L 5 V 1215/72

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1215/72
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Militärischer oder militärähnlicher Dienst nach deutschem Wehrrecht, freiwilliger oder unfreiwilliger Dienst aufgrund Einberufung durch eine militärische Dienststelle oder auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht liegen nicht vor, wenn die Zugehörigkeit zu einem SS-Totenkopf Sturmbann mit der Tätigkeit eines KZ-Bewachers urkundlich nachgewiesen ist.
Daran ändert sie nichts, wenn es sie um einen Kroaten oder in Kroatien wohnhaft gewesenen deutschen Volkszugehörigen gehandelt hat, dessen Eintritt in die SS-Totenkopfformation unfreiwillig erfolgt sein kann und dessen Todesleiden in deutschen Wehrmachtslazaretten behandelt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 24. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die im kroatischen Landesteil Jugoslawiens wohnhafte Klägerin, welche die jugoslawische Staatsangehörigkeit besitzt und sich als deutsche Volkszugehörige bezeichnet hat, beantragte im Februar 1967 Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Dabei berief sie sich auf je eine Benachrichtigung und Bescheinigung der Deutschen Dienststelle (WASt) vom November 1946 und März 1967, wonach ihr am 22. November 1919 (irrtümlich 13. November 1919) geborener Ehemann A. V. (W.) Angehöriger der Waffen-SS gewesen und am 31. Januar 1945 im Reservelazarett B. verstorben sei. Er sei an der Ostfront im Einsatz schwer verwundet worden. Im März 1969 gab sie als Truppenteil die 281. Infanterie-Division in D. an.

Ermittlungen des Versorgungsamts F. führten zu Übersendung der bei der Deutschen Dienststelle und dem Krankenbuchlager B. lagernden Unterlagen. Hiernach war der Ehemann der Klägerin seit 11. November 1942 oder 6. Februar 1943 Angehöriger des SS-Totenkopfs-Sturmbanns W., hatte zuletzt den Rang eines SS-Rottenführers und ist am 31. Januar 1945 an offener Lungen-Tbc verstorben. Auf Antragen teilte die Klägerin mit, sie habe ihren Ehemann nach dessen Einberufung nicht mehr gesehen. In seinen Briefen habe er wenig gesagt, da er zur Schweigsamkeit verpflichtet gewesen sei. Mitteilungen aus dem Jahre 1944 sprächen von einer langwierigen Krankheit sowie von einer bevorstehenden und dann gelungenen Operation. Ein sie gegen Ende des Krieges auf suchender Kamerad habe erzählt, ihr Ehemann habe dauernd auf Wache gestanden, sei durchnäßt worden und habe im Herbst 1943 eine Lungenentzündung bekommen. Im Herbst 1944 soll er genesen gewesen und als Sanitäter an die Ostfront gekommen sein. Aus einem beigefügten Foto sei ersichtlich, daß er in S. gewesen sei, möglicherweise als KZ-Bewacher.

Auf weitere Ermittlung des Versorgungsamts hin äußerte sich die Deutsche Dienststelle zunächst am 21. Mai und 12. August 1970 über den Aufbau und den Einsatz der SS-Totenkopfverbände, die nicht zur Waffen-SS gehört hätten. Die Mitteilung vom 16. März 1967 an die Klägerin, ihr Ehemann sei bei letzterer Einheit gewesen, sei leid gewesen. Am 14. September 1970 übermittelte die Deutsche Dienststelle ferner eine Auskunft des B. Document Centers, wonach der Ehemann der Klägerin am 18. November 1942 zur 4./SS-Totenkopf Sturmbann KL S. einberufen worden sei. Er sei zum Wachdienst verwendet worden.

Nachdem der Versorgungsarzt Dr. W. sich am 14. Juli 1970 dahin geäußert hatten, daß für die Todesursache eine Schädigung wahrscheinlich sei. Med. Direktor S. sich damit einverstanden erklärt hatte und eine verwaltungsmäßige Prüfung erfolgt war, erließ das Versorgungsamt am 5. Januar 1971 einen ablehnenden Bescheid. Der Dienst bei dem SS-Totenkopf Sturmbann sei kein militärischer gewesen. Auch habe der von dem Ehemann der Klägerin geleistete Wachdienst keinen militärischen Zweck verfolgt. Die Tbc stehe daher nicht in Zusammenhang mit Kriegsereignissen, weshalb er nicht an den Folgen einer Schädigung verstorben sei.

Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 9. August 1971 ist ausgeführt, die Angabe, der Ehemann der Klägerin habe der 281. Infanterie-Division angehört, sei nicht beweisen. Er sei auch nicht Mitglied der Waffen-SS gewesen. Die SS-Totenkopf Sturmbanne seien kasernierte Sonderverbände gewesen, die ausschließlich dem SS-Hauptamt unterstanden hätten. Nach höchstrichterlichter Rechtsprechung sei der innerhalb einer solche Formation geleitete Wachdienst weder ein militärischer noch militärischer Dienst.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt/Main mit Urteil vom 24. Oktober 1972 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat er sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen, dem kein Ermessensfehler unterlaufen sei.

