Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 482/72
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Berufung ist auch ohne Zulassung in Bezug auf Leistungen nach § 589 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 RVO statthaft, wenn sich in der Berufungsinstanz die Gewährung von Hinterbliebenenrente im Streit befindet. (Ablehnung der gegenteiligen Auffassung des BSG u.a. in dessen Urteil 2 RU 71/70).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 7. April 1972 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger sind die Ehefrau und Kinder des 1970 verstorbenen kaufmännischen Angestellten W. R. (R.). Sie streiten mit der Beklagten um die Gewährung der Hinterbliebenenentschädigung.
Der 1936 geborene R. erlitt bei einem Verkehrsunfall am 13. Mai 1970 gegen 1 Uhr auf der Bundesautobahn in der Gemarkung M. schwere Verletzungen, an denen er wenige Stunden später verstarb. Die zweieinhalb bzw. dreieinhalb Stunden nach dem Verkehrsunfall entnommenen Blutproben ergaben nach der ADH-Methode eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,32 ‰ und 0,21 ‰. Nach den polizeilichen Feststellungen war R. aus Richtung F. (W. Kreuz) kommend auf einen langsamer vorausfahrenden Lastzug aus ungeklärter Ursache aufgeprallt. Ausweispapiere oder andere Gegenstände wurden – bis auf einen anderen Namen lautende Mitgliedskarte eines Folklorevereins – in dem von R. allein benutzten VW-Bus nicht gefunden.
R. war seit Anfang des Jahres 1970 Geschäftsführer im Einzelhandelsunternehmen seiner Mutter A. R. in N ... Der Kunden-, Lieferanten- und Vertreterkreis dieses Geschäftes erstreckte sich über den örtlichen Bereich hinaus auf die Gebiete um W., M., F. und L ... Am Abend des 12. Mai 1970 hatte R. mehrere Kunden besucht, zuletzt A. Sch. im nahegelegenen K., den er gegen 20 Uhr wieder verlassen hatte. Danach hatte er in N. die Gaststätte "GL.” aufgesucht, wo er einen Imbiss einnahm. Nach den Angaben der Kläger soll er dieses Lokal spätestens gegen 23,15 Uhr verlassen haben, um die Schaufenster der Konkurrenzgeschäfte D. in H. und H. & Sohn in F. zum Zwecke des Preisvergleichs der ausliegenden Waren zu besichtigen. Die Kläger brachten hierzu vor: Solche Fahrten habe R. häufiger unternommen, um sich auf die Angebote dieser Konkurrenzunternehmen gegenüber seiner Kundschaft besser einstellen zu können. Zwar habe er eine solche Absicht vor Antritt der Fahrt gegenüber anderen nicht geäußert. Es sei aber wahrscheinlich, daß er in der Nacht vom 12. zum 13. Mai 1970 eine solche Erkundungsfahrt unternommen habe. Gegenüber Bekannten habe er beim Verlassen des Goldenen Lamms” geäußert, noch viel zu tun zu haben. Nach dem Unfall auf der Bundesautobahn habe ein Unbekannter gegenüber dem Fahrer des am Verkehrsunfall beteiligten Lastzuges erklärt, daß R. ihn in H. gerade erst überholt habe. Wäre er aus privaten Gründen unterwegs gewesen, so hätte dies die Klägerin zu 1. gewußt, da es sein Brauch gewesen sei, ihre privaten Fahrten zuvor mitzuteilen.
Mit Bescheid vom 13. Mai 1971 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche der Kläger ab. Sie gab zur Begründung an: Es sei nicht erweislich, daß R. zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Heimfahrt von einer Besichtigung der Schaufenster von Konkurrenten im H. und H. gewesen sei. Im übrigen begründe eine solche Besichtigungsfahrt keinen Unfallversicherungsschutz, da ihr keine innere Beziehung wesentlicher Art zum Unternehmen beizumessen sei; ein wirtschaftlicher Nutzen für das Unternehmen stelle sich allenfalls nebenher ein.
Gegen diesen am gleichen Tage per Einschreiben abgesandten Bescheid haben die Kläger am 1. Juni 1971 beim Sozialgericht Frankfurt a. M. Klage erhoben und im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie haben für die übliche Bewältigung der geschäftlichen Obliegenheiten durch R., die früher in ähnlicher Weise von ihm vorgenommenen Besichtigungsfahrten und die Behauptung, daß er in H. einen anderen Verkehrsteilnehmer mit seinem VW-Bus überholt habe, Beweis angeboten.
Das Sozialgericht hat ohne weitere Beweisaufnahme mit Urteil vom 7. April 1972 die Beklagte zur Gewährung der gesetzlichen Hinterbliebenenentschädigung aus der Unfallversicherung an die Kläger verurteilt. Es hat als wahrscheinlich angenommen, daß R. entsprechend dem Vorbringen der Kläger bei dem Verkehrsunfall auf dem Rückweg von einer versicherten Besichtigungsfahrt zu zwei Konkurrenten gewesen sei.
Gegen dieses ihr am 27. April 1972 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. Mai 1972 Berufung eingelegt. Sie beruft sich auf den angefochtenen Bescheid, den sie nach wie vor für zutreffend hält. Im übrigen rügt sie, daß das Sozialgericht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a. M. vom 7. April 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Unfall- und Streitakten, sowie die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Wiesbaden – , die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt.
Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens ist der Bescheid vom 13. Mai 1971 gewesen, mit dem die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung an die Hinterbliebenen des R. abgelehnt hat. Das Sozialgericht hat diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern "die Leistungen für Hinterbliebene aus der Unfallversicherung zu zahlen”. Es hat damit den Klägern alle in Betracht kommenden Leistungen bei Tod durch Arbeitsunfall gem. § 589 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zugesprochen, ohne die Berufung zuzulassen. Hierzu gehören neben laufenden Rentenleistungen (§ 589 Abs. 1 Nr. 3, 590, 595 RVO) einmalige und wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen, nämlich das Sterbegeld, evtl. entstandene Kosten der Überführung des Verstorbenen an den Ort der Bestattung und die Überbrückungshilfe (§§ 589 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, 591 RVO). Insoweit bedarf es der Prüfung, ob nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung ausgeschlossen ist. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) soll die Berufung bezüglich dieser Leistungen auch dann unzulässig sein, wenn sie mit einer zulässigen Berufung wegen einer laufenden Hinterbliebenenrente – wie hier – zusammenfällt, da es sich um prozessual selbständige Teile eines Entschädigungsanspruches handele (vgl. BSG Urt. vom 27. Juli 1972 – 2 RU 71/70). Dieser Auffassung, der der Senat zunächst in seiner Entscheidung vom 8. März 1973 (L 3/U-94/71) beigetreten war, kann – nach erneuter Überprüfung – nicht mehr gefolgt werden. Entgegen der Ansicht des BSG, die von ihm im übrigen nicht näher begründet worden ist, vertritt der Senat die Auffassung, daß in Fällen der vorliegenden Art ein einheitlicher prozessualer Anspruch im Streit steht, so daß die Berufung insgesamt statthaft ist. Der Begriff "Anspruch” im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG ist ausschließlich in dem allgemeinen prozessualen Sinn als das Begehren einer Prozeßpartei zu verstehen, die Rechtsfolgen eines materiell-rechtlichen Tatbestandes durch Urteil auszusprechen (vgl. u.a. 3 RK 22/55, BSGE 4, 206). In den Fällen der vorliegenden Art hat ein Versicherungsträger stets Hinterbliebenenansprüche nur allgemein mit der Begründung abgelehnt, ein versicherter Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen. Da die verschiedenen Einzelleistungen an Hinterbliebene dem Grunde nach sämtlich davon abhängen, daß der Tod des Versicherten durch einen Arbeitsunfall eingetreten ist (§ 589 Abs. 1 RVO: "Bei Tod durch Arbeitsunfall ist zu gewähren ”), und über die Leistungshöhe zunächst kein Streit besteht, handelt es sich stets um einen einheitlichen prozessualen Anspruch auf Hinterbliebenenbezüge allgemein. Die Beklagte hat daher im Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides auch die Entschädigungsansprüche der Kläger dem Grunde nach in ihrer Gesamtheit abgelehnt, ohne sie gesondert anzuführen. Das Sozialgericht konnte sich wegen der Einheitlichkeit des Rechtsgrundes und des prozessualen Anspruchs daher auch ein auf Grundurteil beschränken (§ 130 SGG). Mit der Einlegung der Berufung ist der Anspruch auf die gesetzlich zustehenden Hinterbliebenenleistungen infolgedessen im ganzen Umfang beim Berufungsgericht angefallen. Dieser Anspruch erfordert seiner Natur nach auch eine einheitliche Entscheidung, so daß es nicht zu vertreten ist, von dieser Entscheidung einzelne Leistungen auszunehmen und hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung gesondert zu verhandeln (vgl. hierzu BSGE 5, 222). Es ist hierbei zu beachten, daß nach § 143 SGG die Berufung gegen sozialgerichtliche Urteile grundsätzlich zulässig ist, soweit nicht die besonderen Ausschlußtatbestände der §§ 144 ff. SGG zum Zuge kommen. Es handelt sich dabei um Ausnahmevorschriften die eng auszulegen sind. Sie sollen bezwecken, daß die Berufungsgerichte nicht in Bagatellsachen beansprucht werden. Dieser Sinn und Zweck wird aber nicht vereitelt, wenn – wie vorliegend – im Berufungsverfahren, das zur gleichen Rechtsfrage wegen der Rentenleistungen ohnehin durchgeführt werden muß, die Entscheidung auch die übrigen in § 589 Abs. 1 RVO angeführten Leistungen dem Grunde nach umfaßt. Im übrigen enthalten die eng auszulegenden Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über die Berufungsausschließungsgründe keine Bestimmung darüber, daß beim Zusammentreffen einer zulässigen Berufung mit einer an sich unzulässigen Berufung dieses nicht mit nachgeprüft werden darf (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, I S. 250 d I–III).
