Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 71/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller einstweilen Krankenversicherungsschutz nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), insbesondere Krankenbehandlung gemäß §§ 27 ff. SGB V zu gewähren. Die einstweilige Anordnung gilt längstens bis zur bestandskräftigen Ent- scheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 12.05.2009, im Fall eines anschließenden Klageverfahrens bis zu dessen rechts- kräftigem Abschluss. Die mit dieser Anordnung getroffene Regelung wird außerdem mit Ablauf des letzten Tages, für den der Antragsteller Arbeitslosengeld II bezieht, gegenstandslos, sofern nicht im Anschluss daran ein anderer Versicherungstatbestand die weitere Mitgliedschaft bei der Ag. begründet. Die Kosten des Antragstellers trägt die Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (Ast.) Anspruch auf Krankenversicherungsschutz als versicherungspflichtiges Mitglied nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat.
Der am 00.00.1982 geborene Ast. ist schwer drogenabhängig und obdachlos. Bis 28.02.2006 war er als Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) II versicherungspflichtiges Mitglied der Antragsgegnerin (Ag.). Vom 23.02.2006 bis 17.09.2007 war er in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Aachen inhaftiert. Der Grund für die Haftentlassung am 17.09.2007 war, dass der Ast. einen Therapieplatz für eine Drogenentziehungsmaßnahme im "Haus Hohenlinden" in Remagen erhalten hatte. Der Ast. trat die Therapie jedoch nicht an; auf der Fahrt dorthin stieg er aus dem PKW aus und tauchte unter. Als er sich wieder bei seiner Großmutter - seiner Bevollmächtigten in diesem Verfahren - meldete, bestand diese da- rauf, dass er sich der Polizei stellt. Daraufhin wurde er wieder inhaftiert und befand sich vom 07.1.2008 bis 11.02.2009 in der JVA Aachen. Während der Haftzeiten hatte der Ast. Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 58 Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Bei der Haftentlassung am 11.02.2009 erhielt er ein Haftentlassungsgeld von 80,00 EUR.
Am 24.02.2009 beantragte der Ast. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er bezieht seitdem laufend Alg II; die Regelleistung wird ihm per Barscheck ausgezahlt. Die ARGE der Stadt Aachen meldete den Ast. zum 24.02.2009 als krankenversicherungspflichtig bei der Ag. an.
Durch Bescheid vom 12.05.2009 lehnte die Ag. eine Mitgliedschaft bei ihr ab mit der Begründung, der Ast. unterliege gemäß § 5 Abs. 5a SGB V zum 24.02.2009 nicht der Versicherungspflicht, da er unmittelbar vorher über die freie Heilfürsorge in der JVA versichert gewesen sei.
Dagegen legte der Ast. am selben Tag Widerspruch ein, über den die Ag. bisher nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 12.05.2009 hatte der Ast. beim Sozialgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat die Bestätigung der LWL-Klinik Warstein über einen Aufnahmetermin am 19.05.2009 zur qualifizierten Drogenentzugsbehandlung vorgelegt. Er trägt vor, wegen der Dringlichkeit der Drogenentzugsbehandlung sei der Termin auf den 14.05.2009 vorverlegt worden. Voraussetzung für die Aufnahme sei aber der Nachweis einer Krankenversicherung und eine gültige ärztliche Einweisung. Die ärztliche Einweisung erfolge jedoch nur, wenn Krankenversicherungsschutz nachgewiesen sei.
Der Antragsteller beantragt seinem Vorbringen nach,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Krankenversicherungsschutz zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab- zulehnen.
