L 2 B 289/08 AS ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 1388/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 B 289/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die am 1961 geborene Antragstellerin bezieht seit 2005 SGB II-Leistungen von der Antragsgegnerin. Sie bezieht ein Einkommen aus einem Minijob bei der Fa. N. D. GmbH in wechselnder Höhe, für den Zeitraum März 2007 bis März 2008 betrug es durchschnittlich 150,75 EUR brutto bzw. 137,58 EUR netto. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2007 gewährte ihr die Antragsgegnerin als Vorschuss Leistungen für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2008 in Höhe von monatlich 363,49 EUR. Dabei entfielen auf die Kosten der Unterkunft 96,49 EUR. Von der Regelleistung in Höhe von 347 EUR brachte die Antragsgegnerin ein bereinigtes Einkommen von 80 EUR in Abzug. Sie ging von einem Nettoerwerbseinkommen von monatlich 200 EUR und einem Freibetrag von 120 EUR monatlich aus. Mit Bescheid vom 27. Februar 2008 änderte die Antragsgegnerin aufgrund der vorgelegten Lohnabrechnung für Dezember 2007 die vorläufig zu gewährende Leistungshöhe wie folgt: Für Januar 2008 bewilligte sie vorläufig 419,42 EUR, für Februar bis März 2008 unverändert 363,49 EUR und für April 2008 Leistungen in Höhe von 355,12 EUR (unter Berücksichtigung einer Abwassergebührengutschrift). Die vorläufig bewilligte Leistung für Mai 2008 wurde der Antragstellerin zunächst nicht ausgezahlt. Auf Nachfrage der Antragstellerin zahlte ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 5. Mai 2008 einen Vorschuss von 280 EUR in bar aus und den restlichen Vorschussbetrag (83,49 EUR) überwies sie eine Woche später.

Am 19. Mai 2008 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) gestellt und zunächst beantragt, ihr vorläufig monatlich 398 EUR ab dem 1. Juni 2008 zu zahlen. Im Verlauf des Verfahrens hat sie diesen Betrag auf 446,40 EUR monatlich erhöht, da versehentlich die Vorauszahlung für die Heizkosten nur zweimonatlich berücksichtigt worden sei. Dies entspreche ihren tatsächlichen Kosten der Unterkunft und beim Einkommen hätte die Antragsgegnerin nur von einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 137,58 EUR monatlich ausgehen dürfen. Ein Anordnungsgrund bestehe, weil die monatliche Vorauszahlung 82,91 EUR unterhalb ihres Existenzminimums liege. Die Antragsgegnerin hat darauf verwiesen, dass bereits die Zahlung von 375,57 EUR für Juni 2008 angeordnet sei (über 363,49 EUR liege ohnehin ein vorläufiger Bescheid vor). Für die Leistungen ab Juli 2008 sei noch kein Antrag der Antragstellerin bei ihr eingegangen.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 30. Mai 2008 abgelehnt und zur Begründung unter anderem ausgeführt: Der Eilantrag sei unzulässig, da es an einem Rechtsschutzbedürfnis für das Tätigwerden des Gerichts fehle. So habe die Antragstellerin keine höheren Leistungen für Juni 2008 bei der Antragsgegnerin beantragt. Sie habe auch keinen Widerspruch gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 5. Dezember 2007 eingelegt. Hinsichtlich des Fortzahlungsantrages ab Juli 2008 sei die Antragstellerin zunächst verpflichtet, einen Fortzahlungsantrag bei der Antragsgegnerin zu stellen.

Gegen den ihr am 4. Juni 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 11. Juni 2008 Beschwerde eingelegt und zur Begründung unter anderem vorgetragen: Ein Antrag auf höhere Vorschussleistungen sei bereits im Leistungsantrag konkludent enthalten. Außerdem habe die Antragstellerin sich mehrere Male bei der Antragsgegnerin über zu geringe Leistungen beschwert. Die Beschwerde müsse zugelassen werden, da das Verfahren grundsätzliche Bedeutung habe und das Sozialgericht einen schweren Verfahrensfehler begangen habe. So habe das SG ohne vorherige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag einen Termin anberaumt. An diesem Termin habe ihr Rechtsanwalt nicht teilnehmen können, weil die Teilnahme Gebühren ausgelöst hätte, zu deren Begleichung sie nicht in der Lage gewesen sei.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des SG vom 30. Mai 2008 die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorläufig ab dem 1. Juni 2008 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 446,40 EUR monatlich zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf die zutreffende Begründung des SG.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unstatthaft und war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 202 SGG i. V. m. § 572 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Nach dem seit 1. April 2008 geltenden § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (Gesetz zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444) ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt.