Eine andere Auslegung würde zu Ergebnissen führen, die im Interesse der materiellen Gerechtigkeit nicht hingenommen werden können. So muß den Hinterbliebenen eines Versicherten in den Fällen der vorliegenden Art z.B. das Sterbegeld und die Überbrückungshilfe nach der Klageabweisung durch das Sozialgericht vom Berufungsgericht selbst dann versagt werden, wenn dieses den Tod als Arbeitsunfallfolge feststellt und zur Gewährung von Hinterbliebenenrente verurteilt. Umgekehrt verbleiben den Hinterbliebenen diese Leistungen, wenn das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil aufhebt und die Klage bezüglich der Hinterbliebenenrente abweist. Der Weg zur uneingeschränkten Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils ist nach der Auffassung des BSG nur dann frei, wenn das Sozialgericht im Urteil die Berufung hinsichtlich der von § 144 Abs. 1 SGG erfaßten Leistungen zugelassen hat, was aber nur möglich ist, wenn der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 150 Nr. 1 SGG). Nach der Rechtsprechung des BSG, die in Literatur und Rechtsprechung nicht ohne Widerspruch geblieben ist (vgl. LSG Berlin, Breithaupt 1954 Seite 1197; Bayr. LSG Breithaupt 1955, S. 661; LSG Schleswig-Holstein, Breithaupt 1955, Seite 100; BSG BVBl. 1966 Seite 117; BGHZ 2 Seite ... Peters-Sautter-Wolff, Anm. 2 zu § 150 SGG; Miesbach-Ankenbrank, Anm. 1 zu § 150 SGG) tritt bei der Zulassung des Rechtsmittels durch das untere Gericht auf das Rechtsmittelgericht zudem keine Bindungswirkung ein, wenn die Zulassung des Rechtsmittels gesetzwidrig ist, d.h., wenn sie offensichtlich unbegründet ist (so BSGE 2 S. 540; 6 S. 70; 10 S. 240; SozR Nr. 194 zu § 162 SGG; Urt. vom 17.2.72 – 7 RU 27/69; SozR Nr. 44 zu § 150 SGG). Nach dieser Rechtsprechung dürfen Berufungszulassungen vom Berufungsgericht in zahlreichen Fällen der vorliegenden Art nicht berücksichtigt werden, weil sie meistens keine Streitigkeiten von grundsätzlicher Bedeutung zum Gegenstand haben.
Der Senat ist nach alledem der Auffassung, daß die Rechtsprechung des BSG zur Frage des Berufungsausschlusses bei einzelnen Hinterbliebenenleistungen dem Sinn und Zweck des § 144 Abs. 1 SGG nicht gerecht wird. Das Verfahrensrecht soll den gestörten Rechtsfrieden wiederherstellen und sichern sowie der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit dienen, sich aber nicht zum Selbstzweck erheben. Ein einheitlicher Verwaltungsvorgang muß in materiell-rechtlicher Hinsicht im Rechtsmittelverfahren auch einheitlich nachgeprüft werden können (vgl. Brackmann, a.a.O., S. 250 d III unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes).
Die mithin uneingeschränkt statthafte Berufung ist daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das sozialgerichtliche Urteil mußte aufgehoben und die Klage abgewiesen werden. Die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung nach ihrem Ehemann und Vater R., da sein Tod durch einen Arbeitsunfall nicht erweislich ist (§§ 589 Abs. 1, 590, 595 RVO).
Es kann offenbleiben, ob eine Fahrt eines leitenden Angestellten eines Einzelhandelunternehmens zu im Einzugsbereich des Geschäftes liegenden vergleichbaren Konkurrenzunternehmen, um die Angebote anhand der Auslagen in den Schaufenstern zu prüfen, überhaupt eine dem Unternehmen förderliche und damit dem Versicherungsschutz unterliegende Tätigkeit ist. Selbst die Bejahung des Versicherungsschutzes für eine solche Fahrt ergibt hier keine Anspruchsberechtigung. Der Nachweis dafür, daß R. sich im Zeitpunkt des Unfalls auf dem Heimweg von einer solchen Erkundungsfahrt befand, ist nämlich nicht zu führen. Für die Annahme eines solchen Zusammenhangs genügt nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung Wahrscheinlichkeit, d.h., bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegen sprechenden billigerweise bei der Überzeugungsbildung außer Betracht bleiben können (vgl. BSG SozR. Nr. 20 zu § 542 a.F.; Lauterbach, Unfallversicherung, Anm. 17 zu § 548 RVO; Hasse-Koch, Unfallversicherung, Anm. 6 und 9 zu § 548 RVO jeweils mit weiteren Hinweisen). Eine solche Überzeugungsbildung für einen versicherungsgeschützten Heimweg von einer betrieblichen Erkundungsfahrt ist hier nicht möglich. Die gesamten Umstände des Falles sprechen mehr dagegen als dafür.
Der Senat unterstellt hierbei als wahr, daß R. bereits früher ähnliche Erkundungsfahrten unternommen, beim Verlassen der Gaststätte "GL.” in N. am 12. Mai 1970 gegen 23.00 Uhr auf Befragen von Bekannten angegeben hat, noch zu tun zu haben und auf dem Heimweg kurz vor dem Unfall einen unbekannten dritten Verkehrsteilnehmer in H. überholt hat. Weiterhin steht jedoch lediglich fest, daß R. für das Unternehmen seiner Mutter, der benannten Zeugin A. R., am 12. Mai 1970 zuletzt bis 20 Uhr durch den Besuch der Familie S. in K. tätig war, später einen Imbiss im "Goldenen Lamm” einnahm und sodann von H. kommend auf der Bundesautobahn F. in der Gemarkung M. verunglückte, ohne daß hierbei wegen der geringfügig festgestellten BAK wahrscheinlich zuvor genossener Alkohol von Bedeutung war.
