Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 784/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Heimatvertriebene Landarbeiter sind auf das allgemeine Arbeitsfeld zu verweisen, wo sie regelmäßig nach dem Zusammenbruch eine Beschäftigung als angelernte Arbeiter gefunden haben.
2. Bei mangelndem Arbeitswillen fehlt es am ursächlichen Zusammenhang der Einkommensminderung mit der anerkannten Schädigungsfolge
2. Bei mangelndem Arbeitswillen fehlt es am ursächlichen Zusammenhang der Einkommensminderung mit der anerkannten Schädigungsfolge
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 21. November 1968 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1906 geborenen Kläger sind nach dem Bescheid des Versorgungsamtes F. vom 19. Dezember 1962 nachstehende Gesundheitsstörungen als hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. festgestellt worden:
1.) Handgelenknaher Unterarmschußbruch rechts mit Achsenabknickung, Versteifung der Unterarmdrehgelenke rechts und Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks und der Finger,
2.) belangloser Stecksplitter an der Oberlippe.
Nach dem Bescheid vom 11. Juli 1962 beträgt die MdE nach § 30 Abs. 1 BVG 40 v.H., die um 10 v.H. gemäß § 30 Abs. 2 BVG wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht wurde.
Der Kläger beantragte im April 1964 die Gewährung von Berufsschadensausgleich. Er behauptete, nach dem Besuch der Volksschule habe er von 1920 an auf dem 23 ha großen Hof seines Vaters in der Tschechoslowakei gearbeitet und ihn bis 1940 geführt.
Nach Mitteilung des Arbeitsamtes F. vom 16. Mai 1956 wurden dem Kläger öfters Arbeitsplätze nachgewiesen, die er u.a. mit dem Hinweis auf häufige Kopfschmerzen abgelehnt habe. Sowohl nach Auffassung der Arbeitgeber wie auch des Amtsarztes stelle er seine Beschädigung sei einer Vorstellung zu sehr in den Vordergrund. Das Versorgungsamt F. wies den Kläger daraufhin, daß die Zahlung von Ausgleichsrente bei einer nochmaligen unbegründeten Ablehnung eines nachgewiesenen Arbeitsplatzes oder der unbegründeten Ablehnung berufsfördernder Maßnahmen eingestellt werden müsse. Nach einem Aktenvermerk des Versorgungsamtes F. vom 15. November 1956 ergab eine Rückfrage beim Arbeitsamt F., daß der Kläger am 14. Mai 1956 zum letzten Mal in Arbeit vermittelt wurde. Er habe die Auflage erhalten, sich einmal im Monat zur Arbeitsvermittlung zu melden. Unter dem 2. Juli 1957 teilte das Arbeitsamt F. mit, der Kläger melde sich dort seit Oktober 1956 nicht mehr. Darauf entzog das Versorgungsamt F. mit Bescheid vom 20. Juli 1957 die Ausgleichsrente. Dieser Bescheid wurde auf den Widerspruch des Klägers hin aufgehoben, da dieser sich nach der Vormerkkarte des Arbeitsamtes wieder als Arbeitsuchender gemeldet habe. Gleichzeitig wurde ihm eine erneute Entziehung der Ausgleichsrente angedroht, wenn er eine angebotene zumutbare Erwerbstätigkeit ablehnen würde. Nach einem Vermerk des Versorgungsamtes F. vom 23. August 1961 hat sich der Kläger entsprechend einer Auskunft des Arbeitsamtes F. dort bis zum November 1959 zur Arbeitsvermittlung gemeldet. Er habe jedoch aus den verschiedensten Gründen, die nicht auf seine Schädigung zurückzuführen seien, die Arbeitsaufnahme abgelehnt und bemerkt, daß er an einer Arbeitsvermittlung nicht sonderlich interessiert sei.
Seit dem 1. Januar 1964 hat der Kläger als Hauswart, Parkplatz- und Spielplatzaufseher bei dem Magistrat der Stadt F. und bei dem Stadtkaritasverband in F. als Betreuer der Altenstube nachstehende Bruttovergütungen bezogen:
Vom 1. Januar 1964 bis 31. Mai 1965 110,– DM monatl.
Vom 1. Juni bis 31. Okt. 1965 65,– DM monatl.
von Februar bis November 1966 65,– DM monatl.
und daneben im Jahre 1966 100,– DM monatl.
von Januar 1967 bis Februar 1968 100,– DM monatl.
und daneben von März bis Dezember 67 65,– DM monatl.
Die 100,– DM monatlich wurden von der Stadt F. und die 65,– DM vom Stadtkaritasverband gezahlt.
Das Versorgungsamt F. versagte dem Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich mit Bescheid vom 4. Januar 1966, da er nicht gehindert sei, den größten Teil der in einer Landwirtschaft anfallenden Arbeiten noch zu verrichten. Die durch die Schädigungsfolgen eventuell eingetretene geringe berufliche Betroffenheit sei durch die Rentenerhöhung um 10 v.H. gemäß § 30 Abs. 2 BVG voll ausgeglichen. Im Widerspruchsverfahren behauptete der Kläger, er sei in der Tschechoslowakei bereits mit einer Bauerntochter verlobt gewesen, die einen 34 ha großen Hof habe erben sollen. Mehrere Versuche, eine Bauerntochter in Westdeutschland zu heiraten, seien wegen seiner anerkannten Schädigungsfolgen fehlgeschlagen. Da es ihm trotz dauernder Versuche nicht gelungen sei, wieder in die Landwirtschaft unterzukommen, habe er ab 1958 die Stelle eines Parkwächters bei der Stadt F. und im Winterhalbjahr die Steile beim Karitasverband übernommen. Das Landesversorgungsamt H. wies mit Bescheid vom 25. Mai 1966 den Widerspruch zurück, da sich der Kläger nicht in ausreichendem Maße um einen geeigneten Arbeitsplatz bemüht habe.
