L 5 V 520/72

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 520/72
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Bei einem beschädigten selbständigen Landwirt, der den Beruf nicht gewechselt hat, liegt ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nur vor, wenn schädigungsbedingte Personalmehraufwendungen und (oder) betriebliche Mindereinnahmen wegen schädigungsbedingten Unvermögens intensiver Bewirtschaftung im Vergleich zu anderen entsprechenden Betrieben feststellbar sind.
2) Soll das Begehren erfolgreich sein, als Landwirtschaftsmeister in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG. eingestuft zu werden, ist der – konkret zumutbare – Versuch nachzuweisen, sich als Beschädigter um die entsprechenden Voraussetzungen bemüht zu haben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. März 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1920 geborene Kläger erhielt wegen

1) "Lungen-, Leber und Darmverwundung mit Rippenfellschwarte und Zwerchfellverwachsung rechts,
2) Große Narbenbildung im Rücken und rechts im Oberbauch,
3) Verwachsungsbeschwerden ist Leib.”

als Schädigungsfolgen Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. (Umanerkennungsbescheid vom 4. Dezember 1951, Neufeststellungsbescheid vom 20. April 1955). Mit Zugunstenbescheid vom 8. November 1971 ist sein besonderes berufliches Betroffensein als Landwirt anerkannt worden, so daß ab 1. Januar 1961 Zahlungen nach einer MdE von 60 v.H. erfolgen.

Am 12. Januar 1965 beantragte der Kläger bei des Versorgungsamt XY. Berufsschadensausgleich. Nach seinem beruflichen Werdegang hat er die Volksschule, in den Wintermonaten der Jahre 1937/38 und 1938/39 die Landwirtschaftsschule besucht und war bis zu seiner Einberufung als mithelfendes Familienmitglied in der Landwirtschaft seiner Eltern von rund 20 ha Größe tätig. Nach dem Kriege arbeitete er wiederum mit und bekleidete überdies den Posten als ehrenamtlicher Bürgermeister seiner Heimatgemeinde während der Jahre 1948 bis 1962. Ab 1. Januar 1954 hat er den elterlichen Betrieb gegen Altenteilsleistungen übernommen. Nach seinen Angaben ist sein Berufsziel des Landwirtschaftsmeisters aus schädigungsbedingten Gründen vereitelt worden. Sein Betrieb werfe weniger ab als vergleichbare, da er nicht voll einsatzfähig sei. Wie der Bürgermeister und der Ortslandwirt am 2. Januar 1967 bescheinigten, benötige er zum Schlepperfahren und für alle schweren Arbeiten stets eine fremde Arbeitskraft.

Am 12. September 1967 wurde er abschlägig beschieden. Er sei vor und nach der Schädigung in gleicher Weise als Landwirt tätig gewesen und bewirtschafte seinen landwirtschaftlichen Betrieb in vollem Umfang. Ein Substanzverlust sei nicht eingetreten, so daß auch kein schädigungsbedingter Einkommensverlust ersichtlich sei.

Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger wiederum auf seine starke finanzielle Belastung durch Inanspruchnahme einer fremden Arbeitskraft hin und bat um Umschulung, da er seinen Betrieb ohne Gewährung von Berufsschadensausgleich nicht weiterführen könne.

Seinem Begehren half der Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1967 nicht ab. Auch ohne die Schädigungsfolgen, welche die Ausübung des Landwirtsberufes im übrigen erlaubten, wäre angesichts der Grundstücksgröße der gelegentliche Einsatz einer Hilfskraft erforderlich.

Der vom Versorgungsamt eingeschaltete Landeswohlfahrtsverband Hessen teilte am 7. Juli 1969 mit, der Kläger sei mehrfach gebeten worden, wegen seines Wunsches auf Umschulung vorzusprechen. Er habe jedoch ausweichend oder gar nicht geantwortet, so daß die Auffassung bestehe, daß er an der Gewährung von Berufsförderungsmaßnahmen nicht interessiert sei.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger seinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) weiterverfochten.