Diese Feststellungen reichen nach Überzeugung des Senats nicht aus, eine betriebsbedingte und damit versicherungsgeschützte Fahrt mit Wahrscheinlichkeit annehmen zu können. Der Umstand, daß R. in H. einen dritten unbekannten Verkehrsteilnehmer überholt hat, läßt nur darauf schließen, daß er aus H. gekommen ist. Er besagt nichts darüber, ob R. sich dort betriebsbedingt aufgehalten hat. Hieran ändert auch nichts, daß R. bereits früher in H. zum Zwecke des Preisvergleichs die Schaufensterauslagen des konkurrierenden Unternehmens H. & Sohn besichtigt hat. R. ist bei einer solchen Tätigkeit in der Unfallnacht nicht beobachtet worden. Der von den Klägern benannte Zeuge R. brauchte vom Senat nicht gehört zu werden. Er könnte eine solche betriebliche Tätigkeit nicht bekunden. Er hat sie nicht gesehen. Als Zeuge vom Hörensagen könnte er nach der in sein Wissen gestellten Tatsache lediglich aussagen, daß R. in H. einen anderen Verkehrsteilnehmer mit dem VW-Bus überholt hat. Diese als wahr unterstellte Behauptung schließt nicht aus, daß R. sich in H. oder anderswo aus privaten Gründen aufgehalten hat und von einer privaten Verrichtung kommend auf dem Heimweg gewesen ist. Auch die Tatsache, daß R. beim Verlassen des "Goldenen Lamms” in N. gegen 23 Uhr am 12. Mai 1970 Bekannten gegenüber gesagt haben soll, er habe noch zu tun, besagt nichts darüber, ob er tatsächlich im Begriff war, eine betriebliche Tätigkeit aufzunehmen. Auch insoweit brauchte der Senat nicht den Beweisanerbieten nachzugehen. Diese in das Wissen der benannten Zeugen gestellte und als wahr unterstellte Tatsache ist zu ungenau. R. hat nicht angegeben, daß er beabsichtige, eine betriebliche Erkundungsfahrt antreten zu wollen. Er kann diese Äußerung auch getan haben, um die Aufforderung zum gemeinsamen Skatspielen im Lokal abzulehnen. Die Beklagte hat im übrigen zutreffend darauf hingewiesen, daß die Absicht, noch eine Besichtigungsfahrt, wie sie von den Klägern behauptet wird, zu unternehmen, der Lebenserfahrung widerspricht. Wer noch eine rund zweistündige betriebliche Fahrt nach 20 Uhr vor sich hat, wird kaum die Einnahme eines Imbisses vor Antritt des Weges auf drei oder wenigstens eineinhalb Stunden ausdehnen. Auch der Hinweis darauf, daß der Klägerin zu 1. stets private Wege ihres Ehemannes im Gegensatz zu geschäftlichen bekannt gewesen seien, ist zur Begründung des Versicherungsschutzes ungeeignet. So wie R. nach den Angaben der Kläger auf geschäftlichen Wegen oft noch den Einfall hatte, andere, bisher nicht vorgesehene Kunden zu besuchen, so ist es auch möglich, daß er private Verrichtungen eingeschoben oder angehängt hat, ohne daß die Klägerin zu 1. hiervon stets Kenntnis hatte.
Hierfür spricht jedenfalls, daß sie z.B. von Aufsuchen des "Goldenen Lamms” durch R. – eine eigenwirtschaftliche Unternehmung – in Anschluß an Kundenbesuche in K. am 12. Mai 1970 nichts gewußt hat. Wäre es anders gewesen, hätten dies die Kläger von Anfang an bei der Unfallfeststellung durch die Beklagte vorgebracht.
Es lassen sich auch sonst keine weiteren Feststellungen treffen, die für die Aufnahme einer betrieblichen Tätigkeit des R. nach Verlassen des "Goldenen Lamms” sprechen. So sind bei den polizeilichen Ermittlungen an der Unfallstelle insbesondere keine Gegenstände oder Aufzeichnungen gefunden worden, die auf eine unternehmensbezogene Besichtigungsfahrt zu Konkurrenzgeschäften schließen lassen. Die Kläger können hierfür auch keine Beweise beibringen. Zur Auflage des Senats, im einzelnen darzutun, wie und wann sich die behaupteten Erkundungsfahrten für das Geschäft abspielten und konkret wirtschaftlich auswertbar niederschlugen, haben sie schließlich einräumen müssen, keine präzisen Angaben machen zu können.
Nach alledem ist die Behauptung der Kläger, R. habe sich auf dem Rückweg von einer betriebsbedingten Besichtigungsfahrt zu Konkurrenzgeschäften in H. und H. befunden, beweislos geblieben. Die Folgen dieser objektiven Beweislosigkeit gehen aber zu Lasten der Kläger (BSG Urt. vom 30.9.1970 – 2 RU 97/67, 294/67; Lauterbach a.a.O. Anm. 19 zu § 548 RVO).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht vorliegen. Es handelt sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Zur Frage der Statthaftigkeit der Berufung ist der Senat zwar – zu Ungunsten der Kläger –von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewichen (Az.: 2 RU 71/70). Er brauchte jedoch insoweit die Revision nicht zuzulassen, weil das Bundessozialgericht bei eingelegter Revision – jedenfalls auf eine dahingehende Verfahrensrüge – zu prüfen hat, ob eine statthafte Berufung vorliegt.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger sind die Ehefrau und Kinder des 1970 verstorbenen kaufmännischen Angestellten W. R. (R.). Sie streiten mit der Beklagten um die Gewährung der Hinterbliebenenentschädigung.