Mit seiner Klage behauptete der Kläger, er habe sich selbst im Jahre 1948 einen Arbeitsplatz als Fahrradwache bei den Gummiwerken F. besorgt. Das Arbeitsamt habe jedoch die Zustimmung zur Aufnahme der Arbeit verweigert, weil er aus der Landwirtschaft komme und deshalb nicht in der chemischen Industrie tätig sein solle. Im Jahre 1956 hätten die Gummiwerke F. seine Bewerbung um eine Tätigkeit als Hallenreiniger wahrscheinlich aus schädigungsbedingten Gründen zurückgewiesen. Einen Arbeitsplatz bei der Darmverwertung F. habe er wegen seiner Allergie gegen Gerüche nicht annehmen können. Bei einer Zuweisung als Wachmann habe er den Arbeitsplatz aus ihm unbekannten Gründen nicht erhalten. Nach der Bescheinigung der Fürsorgestelle für Kriegsopfer vom 6. Juni 1966 habe er sich dauernd als Arbeitssuchender bei dieser Stelle gemeldet, solange diese für die Arbeitsvermittlung der Schwerbeschädigten zuständig gewesen sei.
Das Sozialgericht Fulda verurteilte den Beklagten am 21. November 1968, dem Kläger Berufsschadensausgleich zu gewähren und "bei Ermittlung des Vergleicheinkommens von dem Einkommen eines Facharbeiters der Wirtschaftsgruppe Landwirtschaft auszugehen”. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, das Schicksal der Flucht und der Behinderung habe die schon vorher geringe Lebenssicherheit des Klägers weiter beeinträchtigt. Er sei beim Einrücken zum Wehrdienst im Alter von 30 Jahren als Hoferbe noch nicht verheiratet gewesen, was auf Kontaktschwäche schließen lasse. Für den Kläger seien als Bauer immer nur schwerere oder überhaupt nur körperliche Arbeiten in Frage gekommen. Durch seine Mentalität ergäben sich solchen Arbeiten gegenüber weitere Einschränkungen. Mit fast 40 Lebensjahren nach Kriegsende sei der Kläger ohnehin in einem Alter gewesen, in welchem ein Berufswechsel auch bei wesentlich günstigeren Bedingungen schwierig sei. Eine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Arbeiter habe der Kläger aber ohne seine Schädigung ausführen können.
Gegen dieses dem beklagten Land am 3. Juli 1969 zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung, die am 23. Juli 1969 beim Hess. Landessozialgericht eingegangen ist. Es ist der Auffassung, daß das Urteil nach seinem Tenor auch unter Beachtung der Urteilsgründe nicht ausführbar sei, weil es keinen einheitlichen Begriff des Facharbeiters in der Landwirtschaft gebe. Außerdem hätte die Klage abgewiesen werden müssen, da der "bisher betätigte Arbeits- und Ausbildungswille von entscheidender Bedeutung beim Berufsschadensausgleich sei. Obwohl der Kläger in der Lage sei, eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter in der Industrie auszuüben, habe er sich mit primitiven Beschäftigungen begnügt, so daß ihm Berufsschadensausgleich nicht zustehe.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 21. November 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bei seiner eingehender persönlichen Anhörung vor dem Senat behauptete er, seine Schädigungsfolgen hätten ihn wesentlich daran gehindert, eine andere Berufstätigkeit aufzunehmen. Als Spielplatzaufseher erhalte er jetzt monatlich 140,– DM von der Stadt F ... Die Arbeit bei dem Karitasverband habe er wegen Auflösung der Altenstuben verloren. Die Angaben des Arbeitsamtes, daß er es an dem notwendigen Interesse an einer Arbeitsvermittlung habe fehlen lassen, seien nicht zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Streitakten beider Rechtszüge, auf den Inhalt der Versorgungsakten Grdl. Nr. und der Akten des Arbeitsamtes F. über den Kläger Bezug genommen, der in der mündlichen Verhandlung auszugsweise zum Vortrag gelangte.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist in der rechten Form und Frist (§ 151 SGG) erhoben und auch begründet.
Die Gewährung von Berufsschadensausgleich kann gemäß § 30 Abs. 3 BVG in der ab 1. Januar 1964 geltenden Fassung des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) zur Kriegsopferversorgung und ab 1. Januar 1967 nach dem 3. NOG nur dann erfolgen, wenn das Erwerbseinkommen eines Schwerbeschädigten durch die Schädigungsfolgen gemindert ist. Einen solchen schädigungsbedingten Einkommensverlust hat der Kläger aber jedenfalls seit dem 1. Januar 1964, von dem an er frühestens nach den gesetzlichen Bestimmungen Berufsschadensausgleich erhalten könnte, nicht erlitten.
Im Gegensatz zu den Sozialgericht hat der Senat auf Grund der persönlichen Anhörung des Klägers und insbesondere aus der Akte des Arbeitsamtes F. den Eindruck gewonnen, daß der Kläger an der Vermittlung einer Arbeit, die ihn ganz ausfüllte, überhaupt nicht interessiert war. Hierbei kommt seiner Behinderung durch die Schädigungsfolgen wenn überhaupt nur eine sehr untergeordnete, jedenfalls keine rechtliche erhebliche Bedeutung zu.
