L 7 AS 102/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 43 (35) AS 15/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 102/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.09.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2006 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für erwerbsfähige Menschen mit Schwerbehinderung.

Die am 00.00.1967 geborene Klägerin bezog bis zum 25.07.2004 Arbeitslosengeld, danach bis zum 20.08.2004 Krankengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe. Bei der Klägerin sind die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "erhebliche Gehbehinderung" ("G") und ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.

Seit dem 01.07.2006 bezieht die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund (Bescheid vom 20.04.2007). Ergänzend erhält die Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt von der Stadt Düsseldorf in Höhe von 169,39 EUR, wobei 58,99 EUR auf einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung entfallen.

Am 03.11.2004 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnt mit S O in Wohngemeinschaft eine Unterkunft mit einer Wohnfläche von 65,3 m². Mit Bescheid vom 23.11.2004 bewilligte die Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von 819,53 EUR monatlich, errechnet aus 345 EUR Regelleistung, 314,53 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung (Anteil Klägerin je ½ = Kaltmiete 249,25 EUR, Betriebskosten 52,50 EUR, Heizkosten 12,78 EUR) und 160 EUR befristeter Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld. Jeweils auf Antrag gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2005 für den Monat Juni 819,53 EUR (345 EUR Regelleistung, 314,53 EUR, Leistungen für Unterkunft und Heizung, 160 EUR befristeter Zuschlag), für den Monat Juli 806,19 EUR und für die Zeit vom 01.08.2005 bis 30.11.2005 739,53 EUR (d.h. einen befristeten Zuschlag in Höhe von 146,66 EUR bzw. 80 EUR).

Gegen die Bewilligungsbescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 27.12.2004, 30.01.2005 und 09.05.2005 Widerspruch und begehrte u.a. einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung nach § 21 Abs. 4 SGB II bzw. § 30 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Mit weiterem Bescheid vom 18.11.2005 gewährte die Beklagte für den Zeitraum von Dezember 2005 bis Mai 2006 monatliche Leistungen in Höhe von 739,53 EUR. Auch insoweit legte die Klägerin Widerspruch ein und wies darauf hin, dass ein Mehrbedarf allein schon aus Gründen der Gleichbehandlung mit den Beziehern von Sozialhilfe anzuerkennen sei. Im Rahmen der Sozialhilfe könne ein individueller Mehrbedarf, z.B. bei Schuhen, nach § 30 SGB XII gewährt werden. Da die Krankenkassen wegen der Gesundheitsreform die Kosten für Schuherhöhungen nicht mehr für eine beliebige Anzahl von Schuhen zahle, sei ihr persönlicher Bedarf nicht mehr gedeckt.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005 zurück und führte aus, dass die Klägerin als erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen nach dem SGB II erhalte. Eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für den begehrten Mehrbedarf sei nicht ersichtlich. Ein Rückgriff auf die Regelungen der Sozialhilfe verbiete sich.

Die Klägerin hat am 16.01.2006 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf zwei Klagen eingereicht und ihren Anspruch auf Gewährung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs weiter verfolgt. Der Gesetzgeber habe schlichtweg vergessen, dass auch Schwerbehinderte Grundsicherungsleistungen beziehen können. Es bestehe eine Regelungslücke. Für die Bezieher von Sozialgeld sei mit der Einfügung des § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II ein Anspruch auf einen behinderungsbedingten Mehrbedarf normiert worden. Daher sei in Analogie zu den Regelungen des SGB XII und des SGB II der Mehrbedarf zu gewähren. Mit der weiteren Klage hat die Klägerin u.a. eine höhere Regelleistung begehrt.

Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 05.06.2008 verbunden und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M mit Beschluss vom 21.06.2008 abgelehnt. Die Rechtsanwältin hat daraufhin das Mandat niedergelegt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.09.2008 hat die Klägerin ihr Begehren auf die Bewilligung von Leistungen für Mehrbedarfe für erwerbsfähige Menschen mit Behinderungen beschränkt. Die Klägerin hat zudem das Teilanerkenntnis der Beklagten in Höhe von 7,52 EUR nach § 41 Abs. 2 SGB II angenommen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 04.09.2008 abgewiesen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 30.09.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.10.2008 Berufung eingelegt und ergänzend vorgetragen, für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2006 stehe ihr ein Mehrbedarf in Höhe von 59 EUR monatlich zu. Die Berufung sei daher zulässig. Nach verfassungskonformer Auslegung des § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes ergebe sich der Anspruch aus § 30 Abs. 1 SGB XII.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.09.2008 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 23.11.2004, 19.04.2005 und 18.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2006 einen Mehrbedarf in Höhe von 59,00 EUR monatlich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die angefochtenen Bescheide unter Berücksichtigung des Teilanerkenntnisses der Sach- und Rechtslage entsprechen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Berufung ist zulässig. Die Klägerin begehrt insgesamt einen Betrag von 1.003 EUR, so dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR übersteigt. Zum anderen betrifft die Berufung monatliche Leistungen für insgesamt 17 Monate und damit wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Streitgegenstand des Rechtsstreits ist allein, ob die Klägerin von der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2005 bis einschließlich Mai 2006 einen Mehrbedarf für erwerbsfähige Schwerbehinderte beanspruchen kann. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das von der Klägerin aufgrund eines konkreten Sachverhaltes an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie den Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (Bundessozialgericht [BSG], Urteil des Senats vom 23.11.2006 - B 11b 9/09 zitiert nach juris). Die Klägerin beansprucht nur den Mehrbedarf für erwerbsfähige Menschen mit Behinderung. Diese Beschränkung des prozessualen Anspruchs ist zulässig. Zum einen folgt dies aus der Rechtsauffasssung des Senats, dass Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 SGB II einen eigenständigen Streitgegenstand darstellen (Urteil vom 13.09.2007 - L 7 AS 41/07; BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 50/07 R), so dass dies auch für den geltend gemachten Anspruch gilt. Zum anderen hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG zu Protokoll erklärt, dass dass sie nur den Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung geltend macht.

Dem Rechtsschutzbegehren der Klägerin entspricht die Anfechtungs- und Verpflichtungs-bzw. Leistungsklage als statthafte Rechtsschutzform. Zwar hat die Beklagte in den Bewilligungsbescheiden die Gewährung von Leistungen für den begehrten Mehrbedarf nicht ausdrücklich abgelehnt. Jedoch ergibt sich aus dem Berechnungsbogen zu den Bescheiden, dass in der Rubrik "weitere zustehende Leistungen" neben dem befristeten Zuschlag keine Leistung gelistet ist. Zudem hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005 den Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarfe abgelehnt. Somit begehrt die Klägerin die Aufhebung der Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides und die Verpflichtung der Beklagten, den Mehrbedarf für erwerbsfähige Behinderte zu gewähren.

Die Klägerin ist nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 sind rechtmäßig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf den geltend gemachten Mehrbedarf nicht zu. Das SGB II bietet keine Anspruchsgrundlage für die schwerbehinderte und gehbehinderte Klägerin, um über die in § 20 SGB II normierte Regelleistung einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung zu erhalten. Ein Anspruch lässt sich darüber hinaus auch nicht aus § 30 SGB XII, Art. 3 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 30 SGB XII oder § 28 SGB II oder § 73 SGB XII herleiten.

Gemäß § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfsbedürftige als Arbeitslosengeld II unter anderem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Welche Bedarfe von der Regelleistung abgedeckt werden, umschreibt § 20 Abs. 1 SGB II. Danach umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Eine Ergänzung dieser Leistungen ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur in den Fällen der §§ 21 und 23 SGB II möglich (Knickrehm, Sozialrecht aktuell 5/2006, S. 159).

Eine Anspruchsgrundlage für einen behinderungsbedingten Mehrbedarf lässt sich dem SGB II nicht entnehmen.