Der 1936 geborene R. erlitt bei einem Verkehrsunfall am 13. Mai 1970 gegen 1 Uhr auf der Bundesautobahn in der Gemarkung M. schwere Verletzungen, an denen er wenige Stunden später verstarb. Die zweieinhalb bzw. dreieinhalb Stunden nach dem Verkehrsunfall entnommenen Blutproben ergaben nach der ADH-Methode eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,32 ‰ und 0,21 ‰. Nach den polizeilichen Feststellungen war R. aus Richtung F. (W. Kreuz) kommend auf einen langsamer vorausfahrenden Lastzug aus ungeklärter Ursache aufgeprallt. Ausweispapiere oder andere Gegenstände wurden – bis auf einen anderen Namen lautende Mitgliedskarte eines Folklorevereins – in dem von R. allein benutzten VW-Bus nicht gefunden.
R. war seit Anfang des Jahres 1970 Geschäftsführer im Einzelhandelsunternehmen seiner Mutter A. R. in N ... Der Kunden-, Lieferanten- und Vertreterkreis dieses Geschäftes erstreckte sich über den örtlichen Bereich hinaus auf die Gebiete um W., M., F. und L ... Am Abend des 12. Mai 1970 hatte R. mehrere Kunden besucht, zuletzt A. Sch. im nahegelegenen K., den er gegen 20 Uhr wieder verlassen hatte. Danach hatte er in N. die Gaststätte "GL.” aufgesucht, wo er einen Imbiss einnahm. Nach den Angaben der Kläger soll er dieses Lokal spätestens gegen 23,15 Uhr verlassen haben, um die Schaufenster der Konkurrenzgeschäfte D. in H. und H. & Sohn in F. zum Zwecke des Preisvergleichs der ausliegenden Waren zu besichtigen. Die Kläger brachten hierzu vor: Solche Fahrten habe R. häufiger unternommen, um sich auf die Angebote dieser Konkurrenzunternehmen gegenüber seiner Kundschaft besser einstellen zu können. Zwar habe er eine solche Absicht vor Antritt der Fahrt gegenüber anderen nicht geäußert. Es sei aber wahrscheinlich, daß er in der Nacht vom 12. zum 13. Mai 1970 eine solche Erkundungsfahrt unternommen habe. Gegenüber Bekannten habe er beim Verlassen des Goldenen Lamms” geäußert, noch viel zu tun zu haben. Nach dem Unfall auf der Bundesautobahn habe ein Unbekannter gegenüber dem Fahrer des am Verkehrsunfall beteiligten Lastzuges erklärt, daß R. ihn in H. gerade erst überholt habe. Wäre er aus privaten Gründen unterwegs gewesen, so hätte dies die Klägerin zu 1. gewußt, da es sein Brauch gewesen sei, ihre privaten Fahrten zuvor mitzuteilen.
Mit Bescheid vom 13. Mai 1971 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche der Kläger ab. Sie gab zur Begründung an: Es sei nicht erweislich, daß R. zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Heimfahrt von einer Besichtigung der Schaufenster von Konkurrenten im H. und H. gewesen sei. Im übrigen begründe eine solche Besichtigungsfahrt keinen Unfallversicherungsschutz, da ihr keine innere Beziehung wesentlicher Art zum Unternehmen beizumessen sei; ein wirtschaftlicher Nutzen für das Unternehmen stelle sich allenfalls nebenher ein.
Gegen diesen am gleichen Tage per Einschreiben abgesandten Bescheid haben die Kläger am 1. Juni 1971 beim Sozialgericht Frankfurt a. M. Klage erhoben und im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie haben für die übliche Bewältigung der geschäftlichen Obliegenheiten durch R., die früher in ähnlicher Weise von ihm vorgenommenen Besichtigungsfahrten und die Behauptung, daß er in H. einen anderen Verkehrsteilnehmer mit seinem VW-Bus überholt habe, Beweis angeboten.
Das Sozialgericht hat ohne weitere Beweisaufnahme mit Urteil vom 7. April 1972 die Beklagte zur Gewährung der gesetzlichen Hinterbliebenenentschädigung aus der Unfallversicherung an die Kläger verurteilt. Es hat als wahrscheinlich angenommen, daß R. entsprechend dem Vorbringen der Kläger bei dem Verkehrsunfall auf dem Rückweg von einer versicherten Besichtigungsfahrt zu zwei Konkurrenten gewesen sei.
Gegen dieses ihr am 27. April 1972 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. Mai 1972 Berufung eingelegt. Sie beruft sich auf den angefochtenen Bescheid, den sie nach wie vor für zutreffend hält. Im übrigen rügt sie, daß das Sozialgericht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a. M. vom 7. April 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Unfall- und Streitakten, sowie die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Wiesbaden – , die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt.
Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens ist der Bescheid vom 13. Mai 1971 gewesen, mit dem die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung an die Hinterbliebenen des R. abgelehnt hat. Das Sozialgericht hat diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern "die Leistungen für Hinterbliebene aus der Unfallversicherung zu zahlen”. Es hat damit den Klägern alle in Betracht kommenden Leistungen bei Tod durch Arbeitsunfall gem. § 589 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zugesprochen, ohne die Berufung zuzulassen. Hierzu gehören neben laufenden Rentenleistungen (§ 589 Abs. 1 Nr. 3, 590, 595 RVO) einmalige und wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen, nämlich das Sterbegeld, evtl. entstandene Kosten der Überführung des Verstorbenen an den Ort der Bestattung und die Überbrückungshilfe (§§ 589 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, 591 RVO). Insoweit bedarf es der Prüfung, ob nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung ausgeschlossen ist. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) soll die Berufung bezüglich dieser Leistungen auch dann unzulässig sein, wenn sie mit einer zulässigen Berufung wegen einer laufenden Hinterbliebenenrente – wie hier – zusammenfällt, da es sich um prozessual selbständige Teile eines Entschädigungsanspruches handele (vgl. BSG Urt. vom 27. Juli 1972 – 2 RU 71/70). Dieser Auffassung, der der Senat zunächst in seiner Entscheidung vom 8. März 1973 (L 3/U-94/71) beigetreten war, kann – nach erneuter Überprüfung – nicht mehr gefolgt werden. Entgegen der Ansicht des BSG, die von ihm im übrigen nicht näher begründet worden ist, vertritt der Senat die Auffassung, daß in Fällen der vorliegenden Art ein einheitlicher prozessualer Anspruch im Streit steht, so daß die Berufung insgesamt statthaft ist. Der Begriff "Anspruch” im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG ist ausschließlich in dem allgemeinen prozessualen Sinn als das Begehren einer Prozeßpartei zu verstehen, die Rechtsfolgen eines materiell-rechtlichen Tatbestandes durch Urteil auszusprechen (vgl. u.a. 3 RK 22/55, BSGE 4, 206). In den Fällen der vorliegenden Art hat ein Versicherungsträger stets Hinterbliebenenansprüche nur allgemein mit der Begründung abgelehnt, ein versicherter Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen. Da die verschiedenen Einzelleistungen an Hinterbliebene dem Grunde nach sämtlich davon abhängen, daß der Tod des Versicherten durch einen Arbeitsunfall eingetreten ist (§ 589 Abs. 1 RVO: "Bei Tod durch Arbeitsunfall ist zu gewähren ”), und über die Leistungshöhe zunächst kein Streit besteht, handelt es sich stets um einen einheitlichen prozessualen Anspruch auf Hinterbliebenenbezüge allgemein. Die Beklagte hat daher im Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides auch die Entschädigungsansprüche der Kläger dem Grunde nach in ihrer Gesamtheit abgelehnt, ohne sie gesondert anzuführen. Das Sozialgericht konnte sich wegen der Einheitlichkeit des Rechtsgrundes und des prozessualen Anspruchs daher auch ein auf Grundurteil beschränken (§ 130 SGG). Mit der Einlegung der Berufung ist der Anspruch auf die gesetzlich zustehenden Hinterbliebenenleistungen infolgedessen im ganzen Umfang beim Berufungsgericht angefallen. Dieser Anspruch erfordert seiner Natur nach auch eine einheitliche Entscheidung, so daß es nicht zu vertreten ist, von dieser Entscheidung einzelne Leistungen auszunehmen und hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung gesondert zu verhandeln (vgl. hierzu BSGE 5, 222). Es ist hierbei zu beachten, daß nach § 143 SGG die Berufung gegen sozialgerichtliche Urteile grundsätzlich zulässig ist, soweit nicht die besonderen Ausschlußtatbestände der §§ 144 ff. SGG zum Zuge kommen. Es handelt sich dabei um Ausnahmevorschriften die eng auszulegen sind. Sie sollen bezwecken, daß die Berufungsgerichte nicht in Bagatellsachen beansprucht werden. Dieser Sinn und Zweck wird aber nicht vereitelt, wenn – wie vorliegend – im Berufungsverfahren, das zur gleichen Rechtsfrage wegen der Rentenleistungen ohnehin durchgeführt werden muß, die Entscheidung auch die übrigen in § 589 Abs. 1 RVO angeführten Leistungen dem Grunde nach umfaßt. Im übrigen enthalten die eng auszulegenden Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über die Berufungsausschließungsgründe keine Bestimmung darüber, daß beim Zusammentreffen einer zulässigen Berufung mit einer an sich unzulässigen Berufung dieses nicht mit nachgeprüft werden darf (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, I S. 250 d I–III).