Sie ist der Auffassung, es bestehe keine gesetzliche Krankenversicherungspflicht des Ast ... Selbst wenn Versicherungspflicht als Bezieher von Alg II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bestünde, sei fraglich, ob sie die zuständige Krankenkasse sei. Es stelle sich die Frage, ob der Ast. zwischen den beiden Haftzeiten vom 18.09.2007 bis 06.01.2008 Mitglied einer anderen Krankenkasse war, die dann für die Durchführung der Versicherung zuständig wäre.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Auskünfte eingeholt. Von der JVA Aachen ist mitgeteilt worden, dass der Ast. am 17.09.2007 aus der Haft entlassen wurde, um eine Drogenentzugstherapie im "Haus Hohenlinden" in Remagen anzutreten. Von dort ist mitgeteilt worden, dass der Ast. den Therapieplatz nicht in Anspruch genommen habe. Die Bevollmächtigte des Ast. hat dies bestätigt und mitgeteilt, dass der Ast. auf der Fahrt zum Therapieplatz "untergetaucht" sei; eine Krankenversicherung habe er zwischen den beiden Haftzeiten nicht abgeschlossen. Die LWL-Klinik Warstein hat bestätigt, dass der für den 19.05.2009 vorgesehene Aufnahmetermin auf den 14.05.2009 vorverlegt worden ist; wenn der Krankenversicherungsschutz bis dahin nicht geklärt sei, könne die Aufnahme nicht erfolgen; jedoch könne ein Therapieplatz mit einer Aufnahme am 21.05.2009 frei gehalten werden.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Es besteht ein Anordnungsanspruch. Die summarische Prüfung des Sachverhalts, soweit ihn das Gericht in der Kürze der Zeit aufklären konnte, ergibt, dass eine Krankenversicherungspflicht des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V besteht und er deshalb Anspruch auf Krankenversicherungsschutz nach dem SGB V hat.
Der derzeit und seit dem 24.02.2009 bestehende Tatbestand, der die Versicherungspflicht begründet, ist der Bezug von Alg II. Diese Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2a SGB V ist - entgegen der Auffassung der Ag. - nicht nach § 5 Abs. 5a SGB V ausgeschlossen. Der Ast. erfüllt nicht in Gänze die Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes. Er war nämlich "unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II" - nämlich von 12.02. bis 23.02.2009 - gesetzlich krankenversichert. In dieser Zeit bestand Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (sog. "Bürgerversicherung").
Nach dieser Vorschrift besteht Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Nach der Entlassung aus der Haft am 11.02.2009 hatte der Ast. keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Der Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 58 StVollzG endete am 11.02.2009. Der Ast. erfüllte für die Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V ab 12.02.2009 auch die Voraussetzung "zuletzt gesetzlich krankenversichert". Er war nämlich zwischen den beiden Haftzeiten, also in der Zeit vom 18.09.2007 bis 06.01.2008, ebenfalls in der "Bürgerversicherung" gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V krankenpflichtversichert. Auch in dieser Zeit hatte er keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall und war zuletzt gesetzlich krankenversichert, nämlich bis zum 28.02.2006 bei der Ag. aufgrund des Bezugs von Alg II.
"Zuletzt gesetzlich krankenversichert" im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V bedeutet nicht, dass einer möglichen "Bürgerversicherung" eine gesetzliche Krankenversicherung zeitlich unmittelbar vorausgegangen sein muss. Es ist unschädlich, wenn nach dem Ende einer Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Zustand bestanden hat, in dem die betreffende Person nicht gesetzlich krankenversichert war. Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" dient allein dazu, Personen, die bisher keinen Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung aufweisen, etwa weil sie vor Verlust der Absicherung im Krankheitsfall als Beamte oder beamtenähnlich abgesichert oder selbstständig tätig und privat krankenversichert waren, vom Versicherungs- schutz der Gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen (vgl. BT-Drucksache 16/3100, S. 94). Dieser Personenkreis - zudem der Ast. nicht gehört - ist der neugeschaffenen Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages ("Basistarif", § 178a Abs. 5 Versicherungsvertragsgesetz) zuzuordnen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2009 - L 11 KR 497/09 ER-B). Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" ist damit nicht so zu verstehen, dass eine Person, die zuvor Leistungen der Gesundheitsfürsorge nach dem StVollzG bezogen hat, aus dem Versicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausscheidet. Die gegenteilige früher vertretene Auffassung (SG Aachen, Beschlüsse vom 31.03.2008 - S 20 SO 25/08 ER - und vom 29.05.2008 - S 13 KR 77/08 ER - wird nicht aufrechterhalten.
Die beiden Pflichtmitgliedschaften des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V begannen am 18.09.2007 bzw. 12.02.2009 (§ 186 Abs. 11 Satz 1 SGB V) und endeten mit Ablauf des 06.01.2008 bzw. 23.02.2009 (§ 190 Abs. 13 Satz 1 Nr. 1 SGB V).
Die Ag. ist auch die für die Durchführung der Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V ab 24.02.2009 zuständige Krankenkasse. Denn der Ast. hat von seinem Wahlrecht nach § 173 SGB V Gebrauch gemacht und die Ag. als Krankenkasse gewählt, sei es gegenüber der ARGE für die Stadt Aachen, die ihn daraufhin bei der Ag. zur Pflichtversicherung angemeldet hat, sei es durch persönliche Vorsprache bei der Ag. (ggf. durch seine Bevollmächtigte).