Die Fürsorgestelle für Kriegsopfer beim Magistrat der Stadt F. hat dem Kläger zwar am 6. Juni 1966 bescheinigt, daß er in der Zeit, in der die Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes mit der Arbeitsvermittlung der Schwerbeschädigten noch in ihren Händen lag, dauernd als Arbeitssuchender vorgesprochen hat und verschiedene Vermittlungen u.a. auch in die Gummiwerke durchgeführt wurden. Die Arbeitsvermittlung der Schwerbeschädigten lag aber in den Händen der Hauptfürsorgestellen und Bezirksfürsorgestellen für Kriegsbeschädigte lediglich bis zum 30. April 1953, weil das am 1. Mai 1953 in Kraft getretene Schwerbeschädigtengesetz die Vermittlung der Schwerbeschädigten den Arbeitsämtern zuwies. Der Senat hält es durchaus für denkbar, daß es dem Kläger bis zu einer stärkeren Belebung der Wirtschaft, die in die Jahre 1955 bis 1960 fällt, nur sehr schwer möglich war, wegen seiner Schädigungsfolgen einen Arbeitsplatz zu finden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in F. selbst, wie dem Senat aus seiner laufenden Tätigkeit bekannt ist, wenig Industrie vorhanden ist und der Landkreis F., wie die Nachbarkreise Lauterbach und Schlüchtern ebenfalls wenig Industrie haben, so daß auch aus einer größeren Umgebung Arbeitskräfte in der Stadt F. beschäftigt werden. Der Kläger verfügt nur bei landwirtschaftlichen Arbeiten über eine jahrzehntelange Erfahrung. Wenn er trotzdem in der Landwirtschaft nicht Fuß fassen konnte, so wäre ihm dies auch bei einem stärkeren beruflichen Streben in dieser Richtung nicht gelungen. Bereits vor ihm – der Kläger ist Ende 1947 erst nach F. gekommen – waren nämlich aus den Vertreibungsgebieten viele Landwirte und landwirtschaftliche Arbeiter nach Westdeutschland gekommen. Die wenigen freien Stellen in der Landwirtschaft reichten jedoch nicht einmal für diese nicht gesundheitlich Geschädigten aus, so daß auch der Großteil der gesunden vertriebenen Landwirte und landwirtschaftlichen Arbeiter gezwungen war, in der Industrie als Hilfsarbeiter oder evtl. später als angelernter Arbeiter tätig zu sein. Bei der mangelnden Gebrauchsfähigkeit seiner rechten Hand wäre es dem Kläger deshalb wohl auch nicht gelungen, sich gegenüber der großen Konkurrenz der Gesunden in der Landwirtschaft durchzusetzen, zumal mindestens in der Zeit unmittelbar nach dem Kriege für Männer ganz überwiegend nur schwere körperliche Arbeiten in der Landwirtschaft anfielen, worauf das Sozialgericht mit Recht hingewiesen hat. Dessen ungeachtet ist er aber wie seine heimatvertriebenen Berufskollegen auf das allgemeine Arbeitsfeld zu verweisen. Hier hätte er nach Auffassung des Senats mit der stärkeren Belebung der deutschen Wirtschaft etwa ab 1955 in eine Hilfsarbeitertätigkeit oder auch Anlerntätigkeit vermittelt werden können, zumal andere Behinderte, bei denen sogar ein Verlust der rechten Hand vorlag, wieder in eine Berufstätigkeit vermittelt werden konnten. Dabei muß zwar eingeräumt werden, daß die Arbeitsvermittlung derjenigen Schwerbeschädigten, welche die rechte Hand verloren hatten, auf besondere Schwierigkeiten stieß. Aus den Akten des Arbeitsamtes F. ergibt sich aber, daß der Kläger bei größerem Interesse an einer Vermittlung mindestens ab 1955 einen geeigneten Arbeitsplatz hätte finden können. Bereits auf Blatt ... der Arbeitsamtsakten befindet sich eine amtsärztliche Begutachtung des Klägers, die am 24. Oktober 1955 vorgenommen wurde. In dem vorangehenden "Antrag auf ärztliche Begutachtung” hat der Schwerbeschädigtenvermittler ausgeführt, alle bisherigen Vermittlungsbemühungen seien daran gescheitert, daß der Kläger bei Arbeitsangeboten sofort ohne nähere Prüfung des Arbeitsplatzes auf seine Kriegsbeschädigung hinweise und eine Arbeitsaufnahme ablehnt. Bei Arbeitsangeboten beginne er sofort damit, daß er durch die Vertreibung Haus und Hof verloren und der Staat ihm dafür Entschädigung zu zahlen habe. Das Arbeitsamt schikaniere ihn mit Arbeitsangeboten. Zuletzt sei er den Gummiwerken F. als Hallenreiniger vorgeschlagen worden. Der Schwerbeschädigtenvermittler vertrat die Auffassung, daß der Kläger durch die jahrelange Arbeitslosigkeit – seit 1948 war er Arbeitslosenfürsorgeempfänger – jeden Arbeitswillen verloren habe. Hierzu bemerkte der Amtsarzt, daß auch er die Arbeitswilligkeit des Klägers auf Grund seiner Auslassungen nicht als besonders hoch einschätze; er könne allerdings nur noch für Arbeiten eingesetzt werden, bei denen die rechte Hand eine Art von Hilfestellung zur gesunden linken Hand leisten müsse oder für Tätigkeiten, bei denen der Einsatz der Hand überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spiele, wie z.B. als Bote. Außerdem äußerte der Arzt die Auffassung, daß der Kläger sein Leiden übertreibe.