Eine andere Auslegung würde zu Ergebnissen führen, die im Interesse der materiellen Gerechtigkeit nicht hingenommen werden können. So muß den Hinterbliebenen eines Versicherten in den Fällen der vorliegenden Art z.B. das Sterbegeld und die Überbrückungshilfe nach der Klageabweisung durch das Sozialgericht vom Berufungsgericht selbst dann versagt werden, wenn dieses den Tod als Arbeitsunfallfolge feststellt und zur Gewährung von Hinterbliebenenrente verurteilt. Umgekehrt verbleiben den Hinterbliebenen diese Leistungen, wenn das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil aufhebt und die Klage bezüglich der Hinterbliebenenrente abweist. Der Weg zur uneingeschränkten Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils ist nach der Auffassung des BSG nur dann frei, wenn das Sozialgericht im Urteil die Berufung hinsichtlich der von § 144 Abs. 1 SGG erfaßten Leistungen zugelassen hat, was aber nur möglich ist, wenn der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 150 Nr. 1 SGG). Nach der Rechtsprechung des BSG, die in Literatur und Rechtsprechung nicht ohne Widerspruch geblieben ist (vgl. LSG Berlin, Breithaupt 1954 Seite 1197; Bayr. LSG Breithaupt 1955, S. 661; LSG Schleswig-Holstein, Breithaupt 1955, Seite 100; BSG BVBl. 1966 Seite 117; BGHZ 2 Seite ... Peters-Sautter-Wolff, Anm. 2 zu § 150 SGG; Miesbach-Ankenbrank, Anm. 1 zu § 150 SGG) tritt bei der Zulassung des Rechtsmittels durch das untere Gericht auf das Rechtsmittelgericht zudem keine Bindungswirkung ein, wenn die Zulassung des Rechtsmittels gesetzwidrig ist, d.h., wenn sie offensichtlich unbegründet ist (so BSGE 2 S. 540; 6 S. 70; 10 S. 240; SozR Nr. 194 zu § 162 SGG; Urt. vom 17.2.72 – 7 RU 27/69; SozR Nr. 44 zu § 150 SGG). Nach dieser Rechtsprechung dürfen Berufungszulassungen vom Berufungsgericht in zahlreichen Fällen der vorliegenden Art nicht berücksichtigt werden, weil sie meistens keine Streitigkeiten von grundsätzlicher Bedeutung zum Gegenstand haben.
Der Senat ist nach alledem der Auffassung, daß die Rechtsprechung des BSG zur Frage des Berufungsausschlusses bei einzelnen Hinterbliebenenleistungen dem Sinn und Zweck des § 144 Abs. 1 SGG nicht gerecht wird. Das Verfahrensrecht soll den gestörten Rechtsfrieden wiederherstellen und sichern sowie der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit dienen, sich aber nicht zum Selbstzweck erheben. Ein einheitlicher Verwaltungsvorgang muß in materiell-rechtlicher Hinsicht im Rechtsmittelverfahren auch einheitlich nachgeprüft werden können (vgl. Brackmann, a.a.O., S. 250 d III unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes).
Die mithin uneingeschränkt statthafte Berufung ist daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das sozialgerichtliche Urteil mußte aufgehoben und die Klage abgewiesen werden. Die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung nach ihrem Ehemann und Vater R., da sein Tod durch einen Arbeitsunfall nicht erweislich ist (§§ 589 Abs. 1, 590, 595 RVO).
Es kann offenbleiben, ob eine Fahrt eines leitenden Angestellten eines Einzelhandelunternehmens zu im Einzugsbereich des Geschäftes liegenden vergleichbaren Konkurrenzunternehmen, um die Angebote anhand der Auslagen in den Schaufenstern zu prüfen, überhaupt eine dem Unternehmen förderliche und damit dem Versicherungsschutz unterliegende Tätigkeit ist. Selbst die Bejahung des Versicherungsschutzes für eine solche Fahrt ergibt hier keine Anspruchsberechtigung. Der Nachweis dafür, daß R. sich im Zeitpunkt des Unfalls auf dem Heimweg von einer solchen Erkundungsfahrt befand, ist nämlich nicht zu führen. Für die Annahme eines solchen Zusammenhangs genügt nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung Wahrscheinlichkeit, d.h., bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegen sprechenden billigerweise bei der Überzeugungsbildung außer Betracht bleiben können (vgl. BSG SozR. Nr. 20 zu § 542 a.F.; Lauterbach, Unfallversicherung, Anm. 17 zu § 548 RVO; Hasse-Koch, Unfallversicherung, Anm. 6 und 9 zu § 548 RVO jeweils mit weiteren Hinweisen). Eine solche Überzeugungsbildung für einen versicherungsgeschützten Heimweg von einer betrieblichen Erkundungsfahrt ist hier nicht möglich. Die gesamten Umstände des Falles sprechen mehr dagegen als dafür.
Der Senat unterstellt hierbei als wahr, daß R. bereits früher ähnliche Erkundungsfahrten unternommen, beim Verlassen der Gaststätte "GL.” in N. am 12. Mai 1970 gegen 23.00 Uhr auf Befragen von Bekannten angegeben hat, noch zu tun zu haben und auf dem Heimweg kurz vor dem Unfall einen unbekannten dritten Verkehrsteilnehmer in H. überholt hat. Weiterhin steht jedoch lediglich fest, daß R. für das Unternehmen seiner Mutter, der benannten Zeugin A. R., am 12. Mai 1970 zuletzt bis 20 Uhr durch den Besuch der Familie S. in K. tätig war, später einen Imbiss im "Goldenen Lamm” einnahm und sodann von H. kommend auf der Bundesautobahn F. in der Gemarkung M. verunglückte, ohne daß hierbei wegen der geringfügig festgestellten BAK wahrscheinlich zuvor genossener Alkohol von Bedeutung war.
