L 2 R 1960/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2567/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1960/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 31.8.2003 hinaus.

Der am x1952 geborene Kläger arbeitete nach seinen Angaben nach dem Abitur von 1971 bis 1972 als Angestellter beim Fernmeldeamt, studierte vom 1.3.1972 bis 28.2.1976 an der Fachhochschule M. Sozialwesen mit Abschluss Sozialarbeiter, arbeitete von 1978 bis 1980 als Erzieher sowie von 1980 bis 1985 als Sozialarbeiter. Vom 1.7.1986 bis 14.7.1988 war er als freiberuflicher Journalist und - nach Volontariat vom 15.7.1988 bis Januar 1990 - bis 31.5.1996 als Redakteur beim S. Boten angestellt (beendet durch Auflösungsvertrag) und danach als freiberuflicher Journalist beim Südkurier 15 Stunden pro Woche tätig. Von 1998 an war er beim Arbeitsamt V.-S. für eine Ganztagsbeschäftigung als arbeitsuchend gemeldet, zwischenzeitlich hat er durch einen Lehrgang vom 19.4. bis 14.10.1999 im Bildungszentrum D. in D. die Qualifikation zum Internet-Webmaster "CIW" erlangt. Nach seinen Angaben arbeitet er derzeit 10 bis 12 Stunden pro Woche als Berichterstatter bei einer Zeitung. Daneben bezieht er aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung 710,70 EUR vierteljährlich (Stand 1.3.2003). Bei ihm ist ein GdB von 60 bzw. nach seinen Angaben mittlerweile von 70 anerkannt.

Auf den Rentenantrag vom 13.11.2000 hin hielt die Beklagte den Kläger nach Begutachtung durch Dr. K.-H. (nervenärztlich-psychosomatisches Gutachten vom 25.1.2001) und durch Dr. K. (chirurgisches Gutachten vom 9.3.2001) sowie nach Einholung einer berufskundlichen Stellungnahme vom 14.1.2002 schließlich nicht mehr für in der Lage seinen Beruf als Redakteur vollschichtig auszuüben, und gewährte für die Zeit vom 1.6.2001 bis 31.8.2003 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Zeit.