Dieser mangelnde Arbeitswille des Klägers kommt auch in dem von einem anderen Arbeitsamtsbediensteten gefertigten Aktenvermerk vom 16. Mai 1956 zum Ausdruck. Hiernach war der Kläger der Firma J. D., Rohproduktenhandlung, als Wachmann zugewiesen worden. Er gab bei dieser Firma an, die Bewachung des Schrottlagers nicht vornehmen zu können. Im Winter könne er diese Tätigkeit infolge seiner Beschädigung wegen der Kälte nicht verrichten, im Sommer bekomme er bei heißem Wetter Kopfschmerzen, so daß er dann öfters der Arbeit fernbleiben müsse. Auch habe er Angst, nachts in dem großen Gelände sich allein mit einem Wachhund zu bewegen. Bei der Rückgabe der Zuweisungskarte an das Arbeitsamt hat der Kläger nach diesem Vermerk erklärt: "Ich weiß warum ich dauernd mit Arbeit verfolgt werde, weil ich nicht von hier bin”.
Selbst, wenn man dem Kläger mit seiner Behauptung Glauben schenken will, daß er schon stets eine Allergie gegen Gerüche gehabt habe, und er deshalb zu der Firma Darmverwertung nicht vermittelt werden konnte, worauf das Arbeitsamt F. in seinem Schreiben vom 16. Mai 1956 an das Versorgungsamt F. hinweist, so muß doch hervorgehoben werden, daß er sich seit Oktober 1956 nach einem Vermerk des Arbeitsamtes vom 26. Juli 1957 nicht mehr als Arbeitsuchender gemeldet hat. Seine Karte wurde dann aus der Vermittlungskartei herausgenommen. Erst am 26. Juli 1957 meldete er sich dann wieder arbeitslos "auf Aufforderung des VdK, da ihm von Seiten des Versorgungsamtes die Ausgleichsrente entzogen wurde”. Dieser Vermerk hält auch fest, daß der Kläger vier für ihn geeignete Stellen in der Zeit von 1954 bis Juni 1957 nicht angenommen habe und hebt hervor, er sei dem Arbeitsamt "als nicht sehr arbeitswillig bekannt, denn bei jeder Arbeitsberatung finde er eine dementsprechende Ausrede”.
Da es sich bei den Arbeitsamtsbediensteten, die den Antrag auf ärztliche Begutachtung veranlaßt und die Vermerke vom 16. Mai 1956 und vom 26. Juli 1957 unterzeichnet haben, um drei verschiedene Bedienstete handelt, und auch der Amtsarzt sich in der gleichen Weise geäußert hat, kann nicht davon ausgegangen werden, daß etwa ein Bediensteter des Arbeitsamtes dem Kläger besonders übel gewollt habe. Diese mit dem Umfang von Arbeitssuchenden vertrauten Bediensteten des Arbeitsamtes F. und der Amtsarzt können sich nicht alle in dem übereinstimmenden Eindruck getäuscht haben, daß der Kläger auf eine Arbeitsvermittlung keinen besonderen bzw. überhaupt keinen Wert lege. Wenn der Kläger dies in Abrede stellt, so ist dem auch aufgrund des Eindrucks, den er bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hinterlassen hat, keine Bedeutung beizumessen. Es ist nicht auszuschließen, daß die Kriegsbeschädigung mit eine Ursache dafür darstellt, daß er nicht wieder in ein normales Arbeitsverhältnis mit der üblichen tariflichen Arbeitszeit und der üblichen Vergütung als Hilfsarbeiter oder angelernten Arbeiter vermittelt werden konnte. Angesichts seines Verhaltens bei der Arbeitsvermittlung und dem Eindruck, den der Senat von ihm gewonnen hat, kann die Kriegsbeschädigung dafür jedoch nur allenfalls eine ganz untergeordnete Bedeutung zukommen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm kommt eine Ursächlichkeit von Schädigungsfolgen aber nur dann in Frage, wenn die Schädigungsfolgen mindestens eine rechtlich erhebliche Ursache neben anderen Ursachen darstellen, was jedoch bei dem Kläger nicht der Fall ist.
Dies wird auch durch das psychologische Gutachten aus der Akte des Arbeitsamtes F. vom 13. Februar 1962 bestätigt. Hiernach ist der Kläger "leistungsmäßig wenig veranlagt” und "auch zu wenig anstrengungsbereit”. Er zeigt ein "starkes passives Verhalten”. Außerdem hat er nach diesem Gutachten "in seiner Selbstzufriedenheit eine egozentrische Einstellung, er liegt nicht das Gezwungene” und "möchte sich lieber frei und leger geben”. Dieses von dem Psychologen des Arbeitsamtes entworfene Bild des Klägers deckt sich mit dem Eindruck, den der Senat von ihm gewonnen hat. Der Kläger hat sich offensichtlich mit seiner Grund- und Ausgleichsrente und dem geringen Verdienst beim Karitasverband und der Stadt F. begnügt. Dabei hatte der geringe Nebenverdienst den Vorteil für ihn, daß hierdurch seine Ausgleichsrente nicht gekürzt werden konnte. Somit kann nicht davon die Rede sein, daß er in rechtlich erheblicher Weise durch seine Schädigungsfolgen daran gehindert war, ab 1. Januar 1964 – dem Zeitpunkt, von dem ab Berufsschadensausgleich gezahlt werden könnte – das Erwerbseinkommen eines Hilfsarbeiters oder angelernten Arbeiters zu erzielen.
