L 7 AS 1822/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 792/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1822/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 12. März 2009 geändert. Der Beigeladene wird verpflichtet, die offenen Stromkostenrückstände der Antragstellerin in Höhe von 1020,87 Euro bei der Energie Baden-Württemberg Vertriebs- und Servicegesellschaft mbH, 76131 Karlsruhe (EnBW) durch Gewährung eines Darlehens zu übernehmen und dieses direkt an die EnBW auszuzahlen.

Der Beigeladene hat der Antragstellerin ihre außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444)) eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Sie führt unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Sozialgerichts Mannheim (SG) zur Verpflichtung des Beigeladenen zur darlehensweisen Übernahme der noch offenen Stromkostenrückstände der Antragstellerin in Höhe von 1020,87 Euro bei der EnBW in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, das sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erforderten eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927; zuletzt BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - a.a.O. und vom 17. August 2005 - a.a.O.).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen im Verhältnis zum Beigeladenen vor. Die Antragstellerin hat bezüglich der Stromkostenrückstände einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund gegenüber diesem glaubhaft gemacht. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung eines Darlehens bezüglich der noch nicht befriedigten Stromkostennachforderung der EnBW in Höhe von 1020,87 Euro - in Höhe von 976,96 Euro hat die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 11. März 2009 ein Darlehen gewährt und ausbezahlt - ergibt sich aus § 22 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nach dieser Bestimmung können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden. Mit der in § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II genannten Behebung einer vergleichbaren Notlage sind solche Konstellationen angesprochen, die mit der Gefährdung der Sicherung der Unterkunft vergleichbar sind. Insbesondere in Form von Energiekostenrückständen kommt eine Behebung einer der drohenden Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage in Betracht (vgl. Beschluss des Senats vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (juris) m.w.N.; siehe auch Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. März 2008 - L 3 AS 1293/08 ER-B -). Weiterhin können auch Kosten, die in der Regelleistung enthalten sind, insbesondere Stromschulden, eine vergleichbare Notlage auslösen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine andere Entscheidung dazu führen würde, dass die Wohnung unbewohnbar würde (vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rdnrn. 105, 106). Diese Voraussetzungen liegen unter Beachtung der existentiellen Bedeutung des Wohnraums für die alleinerziehende Antragstellerin, die (alleinige) Schuldnerin der Stromkostenforderung ist, und ihre vier minderjährigen Kinder im Alter zwischen sechs und 11 Jahren, von denen eines schwerbehindert (GdB 80) ist, vor.

Verpflichteter des - hier gebundenen - Anspruchs nach § 22 Abs. 5 SGB II ist der Beigeladene als der zuständige kommunale Träger (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Dem kann bei summarischer Prüfung nicht (mehr) die Einstandspflicht der Antragsgegnerin als dem zuerst angegangenen Leistungsträger (vgl. § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)) entgegen gehalten werden, zumal dieser durch Bescheid vom 11. März 2009 einen Teil der Schulden - und zwar in Höhe des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für Haushaltsenergie von 6 % - übernommen hat, was jedenfalls im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens keiner Beanstandung unterliegt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), SozR 4-4200 § 22 Nr. 5). Dieser Bescheid ist mangels Erhebung eines Widerspruchs durch die Antragstellerin mittlerweile bestandskräftig geworden mit der Folge, dass der Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG im Verhältnis zur Antragsgegnerin unstatthaft geworden ist. Denn es fehlt insoweit an einem regelungsfähigen streitigen Rechtsverhältnis (Beschluss des Senats vom 13. Juni 2007 - L 7 AS 2050/07 ER-B - (juris)). Dies hindert indessen aus prozessökonomischen Gründen nicht eine Verpflichtung des (erst) im Beschwerdeverfahren beigeladenen kommunalen Trägers im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Würde die Antragstellerin (stattdessen) darauf verwiesen, beim SG ein weiteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren anzustrengen mit dem Ziel der Verpflichtung des Beigeladenen, so drohte dieser Rechtsschutz zu spät zu kommen mit Blick auf eine etwaige weitere Stromsperre, was mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar wäre.

Auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist glaubhaft gemacht. Infolge der Zahlungsrückstände droht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erneute Stromsperre, nachdem bereits am 11. März 2009 eine Stromsperre seitens der EnBW realisiert worden war, welche nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung von dieser aufgehoben wurde. Der zuständige Mitarbeiter der EnBW hat aber telefonisch gegenüber dem Senat erklärt, dass zwar mit Blick auf das anhängige Beschwerdeverfahren derzeit noch zugewartet werde; sofern keine baldige vollständige Zahlung der Rückstände erfolge, sei jedoch beabsichtigt, alsbald im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erneut den Zugang zur Wohnung der Antragstellerin zu erwirken mit dem Ziel der Vollziehung einer weiteren Stromsperre. Im Falle einer solchen Stromsperre wäre jedoch für die Antragstellerin und ihre Kinder von einer existentiellen, der Unbewohnbarkeit der Wohnung gleich kommenden Notlage auszugehen. Ein Anordnungsgrund ist daher aufgrund der beabsichtigten Stromsperre durch die EnBW und den damit verbundenen nachteiligen Folgen gegeben. Dem steht es nicht entgegen, dass gegen die Antragstellerin ein vorläufig vollsteckbares Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 27. März 2009 ( 7 O 12/09) vorliegt, durch welches diese unter Gewährung einer Räumungsfrist bis zum 27. Juni 2009 verurteilt worden ist, die bewohnten Räumlichkeiten geräumt an den Zwangsverwalter über das Vermögen ihres Ehemannes herauszugeben. Denn unabhängig davon, ob die Antragstellerin und ihre Kinder bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich aus der Unterkunft ausziehen bzw. in der Folgezeit mit einer Zwangsräumung rechnen müssen oder aber über den Weg zivilrechtlichen Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO bzw. den der polizeirechtlichen Einweisung in die Wohnung nach §§ 9, 33 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG) weiterhin dort verbleiben, besteht ein schutzwürdiges Bedürfnis, bis auf Weiteres die Bewohnbarkeit der Wohnung - und dazu gehört bei einer Familie mit kleinen Kindern fraglos die Versorgung mit Strom - sicherzustellen.

Eine Interessen- und Folgenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn dem Interesse der Antragstellerin am Erhalt der Stromversorgung in ihrer Wohnung gebührt einstweilen der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Mittel der Grundsicherung. Unter diesen Umständen muss die Klärung der Frage, ob das Auflaufen der Stromschulden und der damit verbundenen drohenden Stromsperrung dadurch schuldhaft verursacht worden ist, dass die Antragstellerin trotz wiederholter und eindeutiger Hinweise der EnBW einer Begleichung ihrer eigenen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist und sie sich insoweit ein sozialwidriges Verhalten vorhalten lassen muss - mit der Folge, dass eine Übernahme der Schulden als Darlehen nicht gerechtfertigt wäre -, unter Berücksichtigung der existentiellen Bedeutung des Wohnraums einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dort wäre auch abzuklären, ob die Antragstellerin ihre Selbsthilfemöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat bzw. weiter nicht ausschöpft (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Dezember 2008 - L 7 B 384/08 AS -, ZFSH/SGB 2009, 43).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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