Am 20.02.2003 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente unter Vorlage eines Attestes von Dr. N. vom 4.2.2003, wonach sich die Beschwerden auf orthopädischem, psychiatrischem und psychosomatischem Gebiet nicht gebessert hätten. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung durch Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M., der in seinem Gutachten vom 20.5.2003 außer einem beginnenden Karpaltunnelsyndrom auf neurologischem Gebiet keine funktionsrelevanten Beeinträchtigungen feststellte. Psychiatrisch diagnostizierte er eine polymorphe Beschwerdesymptomatik - zum Teil bewusstseinsnah - wohl im Sinne einer Somatisierungsstörung bei passiver Persönlichkeitsstruktur (phlegmatische Persönlichkeitsstruktur fast im Sinne einer dickfälligen Egozentrik und Selbstbezogenheit), die keine funktionsrelevanten Leistungsbeeinträchtigungen hervorrufe. Er hielt den Kläger sowohl in seinem Beruf als Sozialarbeiter als auch im Zweitberuf als Redakteur für vollschichtig leistungsfähig. Bis auf eine schwere Adipositas mit daraus ableitbarer körperlicher Beeinträchtigung ließen sich tatsächliche Organstörungen oder psychische Erkrankungen nicht feststellen. Mit Bescheid vom 10.6.2003 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 23.6.2003 Widerspruch ein und begehrte unter Hinweis auf die Verschlechterung seines Gesundheitszustands die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er legte das Schreiben der A. L.-AG vom 23.6.2003 vor, wonach er ab 1.4.2002 bis auf Weiteres die volle Leistung aus der (privaten) Berufsunfähigkeitsversicherung erhielt. Die Beklagte holte Befundberichte bei den behandelnden Ärzten ein und ließ den Kläger erneut begutachten. Dr. K., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie teilte unter anderem mit, dass der Kläger seit ca. zwei Jahren seine Berentung vor dem Hintergrund der sozialen Absicherung betreibe und er ihn für weitgehend arbeitsfähig mit der Aussicht auf eine Besserung des gegenwärtigen Zustandes halte (Auskunft vom 9.1.2004). Dem Orthopäden Dr. M. war der gegenwärtige Zustand nicht bekannt. Dr. N. berichtete von Beweglichkeitseinschränkung durch deutliches Übergewicht und muskulärem Hartspann paralumbal, nuchal; PHS beidseits sowie Spreizfußbeschwerden (Auskunft vom 29.1.2004). Dr. B., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, diagnostizierte in seinem Gutachten vom 19.3.2004 eine beginnende diabetogene nicht behandlungsbedürftige Polyneuropathie und Karpaltunnelsyndrom rechts, was rentenrechtlich irrelevant sei. Auf psychiatrischem Fachgebiet imponierten die in mehreren Berichten geschilderten psychosomatischen Tendenzen, ohne dass dies einem Krankheitsbild entspräche. Seitens seines Fachgebiets sei der Kläger auch als Redakteur voll leistungsfähig. Dem schloss sich der Orthopäde Dr. T. in seinem Gutachten vom 5.5.2004 an, der keine Funktionseinschränkungen bei nur leichten degenerativen Veränderungen feststellen konnte. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.7.2004 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 11.8.2004 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, sein Begehren auf Rente wegen voller Erwerbsminderung weiterverfolgt und sich hierzu auf die von Dr. N. mitgeteilte deutliche Verschlechterung der Somatisierungsstörung berufen. Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich befragt und nervenärztliche Gutachten über den Kläger eingeholt. Orthopäde Dr. G. hat in seiner Auskunft vom 8.3.2005 als relevante Dauerdiagnosen einen Knick-Senk-Fuß beidseits sowie eine milde Spinalkanalenge ohne relevante Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit mitgeteilt und sich der Einschätzung von Dr. T. angeschlossen. Ebenso wie Dr. M., der den Kläger einmalig am 12.2.2003 wegen Schulterbeschwerden links behandelt hatte (Auskunft vom 9.3.2005), ist auch Dr. N., Facharzt für Allgemeinmedizin, sowohl hinsichtlich der Befunde als auch hinsichtlich der Beurteilung nicht von den Rentengutachten abgewichen. In seiner Auskunft vom 15.3.2005 hat er auf typische Beweglichkeitseinschränkungen im jeweiligen Gelenk höchstens endgradig durch Übergewicht und fehlende Lockerungsgymnastik hingewiesen. Der Kläger habe bei den behandelnden Fachärzten keine Akzeptanz gefunden, was zu einer resignierend-passiven dysphorisch-verhärteten Einstellung beigetragen habe. Im Laufe der letzten zwei Jahre habe sich eine Veränderung insofern ergeben, als der Kläger seit Mai 2004 durchschnittlich nur noch alle zwei Monate in die Sprechstunde gekommen sei und weniger Überweisungen zu Fachärzten geholt habe. Demgegenüber hat Dr. K., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, in seiner Auskunft vom 13.7.2005 den Kläger nicht mehr zu einer konsistenten Arbeitsleistung für in der Lage gehalten. Nervenärztlich/somnologisch im Vordergrund stehe eine erhebliche obstruktive Schlafapnoe, für die eine nCPAP Behandlung erfolgreich eingeleitet worden sei - hierzu wurde der Befundbericht des Fachkrankenhauses St. B. vom 6.6.2005 vorgelegt und auf Nachfrage des SG von dort mitgeteilt, dass auf Grund dessen keine Bedenken gegen eine mindestens 6-stündige Erwerbstätigkeit bestünden (Auskunft vom 17.3.2006). Die orthopädischen und internistischen Beschwerden bedingten allenfalls eine mäßige Behinderung. Auf psychiatrischem Fachgebiet habe sich in den vergangenen 20 Jahren eine zunehmend restriktive, auch regressive Haltung mit depressiven Anwandlungen ergeben. Das Denken des Klägers sei leider nicht mehr auf die Reintegration in den gesellschaftlichen Arbeitsprozess gerichtet, vielmehr habe er sich in den Kopf gesetzt, möglichst bald seine Rente zu erhalten, weshalb er nur noch drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne.