Diese Feststellungen reichen nach Überzeugung des Senats nicht aus, eine betriebsbedingte und damit versicherungsgeschützte Fahrt mit Wahrscheinlichkeit annehmen zu können. Der Umstand, daß R. in H. einen dritten unbekannten Verkehrsteilnehmer überholt hat, läßt nur darauf schließen, daß er aus H. gekommen ist. Er besagt nichts darüber, ob R. sich dort betriebsbedingt aufgehalten hat. Hieran ändert auch nichts, daß R. bereits früher in H. zum Zwecke des Preisvergleichs die Schaufensterauslagen des konkurrierenden Unternehmens H. & Sohn besichtigt hat. R. ist bei einer solchen Tätigkeit in der Unfallnacht nicht beobachtet worden. Der von den Klägern benannte Zeuge R. brauchte vom Senat nicht gehört zu werden. Er könnte eine solche betriebliche Tätigkeit nicht bekunden. Er hat sie nicht gesehen. Als Zeuge vom Hörensagen könnte er nach der in sein Wissen gestellten Tatsache lediglich aussagen, daß R. in H. einen anderen Verkehrsteilnehmer mit dem VW-Bus überholt hat. Diese als wahr unterstellte Behauptung schließt nicht aus, daß R. sich in H. oder anderswo aus privaten Gründen aufgehalten hat und von einer privaten Verrichtung kommend auf dem Heimweg gewesen ist. Auch die Tatsache, daß R. beim Verlassen des "Goldenen Lamms” in N. gegen 23 Uhr am 12. Mai 1970 Bekannten gegenüber gesagt haben soll, er habe noch zu tun, besagt nichts darüber, ob er tatsächlich im Begriff war, eine betriebliche Tätigkeit aufzunehmen. Auch insoweit brauchte der Senat nicht den Beweisanerbieten nachzugehen. Diese in das Wissen der benannten Zeugen gestellte und als wahr unterstellte Tatsache ist zu ungenau. R. hat nicht angegeben, daß er beabsichtige, eine betriebliche Erkundungsfahrt antreten zu wollen. Er kann diese Äußerung auch getan haben, um die Aufforderung zum gemeinsamen Skatspielen im Lokal abzulehnen. Die Beklagte hat im übrigen zutreffend darauf hingewiesen, daß die Absicht, noch eine Besichtigungsfahrt, wie sie von den Klägern behauptet wird, zu unternehmen, der Lebenserfahrung widerspricht. Wer noch eine rund zweistündige betriebliche Fahrt nach 20 Uhr vor sich hat, wird kaum die Einnahme eines Imbisses vor Antritt des Weges auf drei oder wenigstens eineinhalb Stunden ausdehnen. Auch der Hinweis darauf, daß der Klägerin zu 1. stets private Wege ihres Ehemannes im Gegensatz zu geschäftlichen bekannt gewesen seien, ist zur Begründung des Versicherungsschutzes ungeeignet. So wie R. nach den Angaben der Kläger auf geschäftlichen Wegen oft noch den Einfall hatte, andere, bisher nicht vorgesehene Kunden zu besuchen, so ist es auch möglich, daß er private Verrichtungen eingeschoben oder angehängt hat, ohne daß die Klägerin zu 1. hiervon stets Kenntnis hatte.
Hierfür spricht jedenfalls, daß sie z.B. von Aufsuchen des "Goldenen Lamms” durch R. – eine eigenwirtschaftliche Unternehmung – in Anschluß an Kundenbesuche in K. am 12. Mai 1970 nichts gewußt hat. Wäre es anders gewesen, hätten dies die Kläger von Anfang an bei der Unfallfeststellung durch die Beklagte vorgebracht.
Es lassen sich auch sonst keine weiteren Feststellungen treffen, die für die Aufnahme einer betrieblichen Tätigkeit des R. nach Verlassen des "Goldenen Lamms” sprechen. So sind bei den polizeilichen Ermittlungen an der Unfallstelle insbesondere keine Gegenstände oder Aufzeichnungen gefunden worden, die auf eine unternehmensbezogene Besichtigungsfahrt zu Konkurrenzgeschäften schließen lassen. Die Kläger können hierfür auch keine Beweise beibringen. Zur Auflage des Senats, im einzelnen darzutun, wie und wann sich die behaupteten Erkundungsfahrten für das Geschäft abspielten und konkret wirtschaftlich auswertbar niederschlugen, haben sie schließlich einräumen müssen, keine präzisen Angaben machen zu können.
Nach alledem ist die Behauptung der Kläger, R. habe sich auf dem Rückweg von einer betriebsbedingten Besichtigungsfahrt zu Konkurrenzgeschäften in H. und H. befunden, beweislos geblieben. Die Folgen dieser objektiven Beweislosigkeit gehen aber zu Lasten der Kläger (BSG Urt. vom 30.9.1970 – 2 RU 97/67, 294/67; Lauterbach a.a.O. Anm. 19 zu § 548 RVO).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht vorliegen. Es handelt sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Zur Frage der Statthaftigkeit der Berufung ist der Senat zwar – zu Ungunsten der Kläger –von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewichen (Az.: 2 RU 71/70). Er brauchte jedoch insoweit die Revision nicht zuzulassen, weil das Bundessozialgericht bei eingelegter Revision – jedenfalls auf eine dahingehende Verfahrensrüge – zu prüfen hat, ob eine statthafte Berufung vorliegt.
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