Mit Urteil vom 8. März 1972 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, im Falle des Klägers müßten entweder schädigungsbedingte Personalmehraufwendungen oder betriebliche Mindereinnahmen durch eine schädigungsbedingte Beschränkung in der Bewirtschaftung feststellbar sein. Die gelegentliche Inanspruchnahme fremder Hilfe erfülle diese Anspruchsvoraussetzung jedoch nicht. Auch habe die Verschuldung des Betriebes ihre Ursache nicht in Schädigungsfolgen. Der bestehenden Behinderung im Beruf sei durch die Zubilligung einer erhöhten Rente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins ausreichend Rechnung getragen worden. Die Kammer habe auch davon ausgehen müssen, daß der Kläger gesundheitlich zur Bewirtschaftung seines Betriebes in der Lage sei, weil er an Berufsförderungsmaßnahmen kein weiteres Interesse bekundet habe.

Gegen dieses Urteil, das am 28. April 1972 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist, richtet sich seine am 29. Mai 1972 vor dem Urkundsbeamten des Sozialgerichts Fulda eingelegte Berufung. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen. In der mündlichen Verhandlung am 25. Juli 1973 hat er auf Befragen des Gerichts weitere Ausführungen gemacht. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. März 1972 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides von 12. September 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 1967 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Akten des Versorgungsamtes XY. mit der Grundl. Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). In der Sache konnte sie keinen Erfolg haben.

Der Bescheid des Beklagten vom 12. September 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 1967 ist nicht rechtswidrig.

Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG in der Fassung des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG), wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen um monatlich mindestens 75,– DM oder überhaupt gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen Berufsschadensausgleich in monatlicher Höhe von vier Zehnteln des Verlustes oder nach einer bezifferten Höchstgrenze erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.

Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften sind nicht gegeben. Denn es fehlt bereits an einer Grundvoraussetzung des Gesetzes, dem schädigungsbedingten Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, könnte er nur vorliegen, wenn entweder schädigungsbedingte Personalmehraufwendungen oder betriebliche Mindereinnahmen durch auf der Schädigung beruhende Beschränkungen in der Bewirtschaftung des Grundstückes feststellbar wären. Beides ist jedoch nicht der Fall.

Was die Personalmehraufwendungen anbetrifft, so ist nicht wahrscheinlich im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß der Kläger als ungeschädigter selbständiger Landwirt weniger fremde Arbeitskräfte beschäftigen würde, als nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung von 25. Juli 1973 tatsächlich eingesetzt werden. Hiernach ist seit 1964 gar kein ständiger Landarbeiter tätig. Für gelegentlich in Spitzenzeiten eingesetzte Stundenlöhner ohne feste Anstellung werden keine Lohnsteuern und Sozialabgaben geleistet. Schlepperarbeiten übernimmt der Kläger zum Teil nach seinen Worten sogar selbst. Stundenweise beschäftigte Arbeitskräfte würde er im selben Umfang insbesondere bei der Frühjahrsfeldbestellung und während der Erntekampagne aber auch benötigen, wenn er gesund aus dem Kriege heimgekehrt wäre. Anderenfalls könnte er bei einer bewirtschafteten Fläche von ca. 15 ha seinen vorhandenen Maschinenpark gar nicht gleichzeitig und damit wirtschaftlich einsetzen. Er hat nun einmal keine Söhne oder Schwiegersöhne, die in seinem Betrieb tätig sind oder tätig sein könnten. Seine Töchter sind bis auf die jüngste außer Haus und auch diese steht in B. H. in einer Lehre. Diese Umstände sind sämtlich nicht schädigungsbedingt. Die Bescheinigungen dem Bürgermeisters und des Ortslandwirts in R. können bei dieser Sachlage nicht weiterhelfen. Sie beweisen nicht, daß die Ausgaben des Klägers für fremde Arbeitskräfte den Rahmen dessen sprengen, was in vergleichbaren Betrieben üblich ist.