Selbst wenn - wie die Ag. meint - der Ast. nicht unmittelbar vor dem Bezug von Alg II ab 24.02.2009 gesetzlich (und auch nicht privat) krankenversichert gewesen wäre, führt die Vorschrift des § 5 Abs. 5a SGB V nicht zum Ausschluss der Versicherungspflicht nach Abs. 1 Nr. 2a. Denn der Ast. erfüllt weitere Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes nicht; er gehört nicht zu den in § 5 Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen. Die weitere Alternative des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V ist ebenso wenig einschlägig wie die Bestimmung des § 5 Abs. 5a Satz 2 SGB V.
Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Der Ast. ist schwer drogenkrank; allein dies kann jederzeit ärztliche Behandlung notwendig machen. Als Bezieher von Alg II kann er eine gegebenenfalls notwendig werdende Krankenbehandlung nicht aus eigenen Mitteln bis zur Klärung seines Krankenversicherungsschutzes vorfinanzieren. Hinzu kommt, dass er einen Therapieplatz für eine dringend gebotene Drogenentzugsbe- handlung erhalten hat. Voraussetzung für die Therapie ist jedoch neben einer ärztlichen Einweisung der Nachweis von Krankenversicherungsschutz. Zwar kann der Ast. den Therapieplatz nicht mehr zum vorgesehenen - wegen der Dringlichkeit vorgezogenen - Aufnahmetermin am 14.05.2009 antreten; jedoch hat die LWL-Klinik dem Gericht versichert, einen Therapieplatz freizuhalten und den Ast. am 21.05.2009 aufnehmen zu können. Da Voraussetzung hierfür und auch für eine ärztliche Einweisung in die LWL-Klinik der Nachweis eines Krankenversicherungsschutzes ist, besteht eine Eilbedürfigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Kammer hat die Wirkung der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache befristet. Dies erscheint zum einen notwendig, weil nicht absehbar ist, wie lange die Drogenentzugsbehandlung dauert, zu anderen auch sachgerecht, weil der Krankenversicherungsschutz eines schwer kranken Menschen unabhängig von einer konkreten Therapie sichergestellt sein muss und aus den dargelegten Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Ast. auf nicht absehbare Zeit versicherungspflichtiges Mitglied der Ag. ist. Allerdings wird die Regelungsanordnung gegenstandslos mit Ablauf des letzten Tages, für den der Ast. Alg II bezieht (vgl. § 190 Abs. 12 SGB V), sofern im Anschluss daran kein anderer Tatbestand eine Versicherungspflicht bei der Ag. begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (Ast.) Anspruch auf Krankenversicherungsschutz als versicherungspflichtiges Mitglied nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat.
Der am 00.00.1982 geborene Ast. ist schwer drogenabhängig und obdachlos. Bis 28.02.2006 war er als Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) II versicherungspflichtiges Mitglied der Antragsgegnerin (Ag.). Vom 23.02.2006 bis 17.09.2007 war er in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Aachen inhaftiert. Der Grund für die Haftentlassung am 17.09.2007 war, dass der Ast. einen Therapieplatz für eine Drogenentziehungsmaßnahme im "Haus Hohenlinden" in Remagen erhalten hatte. Der Ast. trat die Therapie jedoch nicht an; auf der Fahrt dorthin stieg er aus dem PKW aus und tauchte unter. Als er sich wieder bei seiner Großmutter - seiner Bevollmächtigten in diesem Verfahren - meldete, bestand diese da- rauf, dass er sich der Polizei stellt. Daraufhin wurde er wieder inhaftiert und befand sich vom 07.1.2008 bis 11.02.2009 in der JVA Aachen. Während der Haftzeiten hatte der Ast. Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 58 Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Bei der Haftentlassung am 11.02.2009 erhielt er ein Haftentlassungsgeld von 80,00 EUR.
Am 24.02.2009 beantragte der Ast. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er bezieht seitdem laufend Alg II; die Regelleistung wird ihm per Barscheck ausgezahlt. Die ARGE der Stadt Aachen meldete den Ast. zum 24.02.2009 als krankenversicherungspflichtig bei der Ag. an.
Durch Bescheid vom 12.05.2009 lehnte die Ag. eine Mitgliedschaft bei ihr ab mit der Begründung, der Ast. unterliege gemäß § 5 Abs. 5a SGB V zum 24.02.2009 nicht der Versicherungspflicht, da er unmittelbar vorher über die freie Heilfürsorge in der JVA versichert gewesen sei.