Das Verfahren betrifft hier nur einen Beschwerdewert von maximal 580,37 EUR. Die Antragstellerin fordert statt der ihr vorläufig gewährten monatlichen Leistungen in Höhe von 363,49 EUR, Leistungen in Höhe von 446,40 EUR monatlich beginnend ab dem Monat Juni 2008. Selbst wenn der Senat zugunsten der Antragstellerin den Streit auf die Zahlung des sechsmonatigen Folgebewilligungsabschnittes ab Juli 2008 erstreckt, erreicht der Wert nicht die geforderte Grenze (7 x 82,91 EUR = 580,37 EUR). Nur die Differenzzahlung von 82,91 EUR steht zwischen den Beteiligen im Streit. Es kommt daher nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG noch nicht über die Bewilligung des Folgeabschnittes entschieden hatte. Damit liegt der Beschwerdewert unterhalb der genannten Schwelle. Die Beschwerde ist unstatthaft.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass in einem Urteil im Hauptsacheverfahren möglicherweise die Berufung zugelassen werden könnte (vgl. § 144 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 SGG) oder dass die Nichtzulassung der Berufung durch das SG mit der Beschwerde nach § 145 SGG angefochten werden könnte. Denn nach dem Wortlaut der Regelung in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist es erforderlich, dass die Berufung "zulässig" ist. Dies wäre aber nach dem Wortlaut auch im Falle einer Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG nicht der Fall, denn nach dieser Norm wäre die Berufung nicht " zulässig", sondern "zuzulassen". Daher spricht schon der Wortlaut der hier in Rede stehenden Norm dafür, nicht auf eventuelle Zulassungsgründe eines Hauptsacheverfahrens oder auf eine hypothetische Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG abzustellen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8.9.2008, L 13 AS 178/08 ER, m.w.N., zitiert nach juris). Die Prüfung, ob in der Hauptsache die Berufung zuzulassen wäre, ist auch wenig sinnvoll, weil häufig nicht erkennbar sein wird, ob und gegebenenfalls mit welchen genauen Anträgen ein Hauptsacheverfahren geführt und wie es entschieden wird (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.10.2008, L 4 B 17/08 KR ER). Hinzu kommt, dass sonst rein hypothetische Überlegungen angestellt werden müssten, die in einem späteren Hauptsacheverfahren keineswegs das dann entscheidende Gericht hinsichtlich der Zulassung der Berufung binden könnten (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Schließlich hätte es im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nahe gelegen, bei der Neuformulierung von § 172 Abs. 3 SGG auch eine entsprechende Anwendung von § 144 SGG einzufügen, was unterblieben ist. Vielmehr kommt in der Neufassung der allgemeine gesetzgeberische Gedanke zum Ausdruck, es unterhalb einer bestimmten Wertgrenze in Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei einer erstinstanzlichen Entscheidung bewenden zu lassen, die ohnehin ihrer Rechtsnatur nach nur vorläufig sein kann (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Der Senat verkennt nicht, dass gerade im Bereich der Streitigkeiten um Leistungen nach dem SGB II durchaus nicht selten der Fall eintreten kann, dass in Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes der Schwellenwert nicht erreicht wird, sodass auch allgemeine interessierende Rechtsfragen möglicherweise nur in einem zeitlich wesentlich später liegenden Hauptsacheverfahren einer zweitinstanzlichen Überprüfung zugeführt werden können. Dieser "Nachteil" wird aber aufgewogen durch den "Vorteil", dass bei Streitgegenständen, die unterhalb des Schwellenwertes liegen, im einstweiligen Verfahren durch erstinstanzliche Entscheidungen schnell eine Klärung herbeigeführt werden kann. Der Umstand, dass möglicherweise für einen gewissen Zeitraum zu bestimmten Rechtsfragen divergierende Beschlüsse verschiedener Sozialgerichte vorliegen können, ist demgegenüber vom Gesetzgeber im Interesse einer zügigen Abwicklung der Eilverfahren und einer Entlastung der Landessozialgerichte hingenommen worden (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit einer Beschwerde anfechtbar.

gez. Lauterbach gez. Wulff gez. Dr. Peters
Rechtskraft
Aus
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