Nach § 21 Abs. 1 SGB II werden über die pauschale Leistung nach § 20 SGB II hinaus, in Fällen bestimmter festgelegter Bedarfslagen, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind, zusätzliche Leistungen gewährt. Dabei kann es sich um Bedarfe handeln, die grundsätzlich von der Regelleistung umfasst werden oder solche, die durch Ausnahmesituationen bedingt sind. Die Leistungen für Mehrbedarfe sind nur für die in § 21 SGB II normierten Bedarfslagen zu bewilligen. Nach § 3 Abs. 3 S. 2 SGB II (eingefügt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 BGBl. I S. 1706) wird - insoweit klarstellend (BT-Drucks 16/1696 S 26 zu Nr. 2; BSG, Urteil vom 07.11.2006 B 7b AS 14/06 R Rn. 19 zitiert nach juris) - der Wille des Gesetzgebers bei Schaffung des SGB II nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass eine hiervon abweichende Festlegung der Bedarfe ausgeschlossen ist.

Ein behindertenbedingter Mehrbedarf ergibt sich nicht aus § 21 Abs. 4 SGB II (in der Fassung vom 24.12.2003 - BGBl. I S. 2954 - gültig bis 31.07.2006; vgl. zur Änderung des § 21 Abs. 4 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum 01.08.2006 Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, 21 Rn. 61). Danach erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Neuntes Buch sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit erbracht werden, einen Mehrbedarf von 35 % der nach § 20 [SGB II] maßgebenden Regelleistung. Die Klägerin ist dem anspruchsberechtigten Personenkreis nicht zuzurechnen. Denn sie erfüllt die Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 SGB II (offensichtlich) nicht, da sie keine der in dort genannten Leistungen bezogen hat.

Ebenso wenig kommt als Anspruchsgrundlage § 21 Abs. 5 SGB II in Betracht. Die Klägerin hat weder vorgetragen noch ist aus der Akte ersichtlich, dass wegen der Behinderung eine kostenaufwändige Ernährung erforderlich ist.

Auch die Anwendung des § 23 Abs. 1 SGB II (Lang/Knickrehm, a.a.O., § 21 Rn. 4), wonach im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Gewährung eines Darlehens gedeckt werden kann, scheidet aus. Denn bei dem von der Klägerin begehrten Mehrbedarf handelt es sich zum einen um wiederkehrende Leistungen. Diese sind nur schwer einer darlehensweisen Gewährung zugänglich (Knickrehm, Sozialrecht aktuell 5/2006, S. 160; Armborst, info also 02/2006, 58 ff.). Zum anderen ist das Begehren der Klägerin auf die Bewilligung des Mehrbedarfs als Zuschuss gerichtet. Des Weiteren begegnet die in der Literatur vertretene Auffassung, wonach durch Erlass nach § 44 SGB II nachträglich von einer Rückzahlung des Darlehens nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II abgesehen werden kann, Bedenken. Denn diese Handhabung beinhaltet eine eindeutige Umgehung der gesetzlichen Regelung (Knickrehm, a.a.O., S. 161).

Die Klägerin kann entgegen ihrer Auffassung ihr Begehren auch nicht auf § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II stützen. Dabei kann der Senat offen lassen, ob diese erst mit Wirkung vom 01.08.2006 eingefügte Norm (Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 BGBl. I S. 1706) überhaupt auf einen Sachverhalt vor Inkrafttreten angewendet werden kann. Denn die Klägerin ist im Zeitraum von Januar 2005 bis Mai 2006 nicht erwerbsunfähig gewesen. Nach § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II erhalten nichterwerbsfähige Personen einen Mehrbedarf von 17 %, wenn sie Inhaber eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen "G" sind. Bei der Klägerin sind zwar die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "G" und ein GdB von 60 anerkannt. Die Klägerin ist jedoch keine nichterwerbsfähige Person im Sinne dieser Vorschrift, sondern bezog Grundsicherungsleistungen als erwerbsfähige Berechtigte (§§ 8 Abs. 1, 7 SGB II).

Auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II liegen nicht vor. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Aus der Übertragung der Mehrbedarfsregelung des SGB XII unter Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz folgt (BT-Drucks. 16/1410, S. 25), dass der Mehrbedarf für Schwerbehinderte im SGB II vom Gesetzgeber nur für den erwerbsunfähigen Sozialgeldbezieher gewährt werden kann. Die Änderung in § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II ist allein als Korrektur einer vorbestehenden Ungleichbehandlung des Personenkreises der behinderten Sozialgeldempfänger anzusehen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber eben gerade insoweit keine einheitliche Gewährung eines Mehrbedarfs für Schwerbehinderte sowohl für Leistungsbezieher nach dem SGB II und dem SGB XII beabsichtigte.

Eine Anspruchsgrundlage für den Mehrbedarf für Schwerbehinderte ergibt sich auch nicht aus dem SGB XII.

Der Anspruch lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus § 30 SGB Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII (in der Fassung vom 27.12.2003, gültig vom 01.01.2005 bis zum 06.12.2006, Art. 1 des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl. I S. 3022) herleiten. Danach erhalten nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) voll erwerbsgeminderte Personen unter 65 Jahren, die einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit dem Merkzeichen "G" besitzen, einen Mehrbedarf von 17 % des maßgeblichen Regelsatzes, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Zum einen erfüllt die Klägerin diese Voraussetzungen im streitbefangenen Zeitraum nicht. Die volle Erwerbsminderung nach dem SGB VI wurde erst danach festgestellt. Zum anderen schließt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 2 SGB II der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Dazu zählen die §§ 27 bis 40 SGB XII und somit auch § 30 SGB XII.

Der Anspruch kann auch nicht auf § 73 SGB XII gestützt werden. Soweit der von der Klägerin geltend gemachte besondere Bedarf zu dem von der Regelleistung umfassten Bedarf zählt, kann nicht auf § 73 SGB XII zurückgegriffen werden (Spellbrink, a.a.O., § 20 Rn. 38). Ansonsten setzt ein Anspruch nach § 73 SGB XII eine atypische Bedarfslage voraus, für die die in Kapitel Neun des SGB XII enthaltene Sperrwirkung des § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II nicht eingreift. Nach § 73 S. 1 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Die Norm darf nicht zur allgemeinen Auffangnorm für Leistungsempfänger des SGB II ausgeweitet werden. Daher ist eine atypische Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 Rn. 22 zitiert nach juris), notwendig. Es muss sich dabei um eine besondere atypische Bedarfslage, unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte, handeln. Hierzu zählt z.B. "im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG" das Umgangsrecht mit den Kindern des nicht sorgeberechtigten Elternteils im Zuge der Scheidung (BSG, a.a.O.). Das Vorliegen verfassungsrechtlicher Gründe für einen Sonderbedarf ist bei der Klägerin nicht erkennbar. Eine solche atypische Bedarfslage liegt nicht vor. Vielmehr handelt es sich (nur) um einen erhöhten Bedarf.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kann sie einen Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarf für erwerbsfähige Menschen mit Behinderungen auch nicht auf Art. 3 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 30 Abs. 1 SGB XII oder § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II stützen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Eine Regelung ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, das sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BVerfGE 116, 229, 238; 112, 368, 401). Der Gesetzgeber hat gerade bei der Gewährung von Sozialleisungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfGE 100, 195, 205; BSGE 90, 172, 178). Es ergeben sich allerdings aus dem allgemeinen Gleichheitssatz umso engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfGE 88, 87, 96). Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 111, 160, 171). Gemessen an diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber seien Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