Das Urteil des Sozialgerichts Fulda, welches davon ausgeht, daß die Schädigungsfolgen den Kläger daran gehindert hätten, wieder in den Arbeitsprozeß zu gelangen, mußte deshalb aufgehoben werden. Der Senat brauchte somit nicht darauf einzugehen, daß das Urteil des Sozialgerichts nach den Hinweisen des beklagten Landes überhaupt nicht ausführbar ist. Ebenfalls brauchte der Senat darüber keine Entscheidung zu treffen, in welcher Weise die für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs geltende Vorschrift des § 9 Abs. 4 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968 zu handhaben ist, da bereits nach § 30 Abs. 3 BVG ein Berufsschadensausgleich nicht gewährt werden kann, und ob die Vorschrift des § 9 Abs. 4 DVO einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zum Ausdruck bringt, der auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1967 evtl. Anwendung findet.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
Tatbestand:
Bei dem 1906 geborenen Kläger sind nach dem Bescheid des Versorgungsamtes F. vom 19. Dezember 1962 nachstehende Gesundheitsstörungen als hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. festgestellt worden:
1.) Handgelenknaher Unterarmschußbruch rechts mit Achsenabknickung, Versteifung der Unterarmdrehgelenke rechts und Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks und der Finger,
2.) belangloser Stecksplitter an der Oberlippe.
Nach dem Bescheid vom 11. Juli 1962 beträgt die MdE nach § 30 Abs. 1 BVG 40 v.H., die um 10 v.H. gemäß § 30 Abs. 2 BVG wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht wurde.
Der Kläger beantragte im April 1964 die Gewährung von Berufsschadensausgleich. Er behauptete, nach dem Besuch der Volksschule habe er von 1920 an auf dem 23 ha großen Hof seines Vaters in der Tschechoslowakei gearbeitet und ihn bis 1940 geführt.
Nach Mitteilung des Arbeitsamtes F. vom 16. Mai 1956 wurden dem Kläger öfters Arbeitsplätze nachgewiesen, die er u.a. mit dem Hinweis auf häufige Kopfschmerzen abgelehnt habe. Sowohl nach Auffassung der Arbeitgeber wie auch des Amtsarztes stelle er seine Beschädigung sei einer Vorstellung zu sehr in den Vordergrund. Das Versorgungsamt F. wies den Kläger daraufhin, daß die Zahlung von Ausgleichsrente bei einer nochmaligen unbegründeten Ablehnung eines nachgewiesenen Arbeitsplatzes oder der unbegründeten Ablehnung berufsfördernder Maßnahmen eingestellt werden müsse. Nach einem Aktenvermerk des Versorgungsamtes F. vom 15. November 1956 ergab eine Rückfrage beim Arbeitsamt F., daß der Kläger am 14. Mai 1956 zum letzten Mal in Arbeit vermittelt wurde. Er habe die Auflage erhalten, sich einmal im Monat zur Arbeitsvermittlung zu melden. Unter dem 2. Juli 1957 teilte das Arbeitsamt F. mit, der Kläger melde sich dort seit Oktober 1956 nicht mehr. Darauf entzog das Versorgungsamt F. mit Bescheid vom 20. Juli 1957 die Ausgleichsrente. Dieser Bescheid wurde auf den Widerspruch des Klägers hin aufgehoben, da dieser sich nach der Vormerkkarte des Arbeitsamtes wieder als Arbeitsuchender gemeldet habe. Gleichzeitig wurde ihm eine erneute Entziehung der Ausgleichsrente angedroht, wenn er eine angebotene zumutbare Erwerbstätigkeit ablehnen würde. Nach einem Vermerk des Versorgungsamtes F. vom 23. August 1961 hat sich der Kläger entsprechend einer Auskunft des Arbeitsamtes F. dort bis zum November 1959 zur Arbeitsvermittlung gemeldet. Er habe jedoch aus den verschiedensten Gründen, die nicht auf seine Schädigung zurückzuführen seien, die Arbeitsaufnahme abgelehnt und bemerkt, daß er an einer Arbeitsvermittlung nicht sonderlich interessiert sei.
Seit dem 1. Januar 1964 hat der Kläger als Hauswart, Parkplatz- und Spielplatzaufseher bei dem Magistrat der Stadt F. und bei dem Stadtkaritasverband in F. als Betreuer der Altenstube nachstehende Bruttovergütungen bezogen:
Vom 1. Januar 1964 bis 31. Mai 1965 110,– DM monatl.
Vom 1. Juni bis 31. Okt. 1965 65,– DM monatl.
von Februar bis November 1966 65,– DM monatl.
und daneben im Jahre 1966 100,– DM monatl.
von Januar 1967 bis Februar 1968 100,– DM monatl.
und daneben von März bis Dezember 67 65,– DM monatl.
Die 100,– DM monatlich wurden von der Stadt F. und die 65,– DM vom Stadtkaritasverband gezahlt.
Das Versorgungsamt F. versagte dem Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich mit Bescheid vom 4. Januar 1966, da er nicht gehindert sei, den größten Teil der in einer Landwirtschaft anfallenden Arbeiten noch zu verrichten. Die durch die Schädigungsfolgen eventuell eingetretene geringe berufliche Betroffenheit sei durch die Rentenerhöhung um 10 v.H. gemäß § 30 Abs. 2 BVG voll ausgeglichen. Im Widerspruchsverfahren behauptete der Kläger, er sei in der Tschechoslowakei bereits mit einer Bauerntochter verlobt gewesen, die einen 34 ha großen Hof habe erben sollen. Mehrere Versuche, eine Bauerntochter in Westdeutschland zu heiraten, seien wegen seiner anerkannten Schädigungsfolgen fehlgeschlagen. Da es ihm trotz dauernder Versuche nicht gelungen sei, wieder in die Landwirtschaft unterzukommen, habe er ab 1958 die Stelle eines Parkwächters bei der Stadt F. und im Winterhalbjahr die Steile beim Karitasverband übernommen. Das Landesversorgungsamt H. wies mit Bescheid vom 25. Mai 1966 den Widerspruch zurück, da sich der Kläger nicht in ausreichendem Maße um einen geeigneten Arbeitsplatz bemüht habe.