Das nervenärztliche Gutachten hat am 16.5.2006 Dr. S. erstattet. Störungen von Krankheitswert konnte er beim Kläger weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet feststellen. Neurologisch ließ sich die 2004 von Dr. B. diskutierte Polyneuropathie nicht feststellen, Steh- und Gehvermögen sowie Kraftentwicklung an Unterschenkel und Füßen waren völlig normal. Die Zuckerkrankheit sei wohl so milde, dass es sich eher um das grenzwertige Vorhandensein dieser internistischen Erkrankung handele, nachdem keine weitere Therapie notwendig sei. Funktionsrelevante Beeinträchtigungen von Nervenwurzeln z. B. infolge von Bandscheibenvorfällen, konnten ausgeschlossen werden, ebenso ergab sich aus der leichten Verengung des Spinalkanals keine Beeinträchtigung. Der Kläger war psychisch bezüglich Antrieb, Stimmung, Denkablauf, Konzentration, Intelligenz und Sozialverhalten nicht gestört. Die gesamte Beschwerdeschilderung war vage, diffus und schwer fassbar. Der Kläger wirkte in der Begutachtung auch nicht leidend oder schmerzgeplagt. Es bestehe Übereinstimmung mit den anderen Nervenärzten, dass keine psychischen Störungen von Krankheitswert vorlägen, zu keinem Zeitpunkt werde von irgend einem Nervenarzt eine auch nur mittel- oder schwergradige psychische Störung von Krankheitswert festgestellt. Der Kläger sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG Dr. med. Dipl.-Psych. R. mit der Erstattung eines weiteren nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Auf der Grundlage der Schilderungen des Klägers sowie psychologischer Testungen und tiefenpsychologischer Aspekte gelangte er in seinem Gutachten vom 5.2.2007 zu den Diagnosen: mittel- bis schwergradige Depression auf dem Hintergrund einer depressiv-narzisstischen Entwicklung (Dysthymie) und einer Anpassungsstörung an soziale Problematik, Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung mit psychosomatischer Überlagerung der orthopädisch bedingten Schmerzen, schwere Adipositas bei Essstörung, chronische Schlafstörungen bei Ängsten, therapieresistente Schlafapnoe, orthopädische Schmerzen und Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom mit der Folge einer psychophysischen Erschöpfung bzw. Burn-Out-Zeichen, Verbitterungsstörung, Neigung zu Alkoholabusus, Suizidgedanken im Sinne eines präsuizidalen Syndroms und leichtes Kapitaltunnelssyndrom beidseits. Der Gutachter schloss sich der eigenen Einschätzung der Leistungsfähigkeit durch den Kläger an und hielt ihn für fähig, halbtags als Redakteur und unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dann aber nur mit einer Stunde Mittagspause tätig sein zu können. Bei einer Arbeit von 8 Stunden ganztags müsse der Kläger wegen Schmerzen und um geistige Erholung zu bekommen sich ca. alle zwei Stunden für 30 Minuten hinlegen, um zu regenerieren und durchzuhalten. Limitierende Faktoren in seinem Beruf seien Konzentration, Tagesmüdigkeit, Schulterschmerzen und andere Schmerzen, Ängste und Depressionen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien bei entfremdeter Arbeit neben der depressiven Grundhaltung noch die hohe Intelligenz und geringe Frustrationstoleranz limitierend. Der Kläger könne Arbeitswege von 4 mal 500 m allenfalls noch knapp und wenn, nur mit zusätzlichen Pausen zurücklegen. Der psychische Krankheitszustand könne zur Zeit nur durch Gewährung einer Teil-EU Rente gebessert werden. Psychotherapie sei auf Grund der starken Verursachung der Depression durch soziale Gegebenheiten nicht erfolgversprechend und wegen des Rentenkampfes schon gar nicht indiziert. Bei Gewährung einer Teilrente dürfte die Verbitterung sich zumindest teilweise lösen, sodass dann Motivation zu ambulanter Psychotherapie entstehen bzw. aufgebaut werden könnte.