Dagegen legte der Ast. am selben Tag Widerspruch ein, über den die Ag. bisher nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 12.05.2009 hatte der Ast. beim Sozialgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat die Bestätigung der LWL-Klinik Warstein über einen Aufnahmetermin am 19.05.2009 zur qualifizierten Drogenentzugsbehandlung vorgelegt. Er trägt vor, wegen der Dringlichkeit der Drogenentzugsbehandlung sei der Termin auf den 14.05.2009 vorverlegt worden. Voraussetzung für die Aufnahme sei aber der Nachweis einer Krankenversicherung und eine gültige ärztliche Einweisung. Die ärztliche Einweisung erfolge jedoch nur, wenn Krankenversicherungsschutz nachgewiesen sei.
Der Antragsteller beantragt seinem Vorbringen nach,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Krankenversicherungsschutz zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab- zulehnen.
Sie ist der Auffassung, es bestehe keine gesetzliche Krankenversicherungspflicht des Ast ... Selbst wenn Versicherungspflicht als Bezieher von Alg II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bestünde, sei fraglich, ob sie die zuständige Krankenkasse sei. Es stelle sich die Frage, ob der Ast. zwischen den beiden Haftzeiten vom 18.09.2007 bis 06.01.2008 Mitglied einer anderen Krankenkasse war, die dann für die Durchführung der Versicherung zuständig wäre.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Auskünfte eingeholt. Von der JVA Aachen ist mitgeteilt worden, dass der Ast. am 17.09.2007 aus der Haft entlassen wurde, um eine Drogenentzugstherapie im "Haus Hohenlinden" in Remagen anzutreten. Von dort ist mitgeteilt worden, dass der Ast. den Therapieplatz nicht in Anspruch genommen habe. Die Bevollmächtigte des Ast. hat dies bestätigt und mitgeteilt, dass der Ast. auf der Fahrt zum Therapieplatz "untergetaucht" sei; eine Krankenversicherung habe er zwischen den beiden Haftzeiten nicht abgeschlossen. Die LWL-Klinik Warstein hat bestätigt, dass der für den 19.05.2009 vorgesehene Aufnahmetermin auf den 14.05.2009 vorverlegt worden ist; wenn der Krankenversicherungsschutz bis dahin nicht geklärt sei, könne die Aufnahme nicht erfolgen; jedoch könne ein Therapieplatz mit einer Aufnahme am 21.05.2009 frei gehalten werden.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Es besteht ein Anordnungsanspruch. Die summarische Prüfung des Sachverhalts, soweit ihn das Gericht in der Kürze der Zeit aufklären konnte, ergibt, dass eine Krankenversicherungspflicht des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V besteht und er deshalb Anspruch auf Krankenversicherungsschutz nach dem SGB V hat.
Der derzeit und seit dem 24.02.2009 bestehende Tatbestand, der die Versicherungspflicht begründet, ist der Bezug von Alg II. Diese Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2a SGB V ist - entgegen der Auffassung der Ag. - nicht nach § 5 Abs. 5a SGB V ausgeschlossen. Der Ast. erfüllt nicht in Gänze die Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes. Er war nämlich "unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II" - nämlich von 12.02. bis 23.02.2009 - gesetzlich krankenversichert. In dieser Zeit bestand Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (sog. "Bürgerversicherung").
Nach dieser Vorschrift besteht Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Nach der Entlassung aus der Haft am 11.02.2009 hatte der Ast. keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Der Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 58 StVollzG endete am 11.02.2009. Der Ast. erfüllte für die Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V ab 12.02.2009 auch die Voraussetzung "zuletzt gesetzlich krankenversichert". Er war nämlich zwischen den beiden Haftzeiten, also in der Zeit vom 18.09.2007 bis 06.01.2008, ebenfalls in der "Bürgerversicherung" gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V krankenpflichtversichert. Auch in dieser Zeit hatte er keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall und war zuletzt gesetzlich krankenversichert, nämlich bis zum 28.02.2006 bei der Ag. aufgrund des Bezugs von Alg II.
