am 25.07.2005 und 11.08.2005 stellte die Klägerin Anträge auf Kinderzuschlag. Mit Bescheid vom 03.01.2006 lehnte die Beklagte die Anträge mit der Begründung ab, die Klägerin erreiche die Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative BKGG nicht. Nach den eingereichten Unterlagen bestehe möglicherweise ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Im Widerspruchsverfahren hielt die Klägerin eine Verweisung auf Leistungen nach dem SGB II nicht für zulässig und legte die durch die Betreuung der 4 Kinder entstehenden Kosten dar. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da die Klägerin (mit Ausnahme des Wohngeldes) nicht über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11, 12 SGB II, mindestens in Höhe des nach § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG für sie maßgebenden Betrages (Mindesteinkommensgrenze) verfüge.

Die Klägerin hat hiergegen am 15.09.2006 vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben. Nach Aufforderung durch das Gericht hat sie weitere Einkommensbelege (Bescheide des Versorgungsamtes B über die Bewilligung von Erziehungsgeld für O und M K, Einkommensnachweise, sowie Nachweis über das bewilligte Mutterschaftsgeld) eingereicht. Zu ihrem eigenen Einkommen hat sie vorgetragen, sie sei bei einer Reinigungsfirma beschäftigt und habe das in dem Einkommensnachweis dargestellte Arbeitsentgelt durchgehend in derselben Höhe erzielt. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund der hierdurch dokumentierten Einkünfte stehe ihr ein Anspruch auf Kinderzuschlag zu.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 03.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kinderzuschlag ab Juli 2005 bis März 2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide weiterhin für zutreffend gehalten und insbesondere gemeint, das der Klägerin bewilligte Erziehungsgeld sei nicht als Einkommen bei der Prüfung der Mindesteinkommensgrenze nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative BKGG heranzuziehen.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 27.04.2007 verurteilt, der Klägerin Kinderzuschlag für Dezember 2005 i.H.v. 168,- EUR zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Für die Monate Juli bis November 2005 und ab Januar 2005 erreiche die Klägerin die Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG nicht. Die Mindesteinkommensgrenze entspreche gem. § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG einem Betrag in Höhe des ohne Berücksichtigung von Kindern jeweils maßgebenden Arbeitslosengeldes II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Dazu seien gem. § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG die Kosten für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, dass sich aus dem im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Kosten für Alleinstehende, Ehepaare und Kinder ergebe. Die Klägerin erreiche die Mindesteinkommensgrenze nach der zutreffenden Berechnung durch die Beklagte nur nach der zutreffenden Berechnung durch die Beklagte nur, wenn sowohl ihr Erwerbseinkommen als auch das für die Kinder O und M K gezahlte Erziehungsgeld berücksichtigt werde. Dies sei nur im Dezember 2005 der Fall. Das Erziehungsgeld sei bei der Berechnung des Mindesteinkommens nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG zu berücksichtigen. Allerdings handele es sich bei dem Erziehungsgeld nicht um Einkommen, das bei der Prüfung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bedarfsmindernd berücksichtigt werde. Dies ergebe sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG. Nach dieser Vorschrift blieben das Erziehungsgeld und vergleichbare Leistungen der Länder sowie das Mutterschaftsgeld nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und vergleichbare Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2, soweit sie auf das Erziehungsgeld angerechnet würden, als Einkommen bei Sozialleistungen und bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig sei, unberücksichtigt. Auf diese Vorschrift verweise § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG nicht, d.h. Abzüge von den zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen würden nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur aufgrund der §§ 11, 12 SGB II vorgenommen, nicht aber aufgrund anderer Vorschriften. Diese sich aus dem Wortlaut des § 6a BKGG unmittelbar ergebende Interpretation werde auch nicht die Entstehungsgeschichte von § 8 BErzGG und Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigt: Die Gesetzesbegründung (BT Drucksache 10/4212, S. 5) laute: "Da Erziehungsgeld und vergleichbare Leistungen demselben Zweck dienen, dürften sie nicht zur Minderung von Sozialleistungen führen". Erziehungsgeld solle bei der Bewilligung anderweitiger Sozialleistungen zusätzlich gewährt werden und nicht zur Kürzung einkommensabhängiger Sozialleistungen führen. Allein dies sei Sinn von § 8 BErzGG, eine Interpretation dahingehend, dass Erziehungsgeld aufgrund der Vorschrift des § 8 BErzGG nicht als Einkommen zu berücksichtigen, lasse sich mit dem gesetzgeberischen Willen nicht vereinbaren. Die Kammer verkenne nicht, dass diese Argumentation auch auf anderweitige Vorschriften, die die Bezieher von Arbeitslosengeld II bei Berücksichtigung von Einkommen privilegieren sollen, zutrifft. Beispielsweise sei schwer nachvollziehbar, dass die Absetzbeträge des § 11 Abs. 2 SGB II dazu führen könnten, dass der Betroffene die Mindesteinkommensgrenze nicht erreiche und deshalb keinen Kinderzuschlag erhalte. Indes sei diese Folge vom Gesetzgeber in §§ 6a, Abs. 1 Nr. 2 BKGG ausdrücklich angeordnet, während ein Verweis auf § 8 BErzGG fehle. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Sozialgericht die Berufung zugelassen.