Dr. Stärk hat dazu am 20.4.2007 ergänzend gutachterlich Stellung genommen. Er hat darauf hingewiesen, dass Dr. Rebscher sich in krassem Widerspruch zu allen anderen nervenärztlichen Vorgutachten gesetzt habe, in denen von den Nervenärzten übereinstimmend jeweils die Wesensart und die innere Haltung des Klägers unter Betonung, dass keine eigentliche psychiatrische Erkrankung vorliege, beschrieben worden sei. Dessen Ansatz sei psychoanalytisch und betone hypothetische Überlegungen zur Entstehung des Krankheitsgeschehens, wohingegen es bei der Rentenbegutachtung auf die Feststellung psychischer Funktionsstörungen und ihre Auswirkungen auf das Leistungsvermögen ankomme. Dr. Rebscher habe nach dem angegebenen ICD 10 - Schlüssel eine Dysthymia diagnostiziert, die sich definitionsgemäß unterhalb des Schweregrads einer leichten depressiven Episode bewege. Das Gutachten sei durchsetzt von sehr viel Verständnis und sicher auch von sehr viel Mitleid mit der misslichen Situation des Klägers nach seinem sozialen Abstieg. Dr. Rebscher habe die - schriftlichen - Ausführungen des Klägers, die auch unter dem Gesichtpunkt der Querulanz diskutiert werden könnten, ohne die nötige kritische Distanz übernommen. Hierdurch sei eine Änderung seiner eigenen Leistungsbeurteilung nicht angezeigt.

Hierauf ist Dr. Rebscher in seiner Stellungnahme vom 26.6.2007 eingegangen und hat mitgeteilt, dass die an der ICD10 orientierte äußerliche Einstufung der Dysthymie das Erleben der Patienten nicht berücksichtige. Außerdem habe er kein Mitleid mit dem verbitterten Kläger einfließen lassen, sondern sich um Einfühlung (Empathie) bemüht. Dr. Stärk hat dazu unter dem 26.7.2007 erwidert, dass Dr. Rebscher abweichend von der Definition in dem in Deutschland verbindlichen und von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Manual "ICD-10-GM" die Dyshymia als schwerer einstuft und sich damit in Gegensatz zur üblichen sozialmedizinischen Vorgehens- und Beurteilungsweise setze.

Im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten des Dr. Stärk und die Auskünfte der Dres. N. und G. hat das SG die noch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gerichtete Klage mit Urteil vom 20.2.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die internistischen Beschwerden mit der im Vordergrund stehenden obstruktive Schlafapnoe sowie Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Hyperlipidämie keine rentenrechtlich relevanten Beeinträchtigungen ergäben. Auf orthopädischem Gebiet sei das Leistungsvermögen des Klägers im Wesentlichen durch eine Gonarthrose und eine milde Spinalkanalenge nur qualitativ beeinträchtigt. Objektivierbare funktionelle Beeinträchtigungen mit Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung und soziale Interaktionsfähigkeit ergäben sich daraus nicht. Auf nervenärztlichen Fachgebiet sei insbesondere das Vorliegen einer psychiatrischen Beeinträchtigung von Krankheitswert mit rentenrechtlich relevanten Konsequenzen nicht nachgewiesen worden. Die von Dr. R. diagnostizierte mittel- bis schwergradige Depression habe sich nicht feststellen lassen, da starke Beeinträchtigungen im Alltag und tiefgreifende Auswirkungen auf das Denken und Verhalten des Klägers, wie sie bei einer ausgeprägten Depression zu erwarten wären, nicht erkennbar seien, was sich auch in der fehlenden Behandlung und nicht verifizierbaren Konzentrationsstörungen und der regelmäßigen Ausübung der Tätigkeit als Honorarberichterstatter äußere, und auch mit seiner Selbstbeschreibung nicht in Einklang zu bringen sei. Das Gutachten des Dr. R. sei vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Insbesondere dessen Argumentation, dass die Depressionen des Klägers durch soziale Gegebenheiten bedingt sei und deshalb eine Psychotherapie nicht erfolgversprechend sei und wegen des Rentenkampfes schon gar nicht indiziert, sei nicht überzeugend und konterkariere zudem seine eigene Position, dass es sich um eine krankhafte psychische Störung handele. Eine medizinisch fundierte Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers und den objektivierbaren Befunden sei in dessen Gutachten nicht in hinreichender Weise erfolgt.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 14.4.2008 zugestellte Urteil hat dieser am 24.4.2008 Berufung eingelegt. Für den Kläger sei es weder nachvollziehbar noch akzeptabel, dass das SG die gutachterlichen Feststellungen des Dr. R. nicht als Entscheidungsgrundlage akzeptiert habe. Unter Beachtung seines Bestandsschutzes hinsichtlich Berufsunfähigkeit müsse ihm eine Erwerbsminderungsrente weiter gewährt werden.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Februar 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31. August 2003 hinaus Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§ 143 SGG) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Weitergewährung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 31.8.2003 hinaus.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 10.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.7.2004, mit dem die Beklagte die Weitergewährung der Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung über den Wegfallmonat August 2003 hinaus abgelehnt hat. Anders als noch vor dem SG hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seinen Antrag auf die Weitergewährung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit begrenzt, weshalb der Senat auch nur hierüber zu befinden hatte.

