L 1 KR 56/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 153/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 56/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. November 2007 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob die Beklagte als gesetzliche Krankenversicherung Krankenversicherungsbeiträge, die aufgrund einer erhaltenen Abfindung zu leisten sind, nicht nur aus dem Grundbetrag der Abfindung festsetzen darf, sondern darüber hinaus auch aus einem von den Beteiligten als "Zinsen" bezeichneten Betrag.

Der Kläger schloss mit seiner damaligen Arbeitgeberin, der D AG, am 26. Februar 1999 einen "Altersteilzeitvertrag im Sinne des Altersteilzeitgesetzes und des Tarifvertrages Nummer 1". Die T GmbH teilte der Beklagten mit Schreiben vom 8. Januar 2006 mit, dass der Kläger als Versorgungsempfänger "ab 1. Januar 2006" 45.272,82 Euro Versorgungsbezüge erhalten habe. Mit Bescheid vom 13. März 2006 legte die Beklagte diesen Betrag als Abfindung, die für einen Zeitraum von zehn Jahren zu berücksichtigen sei, der Berechnung der monatlichen Beiträge zu Grunde und setzte einen Beitrag zur Krankenversicherung ab 1. Januar 2006 von monatlich 53,95 Euro fest. Hiergegen erhob der Kläger am 4. April 2006 Widerspruch. Der Eigenanteil dürfe nicht zu den Beiträgen herangezogen werden. Er fügte eine Kopie des Schreibens der D T AG vom 22. August 2005 bei, wonach per 31. Oktober 2005 ein Versorgungsguthaben von 40.364,00 Euro bestehe, ferner eine "Anhebung" für 76 Tage von 511,28 Euro. Am 16. Januar 2006 werde das Einmalkapital von 40.875,28 Euro fällig: Vom Eintritt des Versorgungsfalles 13. Oktober 2005 bis zum 16. Januar 2006 seien für 70 Tage 6 % Zinsen berechnet und ausgewiesen worden. Zinseinkünfte seien nicht krankenkassenbeitragspflichtig.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2006 zurück. Bei der gesamten Abfindung von 45.272,28 Euro handele es sich um als Versorgungsbezüge, die zwingend zur Beitragsbemessung heranzuziehen seien.

Hiergegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. Die Neuregelungen des § 229 SGB V zum 1. Januar 2004 dürften nicht auf den Kläger angewendet werden, weil dieser bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung am 26. Februar 1999 auf eine Fortgeltung der seinerzeitigen Gesetze vertraut habe. Er habe sich mit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur deshalb einverstanden erklärt gehabt, weil er darauf vertraut haben durfte, dass die ihm für den Zeitpunkt des Erreichens des Rentenalters zugesagte Kapitalzahlung versicherungsbeitragsfrei sei. Im Übrigen seien jedenfalls die Zinsen keine Versorgungsleistungen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. November 2007 haben sich die Parteien und die Pflegekasse der Beklagten darauf verständigt, das sich die Beklagte als Pflegeversicherung hinsichtlich der Beiträge zur Pflegeversicherung an dem Ausgang des Rechtsstreites hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung orientiere und sich der jeweilige Beteiligte einer entsprechenden Entscheidung unterwerfe. Der Kläger hat (nur noch) beantragt, den Bescheid der Beklagten insoweit aufzuheben, als zur Beitragsbemessung auch der Betrag von 566,28 Euro Zinsen herangezogen worden sei.

Das SG hat mit Urteil vom selben Tag dieser Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Beitragsbemessung aus einer einmaligen Kapitalzahlung aus der betrieblichen Altersversorgung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 13. September 2006 - B 12 KR 5/06 R -) Bezug genommen. Jedoch dürften die angefallenen Zinsen nicht der Beitragsbemessung zugrunde gelegt werden. Zinsen seien keine der Rente vergleichbaren Einnahmen nach § 329 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Bei der "Anhebung" für 76 Tage handele es sich um Zinsen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Anhebung sei tarifvertraglich festgesetzter Bestandteil des Versorgungsbezuges und deshalb zu berücksichtigen. Folglich sei der Zahlbetrag unter Anwendung aller Versagens-, Kürzungs- und Ruhensvorschriften der vom Versorgungsträger insgesamt zur Erfüllung des Versorgungsanspruches ausgezahlten Betrages zu verstehen (Bezugnahme auf Hauck/Noftz § 229 SGB V Rdnr. 32).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. November 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG hinsichtlich der Einordnung des Anhebungsbetrages für richtig. Selbst die Beklagte habe den Begriff Verzinsung verwendet. Auch habe es sich in Höhe von 4.342,00 Euro um eine Entgeltumwandlung gehandelt, die beitragsfrei bleiben müsse. Den tariflichen Regelungen könne nicht entnommen werden, dass es sich bei dem Anhebungsbetrag nicht um Zinsen im Rechtssinne handele.

Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung einverstanden erklärt. Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und Dokumente wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur Beratung vor.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. In die Beitragsbemessung nach § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 S. 3 SGB V sind auch die von ihm erhaltenen "Zinsen" auf den Abfindungsbetrag einzubeziehen. Es handelt sich - wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat - nicht um Zinsen im Rechtssinne. Die Kapitalisierung des Versorgungsbezuges - den Betrag, den der Kläger als Abfindung erhalten hat - beträgt 45.272,28 Euro und schließt den Anhebungsbetrag mit ein. Es gibt also keine davon getrennte Zinszahlung. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberin mit dieser Vorgehensweise im Einklang mit der Versorgungsordnung - als Anlage zum Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der D T AG - gehandelt hat. Dort ist unter 4.2 die Anhebung des Versorgungsguthabens um 5 % pro Jahr festgelegt, weil das Einmalkapital unabhängig vom Geburtstag des Empfängers nur einmal jährlich am folgenden 16. Januar zur Auszahlung gelangt.

Das Urteil kann auch nicht Bestand haben, weil die Beklagte aus einem anderen Grund einen zu hohen Betrag für die Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge zugrunde gelegt hat. Es sind sämtliche Leistungen der betrieblichen Altersversorgungen heranzuziehen, unabhängig davon, ob und inwieweit diese auf eigenen Beitragsleistungen beruhen und ob die zugrunde liegenden Verträge vor Abschluss der jetzigen SGB V-Regelungen erfolgt sind. Der Senat hat hierzu in einem Fall, in welchem die Leistungen zu ca. &8532; aus eigener Beitragszahlungen erwirtschaftet worden waren und nur zu ca. &8531; vom Arbeitgeber finanziert worden waren, folgendes ausgeführt (Urteil vom 31. August 2007 - L 1 KR 1000/05 -):

"Das BSG hat mittlerweile wiederholt entschieden, dass die Krankenkassen ab 1. Januar 2004 berechtigt sind, nach § 229 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 248 Satz 1 SGB V Beiträge auch aus einmaligen Kapitalzahlungen aus einer betrieblichen Altersversorgung nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz zu verlangen. Eine betriebliche Altersversorgung in diesem Sinne liegt immer vor, wenn es einen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Leistungen aus der Lebensversicherung und der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers gibt. Dies ist bei einer Direktversicherung - wie hier - der Fall, die (ursprünglich) vom Arbeitgeber abgeschlossen wurde und bei der der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistung des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 25. April 2007 - B 12 KR 26/05 R -, Juris, Rdnr. 16 m.w.N.). Leistungen aus einer solchen Direktversicherung verlieren ihren Charakter als Versorgungsbezüge auch nicht deshalb, weil sie zum Teil - wie hier - oder sogar ganz auf Leistungen des Arbeitnehmers bzw. des Bezugsberechtigten (hier der Klägerin) beruhen. Sie bleiben auch dann in vollem Umfang Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, wenn nach Beendigung der Erwerbstätigkeit die Beiträge allein vom Arbeitnehmer als Versicherungsnehmer gezahlt werden (so wörtlich BSG, a.a.O., Rdnr. 17). Bei der Klägerin handelt es sich also nicht um einen Sonderfall. Diese Bewertung verstößt im Hinblick auf nicht zur Beitragsbemessung heranzuziehenden Zahlungen aus privaten Renten- und Lebensversicherungsverträgen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Eine Differenzierung scheidet aus Praktikabilitätsgründen aus. Außerdem haben Renten der gesetzlichen Rentenversicherung aus freiwilligen Beiträgen schon immer der Beitragspflicht unterlegen (BSG, Urteil vom 6. Februar 1992 - 12 RK 37/91 -, BSGE 70, 105, 108 f.).