Gegen dieses Urteil, das am 21. November 1972 mittels eingeschriebenen Briefes an den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Prozeßbevollmächtigten der Klägerin abgesandt worden ist richtet sich ihre am 22. Dezember 1972 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung führt sie aus ihr Ehemann sei wie alle Volksdeutschen in Kroatien als Soldat eingezogen worden und habe sich weder die Einheit noch seinen Dienst aussuchen dürfen. Daß er Soldat gewesen sei, beweise sich durch seinen Lazarettaufenthalt. Als Zivilist wäre er in ein Lungensanatorium gekommen. Es sei bisher nicht widerlegt, daß er Angehöriger der 281. Infanterie-Division in D. gewesen sei. Da die Versorgungsärzte die Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs bejaht hätten, stehe ihr Versorgung als Hinterbliebene eines ehemaligen deutschen Wehrmachtsangehörigen zu.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 24. Oktober 1972 und den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 1971 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Maßgebend seien die vorliegenden Unterlagen, wonach der Ehemann der Klägerin als SS-Totenkopf-Sturmbanngehöriger KZ-Wachdienst verrichtet habe. Ob das freiwillig gewesen sei oder nicht, sei unbeachtlich.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Akten des Versorgungsamts F. mit der Grundl. Nr. xxx haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat in Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und ferngerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG.). In der Sache hatte sie keinen Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 1971 in der Gestalt deines Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig. Der Auffassung des Sozialgerichts ist beizupflichten.

Rechtsgrundlage ist § 7 Ziff. 2 in Verbindung mit § 64 Abs. Abs. 1 BVG. Denn die Klägerin hat glaubhaft angegeben und durch Zeugen erhärtet, daß sie deutsche Volkszugehörige ist. Als solche könnte sie gemäß § 38 Abs. 1 BVG Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn ihr Ehemann an den Folgen einer Schädigung gestorben wäre. Das ist indessen nicht der Fall. Diese Grundvoraussetzung des Gesetzes, die in § 1 Abs. 1 BVG an die Verrichtung militärischen oder militärähnlichen Dienstes gekoppelt ist, kann nach wie vor nicht als erfüllt angesehen werden, selbst wenn der Senat berücksichtigt, daß der Ehemann der Klägerin keine Wahlmöglichkeit in Bezug auf seinen Einsatz gehabt haben mag. Daß er als Soldat eingezogen worden und zur 281. Infanterie-Division in D. gekommen sein soll, ist allerdings nicht bewiesen und angesichts der aktenkundigen Unterlagen auch nicht anzunehmen. Möglicherweise war die Feldpostnummer dieser Truppeneinheit als Deckanschrift benutzt worden. Dafür könnte sprechen, daß sie in D. stationiert gewesen sein soll und das KZ S. sich jedenfalls in der Nähe dieser Stadt befunden hatte. Über Vermutungen ist indessen insoweit nicht hinauszukommen.

Fest stehen dagegen urkundlich, insbesondere nach Auskunft des B. Document Centers, daß der Ehemann der Klägerin am 18. November 1942 – sie selbst spricht in ihrem Formularantrag vom 12. November 1942 – zum "4./SS-Totenkopf Sturmbann KL S.” gekommen ist. Dort ist er zum Wachdienst verwendet worden. Diese Angaben decken sich mit dem Inhalt des Schriftsatzes des Bevollmächtigten der Klägerin vom 26. Oktober 1969. Danach soll ihr Ehemann nach seiner Einberufung dauernd auf Wache gestanden haben. Im Herbst 1943 habe er sich durchnäßt und eine Lungenentzündung bekommen. Hiermit befindet sich der Inhalt des von dem Ehemann der Klägerin geschriebenen Briefes in Übereinstimmung, der am 15. Juli 1944 im Lazarett – in der Übersetzung angegeben in M. – geschrieben worden sei. Zu diesem Zeitpunkt war er operiert, nachdem er schon ein halbes Jahr bettlägerig gewesen war. Die Ortsangabe M. kann ohne weiteres unrichtig übersetzt und in Wahrheit identisch sein mit dem Inhalt des von Krankenbuchlager B. übersandten Auszugs aus dem Lazarettkrankenbuch des Reservelazaretts 122 in B. (Bl. 26 VA). Dort ist nämlich vermerkt, er sei seit 11. Januar 1944 – und zwar ganz offensichtlich während seines Dienstes in W. – erkrankt und am 29. Januar 1945 vom Lazarett H. im Siebengebirge eingetroffen.