Anspruchsgrundlage für den zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) geltend gemachten Anspruch ist im Hinblick auf den im Februar 2003 gestellten Weitergewährungsantrag § 240 SGB VI. Danach haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 2.1.1961 geboren und berufsunfähig sind (§ 240 Abs.1 SGB VI). Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die bis 31.8.2003 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist mit Ablauf der Frist beendet (§ 102 Abs. 1 SGB VII). Das bedeutet, dass für die Beurteilung der beantragten Weitergewährung der Rente kein Vergleich mit dem vorher bestehenden Zustand vorgenommen werden muss und etwa eine Weitergewährung ohne Änderung der Verhältnisse zu erfolgen hat (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 102 SGB VI, Rdnr. 3), sondern unabhängig davon sind die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Rente neu zu prüfen.

Die genannten Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit erfüllt der Kläger seit dem 1.9.2003 nicht. Ausgangspunkt der Prüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Eine (höherwertige) Beschäftigung oder Tätigkeit ist jedoch dann nicht mehr maßgebend, wenn sich der Versicherte von dieser gelöst und eine andere (geringwertigere) Tätigkeit aufgenommen hat (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI, Rdnr. 21 m.w.N.). Keine Lösung vom Beruf ist die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit (Jörg in Kriekebohm SGB VI, § 240 Rdnr. 12). Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann.

Insofern stellt die Tätigkeit als Redakteur den bisherigen Beruf des Klägers dar, den er jedoch zur Überzeugung des Senats noch mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann, weswegen eine sozial und gesundheitlich zumutbare Verweisungstätigkeit nicht geprüft zu werden braucht. Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme sind dafür keine quantitativ limitierenden Funktionseinschränkungen festgestellt worden. Der Senat stützt sich hierzu auf die Gutachten der Dres. M., B. und T. im Rentenverfahren, des Dr. Stärk im SG-Verfahren sowie auf die Auskunft des Dr. S. der Lungenfachklinik St. B ... Die Ärzte gelangen übereinstimmend zu der Auffassung, dass dem Kläger eine Tätigkeit als Redakteur noch sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zumutbar ist.

Der Kläger leidet unter Beschwerden auf orthopädischem, internistisch-schlafmedizinischem und nervenärztlichen Fachgebiet. Orthopäde Dr. T. hat beim Kläger keine Erkrankung auf orthopädischem Gebiet im rentenrelevanten Sinne feststellen können. Die vom Kläger vorgebrachten Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule und der Schultern ließen sich durch einen krankhaften Befund nicht verifizieren. Die Wirbelsäule war in allen Ebenen gut bewegbar, der Finger-Bodenabstand betrug - trotz des erheblichen Übergewichts - 0, die Entfaltung der Wirbelsäule war regelrecht, ein punktueller Schmerz wurde nicht angegeben. Eine nennenswerte Verspannung der Muskulatur war auf Grund des Übergewichts des Klägers nicht zu tasten. In Bezug auf die Schultern konnte der Nacken-Schürzengriff ohne Probleme ausgeführt werden, die Schultern waren frei beweglich und der Faustschluss beidseits kräftig. Angesichts dieses Befundes hat der Senat keinen Anlass an der Leistungsbeurteilung des Gutachters zu zweifeln, der sich im Übrigen auch die behandelnden Orthopäden Dres. G. und M. und der Allgemeinmediziner Dr. N. angeschlossen haben. Der Kläger leidet auf internistischem Fachgebiet im Wesentlichen unter einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (schlafbezogene Atemstillstandsstörung), das unbehandelt zu einer Tagessymptomatik mit deutlicher Vigilanzstörung (Wachsamkeitsstörung) mit Gefahren bei Daueraufmerksamkeits-Anforderungen - je nach Berufsbild - führen kann. Hier ließ sich in der Lungenfachklinik St. B. durch eine nCPAP-Therapie während der Nacht eine deutliche Verbesserung des Schlafprofils und der vorbestehenden Tagessymptomatik erreichen. Die Erkrankung ist damit einer Behandlung zugänglich. Nach Auskunft von Dr. S. bestanden auf Grund der damals erhobenen Befunde auch keine Bedenken gegen die Verrichtung einer mindestens 6-stündigen leichten Tätigkeit, der der Beruf des Redakteurs von den körperlichen Anforderungen her zuzurechnen ist. Die Erforderlichkeit einer konsequenten Beatmungstherapie wegen sonst möglicher Gefährdung sah Dr. S. lediglich bei einer Tätigkeit mit Daueraufmerksamkeits-Anforderung - wie sie etwa beim Beruf eines Kraftfahrers auf Grund der Symptomatik auftreten kann. Einer derart gefährdeten Berufsgruppe ist der Kläger als Redakteur nicht zuzuordnen. Die Hyperlipidämie und der Diabetes mellitus sind behandelt. Eine zeitliche Limitierung ergibt sich daher aus internistischen Befunden nicht. Auch auf nervenärztlichem Fachgebiet ist weder neurologisch noch psychiatrisch eine andere Bewertung geboten, weil funktionsrelevante Befunde nicht erhoben worden sind. Für die medizinische Beweiswürdigung auf diesem Fachgebiet nimmt der Senat deshalb Bezug auf das ausführlich und zutreffend begründete Urteil des SG, in dem dargelegt ist, dass beim Kläger insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet keine krankhafte Störung festgestellt worden ist, und warum im Gegensatz zu der übereinstimmenden Beurteilung der anderen Gutachter auf nervenärztlichem Fachgebiet derjenigen von Dr. R. nicht gefolgt werden kann.