Mit seiner Klage behauptete der Kläger, er habe sich selbst im Jahre 1948 einen Arbeitsplatz als Fahrradwache bei den Gummiwerken F. besorgt. Das Arbeitsamt habe jedoch die Zustimmung zur Aufnahme der Arbeit verweigert, weil er aus der Landwirtschaft komme und deshalb nicht in der chemischen Industrie tätig sein solle. Im Jahre 1956 hätten die Gummiwerke F. seine Bewerbung um eine Tätigkeit als Hallenreiniger wahrscheinlich aus schädigungsbedingten Gründen zurückgewiesen. Einen Arbeitsplatz bei der Darmverwertung F. habe er wegen seiner Allergie gegen Gerüche nicht annehmen können. Bei einer Zuweisung als Wachmann habe er den Arbeitsplatz aus ihm unbekannten Gründen nicht erhalten. Nach der Bescheinigung der Fürsorgestelle für Kriegsopfer vom 6. Juni 1966 habe er sich dauernd als Arbeitssuchender bei dieser Stelle gemeldet, solange diese für die Arbeitsvermittlung der Schwerbeschädigten zuständig gewesen sei.
Das Sozialgericht Fulda verurteilte den Beklagten am 21. November 1968, dem Kläger Berufsschadensausgleich zu gewähren und "bei Ermittlung des Vergleicheinkommens von dem Einkommen eines Facharbeiters der Wirtschaftsgruppe Landwirtschaft auszugehen”. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, das Schicksal der Flucht und der Behinderung habe die schon vorher geringe Lebenssicherheit des Klägers weiter beeinträchtigt. Er sei beim Einrücken zum Wehrdienst im Alter von 30 Jahren als Hoferbe noch nicht verheiratet gewesen, was auf Kontaktschwäche schließen lasse. Für den Kläger seien als Bauer immer nur schwerere oder überhaupt nur körperliche Arbeiten in Frage gekommen. Durch seine Mentalität ergäben sich solchen Arbeiten gegenüber weitere Einschränkungen. Mit fast 40 Lebensjahren nach Kriegsende sei der Kläger ohnehin in einem Alter gewesen, in welchem ein Berufswechsel auch bei wesentlich günstigeren Bedingungen schwierig sei. Eine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Arbeiter habe der Kläger aber ohne seine Schädigung ausführen können.
Gegen dieses dem beklagten Land am 3. Juli 1969 zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung, die am 23. Juli 1969 beim Hess. Landessozialgericht eingegangen ist. Es ist der Auffassung, daß das Urteil nach seinem Tenor auch unter Beachtung der Urteilsgründe nicht ausführbar sei, weil es keinen einheitlichen Begriff des Facharbeiters in der Landwirtschaft gebe. Außerdem hätte die Klage abgewiesen werden müssen, da der "bisher betätigte Arbeits- und Ausbildungswille von entscheidender Bedeutung beim Berufsschadensausgleich sei. Obwohl der Kläger in der Lage sei, eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter in der Industrie auszuüben, habe er sich mit primitiven Beschäftigungen begnügt, so daß ihm Berufsschadensausgleich nicht zustehe.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 21. November 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bei seiner eingehender persönlichen Anhörung vor dem Senat behauptete er, seine Schädigungsfolgen hätten ihn wesentlich daran gehindert, eine andere Berufstätigkeit aufzunehmen. Als Spielplatzaufseher erhalte er jetzt monatlich 140,– DM von der Stadt F ... Die Arbeit bei dem Karitasverband habe er wegen Auflösung der Altenstuben verloren. Die Angaben des Arbeitsamtes, daß er es an dem notwendigen Interesse an einer Arbeitsvermittlung habe fehlen lassen, seien nicht zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Streitakten beider Rechtszüge, auf den Inhalt der Versorgungsakten Grdl. Nr. und der Akten des Arbeitsamtes F. über den Kläger Bezug genommen, der in der mündlichen Verhandlung auszugsweise zum Vortrag gelangte.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist in der rechten Form und Frist (§ 151 SGG) erhoben und auch begründet.
Die Gewährung von Berufsschadensausgleich kann gemäß § 30 Abs. 3 BVG in der ab 1. Januar 1964 geltenden Fassung des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) zur Kriegsopferversorgung und ab 1. Januar 1967 nach dem 3. NOG nur dann erfolgen, wenn das Erwerbseinkommen eines Schwerbeschädigten durch die Schädigungsfolgen gemindert ist. Einen solchen schädigungsbedingten Einkommensverlust hat der Kläger aber jedenfalls seit dem 1. Januar 1964, von dem an er frühestens nach den gesetzlichen Bestimmungen Berufsschadensausgleich erhalten könnte, nicht erlitten.
Im Gegensatz zu den Sozialgericht hat der Senat auf Grund der persönlichen Anhörung des Klägers und insbesondere aus der Akte des Arbeitsamtes F. den Eindruck gewonnen, daß der Kläger an der Vermittlung einer Arbeit, die ihn ganz ausfüllte, überhaupt nicht interessiert war. Hierbei kommt seiner Behinderung durch die Schädigungsfolgen wenn überhaupt nur eine sehr untergeordnete, jedenfalls keine rechtliche erhebliche Bedeutung zu.