Die Tatsache der Verschuldung des klägerischen Betriebes, nach seinen im "Erhebungsbogen bei Land- und Forstwirtschaft” im Mai 1971 gemachten Angaben in Höhe von etwa 102.000,– DM, ist gleichfalls nicht relevant im Sinne des Berufsschadensrechts und belegt keinen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Denn die Darlehensaufnahme wäre auch im Falle der Unversehrtheit des Klägers in gleichem Umfange notwendig gewesen. Sie diente zum überwiegenden Teil der Sanierung des Betriebes und sollte überdies die erforderlichen betrieblichen Investitionen zum Zwecke der Modernisierung ermöglichen. Solche Maßnahmen gehören zwangsläufig zur Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes von der Art des klägerischen, falls er unter den Aspekten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewinnabwerfend sein und bleiben soll. Der Kläger hat nicht darzulegen vermocht, daß er bestimmte Maschinen oder mehr als in vergleichbaren Betrieben üblich wegen seiner Schädigungsfolgen hat anschaffen müssen, weil er anderenfalls sein Land und seine Viehwirtschaft nur unvollkommen hätte bearbeiten können, was wiederum zu Mindereinnahmen geführt hätte. Konkrete Anhaltspunkte für einen Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG sind deshalb auch insoweit nicht vorhanden.

Hinzu kommt ferner, daß der Kläger, obwohl er mit Schriftsatz vom 28. November 1967 selbst bei dem Versorgungsamt F. um Umschulung gebeten hat, die darauf angebotenen Maßnahmen nicht wahrgenommen hat. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen mußte deshalb am 7. Juli 1969 mitteilen, eine ganze Anzahl von Schreiben an den Kläger seien unbeantwortet geblieben, so daß von mangelndem Interesse auszugehen sei. Hiernach ist § 30 Abs. 6 BVG berührt, wonach Berufsschadensausgleich nur dann zu gewähren ist, wenn mögliche und zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen aus vom Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen erfolglos geblieben sind. Vorliegend waren diese Maßnahmen jedoch sowohl objektiv möglich als auch insbesondere subjektiv zumutbar. Da der Kläger selbst zu vertreten hat, daß sie nicht zum Erfolg führten, entfällt auch aus diesem Grunde die Gewährung der beanspruchten Leistungen aus § 30 Abs. 3 und 4 BVG.

Bezüglich der beantragten Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG sei nur der Vollständigkeit halber nachgetragen, daß sie auf keinen Fall in Betracht gekommen wäre. Denn sie steht nur selbständig Tätigen mit Volksschulbildung, abgeschlossener Berufsausbildung und mit abgelegter Meisterprüfung zu. Der Kläger hat nach dem Kriege ab 1952, von welchem Zeitpunkt an die Landwirtschaftsmeisterprüfung in Hessen eingeführt worden ist, aber keine Anstalten getroffen, sich um diesen Qualifikationsgrad zu bemühen. Das wäre jedoch sowohl möglich als auch zumutbar gewesen, auch und gerade in Ansehung seiner anerkannten Schädigungsfolgen. Denn er hätte als Meister durch Heranziehung von landwirtschaftlichen Lehrlingen seinen behaupteten Machteil in bezug auf einen schädigungsbedingten Zwang zur Beschäftigung fremder Arbeitskräfte ausgleichen können. Stattdessen hat er noch nicht einmal einen Versuch gemacht, sich um die Voraussetzungen zum Erwerb der Meisterqualifikation zu kümmern. Deshalb ist der sichere Rückschluß aus § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG in Verbindung mit § 2 der einschlägigen Durchführungsverordnungen zu dieser Vorschrift auf mangelnden Ausbildungswillen gerechtfertigt. Aus diesem Grunde ist auch nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Kläger als Ungeschädigter die Prüfung in den fünfziger Jahren abgelegt haben würde.

Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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