Der hilfebedürftige Behinderte nach dem SGB II erhält neben den Leistungen nach § 19 S. 1 SGB II einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II und für den Fall, dass er wegen der Schwer- und/oder Gehbehinderung zusätzlich einen Mehrbedarf hat, den er dann nicht aus der Regelleistung bestreiten kann, den unabdingbaren zusätzlichen Bedarf als Sach- oder Geldleistung darlehensweise nach § 23 Abs. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 22.04.2008 - B 1 KR 10/07 R, Rn. 30 zitiert nach juris zur Zuzahlung in der gesetzlichen Krankenversicherung). Erwerbsunfähige Behinderte erhalten neben dem Regelsatz und den Leistungen für Unterkunft und Heizung u.a. einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 4 SGB XII, wenn sie das 15. Lebensjahr vollendet haben und Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 geleistet wird in Höhe von 35 % des maßgeblichen Regelsatzes, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Jedoch ist nach § 30 Abs. 4 S. 3 SGB XII "Abs. 1 S. 1 Nr. 2 daneben nicht anzuwenden". Dabei handelt es sich um die Norm, die die Gewährung des Mehrbedarfs für Menschen mit Behinderungen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII noch nicht erreicht haben, regelt. Eine Ungleichbehandlung in dem Fall, dass jeweils Eingliederungsleistungen bezogen werden, liegt somit nicht vor. Denn nach § 30 Abs. 4 S. 3 SGB XII erhält der Bezieher von Sozialhilfe dann auch keinen Mehrbedarf wegen Vorliegens einer Behinderung und der Gehbehinderung.

Eine gegen Art. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung der erwerbsfähigen Hilfebedürtigen gegenüber den Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, die nach § 30 SGB XII einen Mehrbedarf beanspruchen können, liegt ebenfalls nicht vor. Soweit geltend gemacht wird, dass jeweils ein unabweisbarer Sonderbedarf bestehe, dem zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung jeweils durch besondere Leistungen Rechnung getragen werden müsse, so dass den SGB II-Berechtigten mindestens der Standard des SGB XII zu gewähren sei (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.09.2006 L 14 B 1378/05 AS PKH; Brühl in LPK-SGB II, § 5 Rn. 47; Armborst, info also 2006, 59 f.), ist die unterschiedliche Behandlung hinreichend durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Denn bei dem Leistungsempfänger nach dem SGB II handelt es sich um einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, während sich der nach dem SGB XII Berechtigte durch die Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB VI auszeichnet. Letzterem wird eine konkrete langfristig ausgerichtete Absicherung im Sinne einer umfassenden Fürsorge zuteil. Dem Sozialhilfebezieher wird der Mehrbedarf gewährt, um Kontaktpflege zu ermöglichen und einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Erwerbsunfähige im Gegensatz zu dem Berechtigten nach dem SGB II eben gerade nicht in der Lage ist, durch eine (geringfügige) Tätigkeit etwas hinzu zuverdienen, um sich ein zusätzliches, (zum Teil) anrechnungsfreies Einkommen zu verschaffen (Oestreicher/Schelter/Decker, BSHG, Stand Juli 2003, § 23 Rn. 8 ff.; LSG NRW, Urteil vom 11.12.2008 - L 9 AS 34/08). Zwar ist erkennbar, dass die Personenkreise der Grundsicherungs- und der Sozialhilfebezieher tatsächlich enger zusammenrücken bei Vorliegen einer Schwerbehinderung und einer Gehbehinderung, da auch für die erwerbsfähigen gehbehinderten Behinderten zusätzliche weitere Eingliederung- und Vermittlungshemmnisse bestehen. Jedoch verbleibt dem SGB II-Empfänger die Möglichkeit, eine Nebentätigkeit auszuüben. Daneben ist zu beachten, dass die vorrangige Zielsetzung, den Hilfebedürftigen nach dem SGB II möglichst umgehend in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, dem Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum eröffnet, vorübergehend aus sachlichen Gründen eine Differenzierung vorzunehmen. Denn es werden andererseits zusätzliche Maßnahmen, etwa Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach den §§ 15 ff. SGB II gewährt, um die Eingliederung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den Arbeitsmarkt zu realisieren (BSG, Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 24/07 R). Daher kann der Leistungsempfänger auch keine vollkommene Gleichbehandlung mit dem Bezieher von Sozialhilfe verlangen (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, § 20 Rn. 37).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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