Die Beitragspflicht für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung besteht für alle ab Januar 2004 fälligen Leistungen - wie hier -, auch wenn der dazugehörige Vertrag bereits früher abgeschlossen wurde (so BSG, Urteil vom 13. September 2006 - B 12 KR 5/06 -, Juris, Rdnr. 15 m.w.N.). Dies verstößt nicht gegen das Grundgesetz, ebenso wenig wie die neue Regelung der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus der betrieblichen Altersversorgung im vorgenannten Sinne selbst (BSG, a.a.O., Rdnr. 20 ff., sowie Urteil vom 25. April 2007, Rdnr. 23 ff., jeweils mit Hinweisen auf Verfassungsgerichtsentscheidungen). Das BSG hat in letztgenannter Entscheidung hierzu ausgeführt (Rdnr. 26f):

"Entgegen der Auffassung der Revision verletzt die Erweiterung der Beitragspflicht auf einmalige Zahlungen aus Direktversicherungen ab 1. Januar 2004 nicht Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das gilt auch, soweit Zahlungen auf bereits vor dem 1. Januar 2004 abgeschlossenen Versicherungsverträgen beruhen. Zwar knüpft die Beitragspflicht damit an ein in der Vergangenheit begründetes Vertragsverhältnis an, entfaltet aber nur, wie oben ausgeführt, eine sog unechte Rückwirkung. Diese ist verfassungsrechtlich zulässig, sofern ihr nicht im Einzelfall das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen entgegensteht (BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985, 2 BvL 24/82, BVerfGE 70, 69, 84). Das Vertrauen der Versicherten auf den Fortbestand einer günstigen Rechtslage ist insbesondere bei älteren Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung zwar in der Regel hoch einzuschätzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998, 1 BvL 6/92, BVerfGE 97, 378, 389 = SozR 3-2500 § 48 Nr 7 S 34, und Beschluss vom 22. Mai 2001, 1 BvL 4/96, BVerfGE 103, 392, 404 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 39 S 198), der Senat hat jedoch bereits die Ausdehnung der seit dem 1. Januar 1983 geltenden Beitragspflicht in der Krankenversicherung auf Versorgungsbezüge auch bei Versicherungspflichtigen, die bereits eine Rente bezogen, für verfassungsgemäß erachtet (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 1984, 12 RK 36/84, BSGE 58, 10 = SozR 2200 § 180 Nr. 25). Vor allem konnte ein bei Abschluss der Direktversicherungen vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Beitragsfreiheit einer hieraus in Zukunft fällig werdenden einmaligen Leistung nicht entstehen. In der Vergangenheit war nämlich die Verpflichtung der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Rentner zur Zahlung von Beiträgen aus Renteneinkünften und Versorgungsbezügen wiederholt geändert worden. Auch die Voraussetzungen für die Krankenversicherungspflicht als Rentner waren mehrfach Änderungen unterworfen gewesen. Bei einer freiwilligen Mitgliedschaft der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung wären bei entsprechenden Satzungsbestimmungen der Krankenkasse einmalige Zahlungen, auch aus sonstigen Lebensversicherungen, monatlich mit einem Zwölftel des Jahresbetrages, umgelegt auf ein Jahr, oder mit 1/120 über 10 Jahre für die Beitragsbemessung zu Grunde gelegt worden. d) Die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs. 1 GG wird durch die Verpflichtung der Versicherten, Beiträge auf als Kapitalleistung ausgezahlte Versorgungsbezüge zu zahlen, nicht verletzt. Das Vermögen als solches ist durch Art 14 Abs. 1 GG nicht gegen die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 1994, 1 BvL 19/90, BVerfGE 91, 207, 220), soweit es dadurch nicht zu einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse kommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 1990, 2 BvL 12/88 u.a., BVerfGE 82, 159, 190; im Ausgangspunkt ebenso BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, 110 ff). Diese Gefahr sieht der Senat nicht, zumal der Beseitigung der beitragsrechtlichen Privilegierung auch insofern eine Stärkung des Solidaritätsprinzips wie der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung gegenübersteht. "

Daran hält der Senat fest.
Rechtskraft
Aus
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