Lediglich ergänzend ist dazu auszuführen, dass der Senat die Einwendungen des Dr. S. gegen das Gutachten des Dr. R. vollumfänglich teilt und eine krankheitswertige psychische Erkrankung nicht für nachgewiesen erachtet. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Einordnung der von Dr. R. beim Kläger diagnostizierten Dysthymie bzw. korrekt Dysthymia nach F34.1 ICD-10. Eine Dysthymia, die nach der Darstellung von Dr. R. das Krankheitsgeschehen bei dem Kläger bestimmt, ist in ihren Auswirkungen definitionsgemäß geringer als eine leichte depressive Episode einzustufen und vermag als solche eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht zu begründen. Es handelt sich dabei um eine chronisch depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen. Wie Dr. Rebscher in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt hat, handelt es sich auch nach seiner Auffassung beim Kläger eher um ein "Verbitterungssyndrom" bei negativer Lebensbilanz, dem nach allgemeinem rentenrechtlichen Verständnis keine Leistungseinschränkung folgen kann. Zudem hat Dr. R. die vom Kläger geschilderten Beschwerden übernommen und seiner Leistungsbeurteilung zugrunde gelegt, ohne sie kritisch mit Blick auf die fachspezifischen Feststellungen der Orthopäden oder der Pneumologen zu würdigen. Diese von Empathie getragene Sichtweise überzeugt den Senat im Rahmen der Erstellung einer sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung nicht, zumal die übrigen Gutachter auf nervenärztlichem Fachgebiet übereinstimmend dem - gleichermaßen - beschriebenen Wesen und der inneren Haltung des Klägers keinen Krankheitswert beigemessen haben, und auch offensichtlich der Leidensdruck beim Kläger nicht so groß ist, dass er sich einer konsequenten medizinischen und therapeutischen Behandlung unterziehen würde. Den verständlichen Wunsch des Klägers nach sozialer Absicherung und Versorgung in Form einer Rente - wie er bereits früher bei ihm zum Ausdruck gekommen ist und teilweise von den behandelnden Ärzten bestätigt wurde - ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. kein Krankheitswert beizumessen.

Die Tatsache, dass bei dem Kläger ein GdB von 70 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 SGB IX festgestellt ist, ändert an der Feststellung fehlender Erwerbsminderung nichts, denn das Vorliegen von Schwerbehinderung ist mit dem Vorliegen einer Erwerbsminderung i.S.d. §§ 43 bzw. 240 SGB VI nicht gleichzusetzen. Ebenso wenig ist die Gewährung einer privaten Berufsunfähigkeitsrente relevant, da die Gewährung dieser nach anderen rechtlichen Vorgaben erfolgt.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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