Gegen das ihr am 11.05.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.06.2007 Berufung eingelegt und vorgebracht: Das Sozialgericht habe den Anspruch auf Kinderzuschlag teilweise zuerkannt. Es habe § 6a BKGG nicht zutreffend angewandt. Gemäß § 11 Abs. 3 SGB II gehöre das Erziehungsgeld zum sogenannten privilegierten Einkommen. Erziehungsgeld solle bei der Bewilligung anderweitiger Sozialleistungen zusätzlich gewährt werden und nicht zur Kürzung einkommensabhängiger Sozialleistungen führen und insoweit habe das Erziehungsgeld der Klägerin bei der Einkommensermittlung unberücksichtigt zu bleiben. Dies werde vom Sozialgericht verkannt. Zwar ergäbe sich aus § 8 Abs. 1 BErzGG, dass Erziehungsgeld und vergleichbarer Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 als Einkommen bei Sozialleistungen unberücksichtigt bleiben sollten. Auf diese Vorschrift verweise § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG jedoch nicht. Eine Interpretation dahingehend, dass Erziehungsgeld aufgrund der Vorschrift des § 8 BErzGG nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei, lasse sich mit dem gesetzgeberischen Willen nicht vereinbaren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 27.04.2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Sie wisse nicht, wer man sein müsse, um den Kinderzuschlag zu bekommen. Der Staat möchte Kinder haben, tue aber nichts dafür. Im Gegenteil sei es so, dass denjenigen, die Kinder hätten, Steine in den Weg gelegt würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Kinderzuschlag i.H.v. 168,- EUR für den Monat Dezember 2005 gem. § 6a Abs. 1 BKGG zusteht.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zur Überzeugung des Senats verfügte die Klägerin nämlich im Dezember 2005 über Einkommen, welches die Mindesteinkommensgrenze nach § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG überschreitet. Neben ihrem eigenen anzurechnenden Einkommen i.H.v. 279,64 EUR erzielte die Klägerin Erziehungsgeld für O und M K i.H.v. jeweils 300,- EUR. Insbesondere die zuletzt genannten Beträge sind zu berücksichtigendes Einkommen der Klägerin. Dieses Einkommen übersteigt den Betrag des für sie maßgebenden Gesamtbedarfs i.H.v. 614,31 EUR (Regelbedarf i.H.v. 345,- EUR zuzüglich Mehrbedarf für Alleinerziehende i.H.v. 124,- EUR sowie zuzüglich Kosten der Unterkunft i.H.v. 145,31 EUR; vgl. die zutreffende Bedarfsberechnung der Beklagten, Bl. 75 VA).

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind insbesondere die Beträge des Erziehungsgeldes als Einkommen i.S.d. u § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG zu berücksichtigen. Der Kinderzuschlag ist nämlich keine Leistung des SGB II, sondern er soll im Rahmen der Familienförderung - eingegliedert in das BKGG - in erster Linie der Armutsbekämpfung von Familien mit Kindern dienen (Begründung nach BT-Drucksache 15/1516, S. 43; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11 b AS 11/07 R - Rn. 21). Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn vorliegend das Erziehungsgeld - jedenfalls, soweit durch seine Berücksichtigung die Mindesteinkommensgrenze überschritten wird - berücksichtigt wird. Nur hierdurch kann verhindert werden, dass der Zweck (Armutsbekämpfung von Familien mit Kindern) verfehlt wird, indem die Nichtberücksichtigung des tatsächlich zufließenden Erziehungsgeldes bewirkt, dass die Mindesteinkommensgrenze nicht erreicht wird und somit die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag nicht gegeben sind. Eine derartige Auslegung wäre nach der Auffassung des Senats nicht nachvollziehbar und - gemessen an der Zielsetzung - auch widersprüchlich. Dem steht § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG nicht entgegen. Dies ergibt sich daraus, dass § 6a Absätze 1 und 4 BKGG auf diese Vorschrift nicht ausdrücklich Bezug nimmt. Im Übrigen ist der erkennbare Sinn des § 8 BErzGG, Erziehungsgeld nur dann unberücksichtigt zu lassen, wenn andere Sozialleistungen durch dessen Berücksichtigung zu verneinen wären. Der vorliegende Fall zeigt jedoch eindrucksvoll, dass die hier zu beurteilende Situation ganz anders gelagert ist, weil erst durch die Berücksichtigung von Erziehungsgeld die Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 BKGG erreicht wird und somit die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag bejaht werden können. Für den Senat ist kein Grund ersichtlich, dass sich beide Leistungen, nämlich Erziehungsgeld und Kinderzuschlag, nebeneinander ausschließen. Insbesondere wäre es dann nicht so, dass das der Klägerin gezahlte Erziehungsgeld ihr in jedem Fall zusätzlich und ungeschmälert zugute kommen soll.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu beurteilenden Rechtsfrage zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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