Die Fürsorgestelle für Kriegsopfer beim Magistrat der Stadt F. hat dem Kläger zwar am 6. Juni 1966 bescheinigt, daß er in der Zeit, in der die Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes mit der Arbeitsvermittlung der Schwerbeschädigten noch in ihren Händen lag, dauernd als Arbeitssuchender vorgesprochen hat und verschiedene Vermittlungen u.a. auch in die Gummiwerke durchgeführt wurden. Die Arbeitsvermittlung der Schwerbeschädigten lag aber in den Händen der Hauptfürsorgestellen und Bezirksfürsorgestellen für Kriegsbeschädigte lediglich bis zum 30. April 1953, weil das am 1. Mai 1953 in Kraft getretene Schwerbeschädigtengesetz die Vermittlung der Schwerbeschädigten den Arbeitsämtern zuwies. Der Senat hält es durchaus für denkbar, daß es dem Kläger bis zu einer stärkeren Belebung der Wirtschaft, die in die Jahre 1955 bis 1960 fällt, nur sehr schwer möglich war, wegen seiner Schädigungsfolgen einen Arbeitsplatz zu finden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in F. selbst, wie dem Senat aus seiner laufenden Tätigkeit bekannt ist, wenig Industrie vorhanden ist und der Landkreis F., wie die Nachbarkreise Lauterbach und Schlüchtern ebenfalls wenig Industrie haben, so daß auch aus einer größeren Umgebung Arbeitskräfte in der Stadt F. beschäftigt werden. Der Kläger verfügt nur bei landwirtschaftlichen Arbeiten über eine jahrzehntelange Erfahrung. Wenn er trotzdem in der Landwirtschaft nicht Fuß fassen konnte, so wäre ihm dies auch bei einem stärkeren beruflichen Streben in dieser Richtung nicht gelungen. Bereits vor ihm – der Kläger ist Ende 1947 erst nach F. gekommen – waren nämlich aus den Vertreibungsgebieten viele Landwirte und landwirtschaftliche Arbeiter nach Westdeutschland gekommen. Die wenigen freien Stellen in der Landwirtschaft reichten jedoch nicht einmal für diese nicht gesundheitlich Geschädigten aus, so daß auch der Großteil der gesunden vertriebenen Landwirte und landwirtschaftlichen Arbeiter gezwungen war, in der Industrie als Hilfsarbeiter oder evtl. später als angelernter Arbeiter tätig zu sein. Bei der mangelnden Gebrauchsfähigkeit seiner rechten Hand wäre es dem Kläger deshalb wohl auch nicht gelungen, sich gegenüber der großen Konkurrenz der Gesunden in der Landwirtschaft durchzusetzen, zumal mindestens in der Zeit unmittelbar nach dem Kriege für Männer ganz überwiegend nur schwere körperliche Arbeiten in der Landwirtschaft anfielen, worauf das Sozialgericht mit Recht hingewiesen hat. Dessen ungeachtet ist er aber wie seine heimatvertriebenen Berufskollegen auf das allgemeine Arbeitsfeld zu verweisen. Hier hätte er nach Auffassung des Senats mit der stärkeren Belebung der deutschen Wirtschaft etwa ab 1955 in eine Hilfsarbeitertätigkeit oder auch Anlerntätigkeit vermittelt werden können, zumal andere Behinderte, bei denen sogar ein Verlust der rechten Hand vorlag, wieder in eine Berufstätigkeit vermittelt werden konnten. Dabei muß zwar eingeräumt werden, daß die Arbeitsvermittlung derjenigen Schwerbeschädigten, welche die rechte Hand verloren hatten, auf besondere Schwierigkeiten stieß. Aus den Akten des Arbeitsamtes F. ergibt sich aber, daß der Kläger bei größerem Interesse an einer Vermittlung mindestens ab 1955 einen geeigneten Arbeitsplatz hätte finden können. Bereits auf Blatt ... der Arbeitsamtsakten befindet sich eine amtsärztliche Begutachtung des Klägers, die am 24. Oktober 1955 vorgenommen wurde. In dem vorangehenden "Antrag auf ärztliche Begutachtung” hat der Schwerbeschädigtenvermittler ausgeführt, alle bisherigen Vermittlungsbemühungen seien daran gescheitert, daß der Kläger bei Arbeitsangeboten sofort ohne nähere Prüfung des Arbeitsplatzes auf seine Kriegsbeschädigung hinweise und eine Arbeitsaufnahme ablehnt. Bei Arbeitsangeboten beginne er sofort damit, daß er durch die Vertreibung Haus und Hof verloren und der Staat ihm dafür Entschädigung zu zahlen habe. Das Arbeitsamt schikaniere ihn mit Arbeitsangeboten. Zuletzt sei er den Gummiwerken F. als Hallenreiniger vorgeschlagen worden. Der Schwerbeschädigtenvermittler vertrat die Auffassung, daß der Kläger durch die jahrelange Arbeitslosigkeit – seit 1948 war er Arbeitslosenfürsorgeempfänger – jeden Arbeitswillen verloren habe. Hierzu bemerkte der Amtsarzt, daß auch er die Arbeitswilligkeit des Klägers auf Grund seiner Auslassungen nicht als besonders hoch einschätze; er könne allerdings nur noch für Arbeiten eingesetzt werden, bei denen die rechte Hand eine Art von Hilfestellung zur gesunden linken Hand leisten müsse oder für Tätigkeiten, bei denen der Einsatz der Hand überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spiele, wie z.B. als Bote. Außerdem äußerte der Arzt die Auffassung, daß der Kläger sein Leiden übertreibe.
Dieser mangelnde Arbeitswille des Klägers kommt auch in dem von einem anderen Arbeitsamtsbediensteten gefertigten Aktenvermerk vom 16. Mai 1956 zum Ausdruck. Hiernach war der Kläger der Firma J. D., Rohproduktenhandlung, als Wachmann zugewiesen worden. Er gab bei dieser Firma an, die Bewachung des Schrottlagers nicht vornehmen zu können. Im Winter könne er diese Tätigkeit infolge seiner Beschädigung wegen der Kälte nicht verrichten, im Sommer bekomme er bei heißem Wetter Kopfschmerzen, so daß er dann öfters der Arbeit fernbleiben müsse. Auch habe er Angst, nachts in dem großen Gelände sich allein mit einem Wachhund zu bewegen. Bei der Rückgabe der Zuweisungskarte an das Arbeitsamt hat der Kläger nach diesem Vermerk erklärt: "Ich weiß warum ich dauernd mit Arbeit verfolgt werde, weil ich nicht von hier bin”.