"Zuletzt gesetzlich krankenversichert" im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V bedeutet nicht, dass einer möglichen "Bürgerversicherung" eine gesetzliche Krankenversicherung zeitlich unmittelbar vorausgegangen sein muss. Es ist unschädlich, wenn nach dem Ende einer Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Zustand bestanden hat, in dem die betreffende Person nicht gesetzlich krankenversichert war. Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" dient allein dazu, Personen, die bisher keinen Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung aufweisen, etwa weil sie vor Verlust der Absicherung im Krankheitsfall als Beamte oder beamtenähnlich abgesichert oder selbstständig tätig und privat krankenversichert waren, vom Versicherungs- schutz der Gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen (vgl. BT-Drucksache 16/3100, S. 94). Dieser Personenkreis - zudem der Ast. nicht gehört - ist der neugeschaffenen Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages ("Basistarif", § 178a Abs. 5 Versicherungsvertragsgesetz) zuzuordnen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2009 - L 11 KR 497/09 ER-B). Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" ist damit nicht so zu verstehen, dass eine Person, die zuvor Leistungen der Gesundheitsfürsorge nach dem StVollzG bezogen hat, aus dem Versicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausscheidet. Die gegenteilige früher vertretene Auffassung (SG Aachen, Beschlüsse vom 31.03.2008 - S 20 SO 25/08 ER - und vom 29.05.2008 - S 13 KR 77/08 ER - wird nicht aufrechterhalten.
Die beiden Pflichtmitgliedschaften des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V begannen am 18.09.2007 bzw. 12.02.2009 (§ 186 Abs. 11 Satz 1 SGB V) und endeten mit Ablauf des 06.01.2008 bzw. 23.02.2009 (§ 190 Abs. 13 Satz 1 Nr. 1 SGB V).
Die Ag. ist auch die für die Durchführung der Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V ab 24.02.2009 zuständige Krankenkasse. Denn der Ast. hat von seinem Wahlrecht nach § 173 SGB V Gebrauch gemacht und die Ag. als Krankenkasse gewählt, sei es gegenüber der ARGE für die Stadt Aachen, die ihn daraufhin bei der Ag. zur Pflichtversicherung angemeldet hat, sei es durch persönliche Vorsprache bei der Ag. (ggf. durch seine Bevollmächtigte).
Selbst wenn - wie die Ag. meint - der Ast. nicht unmittelbar vor dem Bezug von Alg II ab 24.02.2009 gesetzlich (und auch nicht privat) krankenversichert gewesen wäre, führt die Vorschrift des § 5 Abs. 5a SGB V nicht zum Ausschluss der Versicherungspflicht nach Abs. 1 Nr. 2a. Denn der Ast. erfüllt weitere Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes nicht; er gehört nicht zu den in § 5 Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen. Die weitere Alternative des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V ist ebenso wenig einschlägig wie die Bestimmung des § 5 Abs. 5a Satz 2 SGB V.
Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Der Ast. ist schwer drogenkrank; allein dies kann jederzeit ärztliche Behandlung notwendig machen. Als Bezieher von Alg II kann er eine gegebenenfalls notwendig werdende Krankenbehandlung nicht aus eigenen Mitteln bis zur Klärung seines Krankenversicherungsschutzes vorfinanzieren. Hinzu kommt, dass er einen Therapieplatz für eine dringend gebotene Drogenentzugsbe- handlung erhalten hat. Voraussetzung für die Therapie ist jedoch neben einer ärztlichen Einweisung der Nachweis von Krankenversicherungsschutz. Zwar kann der Ast. den Therapieplatz nicht mehr zum vorgesehenen - wegen der Dringlichkeit vorgezogenen - Aufnahmetermin am 14.05.2009 antreten; jedoch hat die LWL-Klinik dem Gericht versichert, einen Therapieplatz freizuhalten und den Ast. am 21.05.2009 aufnehmen zu können. Da Voraussetzung hierfür und auch für eine ärztliche Einweisung in die LWL-Klinik der Nachweis eines Krankenversicherungsschutzes ist, besteht eine Eilbedürfigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Kammer hat die Wirkung der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache befristet. Dies erscheint zum einen notwendig, weil nicht absehbar ist, wie lange die Drogenentzugsbehandlung dauert, zu anderen auch sachgerecht, weil der Krankenversicherungsschutz eines schwer kranken Menschen unabhängig von einer konkreten Therapie sichergestellt sein muss und aus den dargelegten Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Ast. auf nicht absehbare Zeit versicherungspflichtiges Mitglied der Ag. ist. Allerdings wird die Regelungsanordnung gegenstandslos mit Ablauf des letzten Tages, für den der Ast. Alg II bezieht (vgl. § 190 Abs. 12 SGB V), sofern im Anschluss daran kein anderer Tatbestand eine Versicherungspflicht bei der Ag. begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
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