Im Wertung dieser Urkunde schält sich heraus, daß der Ehemann der Klägerin nach ca. einjähriger KZ-Wachdienst krank geworden und wahrscheinlich als offener Lungen-Tbc-Patient ohne wesentliche Unterbrechung lazarettmäßig behandelt worden ist bis zu seinem Tode. Weshalb er noch zwei Tage vor dem Ableben in das Reservelazarett B. aufgenommen worden ist, bleibt offen, muß aber keinesfalls mit einem zwischenzeitlich abgeleisteten Fronteinsatz als Sanitäter im Osten zusammenhängen. Das umso weniger als die Sammelurkunde keinen Hinweis auf vor der Einlieferung in das Lazarett verrichteten Dienst als Frontsoldat und irgendeine Verwundung enthält. Wie lange der Ehemann der Klägerin KZ-Bewacher in S. gewesen und ab wann er diese Tätigkeit in B. verrichtet hat, ist gleichfalls nicht mehr festzustellen. Das ändert jedoch nichts daran, daß der Auszug aus dem Totenbuch des Reservelazaretts 122 in B. noch einmal die Zugehörigkeit zu einer SS-Totenkopfformation mit dem Dienstgrad SS-Rottenführer ausweist. Von einem Sanitätsdienstgrad und einem Einsatz an der Ostfront ist auch darin nicht die Rede. Diese Tatsachen sind entscheidend.

Der Umstand, daß er in Lazaretten und nicht in Lungensanatorien behandelt worden ist, spricht gleichfalls nicht für die Sachdarstellung der Klägerin. Damit werden die Tatbestände des § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 a) oder § 3 Abs. 1 b) BVG nicht erfüllt. Das Sozialgericht hat vielmehr schon zutreffend ausgeführt es sei kein Dienst nach deutschen Wehrrecht und auch kein freiwilliger oder unfreiwilliger Dienst aufgrund einer Einberufung durch eine militärische Dienststelle oder auf Veranlassung eines militärischer Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistet worden. Der Ehemann der Klägerin unterstand vielmehr dem Befehl von SS-Dienststellen, die ihrerseits dem SS-Hauptamt und damit dem Reichsführer SS unterstanden. Sein Wachdienst diente politischen Zwecken eines polizeistaatlichen Regimes. Der erkennende Senat nimmt in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug, die z.B. in den Urteilen vom 14. Juni und 14. Dezember 1966 in einzelnen niedergelegt worden ist (SozEntsch. Nr. 32 und 33 zu § 2 BVG). In gleicher Weise hatte sich das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 25. Mai 1960 in BSGE 12 S. 172 geäußert. Auch als Angehöriger einer SS-Totenkopfformation war der Ehemann der Klägerin nun aber kein Zivilist so daß sich seine ärztliche Behandlung in Infektionsabteilungen von Lazaretten oder Speziallazaretten für Tbc-Kranke ohne weiteres erklärt. Dem Hitlerstaat hatte er jedenfalls Dienste geleistet, war auch nicht militärischer oder militärischer Art im Sinne des BVG. Denn die SS-Totenkopfverbände waren laut Auskunft der Deutsche Dienststelle vom 21. Mai 1970 kasernierte Sondertruppen, denen im Krieg insbesondere erhielten sie deshalb auch durch das Reichsinnenministerium und nicht über Wehrmachtsdienststellen.

Nach Wertung aller dieser aktenkundigen Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, das Begehren der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente für gerechtfertigt zu halten. Zur weiteren Abrundung nimmt er noch auf das Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 28. Juni 1971 an den in Kanada wohnhaften W. B. Bezug, der sich zwischenzeitlich für ... verwendet hatte. Darin ist gleichfalls im einzelnen ausgeführt, weshalb die während des Wachdienstes erlittene Gesundheitsstörung nicht als durch Verhältnisse verursacht betrachtet werden kann, die dem militärischen oder militärähnlichen Dienst eigentümlich sind. Da eine Grundvoraussetzung des Gesetzes fehlt, kommt die Auffassung der gehörten Versorgungsärzte über den Kausalzusammenhang von Lungenerkrankung und Tod keine Entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Sie konnte den Anspruch der Klägerin nur begründen wenn feststehen würde, daß der Aufgabenbereich ihres Ehemannes sich im Rahmen eines der im Gesetz normierten Tatbestände bewegt hat. Das ist jedoch, worauf abschließend hinzuweisen ist, auch nur für die Vorschrift des § 3 Abs. 1 k) BVG ersichtlich. Denn ein Dienst aufgrund der 3. Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 ist durch die Archivunterlagen ebenfalls nicht belegt und von der Klägerin auch nicht behauptet.

Nach alledem war der Berufung der Erfolg mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zu versagen.
Rechtskraft
Aus
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