Selbst, wenn man dem Kläger mit seiner Behauptung Glauben schenken will, daß er schon stets eine Allergie gegen Gerüche gehabt habe, und er deshalb zu der Firma Darmverwertung nicht vermittelt werden konnte, worauf das Arbeitsamt F. in seinem Schreiben vom 16. Mai 1956 an das Versorgungsamt F. hinweist, so muß doch hervorgehoben werden, daß er sich seit Oktober 1956 nach einem Vermerk des Arbeitsamtes vom 26. Juli 1957 nicht mehr als Arbeitsuchender gemeldet hat. Seine Karte wurde dann aus der Vermittlungskartei herausgenommen. Erst am 26. Juli 1957 meldete er sich dann wieder arbeitslos "auf Aufforderung des VdK, da ihm von Seiten des Versorgungsamtes die Ausgleichsrente entzogen wurde”. Dieser Vermerk hält auch fest, daß der Kläger vier für ihn geeignete Stellen in der Zeit von 1954 bis Juni 1957 nicht angenommen habe und hebt hervor, er sei dem Arbeitsamt "als nicht sehr arbeitswillig bekannt, denn bei jeder Arbeitsberatung finde er eine dementsprechende Ausrede”.
Da es sich bei den Arbeitsamtsbediensteten, die den Antrag auf ärztliche Begutachtung veranlaßt und die Vermerke vom 16. Mai 1956 und vom 26. Juli 1957 unterzeichnet haben, um drei verschiedene Bedienstete handelt, und auch der Amtsarzt sich in der gleichen Weise geäußert hat, kann nicht davon ausgegangen werden, daß etwa ein Bediensteter des Arbeitsamtes dem Kläger besonders übel gewollt habe. Diese mit dem Umfang von Arbeitssuchenden vertrauten Bediensteten des Arbeitsamtes F. und der Amtsarzt können sich nicht alle in dem übereinstimmenden Eindruck getäuscht haben, daß der Kläger auf eine Arbeitsvermittlung keinen besonderen bzw. überhaupt keinen Wert lege. Wenn der Kläger dies in Abrede stellt, so ist dem auch aufgrund des Eindrucks, den er bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hinterlassen hat, keine Bedeutung beizumessen. Es ist nicht auszuschließen, daß die Kriegsbeschädigung mit eine Ursache dafür darstellt, daß er nicht wieder in ein normales Arbeitsverhältnis mit der üblichen tariflichen Arbeitszeit und der üblichen Vergütung als Hilfsarbeiter oder angelernten Arbeiter vermittelt werden konnte. Angesichts seines Verhaltens bei der Arbeitsvermittlung und dem Eindruck, den der Senat von ihm gewonnen hat, kann die Kriegsbeschädigung dafür jedoch nur allenfalls eine ganz untergeordnete Bedeutung zukommen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm kommt eine Ursächlichkeit von Schädigungsfolgen aber nur dann in Frage, wenn die Schädigungsfolgen mindestens eine rechtlich erhebliche Ursache neben anderen Ursachen darstellen, was jedoch bei dem Kläger nicht der Fall ist.
Dies wird auch durch das psychologische Gutachten aus der Akte des Arbeitsamtes F. vom 13. Februar 1962 bestätigt. Hiernach ist der Kläger "leistungsmäßig wenig veranlagt” und "auch zu wenig anstrengungsbereit”. Er zeigt ein "starkes passives Verhalten”. Außerdem hat er nach diesem Gutachten "in seiner Selbstzufriedenheit eine egozentrische Einstellung, er liegt nicht das Gezwungene” und "möchte sich lieber frei und leger geben”. Dieses von dem Psychologen des Arbeitsamtes entworfene Bild des Klägers deckt sich mit dem Eindruck, den der Senat von ihm gewonnen hat. Der Kläger hat sich offensichtlich mit seiner Grund- und Ausgleichsrente und dem geringen Verdienst beim Karitasverband und der Stadt F. begnügt. Dabei hatte der geringe Nebenverdienst den Vorteil für ihn, daß hierdurch seine Ausgleichsrente nicht gekürzt werden konnte. Somit kann nicht davon die Rede sein, daß er in rechtlich erheblicher Weise durch seine Schädigungsfolgen daran gehindert war, ab 1. Januar 1964 – dem Zeitpunkt, von dem ab Berufsschadensausgleich gezahlt werden könnte – das Erwerbseinkommen eines Hilfsarbeiters oder angelernten Arbeiters zu erzielen.
Das Urteil des Sozialgerichts Fulda, welches davon ausgeht, daß die Schädigungsfolgen den Kläger daran gehindert hätten, wieder in den Arbeitsprozeß zu gelangen, mußte deshalb aufgehoben werden. Der Senat brauchte somit nicht darauf einzugehen, daß das Urteil des Sozialgerichts nach den Hinweisen des beklagten Landes überhaupt nicht ausführbar ist. Ebenfalls brauchte der Senat darüber keine Entscheidung zu treffen, in welcher Weise die für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs geltende Vorschrift des § 9 Abs. 4 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968 zu handhaben ist, da bereits nach § 30 Abs. 3 BVG ein Berufsschadensausgleich nicht gewährt werden kann, und ob die Vorschrift des § 9 Abs. 4 DVO einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zum Ausdruck bringt, der auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1967 evtl. Anwendung findet.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
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